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BFH-Urteil vom 3.10.1984 (II R 109/82) BStBl. 1985 II S. 97

Zur Erlangung der Verwertungsbefugnis bei Einräumung des befristeten Rechts, den Grundstückskäufer zu benennen.

GrEStG Bayern § 1 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

Am 30. April 1980 wurden unter Beteiligung der Klägerin ein Angebot zum Abschluß eines Kaufvertrags, ein Vermittlungsvertrag, ein Darlehensvertrag und eine Dienstbarkeitsbestellung notariell beurkundet. Das Vertragsangebot betraf ein Grundstück, auf dem eine Gastwirtschaft betrieben wurde, nebst Einrichtungsgegenständen. Verkäufer waren die Eheleute A. Der Ehemann handelte unter Vorbehalt der Genehmigung zugleich für die Klägerin. Diese erklärte am 12. März 1980 gegenüber dem beurkundenden Notar schriftlich ihre Genehmigung.

Das Vertragsangebot in Abschnitt B der notariellen Urkunde hatte folgenden Inhalt:

"Die Verkäufer tragen hiermit der von der Klägerin zu benennenden natürlichen oder juristischen Person oder einer Mehrheit davon den Abschluß eines Kaufvertrags mit dem nachfolgend niedergelegten Inhalt an.

Die ... (Klägerin) nimmt dieses Angebot entgegen; sie selbst kann das Angebot nicht annehmen.

...

Das Angebot ist nur wirksam angenommen, wenn die Annahmeerklärung durch den vorher oder gleichzeitig durch die ... (Klägerin) zu benennenden Käufer spätestens am 30. Juni 1981 zu notarieller Urkunde erklärt ist.

...

Der angebotene Kaufvertrag hat folgenden Inhalt:

I.

Der Verkäufer verkauft an den Käufer ...

1. das Grundstück ... mit allen Rechten, Pflichten und Bestandteilen, insbesondere allen darauf errichteten Gebäulichkeiten und

2. die ... Einrichtungsgegenstände des Gastwirtschafts- und Pensionsbetriebs.

III.

...

3. Der Besitz sowie die Gefahr der Sache gehen mit Wirkung ab dem Tag der Vertragsannahme, spätestens jedoch ab 1. August 1980, auf den Käufer über.

IV.

Der Kaufpreis beträgt für den in Abschn. I aufgeführten Vertragsbesitz insgesamt ... DM.

... Gemäß der in Abschnitt E der vorliegenden Urkunde enthaltenen Abtretung ist der gesamte Kaufpreis ausschließlich an die ... (Klägerin) zu bezahlen...."

Die vertraglichen Abmachungen hatten folgenden Inhalt:

"D. Vermittlung des Käufers:

Die ... (Klägerin) sucht und vermittelt für den Verkäufer den Käufer kostenlos. Der Wert dieser Vermittlungstätigkeit ist jedoch mit 3 v. H. aus dem vereinbarten Kaufpreis zu veranschlagen.

E. Darlehensvertrag:

Die ... (Klägerin) verpflichtet sich, dem Verkäufer ein zinsloses Darlehen in Höhe x ... zu gewähren.... Der gesamte Darlehensbetrag ... DM ist zur Rückzahlung fällig, sobald der Kaufpreis gemäß Abschnitt B. der vorliegenden Urkunde zur Zahlung fällig ist und vom Käufer auch tatsächlich bezahlt wird. Sollte der Käufer den Kaufpreis trotz Fälligkeit ganz oder teilweise gar nicht oder erst verspätet zahlen, so ist auch der Darlehensbetrag ganz oder teilweise gar nicht oder erst im Zeitpunkt der verspäteten Kaufpreiszahlung zurückzuzahlen. Der Verkäufer tritt hiermit bereits heute seine künftige Kaufpreisforderung gegen den künftigen Käufer an die ... (Klägerin) ab. ... Sollte das Angebot gemäß Abschnitt B. der Urkunde nicht fristgemäß angenommen werden, so besteht kein Anspruch auf Darlehensrückzahlung zugunsten der ... (Klägerin). Der Verkäufer bestellt zugunsten der ... (Klägerin) eine Buchgrundschuld in Höhe von x ..., welche am Vertragsbesitz einzutragen ist. ...

F. Dienstbarkeitsbestellung:

Als Gegenleistung für die Leistung der ... (Klägerin) gemäß Abschnitten D. und E. der vorliegenden Urkunde bestellt der Verkäufer bereits jetzt eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit ... zugunsten der ... (Klägerin), wonach die ... (Klägerin) das ausschließliche Recht hat, auf dem belasteten Grundbesitz:

1. Biere und alkoholfreie Getränke jeder Art zu vertreiben oder durch Dritte vertreiben zu lassen ...,

2. eine Gastwirtschaft mit den dazugehörigen Anlagen und Einrichtungen gegen Zahlung einer für vergleichbare Gaststätten ortsüblichen Pacht zu betreiben bzw. durch Dritte betreiben zu lassen ...,

3. eine Reklameanlage an der Hausfassade zu unterhalten und zu betreiben bzw. durch Dritte betreiben zu lassen ... Die ... (Klägerin) verpflichtet sich, Rechte aus der Dienstbarkeit erst ab Annahme des in Abschnitt B. der Urkunde angebotenen Vertrags geltend zu machen."

Mit notariell beglaubigter Urkunde vom 16. April 1981 wurde das in Abschnitt B der Urkunde enthaltene Kaufangebot von Frau B angenommen.

Das beklagte Finanzamt (FA) setzte mit Steuerbescheid vom 10. Juli 1980 Grunderwerbsteuer mit Zuschlägen gegen die Klägerin fest. Es war der Meinung, das beurkundete Vertragsangebot versetze die Klägerin in die Lage, das Vertragsgrundstück auf eigene Rechnung zu verwerten, und unterliege daher der Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes in der früher in Bayern geltenden Fassung (GrEStG).

Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage begehrte die Klägerin die ersatzlose Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids in Form der Einspruchsentscheidung und brachte vor: Die Vertragsgestaltung beinhalte die bindende Abgabe eines Vertragsangebots seitens der Verkäufer und eine Objektvermittlung durch die Klägerin. Ihre Stellung aufgrund dieses Vertrags sei nur die eines Vermittlers. Keinesfalls werde sie in die Lage versetzt, das Vertragsobjekt auf eigene Rechnung zu verwerten. Sie könne das bindende Vertragsangebot selbst nicht annehmen. Auch seien Besitz, Nutzen und Lasten vom Verkäufer direkt auf den Käufer übergegangen, ohne daß ihr eine Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks zugestanden habe.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Hilfsweise beantragt sie, die Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 6 GrEStG aus dem Einheitswert des Grundstücks festzusetzen. Sie ist der Ansicht, der Vorgang unterliege nicht der Grunderwerbsteuer, da sie lediglich eine einer Vermittlung entsprechende Tätigkeit ausgeführt habe. Soweit das FG in seinem Urteil nicht nur die Grunderwerbsteuerpflicht des Vorgangs, sondern auch die Anwendung des § 1 Abs. 2 GrEStG bejaht habe, verstoße es gegen die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16. April 1980 II R 141/77 (BFHE 130, 428, BStBl II 1980, 525). Allenfalls könne die Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 6 GrEStG in Erwägung gezogen werden, wonach bei Vorgängen, bei denen einer Person im Zusammenhang mit einem bindenden Kaufvertragsangebot das Benennungsrecht bezüglich des Annehmenden gewährt werde, die Grunderwerbsteuer aus dem Einheitswert des Grundstücks ermittelt werde.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

1. Die Klägerin hat - wie das FG zu Recht ausführt - den Tatbestand des § 1 Abs. 2 GrEStG verwirklicht. Durch das notariell beurkundete Kaufvertragsangebot vom 30. April 1980 erhielt die Klägerin die rechtliche Möglichkeit, dritte Personen als Käufer des Grundstücks zu benennen. Durch die gleichzeitig getroffenen vertraglichen Abmachungen hat sie darüber hinaus eine Stellung erhalten, welche es ihr i. S. des § 1 Abs. 2 GrEStG ermöglichte, das Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten.

Nach dieser Vorschrift unterliegen der Grunderwerbsteuer Rechtsvorgänge, die es ohne Begründung eines Anspruchs auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein inländisches Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten, wobei nicht erforderlich ist, daß er wie ein Eigentümer über das Grundstück verfügen, d. h. es besitzen, verwalten, nutzen, belasten und schließlich veräußern kann. Es genügt, wenn er die Verwertungsbefugnis über das Grundstück erlangt hat, auch wenn das eine oder andere der genannten Rechte ihm nicht eingeräumt worden ist oder ihm nicht zusteht (vgl. BFH-Urteile vom 19. Juni 1975 II R 86/67, BFHE 117, 89, BStBl II 1976, 27, und vom 26. Mai 1976 II R 128/71, BFHE 119, 500, BStBl II 1976, 724). Für den Erwerber einer Verwertungsbefugnis ergeben sich - ebenso wie beim Eigentümer - zwei Möglichkeiten der Verwertung, nämlich die Nutzung und die Veräußerung. Diese Gegenüberstellung einer Verwertungsmöglichkeit durch Veräußerung und einer Verwertungsmöglichkeit durch Nutzung und Substanzbeteiligung schließt aber nicht aus, daß die rechtliche oder wirtschaftliche Möglichkeit, ein Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten (§ 1 Abs. 2 GrEStG), durch Umstände begründet wird, die teils dem einen, teils dem anderen Bereich zugehören (vgl. BFH-Urteil vom 12. Dezember 1973 II R 29/69, BFHE 111, 360, BStBl II 1974, 251). Ob die einzelnen Elemente der Rechtsmacht eines anderen je für sich allein die Besteuerung (nach § 1 Abs. 2 GrEStG) auslösen können, ist unerheblich. Entscheidend ist, ob die Gesamtheit der mit den Grundstückseigentümern getroffenen Vereinbarungen eine Verwertungsbefugnis in dem vorstehend dargelegten Sinne begründet. Das war der Fall.

Die Grundstückseigentümer haben den von ihnen in dem Verkaufsangebot festgelegten Kaufpreis bereits in Form eines zinslosen Darlehens vorweg, d. h. vor Ausübung des Benennungsrechts durch die Klägerin und vor Annahme des Kaufangebots durch einen Dritten, von der Klägerin erhalten. Ihre künftige Kaufpreisforderung gegen den künftigen Käufer hatten sie an die Klägerin abgetreten. Sollte der von der Klägerin vermittelte Käufer den Kaufpreis nicht bezahlen (können), so war auch der ausbezahlte Darlehensbetrag nicht zurückzubezahlen. Sogar für den Fall, daß es nicht zu einer fristgemäßen Angebotsannahme kommen sollte, bestand kein Anspruch der Klägerin auf Darlehensrückzahlung. Dies zeigt, daß es den Grundstückseigentümern im wesentlichen darauf ankam, den als Kaufpreis festgesetzten Betrag so schnell als möglich und völlig risikolos in voller Höhe zu erhalten, während ihnen das weitere Schicksal des Grundstücks, insbesondere wer letztlich neuer Eigentümer des Grundstücks werden würde, gleichgültig war. Aufgrund ihrer Eigentümerstellung behielten sie zwar die Rechtsmacht, über das Grundstück zu verfügen. Ihre Rechtsmacht war jedoch vertraglich stark eingeschränkt und darüber hinaus dadurch weitgehend ohne praktische Bedeutung, daß das Grundstück zugunsten der Klägerin mit einer Grundschuld (in Höhe des ausbezahlten Darlehensbetrags) belastet und zugunsten der Klägerin eine beschränkt persönliche Dienstbarkeit in das Grundbuch eingetragen wurde.

Andererseits konnte die Klägerin über das Grundstück dadurch rechtlich und wirtschaftlich verfügen, daß sie einen Käufer suchte, der die Gewähr bot, daß die wirtschaftlichen Interessen der Klägerin als einer Brauerei gefördert wurden. In diesem Zusammenhang kommt der Dienstbarkeit besondere Bedeutung zu, die nicht den Interessen der Verkäufer, sondern allein den Interessen der Klägerin diente.

Dem Ergebnis, daß die Klägerin die Verwertungsbefugnis erlangt hat, steht nicht entgegen, daß nach dem Kaufangebot Besitz und Nutzung an dem Grundstück (mit der Angebotsannahme) direkt auf den Käufer übergehen sollten. Zwar setzt der Tatbestand des § 1 Abs. 2 GrEStG regelmäßig voraus, daß der Berechtigte an der Substanz eines Grundstücks beteiligt ist und an diesem Grundstück Nutzungs- und Besitzrechte hat. Dies schließt aber nicht aus, daß die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 GrEStG auch ohne Überlassung von Besitz und Nutzungen aus anderen Gründen vorliegen können (vgl. BFH-Urteile vom 2. Dezember 1971 II 136/65, BFHE 105, 165, BStBl II 1972, 495, und vom 30. November 1983 II R 130/81, BFHE 139, 440, BStBl II 1984, 158). Der Klägerin ging es im vorliegenden Fall allein darum, zu ihren Gunsten die Eintragung einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit - die der spätere Käufer zu übernehmen hatte - zu erlangen, um auf diese Weise den Vertrieb ihrer Getränke auf dem Grundstück sicherzustellen. Dafür hat sie auch ein nicht unerhebliches Risiko auf sich genommen. Sie hat sich nicht nur verpflichtet, die Käufervermittlung kostenlos für die Eigentümer zu übernehmen, sondern auch, den festgesetzten Kaufpreis durch ein zinsloses Darlehen, das bei Fehlschlagen ihrer Vermittlungsbemühungen nicht zurückbezahlt werden mußte, vorzufinanzieren. Damit hat sich die Klägerin die Möglichkeit verschafft, ihre wirtschaftlichen Interessen an dem Grundstück zu verwirklichen und abzusichern.

2. Das FA hat die Steuer auch in zutreffender Höhe festgesetzt. Bei Verschaffung der Verwertungsbefugnis ist Besteuerungsgrundlage der Wert der Leistungen, die der Erwerber dem bisherigen Eigentümer als Entgelt für den Erwerb der Verwertungsbefugnis gewährt (vgl. Boruttau/Egly/Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 11. Aufl., § 11 Tz. 277). Die Gegenleistung für den Erwerb der Verwertungsmöglichkeit ist daher aus dem Wert dessen zu berechnen, was die Klägerin dafür aufgewendet hat, daß ihr i. S. des § 1 Abs. 2 GrEStG ermöglicht wurde, das Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten. Aufgewendet hat die Klägerin den als "Darlehen" an die Grundstückseigentümer ausgezahlten Geldbetrag, soweit er den steuerpflichtigen Gegenstand betrifft. Ohne die sofortige Auszahlung des "Darlehens" in Höhe eines dem festgelegten Kaufpreis entsprechenden Betrags hätten die Grundstückseigentümer das Kaufangebot nicht gemacht und damit der Klägerin nicht die Möglichkeit der Verwertungsbefugnis eingeräumt.