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BFH-Urteil vom 17.10.1984 (II R 137/82) BStBl. 1985 II S. 103

Erwirbt jemand ein unbebautes Grundstück, dessen Bebaubarkeit sich nach § 34 BBauG in der vor dem 1. Januar 1976 geltenden Fassung richtet, so ist ein nachträgliches, auf öffentlichem Recht beruhendes Bebauungshindernis i. S. des § 4 Abs. 11 Satz 1 GrEStG (HE) nicht darin zu sehen, daß der ursprüngliche Bauantrag abgelehnt, über den Widerspruch aber nicht entschieden wird, weil sich das Widerspruchsverfahren dadurch erledigt, daß ein neuer Bauantrag genehmigt wird, der zwar von der gleichen Geschoßflächenzahl ausgeht, aber weniger Geschosse vorsieht.

GrEStG (HE) § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a, Abs. 3 Nr. 1, Abs. 11 Satz 1.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 14. Dezember 1972 kaufte die Klägerin mehrere unbebaute Grundstücke. In dem Vertrag wurde u. a. folgendes vereinbart:

"§ 5: Die Käuferin ist berechtigt, den Rücktritt von diesem Vertrag zu erklären, wenn die bauliche Nutzung, insbesondere der Ausnutzungsgrad von 1,0 Geschoßflächenzahl, von den zuständigen Behörden der Stadt A nicht gestattet wird. Die Verkäufer können dieses Rücktrittsrecht dadurch zum Erlöschen bringen, daß sie ihrerseits ein Schreiben der zuständigen Behörden vorlegen, in dem die bauliche Nutzung mit einem Ausnutzungsgrad von 1,0 Geschoßflächenziffer verbindlich zugesagt wird."

Die Klägerin beantragte, ihren Grundstückserwerb gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a des früheren Grunderwerbsteuergesetzes in der in Hessen geltenden Fassung (GrEStG) von der Grunderwerbsteuer freizustellen. Es sei beabsichtigt, grundsteuerbegünstigten Wohnraum neu zu schaffen.

Das beklagte Finanzamt (FA) gewährte antragsgemäß vorläufige Befreiung von der Grunderwerbsteuer und erteilte am 31. Januar 1973 die Unbedenklichkeitsbescheinigung.

Im Zeitpunkt des Erwerbs lag ein rechtsverbindlicher (qualifizierter) Bebauungsplan bezüglich der erworbenen Grundstücke nicht vor. Das Bauaufsichtsamt der Stadt A teilte jedoch einem der Verkäufer am 20. Dezember 1972 auf Anfrage folgendes mit:

"Da die südlich und westlich anschließende Blockbebauung eine Geschoßflächenzahl (GFZ) von ca. 0,9 (dreigeschossig) ausweist, bestehen unsererseits keine planerischen Bedenken gegen eine Ausnutzung des an dieser städtebaulich markanten Stelle liegenden Grundstücks bis zu 1,0. Allerdings ist vor Einreichung eines Bauantrages das Projekt hinsichtlich seiner Gestaltung und Gliederung mit dem Stadtplanungsamt in Skizzen und einem Massenmodell abzustimmen. Gleichzeitig teilen wir Ihnen mit, daß diese Stellungnahme nur die Ausnutzbarkeit des Grundstücks beinhaltet. Die weiteren baurechtlichen Angelegenheiten können erst nach Einreichung des Bauantrages beurteilt werden."

Gegen den am 25. Juni 1973 eingereichten Bauantrag der Klägerin äußerte das Bauaufsichtsamt mit Bescheid vom 11. Juni 1974 Bedenken. Als Begründung führte es an, das Bauvorhaben liege in einem Gebiet, für das die Aufstellung eines Bebauungsplanes beschlossen worden sei. Wegen der fehlenden Planreife erfolge zur Zeit die Beurteilung nach § 34 des Bundesbaugesetzes (BBauG) als Vorhaben eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils. Das Bauvorhaben sei jedoch als bedenklich anzusehen, da es eine bis zu siebengeschossige Bauweise mit einer Geschoßflächenzahl (GFZ) von 1,0 vorsehe und daher nicht der in der näheren Umgebung überwiegend vorhandenen Bebauung (dreigeschossige Bauweise mit einer GFZ von 0,9) entspreche.

Der von der Klägerin erhobene Widerspruch wurde zwar vom Widerspruchsausschuß der Stadt A behandelt, ein Widerspruchsbescheid erging aber nicht. Das Widerspruchsverfahren wurde vielmehr dadurch erledigt, daß das Bauaufsichtsamt der Klägerin am 28. Dezember 1977 aufgrund eines neuen (am 27. Juli 1977 eingereichten) Bauantrages eine Baugenehmigung erteilte, der eine bauliche Ausnutzung von 1,0 GFZ (bei viergeschossiger Bauweise) zugrunde lag.

Auf eine Anfrage des FA vom 24. Juli 1979, ob zwischenzeitlich bezugsfertiger, steuerbegünstigter Wohnraum geschaffen worden sei, erklärt die Klägerin, daß die zu errichtenden Eigentumswohnungen voraussichtlich zwischen dem 30. August und dem 30. Oktober 1979 bezugsfertig sein würden. Daraufhin setzte das FA mit Bescheid vom 23. Mai 1980 gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer fest, weil nicht innerhalb von fünf Jahren grundsteuerbegünstigter Wohnraum bezugsfertig geschaffen worden sei.

Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage hat die Klägerin die Aufhebung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheides und der Einspruchsentscheidung begehrt. Sie hat geltend gemacht, daß die Bebauungsfrist durch ein auf öffentlichem Recht beruhendes Hindernis versäumt worden sei. Dieses sei in der rechtswidrigen Verweigerung der Baugenehmigung auf der Grundlage einer GFZ von 1,0 zu sehen.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Es seien keine nachträglichen, auf öffentlichem Recht beruhenden Hinderungsgründe aufgetreten, welche die Bebaubarkeit der Grundstücke im Rahmen des § 34 BBauG geändert hätten. In der zunächst erfolgten Ablehnung des klägerischen Bauantrages könne kein nachträgliches Hindernis i. S. des § 4 Abs. 11 GrEStG gesehen werden. Da Verzögerungen im Baugenehmigungsverfahren keine nachträglichen Hindernisse darstellten, sei es auch ohne Bedeutung, worauf diese Verzögerungen zurückzuführen seien.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Klagebegehren weiter. Sie rügt unrichtige Anwendung des § 4 Abs. 11 Satz 1 GrEStG und bringt vor: Für die erworbenen Grundstücke habe im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses Baurecht nach § 34 BBauG bestanden. Die rechtzeitige Durchführung des Bauvorhabens sei dadurch verhindert worden, daß sich das Bauaufsichtsamt geweigert habe, die rechtsverbindlich zugesagte und dem von Anfang an bestehenden Baurecht nach § 34 BBauG in der vor dem 1. Januar 1976 geltenden Fassung entsprechende Bebauung zu genehmigen. Diese Weigerung stelle ein Hindernis i. S. des § 4 Nr. 11 GrEStG dar. Es handle sich dabei um eine einer formalen Veränderungssperre i. S. der §§ 15 f. BBauG gleichzustellende faktische Veränderungs- bzw. Bausperre.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Der Nachversteuerungstatbestand des § 4 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG ist dadurch verwirklicht worden, daß nach fünf Jahren, vom Ausstellungstag der Unbedenklichkeitsbescheinigung an gerechnet, noch keine grundsteuerbegünstigten Wohnungen bezugsfertig errichtet worden waren.

Anhaltspunkte, daß der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG bei Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung wegen Genehmigungsbedürftigkeit des Kaufvertrages noch nicht verwirklicht war und deshalb die Nachversteuerungsfrist erst mit dem Wirksamwerden des Erwerbsvorgangs begonnen haben könnte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Mai 1981 II R 52/79, BFHE 134, 54, BStBl II 1981, 737), liegen nicht vor.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann die Nacherhebung der Grunderwerbsteuer nicht deshalb unterbleiben, weil der Lauf der Fünfjahresfrist durch ein in die Frist fallendes, auf öffentlichem Recht beruhendes, der Verwirklichung des steuerbegünstigten Zwecks entgegenstehendes Hindernis i. S. des § 4 Abs. 11 Satz 1 GrEStG unterbrochen worden ist. Denn dies hätte nach der ständigen Rechtsprechung des Senats vorausgesetzt, daß das Grundstück im Erwerbszeitpunkt nach den Vorstellungen der Klägerin bebaubar war und nach dem Erwerb des Grundstücks ein Hindernis eingetreten wäre, das der Verwirklichung des begünstigten Zwecks in Form dieser Vorstellungen entgegengestanden hätte (vgl. Urteile vom 2. Februar 1977 II R 4/72, BFHE 121, 531, BStBl II 1977, 484; vom 19. Dezember 1979 II R 104/76, BFHE 129, 282, BStBl II 1980, 163, und vom 3. Dezember 1980 II R 162/78, BFHE 132, 337, BStBl II 1981, 326).

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist ein nachträgliches Bebauungshindernis nicht darin zu sehen, daß das Bauaufsichtsamt den ursprünglichen Bauantrag der Klägerin abschlägig beschieden hat.

Das Verfahren zur Erlangung der Baugenehmigung muß in jedem Fall durchlaufen werden. Es ist Voraussetzung für die Bebauung und deshalb kein nachträgliches Hindernis. Dies gilt auch dann, wenn sich das Baugenehmigungsverfahren über einen längeren Zeitraum erstreckt. Deshalb trägt der Erwerber grundsätzlich das Risiko der nicht rechtzeitigen Erteilung einer Baugenehmigung. Dieses Risiko wird ihm nicht durch § 4 Abs. 11 Satz 1 GrEStG abgenommen.

Der erkennende Senat ist darüber hinaus der Auffassung, daß dies auch gilt, wenn ein Widerspruchsverfahren durchgeführt wird, in dem die Verwaltung die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts nochmals überprüft. Für diese Auffassung spricht vor allem, daß es sich bei dem in dem hier einschlägigen § 34 BBauG verwendeten Begriff der Unbedenklichkeit eines Bauvorhabens um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, dessen Anwendung auf den Einzelfall sich schwierig gestalten kann, wie auch der vorliegende Fall zeigt. Es ist deshalb sachgerecht, das nicht zur Unterbrechung der Nachversteuerungsfrist führende Baugenehmigungsverfahren nicht vor dem Abschluß des Widerspruchsverfahrens enden zu lassen (vgl. auch § 79 Abs. 1 Nr. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung).

Endet das Widerspruchsverfahren damit, daß nach erneuter Verhandlung das Bauvorhaben im Wege des gegenseitigen Nachgebens an die Vorstellungen der Baugenehmigungsbehörde über eine unbedenkliche Bebauung angepaßt wird, so bleibt zudem offen, ob die Versagung der Genehmigung für das ursprüngliche Vorhaben rechtswidrig war. Solange die Rechtswidrigkeit der Versagung der Baugenehmigung nicht festgestellt ist, könnte die Versagung aber keinesfalls einer faktischen Bausperre gleichgestellt werden.

Das von der Klägerin vorgelegte Schreiben des Bauaufsichtsamtes vom 20. Dezember 1973 kann an dieser Beurteilung nichts ändern. Es enthält keine Zusage der Unbedenklichkeit einer Bebauung, wie sie dem ursprünglichen Bauantrag zugrunde lag. Im übrigen ist es erst nach Kauf des Grundstücks durch die Klägerin einem der Verkäufer zugesandt worden.