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BFH-Urteil vom 28.9.1984 (VI R 164/80) BStBl. 1985 II S. 129

1. Die Gewährung des Pauschbetrags von 7.200 DM wegen ständiger Hilflosigkeit nach § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG setzt einen "dauernden", d. h. nicht nur vorübergehenden Zustand der Behinderung im gleichen Sinne wie im Satz 1 dieser Vorschrift voraus.

2. "Ständig" hilflos i. S. des § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG ist ein Körperbehinderter, wenn der Zustand der Hilflosigkeit im vorgenannten Zeitraum ununterbrochen besteht.

EStG § 33b Abs. 3 Sätze 1 bis 3.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Der 1961 geborene Sohn M des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) war seit Geburt wegen spastischer Lähmung des rechten Beins und Kraftherabsetzung in der rechten Hand nach amtsärztlicher Bescheinigung um 40 v. H. in der Erwerbsfähigkeit gemindert. M erlitt im Mai 1976 einen Unfall und mußte nach mehrmonatigem Krankenhausaufenthalt zu Hause im Rollstuhl gefahren werden. Das Versorgungsamt bescheinigte M im Januar 1979 eine dauernde Körperbehinderung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 v. H. sowie weiterhin, daß er vom Unfalltag an bis Mitte Dezember 1977 ständig besonders warte- und pflegebedürftig gewesen sei und die Minderung der Erwerbsfähigkeit während dieses Zeitraums 100 v. H. betragen habe. Auf Anfrage ergänzte das Versorgungsamt seine Aussage dahin, über den angegebenen Zeitpunkt hinaus habe eine Warte- und Pflegebedürftigkeit nicht vorgelegen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) gewährte dem Kläger für die Streitjahre 1976 und 1977 je einen auf ihn nach § 33b Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1975 und 1977 übertragenen Pauschbetrag in Höhe von 2.760 DM für eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des Sohnes um 100 v. H., nicht jedoch den beantragten Pauschbetrag in Höhe von 7.200 DM jährlich für ständig hilflose Körperbehinderte.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) schloß aus dem Umstand, daß das Gesetz für Blinde und für ständig Wartungs- und Pflegebedürftige denselben Pauschbetrag vorsehe, daß die Pflegebedürftigkeit auf Dauer angelegt sein müsse, da die Blindheit ihrer Natur nach ebenfalls regelmäßig ein Dauerzustand sei. Daher sei eine Pflegebedürftigkeit, auch wenn sie über einen längeren Zeitraum andauere, keine ständige, wenn - wie im Streitfall - ihr Ende absehbar sei. Das gelte jedenfalls für eine Pflegezeit bis zu 20 Monaten. Solche Pflegezeiten kämen bei Krankheiten und nach Operationen häufig vor. Es entspreche nicht dem Sinn des Gesetzes, den gegenüber den gestaffelten Pauschbeträgen wesentlich erhöhten Pauschbetrag von 7.200 DM auf derartige Fälle auszudehnen.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG.

Der Kläger ist der Ansicht, auch ein Zeitraum von 20 Monaten könne eine ständige Pflegebedürftigkeit begründen. Der Begriff "ständig" sei nicht im Sinne von "immerwährend", "von Dauer ohne absehbares Ende", sondern nur von "ohne Unterbrechung" zu verstehen (Urteil des Niedersächsischen FG vom 28. April 1975 IX L 61/74, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1975, 571). Die Gewährung des höheren Pauschbetrags von 7.200 DM sei in Streitfällen, wie dem vorliegenden, auch der Sache nach gerechtfertigt. Mit dem höheren Pauschbetrag sollten die bei manchen Körperbehinderten anfallenden Kosten abgegolten werden, die durch die Pauschbeträge entsprechend dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht ausreichend berücksichtigt seien. Derartige Kosten fielen aber in gleicher Weise an, wenn ein Körperbehinderter 20 Monate hilfs- und pflegebedürftig sei, wie in Fällen, in denen eine Besserung in der Zukunft nicht mehr möglich sei.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung der Vorentscheidungen bei der Festsetzung der Einkommensteuer 1976 und 1977 den Pauschbetrag von 7.200 DM zu gewähren.

Das FA beantragt, die Revision abzuweisen.

Es führt aus, der Begriff "ständig" in § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG bedeute mehr als "vorübergehend" und mehr als "längere Zeit". Eine Pflegezeit von 20 Monaten, wie sie bei Krankheiten und nach Operationen häufig erforderlich sei, sei keine ständige Pflegezeit. Entscheidend sei, daß im Streitfall das Ende der Hilflosigkeit abzusehen gewesen sei. Deshalb habe das Versorgungsamt Beginn und Ende der Hilflosigkeit eindeutig bestimmen können. Da das Versorgungsamt die Warte- und Pflegebedürftigkeit nur für eine bestimmte vorübergehende Zeit bescheinigt habe, sei es, das FA, von der Bescheinigung nicht abgewichen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

1. Gemäß § 33b Abs. 3 Satz 1 EStG erhalten Körperbehinderte wegen der außergewöhnlichen Belastungen, die ihnen unmittelbar infolge ihrer Körperbehinderung erwachsen, auf Antrag einen Pauschbetrag, dessen Höhe sich nach Satz 2 dieser Vorschrift nach der dauernden Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet. Für Blinde und Körperbehinderte, die infolge der Körperbehinderung ständig so hilflos sind, daß sie nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen können, erhöht sich der Pauschbetrag auf 7.200 DM (§ 33b Abs. 3 Satz 3 EStG). Steht der Pauschbetrag einem Kind des Steuerpflichtigen (§ 32 Abs. 4 bis 7 EStG) zu, so wird er auf Antrag auf den Steuerpflichtigen übertragen, wenn ihn das Kind nicht in Anspruch nimmt (§ 33 b Abs. 5 EStG). Der Nachweis der Körperbehinderung und der durch sie verursachten ständigen Hilflosigkeit ist durch die in § 65 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) vorgesehenen Bescheinigungen, Ausweise oder Bescheide zu erbringen.

a) Bei den in § 33 b Abs. 3 Satz 3 EStG genannten Körperbehinderten muß der Zustand der Hilflosigkeit "dauernd", d. h. nicht nur vorübergehend, sein.

Das ergibt sich aus dem Zusammenhang des Satzes 3 mit dem Satz 1 des § 33 b Abs. 3 EStG. § 33b Abs. 3 Satz 1 EStG bindet die Gewährung von Pauschbeträgen für Körperbehinderte an die "dauernde", d. h. nicht nur vorübergehende Minderung der Erwerbsfähigkeit. Die Vorschrift in Abs. 3 Satz 3 knüpft, wie die Formulierung "erhöht sich der Pauschbetrag auf ..." zeigt, ersichtlich an diese Regelung in den Sätzen 1 und 2 dieser Vorschrift an. Sie ersetzt diese Regelung nicht als solche, sondern beschränkt sich darauf, innerhalb dieser Regelung einen erhöhten Pauschbetrag vorzuschreiben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. März 1975 VI R 248/71, BFHE 115, 346, BStBl II 1975, 483 zu § 65 EStDV 1965). Im Hinblick auf diese Erhöhung der Pauschbeträge im Satz 3 gilt das Erfordernis einer nicht nur vorübergehenden Körperbehinderung auch für die Gewährung des Pauschbetrags von 7.200 DM.

b) Der in § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG verwandte Begriff der "ständigen" Hilfsbedürftigkeit ist entgegen der Ansicht des FG nicht im Sinne einer Hilflosigkeit für eine nicht absehbare Zeit aufzufassen.

Der Umstand, daß der Gesetzgeber bereits durch Verwendung des Begriffs der "dauernden" Minderung der Erwerbsfähigkeit Steuerermäßigungen für vorübergehende Beeinträchtigungen ausschließen wollte, legt den Schluß nahe, daß mit dem Begriff der "ständigen" Wartungs- und Pflegebedürftigkeit im Satz 3 des § 33b Abs. 3 EStG dieses Ziel nicht ebenfalls, evtl. sogar in verstärktem Maße, erreicht werden sollte. Hiervon ausgehend ist der für den Pauschbetrag von 7.200 DM maßgebliche Begriff der "ständigen" Hilfs- und Pflegebedürftigkeit dahin zu verstehen, daß während eines nicht nur vorübergehenden Zeitraums der Hilflosigkeit fremde Wartung und Pflege "ständig" im Sinne von "ununterbrochen", also nicht nur während einzelner Krankheitsphasen oder für einzelne Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, erforderlich sind.

c) Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Pauschbetragsregelung.

Die Gewährung beantragter Pauschbeträge an Stelle der ebenfalls möglichen Berücksichtigung höherer nachgewiesener Einzelaufwendungen dient der Verwaltungsvereinfachung (BFH-Urteile vom 29. Oktober 1963 VI 196/63 U, BFHE 78, 92, BStBl III 1964, 34; vom 10. Dezember 1965 VI 191/65 U, BFHE 84, 308, BStBl III 1966, 112; vom 28. Februar 1968 VI R 192/67, BFHE 92, 3, BStBl II 1968, 437, und vom 10. Mai 1968 VI R 291/67, BFHE 92, 553, BStBl II 1968, 647). Der Ansatz der Pauschbeträge bedeutet gleichzeitig eine Erleichterung für die Steuerpflichtigen, die die entsprechenden Aufwendungen nicht nachzuweisen brauchen, und erübrigt regelmäßig die Entscheidung schwieriger Abgrenzungsfragen darüber, welche Aufwendungen infolge der Körperbehinderung erwachsen sind. Der Verzicht auf den Einzelnachweis und auf die sachgerechte Zuordnung von Aufwendungen war möglich, weil nach der Lebenserfahrung bei bestimmten Gruppen von Körperbehinderten gewöhnlich mit finanziellen Mindestbelastungen in bestimmter Höhe zu rechnen ist. Dementsprechend spiegelt die Höhe des jeweiligen Pauschbetrags wider, welche Mindestaufwendungen nach Art und Schwere der Behinderung typischerweise erwartet werden können.

Dies gilt insbesondere auch für den erhöhten Pauschbetrag von 7.200 DM. Dieser wird nicht als Ausgleich für das möglicherweise bis zum Lebensende zu ertragende schwere Schicksal, sondern deswegen gewährt, weil nach der Art der Beeinträchtigung in jedem Veranlagungszeitraum mit behinderungsbedingten Mindestkosten in dieser Höhe typischerweise gerechnet werden muß. Deshalb ist es auch nicht gerechtfertigt, wegen der Gleichbehandlung von Blinden und anderen Hilflosen, die ohne fremde Hilfe und Wartung nicht bestehen können, nur bei den letzteren verschärfte Anforderungen an die Dauer der Hilflosigkeit zu stellen. Durch die gesonderte Erwähnung der Blinden im § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG kommt lediglich zum Ausdruck, daß der Gesetzgeber bei diesem Personenkreis immer von Mindestaufwendungen ausgeht, wie sie bei ständiger Wartungs- und Pflegebedürftigkeit anzufallen pflegen.

Geben die gestaffelten Pauschbeträge des § 33b Abs. 3 Satz 2 EStG ebenso wie der erhöhte Pauschbetrag von 7.200 DM nach Satz 3 dieser Vorschrift die nach der Verwaltungserfahrung mutmaßlich jedes Jahr anfallenden behinderungsbedingten Mindestaufwendungen wieder, so erscheint es nicht gerechtfertigt, hinsichtlich der für die Gewährung der einzelnen Pauschbeträge erforderlichen Gesamtdauer der Behinderung unterschiedliche Anforderungen zu stellen. Der Pauschbetrag bei ständiger Wartungs- und Pflegebedürftigkeit ist zwar gegenüber den gestaffelten Pauschbeträgen des Satzes 2 wesentlich höher. Dies ist aber wegen der durch ständige Wartung und Pflege verursachten höheren Aufwendungen eines Jahres gerechtfertigt. Diese Kosten werden nicht dadurch geringer, daß eine Minderung oder ein Wegfallen derartiger Ausgaben für die Zukunft abzusehen ist.

2. Entsprechend diesen Grundsätzen war dem Kläger der erhöhte Pauschbetrag von 7.200 DM in den Streitjahren zu gewähren. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind FA und Steuergerichte an die von den zuständigen Behörden bescheinigte dauernde Minderung der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich gebunden (Urteile vom 30. November 1966 VI 313/64, BFHE 88, 407, BStBl III 1967, 457, und VI R 108/66, BFHE 88, 491, BStBl III 1967, 459; vom 22. August 1969 VI R 306/67, BFHE 96, 479, BStBl II 1969, 681; vom 6. Dezember 1974 VI R 181/72, BFHE 114, 491, BStBl II 1975, 394, sowie vom 26. Januar 1979 VI R 107/76, BFHE 126, 556, BStBl II 1979, 260). Das Versorgungsamt hat im Streitfall eine "dauernde" Minderung der Erwerbsfähigkeit des Sohnes des Klägers von 100 v. H. für die Zeit von Mai 1976 bis Dezember 1977 bescheinigt. Der Senat läßt es dahingestellt, ob entsprechend der Vorschrift des § 30 Abs. 1 Satz 4 des Bundesversorgungsgesetzes eine dauernde und nicht lediglich vorübergehende Minderung der Erwerbsfähigkeit auch steuerrechtlich bereits anzunehmen ist, wenn ein Zeitraum von sechs Monaten überschritten ist (so z. B. Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., § 33b Rdnr. 8; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 13. Aufl., § 33b Rdnr. 7a; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 3. Aufl., § 33b Anm. 4; vgl. auch Wilke/Wunderlich, Bundesversorgungsgesetz, 5. Aufl., § 30 "Verwaltungsvorschriften" Nr. 3 S. 295). Jedenfalls kann der hier vorliegende Zeitraum von ca. 20 Monaten nicht mehr als vorübergehend angesehen werden. Auch das FA geht im Streitfall von einer "dauernden" Behinderung aus, da es dem Kläger für die Streitjahre 1976 und 1977 jeweils einen Pauschbetrag in Höhe von 2.760 DM wegen einer "dauernden" Minderung der Erwerbsfähigkeit des Sohnes von 100 v. H. gewährt hatte.

Darüber hinaus hat das Versorgungsamt bescheinigt, daß die Wartungs- und Pflegebedürftigkeit in diesem Zeitraum eine ständige gewesen ist. Der ständige Zustand der erforderlichen Wartung und Pflege in diesem Zeitraum ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

Die Vorentscheidung war aufzuheben, da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist. Da dem Kläger für die Streitjahre der erhöhte Pauschbetrag von 7.200 DM zusteht, war die Einkommensteuer unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung zu ermäßigen und anderweitig festzusetzen.