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BFH-Urteil vom 29.4.1982 (IV R 116/79) BStBl. 1985 II S. 204

Wird eine freiberufliche Praxis wegen des Todes des Praxisinhabers nach dessen Tod veräußert, so ist dies keine Veräußerung "wegen dauernder Berufsunfähigkeit" im Sinne vom § 18 Abs. 3 Satz 2 i.V. m. § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG.

EStG § 18 Abs. 3, § 16 Abs. 4.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Alleinerbin ihres am 31. August 1972 im Alter von 54 Jahren verstorbenen Ehemannes. Dieser war selbständig als Steuerbevollmächtigter tätig gewesen. Im August 1972 hatte er einen Herzinfarkt erlitten, an dessen Folgen er verstarb. Die Klägerin, die selbst nicht über die berufsrechtlichen Voraussetzungen zur Fortführung der Steuerbevollmächtigtenpraxis verfügte, veräußerte diese Praxis mit Wirkung vom 1. Oktober 1972 an einen anderen Steuerbevollmächtigten. Sie erzielte einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 60.519 DM.

Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für 1972 vertrat die Klägerin die Auffassung, daß von dem Veräußerungsgewinn gemäß § 18 Abs. 3 i.V. m. § 16 Abs. 3 i.V. m. § 16 Abs. 4 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ein Freibetrag von 60.000 DM abzuziehen sei. Der Veräußerungsgewinn sei noch dem Ehemann zuzurechnen, weil die Klägerin die Praxis nicht fortgeführt habe; der Ehemann sei aber infolge des Herzinfarkts berufsunfähig gewesen. Wäre der Veräußerungsgewinn in der Person der Klägerin entstanden, sei der erhöhte Freibetrag zu gewähren, weil die Klägerin mangels fachlicher Qualifikation als berufsunfähig angesehen werden müßte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte nur einen Freibetrag von 30.000 DM. Den Einspruch wies das FA zurück.

Auch die Klage hatte keinen Erfolg.

Mit der Revision, die das Finanzgericht (FG) wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuließ, beantragt die Klägerin, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuerveranlagung 1972 dahin zu ändern, daß ein Freibetrag von 60.000 DM berücksichtigt wird. Die Klägerin rügt Verletzung materiellen Rechts, insbesondere des § 18 Abs. 3 i.V. m. § 16 Abs. 4 EStG, und im Zusammenhang damit unzureichende Sachaufklärung.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Einkünfte aus der selbständig ausgeübten Berufstätigkeit eines Steuerbevollmächtigten sind, wie in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausdrücklich ausgesprochen ist, Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit auch der Gewinn, der bei der Veräußerung des Vermögens erzielt wird, das der selbständigen Arbeit dient; gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 EStG gilt dabei u.a. § 16 Abs. 4 EStG entsprechend.

Nach § 16 Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG in der ab 1971 geltenden Fassung wird der Gewinn aus der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs - im Anwendungsbereich des § 18 Abs. 3: des gesamten der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens - zur Einkommensteuer nur herangezogen, soweit er 30.000 DM übersteigt; der Freibetrag wird in voller Höhe gewährt, sofern der Veräußerungsgewinn 100.000 DM nicht übersteigt. Nach Satz 3 dieser Vorschrift tritt an die Stelle des Betrages von 30.000 DM ein Betrag von 60.000 DM und an die Stelle des Betrages von 100.000 DM ein Betrag von 200.000 DM, wenn der Steuerpflichtige nach Vollendung seines 55. Lebensjahres oder wegen dauernder Berufsunfähigkeit seinen Gewerbebetrieb - im Anwendungsbereich des § 18 Abs. 3: sein der selbständigen Arbeit dienendes Vermögen - veräußert (oder aufgibt).

Der Senat geht mit der Vorentscheidung und den Parteien des Rechtsstreits davon aus, daß die Klägerin, die unstreitig nicht die berufsrechtlichen Voraussetzungen zur Führung einer Steuerbevollmächtigtenpraxis erfüllt, die Praxis ihres verstorbenen Ehemanns nach dessen Tod nicht fortgeführt hat, insbesondere auch nicht während einer Übergangszeit bis zur Praxisveräußerung, und daß demgemäß der Gewinn aus der Veräußerung der Praxis zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit gehört, nicht etwa, wie im Falle des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Mai 1981 VIII R 143/78 (BFHE 133, 396, BStBl II 1981, 665) zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb. Gleichwohl kann, wie das FG zu Recht entschieden hat, vom Gewinn aus der Veräußerung des der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens nur ein Freibetrag von 30.000 DM abgezogen werden, weil im Streitfall die in § 18 Abs. 3 Satz 2 i.V. m. § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG genannten Voraussetzungen für den Abzug des erhöhten Freibetrags von 60.000 DM nicht erfüllt sind. Dabei kann der Senat offenlassen, ob, wie die Vorentscheidung in erster Linie annimmt, der Veräußerungsgewinn erst in der Person der Klägerin als Erbin ihres verstorbenen Ehemannes entstanden ist, weil erst die Klägerin das der selbständigen Arbeit dienende Vermögen veräußert und damit Gewinn realisiert hat, oder ob, wie die Revision geltend macht, der Veräußerungsgewinn einkommensteuerrechtlich noch dem Erblasser zuzurechnen ist.

1. Unterstellt man zugunsten der Revision, daß der Gewinn aus der Veräußerung des der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens dem Ehemann der Klägerin als noch in seiner Person und mit seinem Tode entstanden zuzurechnen ist, kann der erhöhte Freibetrag von 60.000 DM nicht abgezogen werden, weil das der selbständigen Arbeit dienende Vermögen nicht "wegen dauernder Berufsunfähigkeit", sondern wegen des Todes des Praxisinhabers veräußert worden ist.

a) § 18 Abs. 3 Satz 2 i.V. m. § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG setzt voraus, daß der Steuerpflichtige (Unternehmer; Freiberufler) im Zeitpunkt der Veräußerung des der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens dauernd berufsunfähig war und daß die Veräußerung des der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens "durch die dauernde Berufsunfähigkeit veranlaßt wurde". Dauernde Berufsunfähigkeit ist gegeben, wenn ein "Invaliditätsgrund" eingetreten ist, "der den Unternehmer zu einer Einstellung oder grundlegenden Umstellung seines bisherigen Arbeitseinsatzes zwingt" (BFH-Urteil vom 18. August 1981 VIII R 25/79, BFHE 134, 548). Es ist nicht möglich, den Tod eines Steuerpflichtigen als "dauernde Berufsunfähigkeit" im Sinne von § 16 Abs. 1 Satz 3 EStG zu werten und demgemäß den erhöhten Freibetrag abzuziehen, wenn die Veräußerung des der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens (oder des gewerblichen Unternehmens) durch den Tod des Praxisinhabers (Unternehmer) veranlaßt worden ist. Der natürliche Sprachgebrauch unterscheidet zwischen dauernder Berufsunfähigkeit und Tod. Das Gesetz bietet keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Begriff der dauernden Berufsunfähigkeit in § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch im Sinne eines Oberbegriffs verwendet ist, der in gleicher Weise Invalidität wie Tod umfaßt. Auch der Zweck der gesetzlichen Regelung, aus sozialpolitischen Gründen steuerliche Härten zu mildern, rechtfertigt es nicht, eine Veräußerung des der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens (oder eines Gewerbebetriebs), die durch den Tod des Praxisinhabers (Unternehmer) veranlaßt ist, einer Veräußerung, die durch den Eintritt der Invalidität veranlaßt ist, gleichzusetzen. Denn während Steuererleichterungen für einen durch Eintritt der Invalidität des Steuerpflichtigen veranlaßten Veräußerungsgewinn dem Steuerpflichtigen stets - von extremen Ausnahmefällen abgesehen - persönlich zugute kommen und ihn in die Lage versetzen, die materiellen Folgen der eingetretenen Invalidität besser zu bewältigen, würden durch Steuererleichterungen für einen durch den Tod des Steuerpflichtigen veranlaßten Veräußerungsgewinn nur die Erben des Steuerpflichtigen begünstigt, und zwar unterschiedslos, gleichgültig, ob es sich dabei um möglicherweise ebenfalls sozialpolitisch begünstigungswürdige nahe Angehörige handelt oder um nicht begünstigungswürdige fremde Dritte.

b) Auch das Vorbringen, der Erblasser sei bereits vor seinem Tode infolge des im August erlittenen Herzinfarkts berufsunfähig gewesen, kann der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Der Senat kann zugunsten der Revision unterstellen, daß dieser Sachvortrag zutrifft. Gleichwohl sind die Voraussetzungen für den Abzug des erhöhten Freibetrags nicht erfüllt, weil die Veräußerung des der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens tatsächlich nicht durch die Berufsunfähigkeit des Ehemanns der Klägerin, sondern durch seinen Tod veranlaßt worden ist. Es ist zwar möglich, daß der Ehemann der Klägerin seine Praxis wegen dauernder Berufsunfähigkeit veräußert hätte, wenn er nicht an den Folgen des im August 1972 erlittenen Herzinfarkts verstorben wäre. Gerade der zu a) erwähnte begrenzte sozialpolitische Zweck der gesetzlichen Regelung, der nicht auf eine allgemeine Begünstigung der Erben eines Freiberuflers oder gewerblichen Unternehmers gerichtet ist, schließt es aber aus, im Einzelfalle das tatsächliche Geschehen, nämlich die durch Tod veranlaßte Veräußerung, einkommensteuerrechtlich ebenso zu werten wie ein bestimmtes hypothetisches Geschehen, nämlich eine durch dauernde Berufsunfähigkeit veranlaßte Veräußerung. Für das FG bestand daher kein Anlaß, den Sachverhalt insoweit weiter aufzuklären. Die einschlägige Verfahrensrüge der Revision greift nicht durch.

2. Geht man mit der Hauptbegründung der Vorentscheidung und entgegen der Rechtsansicht, die der Revision zugrunde liegt, davon aus, daß der Gewinn aus der Veräußerung des der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens erst in der Person der Klägerin als Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemannes entstanden ist, kann der erhöhte Freibetrag von 60.000 DM nicht abgezogen werden, weil die Klägerin in ihrer Person nicht die Voraussetzungen für diesen erhöhten Freibetrag erfüllte; die Klägerin hat das der selbständigen Arbeit dienende Vermögen weder nach Vollendung des 55. Lebensjahres noch "wegen dauernder Berufsunfähigkeit" veräußert.

Dabei kann der Senat zugunsten der Klägerin unterstellen, daß der Begriff der dauernden Berufsunfähigkeit im Sinne von § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG sowohl eine Berufsunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen als auch eine solche aus Rechtsgründen erfaßt (offengeblieben in BFHE 133, 396, 401, BStBl II 1981, 665). Gleichwohl muß der Revision der Erfolg versagt bleiben, weil eine Veräußerung "wegen dauernder Berufsunfähigkeit" voraussetzt, daß derjenige, der das der freiberuflichen Betätigung dienende Vermögen veräußert, zu irgendeinem Zeitpunkt in eigener Person tatsächlich und rechtlich in der Lage war, den freien Beruf auszuüben, und daß er diese Fähigkeit erst durch den Eintritt bestimmter Ereignisse verloren hat. Die gegenteilige Auffassung müßte zu dem, wie zu 1. ausgeführt, vom Zweck des Gesetzes nicht mehr gedeckten Ergebnis führen, daß die Veräußerung einer freiberuflichen Praxis durch die berufsrechtlich nicht qualifizierten Erben, unabhängig davon, ob es sich um Familienangehörige des Erblassers oder fremde Dritte handelt, stets und ausnahmslos begünstigt wäre, während z.B. eine solche Begünstigung entfiele, soweit der Erbe oder einer der Erben seinerseits zufällig über eine entsprechende berufsrechtliche Qualifikation verfügte.

3. Ob in der Person der Klägerin die Voraussetzungen für Billigkeitsmaßnahmen erfüllt sind, kann der Senat im vorliegenden Verfahren nicht prüfen und entscheiden.