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BFH-Urteil vom 24.10.1984 (I R 158/81) BStBl. 1985 II S. 223

Ein Lotterieunternehmen, das als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts der Staatsaufsicht unterliegt, ist "staatlich" i.S. des § 13 GewStDV.

GewStG § 35c Nr. 2c; GewStDV § 13.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt seit Jahren in einem Ladengeschäft den Textileinzelhandel und eine Lotto-Annahmestelle. Bis zum Streitjahr (1978) sah der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) unter Anwendung des § 13 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV) davon ab, die Klägerin auch mit dem Gewinn aus der Lotto-Annahmestelle zur Gewerbesteuer heranzuziehen. Im Streitjahr beendete das FA diese Handhabung, sah den Textileinzelhandel und die Lotto-Annahmestelle als einheitlichen Gewerbebetrieb an und setzte die Gewerbesteuer 1978 mit Bescheid vom 27. Juli 1979 gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest.

Mit Schriftsatz vom 23. Januar 1980 beantragte die Klägerin, den Bescheid vom 27. Juli 1979 gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 zu ändern, weil das FA zu Unrecht von einem einheitlichen Gewerbebetrieb ausgegangen sei. Es lägen zwei Gewerbebetriebe vor, wobei auf den Textileinzelhandel ein Gewinn von rd. 60.000 DM und auf die Lotto-Annahmestelle ein Gewinn von rd. 10.000 DM entfalle. Das FA lehnte eine Änderung des Gewerbesteuerbescheids 1978 ab. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Mit der Klage vertrat die Klägerin weiterhin die Auffassung, es lägen zwei Gewerbebetriebe vor. Im Anschluß an eine mündliche Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) brachte die Klägerin vor, das FA versage zu Unrecht die Anwendung des § 13 GewStDV. Die Deutsche Klassenlotterie Berlin (DKLB), deren Einnehmerin die Klägerin sei, sei eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts und als solche ein staatliches Lotterieunternehmen.

Die Klage hatte Erfolg. Das FG führte u.a. aus: Zwar erfülle die Klägerin die Tatbestandsmerkmale des § 13 GewStDV. Sie sei Einnehmerin einer staatlichen Lotterie. Jedoch sei § 13 GewStDV mangels einer ausreichenden Ermächtigung nicht anwendbar. Die Ermächtigungsnorm des § 35c Nr. 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) genüge nicht den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG). Diese Entscheidung könne das FG als Berliner Gericht selbst treffen. Die Klage sei dennoch begründet, weil vom Vorliegen zweier gewerblicher Betriebe auszugehen sei.

Das FG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des § 35c Nr. 2c GewStG die Revision zugelassen. Seine Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1982, 91 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist nicht begründet.

Die Klägerin ist Einnehmerin einer staatlichen Lotterie. In dieser Eigenschaft unterliegt ihre Tätigkeit nicht der Gewerbesteuer. Dies folgt aus § 13 GewStDV. Damit kommt es hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nicht darauf an, ob diese Betätigung der Klägerin im Rahmen eines einheitlichen Gewerbebetriebs oder in einem zweiten Gewerbebetrieb ausgeübt wird.

1. Gemäß § 1 des Gesetzes über die Deutsche Klassentlotterie Berlin und die Stiftung zur Verwendung der Überschüsse der Deutschen Klassenlotterie Berlin vom 7. Juni 1974 - DKLB-Gesetz - (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin - GVBl Bln - 1974, 1.338) ist die DKLB eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts. Ihre Aufgabe ist die Durchführung von Lotterien, einschließlich Sporttoto, und allen damit zusammenhängenden Ausspielungen und sonstigen Geschäften (§ 2 DKLB-Gesetz). Nach § 21 dieses Gesetzes wird die Staatsaufsicht vom Senator für Finanzen geführt.

2. Der Auffassung des FA, die DKLB sei kein staatliches Lotterieunternehmen, weil sie als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts betrieben werde (so Verfügung der Oberfinanzdirektion - OFD - Berlin vom 22. Februar 1978 St 412 - G 1.400 - 1/78), kann nicht gefolgt werden.

a) Die historische Entwicklung der Steuerbefreiung für staatliche Lotterieunternehmen bietet für diese Auffassung keinen Anhaltspunkt. Der Entwurf des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1.925 sah in § 9 Nr. 1 vor, daß u.a. die staatlichen Lotterieunternehmungen von der Körperschaftsteuer befreit seien (RTDrucks III, 1924/25 Nr. 796). Bei den Beratungen über diesen Entwurf wurde der Antrag gestellt, diese Befreiung zu streichen, weil es sich um keine Versorgungsbetriebe handle. Der damalige Staatssekretär Popitz bemerkte zu dem Antrag, daß es sich bei den Lotterieunternehmungen um wesentliche Einkommensquellen für die Länder handle. Die Länder legten entscheidendes Gewicht darauf, daß die Lotterieunternehmungen nicht besteuert würden. Der Antrag wurde abgelehnt (RTDrucks III, 1924/25 Nr. 1.230 S. 6). In dem Entwurf eines Gewerbesteuerrahmengesetzes war unter § 6 Nr. 1 eine Befreiung der staatlichen Lotterieunternehmungen von der Gewerbesteuer vorgesehen. In der Begründung wurde auf die Befreiung von der Körperschaftsteuer hingewiesen (RTDrucks IV, 1.928 Nr. 568 S. 11, 125). Eine entsprechende Bestimmung enthielt die Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 1. Dezember 1930 (RGBl I, 517, 538).

Bereits in dieser Zeit wurden staatliche Lotterien auch in der Form der rechtsfähigen Anstalt organisiert. So bestimmte ein Staatsvertrag zwischen Preußen, Bayern, Württemberg und Baden zur Regelung der Lotterieverhältnisse vom 13. Juni 1927 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl BY - 1928, 336 bis 339) unter Art. 1 Abs. 1: "Die vertragschließenden Länder errichten unter der Bezeichnung 'Preußisch-Süddeutsche Staatslotterie' eine rechtsfähige Anstalt mit Sitz in Berlin."

Im Jahre 1948 kam es zu einem Staatsvertrag zwischen den Ländern Bayern, Württemberg-Baden und Hessen über eine "Staatliche Klassenlotterie in den Süddeutschen Ländern der US-Zone", die als "Anstalt des öffentlichen Rechts mit dem Sitz in München" errichtet wurde (GVBl BY 1948, 201).

b) Die öffentliche Verwaltung kann ihre Unternehmungen auf drei Arten organisieren: als Regiebetrieb ohne eigene Rechtsperönlichkeit, als rechtsfähige öffentliche Anstalt, hinter der ein Verwaltungsträger als Muttergemeinwesen steht, und als rechtsfähige Gesellschaft des Privatrechts (Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, Allgemeiner Teil, 10. Aufl., 1973 S. 515; vgl. zur unterschiedlichen Organisation der Lotterien: Schlund, Das Zahlenlotto, Berlin 1972 S. 33 ff.). Die DKLB unterliegt als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts der Staatsaufsicht, die vom Senator für Finanzen geführt wird. Es handelt sich um eine Staatsaufsicht über eine "unterstaatliche" juristische Person des öffentlichen Rechts (vgl. Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, 4. Aufl., 1976 S. 103, 381). Die durch die Staatsaufsicht bewirkte Eingliederung in den Staat und Unterordnung unter die Staatsgewalt rechtfertigt es, auch die in der Form der rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts organisierte Lotterie als "staatliche" Lotterie i. S. des § 3 Nr. 1 GewStG, § 13 GewStDV anzusehen.

c) Der Senat weicht damit nicht von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. November 1963 GrS 1/62 S (BFHE 78, 496, BStBl III 1964, 190) ab, in dem im Anschluß an das BFH-Urteil vom 14. März 1961 I 240/60 S (BFHE 72, 581, BStBl III 1961, 212) entschieden wurde, daß als staatliche Lotterie nur solche Unternehmen angesehen werden können, die der Staat unmittelbar selbst betreibt (Regiebetriebe). Sofern diese Formulierung es ausschließen sollte, eine in der Form der rechtsfähigen, der Staatsaufsicht unterliegenden Anstalt des öffentlichen Rechts organisierte Lotterie als staatliche Lotterie anzusehen, läge ein obiter dictum vor. Denn zu entscheiden und damit für die Entscheidung erheblich war lediglich die Frage, ob eine als juristische Person des Privatrechts (Kapitalgesellschaft) organisierte Lotterie eine staatliche Lotterie ist. Dementsprechend stellt die Entscheidung in BFHE 78, 496, BStBl III 1964, 190 auch darauf ab, daß die "unmittelbare oder mittelbare Einschaltung nichtstaatlicher Körperschaften" zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten führen könne.

3. Durch das Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Verfahrensrechts vom 18. Juli 1958 (BGBl I, 473, BStBl I, 412) ist das GewStG geändert und ergänzt worden (vgl. für § 35c GewStG Abschn. 5 Art. 11 Nr. 6a). Durch Einfügung des § 35c Nr. 2c GewStG sollte die Ermächtigungsgrundlage für § 13 GewStDV 1955 geschaffen werden (BTDrucks 3/260, S. 65). Es kann dahinstehen, ob die Auffassung des FG zutrifft, nach der diese Regelung den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht genügt. Denn § 13 GewStDV beruht nicht auf der Ermächtigung des § 35c Nr. 2c GewStG.

a) Die Vorschrift des für das Streitjahr geltenden § 13 GewStDV geht zurück auf § 11 der Ersten GewStDV vom 26. Februar 1937 (RGBl I 1937, 257, RStBl 1937, 353). Die beiden Vorschriften stimmen im Wortlaut überein. Auch § 11 der Zweiten GewStDV vom 20. Februar 1938 (RGBl I 1938, 209, RStBl 1938, 241) hat diesen Wortlaut. In § 14 der Dritten GewStDV vom 31. Januar 1940 (RGBl I 1940, 284, RStBl 1940, 185) wurde der bisherige Begriff "staatliche Lotterie" durch "Deutsche Reichslotterie" ersetzt. Inzwischen hatte nämlich nach dem Gesetz über die Deutsche Reichslotterie vom 21. Dezember 1938 (RGBl I, 1.835) das Reich die bisherigen Staatslotterien übernommen; die Deutsche Reichslotterie wurde als Einrichtung des Reichs ohne eigene Rechtspersönlichkeit geführt (Erste Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Deutsche Reichslotterie vom 3. Januar 1939, RGBl I, 21). Durch Verordnung vom 30. April 1952 (BGBl I, 265, BStBl I, 245) wurde die Dritte GewStDV vom 31. Januar 1940 geändert. Der bisherige § 14 wurde § 13 Satz 1. Im Satz 2 wurde eine das Fußball-Toto betreffende Bestimmung angefügt, die durch Verordnung vom 30. Mai 1962 (BGBl I, 370, BStBl I, 850) wieder gestrichen wurde.

b) Die Vorschrift des § 13 (Satz 1) GewStDV geht somit auf eine reichsrechtliche Ermächtigung zurück. Die vorgenannten reichsrechtlichen Verordnungen zur Durchführung des Gewerbesteuergesetzes wurden aufgrund der §§ 12 und 13 der Reichsabgabenordnung in der Fassung des Einführungsgesetzes zu den Realsteuergesetzen vom 1. Dezember 1936 (RGBl I, 961) erlassen. Diese Regelungen sind durch Art. I Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung von einzelnen Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 11. Juli 1953 (BGBl I, 511) aufgehoben worden (vgl. - zu Art. 129 Abs. 3 GG - Gutachten des BFH vom 22. November 1951 IV D 1/51 S, BFHE 56, 14, BStBl III 1952, 6). Die Rechtswirksamkeit des § 13 GewStDV ist dadurch nicht betroffen worden. Eine im Zeitpunkt ihres Erlasses auf gesetzlicher Grundlage ergangene Rechtsverordnung wird durch den Fortfall der Ermächtigungsvorschrift in ihrer Gültigkeit nicht berührt (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 3. Dezember 1958 1 BvR 488/57, BVerfGE 9, 3, 12).

c) Es ist nicht davon auszugehen, daß § 13 (Satz 1) GewStDV durch die Verordnung vom 30. April 1952 (BGBl I, 265, BStBl I, 245) seine ursprüngliche reichsrechtliche Ermächtigungsgrundlage verloren hat. Durch die Anfügung des Satzes 2, der möglicherweise auf einer neuen Ermächtigung beruht, wurde der Satz 1 nicht berührt. Soweit in diesem Satz die Worte "Deutsche Reichslotterie" durch "staatliche Lotterie" ersetzt wurden, ist dies nicht als Rechtsetzung, sondern als Anpassung des Wortlauts an das neue Verfassungsrecht zu verstehen (vgl. BVerfG-Beschluß vom 7. Mai 1968 2 BvL 5/67, BVerfGE 23, 276, 284 f.).

4. Mithin unterliegt die Tätigkeit der Klägerin als Einnehmerin einer staatlichen Lotterie - der DKLB - nicht der Gewerbesteuer. Dies bedeutet im Streitfall, daß der Teil der Gewerbeerträge und des Gewerbekapitals, der unter Berücksichtigung des § 13 GewStDV steuerfrei bleibt, zu schätzen ist (vgl. BFH-Urteil vom 25. März 1976 IV R 205/75, BFHE 119, 76, BStBl II 1976, 576, im nicht veröffentlichten Teil). Die vom FG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung angenommene Aufteilung stimmt mit dem Klagebegehren überein und wurde vom FA nicht angegriffen; sie ist nicht zu beanstanden.