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BFH-Urteil vom 22.2.1985 (III R 78/81) BStBl. 1985 II S. 284

1. Zur Abgrenzung von Ein- und Zweifamilienhäusern bei freiberuflicher Mitbenutzung.

2. Räumlichkeiten, die nicht Wohnzwecken dienen und im Falle des Leerstehens auch nicht dazu bestimmt sind, stellen keine Wohnung i. S. von § 75 Abs. 5 und Abs. 6 BewG 1965 dar.

BewG 1965 § 75 Abs. 5 und Abs. 6.

Vorinstanz: FG des Saarlandes

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erwarben 1977 ein seinerzeit als Zweifamilienhaus bewertetes Wohngrundstück. Das Gebäude enthält im Erdgeschoß die 139 qm große Wohnung der Kläger, die aus sechs Zimmern, Bad mit WC und Küche besteht. In dem über einen eigenen Eingang zugänglichen Untergeschoß befinden sich drei Zimmer, eine Küche und ein Bad mit WC. Von den insgesamt 89 qm im Untergeschoß nutzt der Kläger seit dem Erwerb 72 qm für seine Steuerberaterpraxis. Ein verbleibender Raum von ca. 17 qm im Untergeschoß dient weiterhin Wohnzwecken.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm auf den hier streitigen Stichtag, den 1. Januar 1978, u. a. eine Art- und Wertfortschreibung vor. Das Grundstück wurde als Einfamilienhaus bewertet und der Einheitswert auf ... DM festgestellt.

Der Einspruch, mit dem die Kläger die Artfeststellung Zweifamilienhaus und die Herabsetzung des Einheitswerts begehrten, hatte nur insoweit Erfolg, als der Einheitswert ermäßigt wurde.

Die Klage, mit der die Kläger die Artfeststellung Zweifamilienhaus weiterverfolgten, führte zum Erfolg.

Zur Begründung, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 611, führte das Finanzgericht (FG) im wesentlichen aus: Bei der Beurteilung, ob ein Gebäude gemäß § 75 Abs. 6 des Bewertungsgesetzes (BewG) zwei Wohnungen enthalte, sei auf den tatsächlichen Bestand bestimmter Räumlichkeiten abzustellen und nicht auf eine bestimmte Nutzung. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) verlange nur in Fällen zweifelhafter baulicher Gestaltung eine der Zweckbestimmung entsprechende tatsächliche Nutzung. Ein Grundstück sei in die Grundstücksart Zweifamilienhaus einzureihen, wenn es zwar nur von einer Familie bewohnt werde, objektiv aber zwei Wohnungen enthalte. Im Streitfall seien nach den objektiven räumlichen Verhältnissen unstreitig zwei Wohnungen gegeben. Bei einer solchen Sachlage könne die Bewertung als Zweifamilienhaus nur scheitern, wenn die freiberufliche Mitbenutzung die Eigenart des Grundstücks als Zweifamilienhaus gemäß § 75 Abs. 6 Satz 2 i. V. m. § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG wesentlich beeinträchtigen würde. Umstände, die eine solche Beeinträchtigung bewirken könnten, seien nicht ersichtlich.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 75 Abs. 6 BewG und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Das Wohngrundstück der Kläger ist als Einfamilienhaus zu bewerten, da es am Bewertungsstichtag nur eine Wohnung enthält und darüber hinaus die Eigenart als Einfamilienhaus durch die freiberufliche Mitnutzung nicht wesentlich beeinträchtigt wird.

1. Nach § 75 Abs. 5 Satz 1 BewG sind Einfamilienhäuser Wohngrundstücke, die nur eine Wohnung enthalten. Das streitbefangene Grundstück enthält nur eine Wohnung.

Ausgehend von der inneren baulichen Gestaltung versteht der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung unter einer Wohnung die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, daß die Führung eines selbständigen Haushalts möglich ist (vgl. Urteile vom 9. Dezember 1970 III R 3/69, BFHE 101, 266, BStBl II 1971, 230; vom 22. Juni 1979 III R 17/77, BFHE 129, 65, BStBl II 1980, 175). Zwar wird bei dieser Beschreibung des Wohnungsbegriffs die Nutzung zu Wohnzwecken nicht ausdrücklich erwähnt, sie wird indes vom Gesetz vorausgesetzt. Bevor geprüft wird, ob bestimmte Räumlichkeiten eine Wohnung darstellen, muß geklärt sein, ob das Grundstück, in dem sich diese Räumlichkeiten befinden, überhaupt ein Wohngrundstück ist. § 75 Abs. 1 Nrn. 1 bis 6 BewG enthält eine abschließende Aufzählung der Grundstücksarten. Abgesehen von der Grundstücksart des sonstigen bebauten Grundstücks (§ 75 Abs. 1 Nr. 6 i. V. m. Abs. 7 BewG) kennt diese Vorschrift, wie sich aus ihrer Systematik ergibt, zwei Gruppen von Grundstücken:

- Geschäftsgrundstücke (§ 75 Abs. 3 BewG): Dies sind Grundstücke, die zu mehr als 80 v. H. eigenen oder fremden gewerblichen, wegen § 96 Abs. 1 Satz 1 BewG auch freiberuflichen, oder öffentlichen Zwecken dienen.

- Grundstücke, die zu 20 v. H. oder mehr Wohnzwecken dienen. Hierzu gehören die Mietwohngrundstücke, die gemischtgenutzten Grundstücke sowie die Ein- und Zweifamilienhäuser.

Aus dieser ersten Unterscheidung, die auf der Zweckbestimmung zu Wohnzwecken oder anderen Zwecken beruht, ergibt sich, daß bei Grundstücken der ersten Gruppe die Bewertung als Mietwohngrundstück, gemischtgenutztes Grundstück, Ein- oder Zweifamilienhaus von vornherein ausscheidet. Solche Grundstücke sind als Geschäftsgrundstücke i. S. des § 75 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 BewG zu bewerten, unabhängig davon, ob der Wohnzwecken dienende Grundstücksteil Wohnungen oder Wohnräume enthält.

Innerhalb der zweiten Gruppe der Grundstücke ist eine weitere systematische Unterscheidung erforderlich. Die Einordnung in die Grundstücksarten Einfamilienhaus (§ 75 Abs. 5 BewG) und Zweifamilienhaus (§ 75 Abs. 6 BewG) hat Vorrang vor der Einreihung in die Grundstücksarten Mietwohngrundstück (§ 75 Abs. 2 BewG) und gemischtgenutztes Grundstück (§ 75 Abs. 4 BewG). Voraussetzung ist dabei allerdings stets, daß das Grundstück mindestens zu 20 v. H. Wohnzwecken dient, da es sonst bereits der Gruppe der Geschäftsgrundstücke zuzuordnen wäre (vgl. BFH-Urteil vom 7. Dezember 1973 III R 158/72, BFHE 111, 264, BStBl II 1974, 195).

2. Gegen die Auffassung des FG, daß es auf die Art der Nutzung nicht ankomme, spricht auch, daß nach dem Wortlaut des § 75 Abs. 5 Satz 1 und § 75 Abs. 6 Satz 1 BewG nur Wohngrundstücke als Einfamilienhaus oder Zweifamilienhaus bewertet werden können. Das Gesetz geht hier von dem Regelfall aus, daß diese Grundstücke grundsätzlich nur zu Wohnzwecken genutzt werden oder im Falle ihres Leerstehens für Wohnzwecke bestimmt sind. Daraus folgt, daß innerhalb der Gruppe der Grundstücke, die Wohnzwecken dienen, diejenigen Grundstücke als Ein- oder Zweifamilienhaus zu bewerten sind, die den ausschließlichen Wohnzweck durch das Vorhandensein von einer oder zwei Wohnungen verwirklichen. Die Nutzung zu Wohnzwecken bezieht sich bei dieser systematischen Einteilung auf das gesamte Grundstück. Auch aus dem unterschiedlichen Wortlaut des § 75 Abs. 2 und Abs. 4 BewG einerseits und § 75 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 BewG andererseits ergibt sich nichts für die Auffassung des FG, daß es auf die Art der tatsächlichen Nutzung nicht ankomme. Während § 75 Abs. 2 bis Abs. 4 BewG verlangt, daß die Grundstücke bestimmten Zwecken dienen, setzt § 75 Abs. 5 BewG voraus, daß ein Wohngrundstück nur eine Wohnung enthält. Da ein Wohngrundstück begrifflich Wohnzwecken dienen muß, gilt dies folgerichtig auch für die Räumlichkeiten in diesem Gebäude (Rössler/Troll/Langner, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 13. Aufl., § 75 BewG Anm. 57).

3. Daß der erkennende Senat bisher bei der Bestimmung der Merkmale des Wohnungsbegriffs nur in Fällen der zweifelhaften baulichen Gestaltung ausdrücklich die tatsächliche Nutzung zu Wohnzwecken verlangt hat (vgl. Urteil in BFHE 129, 65, BStBl II 1980, 175), kann nicht dahin verstanden werden, daß die Art der Nutzung bei eindeutiger baulicher Gestaltung unerheblich sei (vgl. Urteil vom 19. Juni 1964 III 323/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1965, 152). Bei diesen Entscheidungen ging es insbesondere um die Frage nach der Zahl der Wohnungen. Daß eine Nutzung der einzelnen Wohneinheiten zu Wohnzwecken vorlag, wurde dabei jeweils stillschweigend angenommen. Dies beruht auf der Erwägung, daß der bewertungsrechtliche Wohnungsbegriff voraussetzt, daß eine Wohnung stets auch tatsächlich Wohnzwecken dient oder zu dienen bestimmt ist. Daß das BewG bei der Abgrenzung der Grundstücksarten - abgesehen von der Grundstücksart sonstiges bebautes Grundstück - entscheidend auf die Bestimmung des Grundstücks entweder zu Wohnzwecken einerseits oder zu eigen-/fremdgewerblichen bzw. öffentlichen Zwecken andererseits abstellt, verdeutlichen die Absätze 2 bis 4 des § 75 BewG. Dies läßt § 75 Abs. 2 BewG - für die Grundstücksart der Mietwohngrundstücke - besonders deutlich erkennen, wenn dort verlangt wird, daß Mietwohngrundstücke zu mehr als 80 v. H. Wohnzwecken dienen müssen.

4. Wie zu verfahren ist, wenn ein Ein- oder Zweifamilienhaus zu gewerblichen oder öffentlichen Zwecken mitbenutzt wird, ergibt sich aus § 75 Abs. 5 Satz 4 und Abs. 6 Satz 2 BewG. Diese Vorschriften sind Ausnahmen von dem Regelfall, daß Ein- oder Zweifamilienhäuser grundsätzlich nur Wohnzwecken dienen. Gäbe es diese Ausnahmeregelungen nicht, wären Ein- oder Zweifamilienhäuser schon bei geringer gewerblicher Mitbenutzung entweder als Mietwohngrundstücke gemäß § 75 Abs. 2 BewG oder gemischtgenutzte Grundstücke gemäß § 75 Abs. 4 BewG zu bewerten, weil es sich in solchen Fällen nicht mehr um Wohngrundstücke handeln würde. Das Gesetz verwendet deshalb in § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG den Begriff "Grundstück", weil bei einer gewerblichen oder öffentlichen Mitbenutzung ein "Wohngrundstück" i. S. des § 75 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 BewG nicht gegeben wäre. Folgerichtig kann das Gesetz die Artfeststellung eines solchen Grundstücks als Ein- oder Zweifamilienhaus nur im Wege einer Fiktion anordnen. Die Ausnahmevorschriften räumen den Grundstücksarten Ein- und Zweifamilienhaus systematisch den Vorrang ein; sie dehnen den Anwendungsbereich des § 75 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 BewG aus. Solange die gewerbliche Mitbenutzung die Eigenart des Ein- oder Zweifamilienhauses nicht wesentlich beeinträchtigt, bleibt diese Artfeststellung erhalten.

Das streitbefangene Grundstück enthält nur eine Wohnung. Die Praxisräume stellen keine Wohnung dar, da sie nicht Wohnzwecken dienen. Der 17 qm große ausschließlich Wohnzwecken dienende Raum stellt für sich ebenfalls keine Wohnung dar. Aus diesem Grund scheidet die Bewertung als Zweifamilienhaus aus. Ob eine andere Artfeststellung als Einfamilienhaus in Betracht kommt, hängt davon ab, ob wegen der gewerblichen Mitbenutzung im Untergeschoß die Eigenart als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird. Zu dieser Frage hat das FG ausgeführt, allerdings unzutreffend ausgehend von der Grundstücksart Zweifamilienhaus, daß keine Umstände vorliegen, aus denen sich eine wesentliche Beeinträchtigung ergebe. Daran ändert sich auch nichts, wenn aus Rechtsgründen die Bewertung als Einfamilienhaus erfolgt. Die Feststellungen des FG wurden insoweit von der Revision auch nicht angegriffen.

Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da das Grundstück als Einfamilienhaus zu bewerten ist, war die Klage als unbegründet abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).