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BFH-Urteil vom 8.2.1985 (III R 62/84) BStBl. 1985 II S. 319

Eine baulich getrennte, in sich abgeschlossene Wohneinheit im Sinn des BFH-Urteils vom 5. Oktober 1984 III R 192/83 (BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151) liegt nicht vor, wenn ein Wohnbereich von dem anderen lediglich durch verschließbare Türen getrennt ist und dadurch die Möglichkeit des ungehinderten Zugangs zwischen den Wohnbereichen vorhanden ist. Dabei ist unerheblich, ob der Zugang zu dem anderen Wohnbereich unmittelbar oder über Nebenräume besteht.

BewG 1965 § 75 Abs. 5 und 6.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eigentümer eines Wohnhauses mit Arztpraxis, das im Jahre 1981 bezugsfertig wurde. Das Gebäude besteht aus Unter-, Erd- und Obergeschoß. Das Untergeschoß ist, begünstigt durch die Hanglage, teilweise als Vollgeschoß ausgebaut. Im Erdgeschoß befinden sich neben einem Praxisraum, einem Wartezimmer und einem WC ein Wohnzimmer, Eßzimmer, Küche mit Speisekammer und Anrichte sowie eine Diele. Im Obergeschoß liegen ein Eltern- und zwei Kinderzimmer sowie ein Bad und zwei WC. Von der Diele des Erdgeschosses, die man durch den Hauseingang betritt, führt eine nicht abgeschlossene Treppe hinauf zum Flur des Obergeschosses und hinunter in die Diele des Untergeschosses. An dieser liegen im einen Teil des Untergeschosses ein Pflanzenüberwinterungsraum, drei Kellerräume sowie der Heizungsraum. Der andere Teil besteht aus einem Wohn- und Schlafraum, einer voll eingerichteten Küche, einem Bad mit WC und einem Abstellraum mit einer Gesamtfläche von 49,8 qm. Von der Diele des Untergeschosses sind diese Räume durch eine Wand mit verschließbarer Tür abgetrennt. Dieser Teil des Untergeschosses hat einen Zugang vom Garten her sowie eine eigene Klingelanlage und Stromzähler. Er stellt nach Ansicht der Kläger eine zweite eigenständige Wohnung dar.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) bewertete das Grundstück auf den 1. Januar 1982 als Einfamilienhaus.

Das Einspruchsverfahren und die Klage, mit denen die Kläger die Bewertung des Grundstücks als Zweifamilienhaus begehrten, blieben ohne Erfolg. In seiner Entscheidung (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1984, 334) führte das Finanzgericht (FG) aus, die sogenannte Einliegerwohnung im Untergeschoß sei gegenüber der Hauptwohnung in den beiden anderen Geschossen und gegenüber den zu dieser gehörenden Räumen des Untergeschosses nicht baulich abgeschlossen. Die verschließbare Tür in der Wand, welche die Diele des Untergeschosses teile, sei kein baulicher Abschluß, da ein solcher eine gewisse Dauerhaftigkeit voraussetze und Türen nicht dem Abschluß, sondern der Verbindung dienten.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung von § 75 des Bewertungsgesetzes (BewG) und Verfahrensmängel.

Die bauliche Gestaltung der "Einliegerwohnung" erfülle nach Lage, Größe und Ausstattung die Voraussetzungen einer eigenständigen Wohnung. Nach objektiver Betrachtungsweise könne von einer abgeschlossenen Wohnung gesprochen werden. Die Kläger rügen außerdem, die Richter des FG-Senats hätten unzulässigerweise eine "Vorwegbesichtigung" vor der mündlichen Verhandlung durchgeführt.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Hausgrundstück der Kläger enthält zum Stichtag 1. Januar 1982 nur eine Wohnung und ist deshalb als Einfamilienhaus zu bewerten.

1. Die Verfahrensrüge der Kläger ist unzulässig. Insoweit ergeht die Entscheidung gemäß Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 - BFH-EntlG - (BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932) i. d. F. des Zweiten Änderungsgesetzes vom 14. Dezember 1984 (BGBl I 1984, 1514, BStBl I 1985, 8) ohne Angabe von Gründen.

2. Einfamilienhäuser sind Wohngrundstücke, die nur eine Wohnung (§ 75 Abs. 5 Satz 1 BewG), Zweifamilienhäuser solche, die nur zwei Wohnungen enthalten (§ 75 Abs. 6 Satz 1 BewG). Für die Artfeststellung Einfamilienhaus oder Zweifamilienhaus ist demnach entscheidend, ob eine oder zwei Wohnungen in dem betreffenden Wohngrundstück enthalten sind.

a) Unter einer Wohnung ist nach ständiger Rechtsprechung die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, daß in ihnen die Führung eines selbständigen Haushalts möglich ist. Dies erfordert das Vorhandensein bestimmter weiterer Merkmale. Der erkennende Senat hat allerdings - teilweise abweichend von der bisherigen Rechtsprechung - in seiner Entscheidung vom 5. Oktober 1984 III R 192/83 (BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151) einzelne Merkmale des bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriffs, jedenfalls für die Bewertungsstichtage ab 1. Januar 1974, enger gefaßt. Danach ist für die Beurteilung der Frage, ob Räumlichkeiten den bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriff erfüllen, u. a. wesentlich, daß die Räume eine von anderen Wohnungen und Wohnräumen eindeutig baulich getrennte, in sich abgeschlossene Einheit darstellen. Sie müssen einen eigenen Zugang aufweisen. Die Grundstücksart Zweifamilienhaus setzt voraus, daß beide Wohneinheiten diese Voraussetzungen erfüllen.

b) Das Wohngrundstück der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Die Räume des Untergeschosses, die nach Auffassung der Kläger eine eigenständige zweite Wohnung darstellen, bilden keine baulich getrennte, gegenüber den übrigen Wohnräumen abgeschlossene Einheit. Die Aussparung einer Türöffnung in einer zwei Wohnbereiche trennenden Wand schafft objektiv eine Verbindung zwischen diesen beiden Bereichen. Ob die Verbindung unmittelbar mit Wohnräumen der Hauptwohnung oder nur mit Nebenräumen zu dieser besteht, ist jedenfalls dann unerheblich, wenn - wie im Streitfall - die Nebenräume im Keller ihrerseits einen freien Zugang zu allen Wohnräumen der Hauptwohnung ermöglichen. Dies gilt auch dann, wenn die Hauptwohnung auf einem anderen Stockwerk liegt. Die Tür zwischen der Diele, die die Kläger der "zweiten Wohnung" zurechnen, und der Diele, die als Zugang zu den von den Klägern benutzten Kellerräumen dient, stellt demnach keine dauerhafte bauliche Trennung dieser beiden Bereiche im Sinn des BFH-Urteils III R 192/83 dar. Entgegen der Auffassung der Kläger reicht es nicht aus, daß die Tür verschlossen werden kann.

Ferner kommt es im Streitfall nicht darauf an, daß zu der "zweiten Wohnung" ein eigener Zugang von außen vorhanden ist. Dieser erfüllt nur eine Voraussetzung des bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriffs. Die Beurteilung der räumlichen Trennung und Abgeschlossenheit wird dadurch nicht berührt.

3. Auch aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (Vertrauensschutz) kann die Revision keinen Erfolg haben. Die Finanzbehörden haben zwar für den streitigen Stichtag maßgebliche Verwaltungsvorschriften erlassen, nach denen der bewertungsrechtliche Wohnungsbegriff weiter ist als der, der dieser Entscheidung zugrunde liegt (vgl. dazu Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Anm. 13.4 ff. zu § 75 BewG). Das Vertrauen in die Rechtsgültigkeit von allgemeinen Verwaltungsanweisungen kann jedoch nicht in gleicher Weise geschützt werden, wie das auf eine in einem konkreten Einzelfall gegebene Zusage des zuständigen Finanzamts. Verwaltungsanweisungen sind keine Rechtsnormen. Soweit sie - wie im Streitfall - der Rechtsauslegung dienen, binden sie grundsätzlich nur die nachgeordneten Verwaltungsbehörden, nicht aber die Gerichte (vgl. Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -). Sie sind Ausdruck der Rechtsmeinung der Verwaltungsbehörden. Darüber, ob die Auslegung im Einzelfall Bestand hat, entscheidet das Gericht (vgl. dazu Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 283 ff., 522 ff.). Das Gericht ist auch nicht nach dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG an sie gebunden (vgl. Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Rdnr. 435 zu Art. 3 Abs. 1; Ossenbühl, a. a. O., S. 544f.). Eine Bindung ist selbst dann zu verneinen, wenn die Verwaltung das Gesetz in einer Weise auslegt, die im Regelfall für den Steuerpflichtigen günstiger ist als die Auslegung durch das Gericht, und die Verwaltung entsprechend ihrer Anweisung verfährt. Sie wäre mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht vereinbar (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Dezember 1972 IV R 53/72, BFHE 107, 564, BStBl II 1973, 298; Maunz/Dürig/Herzog, a. a. O., Rdnr. 437 zu Art. 3 Abs. 1; Ossenbühl, a. a. O., S. 545).

Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil III R 192/83 ausgeführt hat, könnten die Finanzbehörden allerdings gehalten sein, auftretende Härten aus Billigkeitsgründen durch eine Anpassungsregelung zu mildern. Jedenfalls soweit diese die Artfeststellung Ein- oder Zweifamilienhaus betrifft, würde ihr § 20 Satz 2 BewG nicht entgegenstehen. Der erkennende Senat weicht insoweit nicht von seinem Urteil vom 31. Oktober 1974 III R 160/72 (BFHE 114, 108, BStBl II 1975, 106) ab. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall war der Wert streitig.

Im vorliegenden Verfahren ist es dem Senat verwehrt, Billigkeitserwägungen zu berücksichtigen, da sie nicht Gegenstand des Klageverfahrens waren (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Anm. 7, 7a zu § 163 AO 1977). Eine etwaige Anpassungsregelung der Finanzbehörden wäre jedoch grundsätzlich auch noch im Streitfall zu beachten.