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BFH-Urteil vom 6.2.1985 (I R 80/81) BStBl. 1985 II S. 420

Wird zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart, daß der Ehefrau des Arbeitnehmers für den Fall seines Todes eine Versorgung zusteht, so entfällt diese Verpflichtung des Arbeitgebers nicht ohne weiteres schon dann, wenn die Ehe geschieden wird (Einschränkung des BFH-Urteils vom 16. Februar 1977 I R 132/75, BFHE 121, 343, BStBl II 1977, 444). Entscheidend ist die Auslegung des Vertragswillens im Einzelfall.

EStG § 4, § 5.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Streitig ist die Zulässigkeit einer Rückstellung für eine Verbindlichkeit der geschiedenen Ehefrau des beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, hatte in den Streitjahren 1970 und 1971 ein Stammkapital von 20.000 DM, das in Höhe von 90 v. H. von Herrn S. bis zu seinem Tod am 9. Juli 1970 und von diesem Zeitpunkt an von dessen Söhnen R. S. und J. S. zu je 1/2 gehalten wurde. 10 v. H. des Stammkapitals hielt Frau E. S. mit 2.000 DM.

Der verstorbene Gesellschafter-Geschäftsführer war zweimal verheiratet. Von der ersten Ehefrau, Frau E. S., wurde er am 3. September 1959, von der zweiten Ehefrau, Frau B. S., am 4. November 1968 geschieden.

Zwischen der Klägerin und Herrn S. war am 15. März 1963 ein Dienstvertrag abgeschlossen worden, in dessen § 5 bestimmt ist:

"Im Falle des Ablebens von Herrn S. erhält seine Ehefrau B. S., geboren am 6.9.1931, eine monatliche Witwenpension, die 60 v. H. des monatlichen Fixums ausmacht und vom auf den Todestag folgenden Monat an zu gewähren ist."

Eine ausdrückliche vertragliche Regelung für den Fall einer Ehescheidung wurde nicht getroffen.

Bis zum Tode des Gesellschafter-Geschäftsführers wurden die jeweils vereinbarten Unterhaltsleistungen an die geschiedenen Ehefrauen aus privaten Mitteln bezahlt. Nach dem Tode von Herrn S. bildete die GmbH für beide Ehefrauen Rückstellungen. Außerdem wurden vom Todestag an die laufenden Renten an die geschiedenen Ehefrauen zu Lasten des Betriebsergebnisses gezahlt. Während die Klägerin die Rückstellung für Frau E. S. als verdeckte Gewinnausschüttung anerkannte, hielt sie die Rückstellung für Frau B. S. für gerechtfertigt.

Im Betrieb der Klägerin fand 1973 eine Betriebsprüfung statt. Im Prüfungsbericht ist zur Pension zugunsten von Frau B. S. ausgeführt, die Oberfinanzdirektion (OFD) sei am 8. Oktober 1975 mit der Klägerin übereingekommen, daß (nur) die für die Frau B. S. zugesagte Witwenpension gebildeten Rückstellungen steuerlich anerkannt würden. Die ab 1970 von der GmbH an Frau B. S. geleisteten Pensionszahlungen seien Betriebsausgaben.

Im Anschluß an die Betriebsprüfung wurden auch die Pensionsleistungen der GmbH an Frau B. S. nicht mehr als gewinnmindernd anerkannt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) berief sich dabei auf das nach der Äußerung der OFD ergangene Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16. Februar 1977 I R 132/75 (BFHE 121, 343, BStBl II 1977, 444).

Der Einspruch hatte hinsichtlich des hier streitigen Sachverhalts keinen Erfolg.

Die Klage blieb hinsichtlich des Streitpunkts gleichfalls erfolglos.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, das Finanzgericht (FG) habe die gesetzliche Vorschrift über die Betriebsausgaben verkannt.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG vom 29. Januar 1981 und die dort vorgenommene Festsetzung der Körperschaftsteuer 1970 und der Körperschaftsteuer 1971 aufzuheben und die Körperschaftsteuer 1970 auf 15.001 DM, die Ergänzungsabgabe 1970 auf 450 DM, die Körperschaftsteuer 1971 auf 42.672 DM und die Ergänzungsabgabe 1971 auf 1.280 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Während des Revisionsverfahrens hat das FA unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) den Körperschaftsteuerbescheid 1971 geändert, die Körperschaftsteuerschuld auf 53.530 DM und die Ergänzungsabgabe auf 1.605 DM herabgesetzt. Die Klägerin hat den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gemacht.

Entscheidungsgründe

I.

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Das FA war trotz der zwischen der OFD und der Klägerin zustande gekommenen Absprache über die Anerkennung der Versorgungszusage an Frau B. S. vom 8. Oktober 1975 berechtigt, die zunächst als geklärt angesehene Frage auf ihre Rechtmäßigkeit erneut zu prüfen. Denn der erkennende Senat hat in dem Urteil in BFHE 121, 343, BStBl II 1977, 444 die Ansicht vertreten, daß die Anwartschaft auf Witwenrente erlösche, wenn die Ehe geschieden werde. Dies war die erste Äußerung zu einer in der Rechtsprechung des BFH bisher noch nicht geklärten Frage.

2. Dem Arbeitnehmer kann u. a. in seinem Arbeitsvertrag eine Versorgung nicht nur für den Fall seines eigenen Ruhestandes oder seiner Invalidität, sondern auch für den Fall seines Todes zugunsten seiner Ehefrau zugesagt werden. Was die Bezugsberechtigung der Ehefrau anbelangt, handelt es sich um einen Vertrag zugunsten Dritter (§§ 328 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 23. Februar 1955 VI ZR 28/54, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1955, 791). Es kann nicht allgemein ausgeschlossen werden, daß sich eine solche Versorgungszusage auch auf die geschiedene Ehefrau erstreckt. Für Rechtsgeschäfte der vorliegenden Art zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer herrscht in der Regel Vertragsfreiheit. Eine Versorgungszusage auch zugunsten der geschiedenen Ehefrau kann auf betrieblichen Gründen beruhen. Es hängt von der Auslegung ab, wie eine vereinbarte Versorgungszusage zugunsten der "Ehefrau" aufzufassen ist. Insoweit schränkt der erkennende Senat seine - im übrigen nur beiläufig gemachte - Aussage in dem Urteil in BFHE 121, 343, BStBl II 1977, 444 ein.

3. Die Auslegung eines Vertrags - im Streitfall des Dienstvertrags vom 15. März 1963 - obliegt, soweit es um die Aufhellung des Willens der Vertragsparteien geht, dem FG als Tatsacheninstanz. Der BFH ist als Revisionsgericht nicht gehindert, die Auslegung des FG daraufhin zu prüfen, ob die gesetzlichen Auslegungsregeln, die Denkgesetze und mögliche Erfahrungssätze zutreffend angewandt worden sind (Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 118 Rdnr. 4; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 118 FGO Tz. 9). Insoweit handelt es sich um die Frage, ob das FG Bundesrecht verletzt hat (§ 118 Abs. 1 FGO).

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB). Verträge insbesondere sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern (§ 157 BGB). Das FG hat, beeinflußt durch einen Rechtsirrtum, die Auslegungsgrundsätze des bürgerlichen Rechts nicht in dem erforderlichen Umfang beachtet.

Das FG hat sich bei der Auslegung des Vertrags allein darauf gestützt, daß der Dienstvertrag mit Herrn S. keine Vereinbarung über eine Versorgung der Frau B.S. "im Falle der Scheidung" enthalte. Das FG verweist in seiner Entscheidung auf das Urteil in BFHE 121, 343, BStBl II 1977, 444 und ist im übrigen der Ansicht, daß eine Zusage auch für den Fall der Scheidung zwischen dem Arbeitgeber und einem fremden Arbeitnehmer wegen des damit verbundenen hohen Risikos nicht üblich sei.

a) Einer ins einzelne gehenden Auslegung des Dienstvertrags hätte es allerdings nicht bedurft, wenn die - sinngemäß auf einen Erfahrungssatz gegründete - Ansicht, Arbeitgeber würden fremden Arbeitnehmern eine Versorgungszusage für den Fall der Ehescheidung üblicherweise nicht erteilen, in tatsächlicher Hinsicht belegt und denkgesetzlich richtig wäre. Weder das eine noch das andere ist der Fall. Geht man vom Interesse eines Unternehmens aus, so enthält jede Zusage einer Rente an den Arbeitnehmer oder dessen Ehefrau ein Risiko. Das gilt insbesondere dann, wenn die Ehefrau erheblich jünger ist als der Arbeitnehmer und daher für sie von einer entsprechend höheren Lebenserwartung auszugehen ist. Insofern bestehen aber keine Unterschiede zwischen einer Versorgung bei Fortbestehen oder bei Scheidung der Ehe. Allenfalls kommt bei Scheidung der Ehe das Risiko der Wiederverheiratung des Arbeitnehmers hinzu. In einem solchen Falle kann - wenn nichts besonderes vereinbart ist - zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer darüber verhandelt werden, wem die Versorgung zustehen soll. Dies kann die geschiedene Ehefrau oder die spätere Ehefrau sein. Es ist aber auch denkbar, daß die Versorgung auf beide Personen aufgeteilt wird. Dabei kann der Arbeitgeber im Einzelfall nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet sein, die Versorgungszusage auf die spätere Ehefrau zu übertragen. Das muß jedoch nicht so sein, wenn wegen des Alters der später geheirateten Ehefrau ein zusätzliches Risiko für das Unternehmen auftritt. Dieses hat es also in der Hand, das Risiko seines Handelns insoweit selbst abzuschätzen. Ein Versorgungsanspruch der geschiedenen Ehefrau steht einer derartigen Änderung der Vertragsverhältnisse nicht entgegen. Denn ein Anspruch auf die Witwenversorgung entsteht erst mit dem Tode des Versprechensempfängers (§ 331 BGB). Bis dahin hat die Ehefrau nur eine ungesicherte Anwartschaft (vgl. u. a. Gottwald in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 1979, § 331 Anm. 1).

b) Bei Auslegung des im Streitfall geschlossenen Vertrags kann nicht schon deshalb davon ausgegangen werden, daß die Versorgungszusage mit der Scheidung erlösche, weil für diesen Fall nichts Besonderes bestimmt wurde. Eine solche Auslegung würde entgegen § 133 BGB zu sehr am buchstäblichen Sinn des Wortlauts der Vereinbarung haften. Die vertragschließenden Parteien gehen, wenn sie von "Ehefrau" und "Witwenpension" sprechen, bei der Wahl dieser Bezeichnungen vom Regelfall des Fortbestands der Ehe aus. Es kann mit "Ehefrau" auch nur der Familienstatus des Bezugsberechtigten zur Zeit des Vertragsabschlusses gemeint sein. Dies gilt vor allem dann, wenn die Bezugsberechtigte - wie hier - namentlich und unter Angabe ihres Geburtsdatums bezeichnet ist. Ist dies unterblieben, so kann die Versorgungszusage an die "Ehefrau" allerdings im Falle der Scheidung entfallen (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 21. Oktober 1966 3 AZR 119/66, Der Betrieb - DB - 1966, 1932). Die Ausgestaltung des Vertrags im Streitfall spricht aber dafür, daß die Versorgung auch der geschiedenen Ehefrau zukommen sollte.

c) Dem steht das Urteil in BFHE 121, 343, BStBl II 1977, 444 - sieht man von der durch den erkennenden Senat eingeschränkten Äußerung über das Erlöschen einer Witwenversorgung im Falle der Scheidung ab - nicht entgegen. Der Sachverhalt dieses Urteils lag insoweit anders als der vorliegende, als hier die Versorgungszusage vor der Scheidung, im Falle des früheren Urteils des erkennenden Senats aber erst nach der Scheidung erteilt wurde. Diese Besonderheit trägt die Schlußfolgerungen der damaligen Entscheidung.

4. Ergibt so die Vertragsauslegung, daß die Versorgungszusage der Frau B.S. im Streitfall bürgerlichrechtlich fortbesteht, so bedarf es allerdings - aus einem anderen als dem unter 3. erwähnten Gesichtspunkt - wiederum der Prüfung, ob in der Versorgungszusage eine verdeckte Gewinnausschüttung (§ 6 Abs. 1 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG 1968 -) liegt. Dies hängt hier davon ab, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter bei im übrigen gleichen Verhältnissen eine entsprechende Versorgungszusage (mit diesem Inhalt) auch einem fremden Arbeitnehmer erteilt hätte. Handelt es sich - wie hier - um Vereinbarungen einer Kapitalgesellschaft mit ihrem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer, ist diese Frage besonders sorgfältig zu prüfen. Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob die erteilte Versorgungszusage im Verhältnis zu den Bezügen des Herrn S. angemessen war. Hierzu fehlt es an tatsächlichen Feststellungen.

5. Ist nach diesen Grundsätzen bürgerlich-rechtlich eine wirksame Versorgungszusage an die namentlich genannte, inzwischen geschiedene Ehefrau ernsthaft vereinbart und steuerrechtlich nicht zu beanstanden, so ist zu unterscheiden:

a) Die ursprünglich getroffene Vereinbarung könnte später im Zusammenhang mit der Scheidung abgeändert worden sein. Dies hätte nur durch eine Vertragsänderung zwischen der Klägerin und Herrn S. geschehen können. Dabei geht der erkennende Senat von der bisher von keiner Seite in Zweifel gezogenen Voraussetzung aus, daß Herr S. vom Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 BGB) befreit war. Der ursprüngliche Vertrag hätte auch anläßlich oder im Rahmen einer scheidungserleichternden Vereinbarung zwischen Herrn S. und Frau B.S. abgeändert werden können.

b) Eine Vertragsänderung würde auch darin liegen, daß nach Eintritt des Versorgungsfalles Frau B.S. der Klägerin gegenüber auf einen Teil ihrer Bezüge aus der Versorgungszusage verzichtet und sich mit der Zahlung des ihrem Unterhalt entsprechenden niedrigeren Betrags begnügt hätte. So sollen sich die Verhältnisse nach der Begründung der Klage (Schriftsatz der Klägerin an das FG vom 20. März 1979) entwickelt haben. Darin läge indes keine verdeckte Gewinnausschüttung; denn ein sorgfältiger und gewissenhafter Geschäftsleiter würde die Gelegenheit ergriffen haben, nur noch geringere als die nach dem Dienstvertrag geschuldeten Beträge entrichten zu müssen.

II.

Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, ist seine Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG muß die tatsächlichen Feststellungen nachholen, die nach der unter I. dargelegten Rechtsauffassung des erkennenden Senats geboten sind. Für den Veranlagungszeitraum 1971 muß unter Umständen auch geprüft werden, ob der in das Revisionsverfahren gemäß § 68 FGO eingeführte Körperschaftsteueränderungsbescheid Besteuerungsgrundlagen enthält, die im Hinblick auf den weiten Streitgegenstandsbegriff (BFH-Beschluß vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344) im Rahmen des Klagebegehrens und unter Berücksichtigung des Verböserungsverbots Bedeutung erlangen können.