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BFH-Urteil vom 26.4.1985 (III R 24/82) BStBl. 1985 II S. 546

1. Für einen vor dem 1. Januar 1977 bei Gericht anhängig gewordenen und nach dem 31. Dezember 1976 abgeschlossenen Rechtsstreit entstehen Prozeßzinsen ab dem Tag der Rechtshängigkeit ausschließlich nach Maßgabe des § 236 AO 1977.

2. Das gilt auch für einen vor dem 1. Januar 1977 rechtshängig gewordenen Anspruch auf Investitionszulage.

EGAO 1977 Art. 97 § 15; AO 1977 § 236; InvZulG 1977 § 5 Abs. 5.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) beantragte 1970 für eine im Jahre 1969 erfolgte Erweiterung seines Hotels eine Investitionszulage nach § 1 Abs. 1 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1969. Der Antrag hatte erst Erfolg, nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) durch Urteil des Senats vom 16. Juni 1977 III R 170/72 zur Zahlung verurteilt worden war. Die Zulage wurde am 20. August 1977 an den Kläger ausgezahlt.

Nunmehr beantragte der Kläger am 22. September 1977 für die Zeit ab Rechtshängigkeit (7. Juni 1971) bis zur Auszahlung der Investitionszulage (20. August 1977) die Festsetzung von Prozeßzinsen. Er stützt seinen Antrag auf § 291 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Der der Höhe nach unstreitige Betrag beträgt 5.243,34 DM und ist auf der Grundlage eines Zinssatzes von 4 v. H. berechnet (§ 288 BGB).

Das FA wies den Antrag unter Berufung auf das Urteil des Senats vom 25. Juni 1976 III R 167/73 (BFHE 119, 336, BStBl II 1976, 728) zurück. In diesem Urteil hat der Senat für einen vor dem Inkrafttreten der Abgabenordnung (AO 1977) rechtskräftig abgeschlossenen Prozeß entschieden, daß Prozeßzinsen auf einen Investitionszulageanspruch nicht zu zahlen seien, weil ein solcher Anspruch kein Vergütungs- oder Erstattungsanspruch i. S. des § 111 der Finanzgerichtsordnung - FGO - (gültig bis 29. September 1975) und § 4b des Steuersäumnisgesetzes - StSäumG - (gültig bis 31. Dezember 1976) sei. Auch eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift lehnte der Senat ab.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage in seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 368 veröffentlichten Entscheidung statt. Das FG ging von der Rechtslage zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Investitionszulageanspruchs (7. Juni 1971) aus. Es kam ebenfalls zu dem Ergebnis, daß § 111 FGO und § 4b StSäumG keine ausreichende Rechtsgrundlage seien. Es war jedoch der Auffassung, daß der Kläger seinen Anspruch auf die allgemeine Vorschrift des § 291 BGB stützen könne.

Dagegen wendet sich das FA mit der Revision. Es stellt für die rechtliche Beurteilung ebenfalls auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit ab. Im Gegensatz zum FG sieht es die Frage der Prozeßzinsen in § 111 FGO und § 4b StSäumG als abschließend geregelt an, so daß für die Anwendung des § 291 BGB im Finanzprozeß kein Raum sei.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet.

1. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Prozeßzinsen zu. Allerdings ist die Rechtsgrundlage für seinen Anspruch nicht, wie vom FG angenommen, § 291 BGB, sondern § 236 AO 1977. Denn sowohl das FG als auch die Verfahrensbeteiligten stellen für die rechtliche Beurteilung zu Unrecht auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit statt auf den Zeitpunkt des rechtskräftigen Abschlusses des Prozesses (16. Juni 1977) ab. Zu diesem Zeitpunkt galt bereits § 5 Abs. 5 InvZulG i. d. F. der Bekanntmachung vom 3. Mai 1977, wonach auf die Investitionszulage die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der AO 1977 entsprechend anzuwenden sind.

2. Nach § 236 Abs. 1 AO 1977 sind Erstattungs- und Vergütungsansprüche zu verzinsen, die sich durch eine gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung ergeben. Ähnlich lauteten § 111 Abs. 1 FGO und § 4b Abs. 1 StSäumG. Aus dem Wortlaut dieser Vorschriften wird allgemein geschlossen, daß der Anspruch auf Prozeßzinsen erst mit der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bzw. der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts, durch den sich der Rechtsstreit nach Rechtshängigkeit erledigt hat, entsteht. Erst mit diesen Entscheidungen ist der Tatbestand verwirklicht, an den das Gesetz den Anspruch auf Prozeßzinsen knüpft (§ 38 AO 1977). Der Anspruch auf Prozeßzinsen entsteht somit entgegen der Annahme der Verfahrensbeteiligten und des FG nicht bereits mit dem Eintritt der Rechtshängigkeit (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. Juni 1971 VII K 31/67, BFHE 103, 28, BStBl II 1971, 740; Tipke-Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., vor § 233 AO 1977 Anm. 3 und § 236 AO 1977 Anm. 11, mit weiteren Angaben zur Rechtsprechung der FG; Koch-Höllig, Abgabenordnung 1977, 2. Aufl., § 233 Anm. 4 und § 236 Anm. 10; s. auch Einführungserlaß des Bundesministers der Finanzen - BMF - zur AO 1977 vom 1. Oktober 1976 zu § 236 Nr. 4 und zu § 237 Nr. 1; weitergehend Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 236 Anm. 13, der den Zinsanspruch erst mit der Auszahlung des Erstattungs- oder Vergütungsbetrags entstehen läßt). Es ist also unzutreffend, daß das FG seiner Beurteilung die Rechtslage im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit zugrunde gelegt hat.

3. Nichts anderes gilt nach der Übergangsregelung in Art. 97 § 15 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977). Nach dieser Vorschrift entstehen Zinsen für die Zeit nach dem 31. Dezember 1976 nach den Vorschriften der neuen AO 1977 und, wie sich daraus im Umkehrschluß ergibt, entstehen Zinsen für die Zeit vor dem 1. Januar 1977 nach den bisherigen Vorschriften. Aus diesem Gesetzeswortlaut kann nicht geschlossen werden, daß bei einem Rechtsstreit, der über den Jahreswechsel 1976/77 fortgedauert hat, die Zinsfrage getrennt zu beurteilen sei, nämlich für die Zeit bis zum 31. Dezember 1976 nach § 111 FGO, § 4b StSäumG und für die Zeit ab dem 1. Januar 1977 nach § 236 AO 1977. Es kommt vielmehr entscheidend auf den Zeitpunkt an, zu dem der Rechtsstreit endgültig abgeschlossen ist. Liegt dieser Zeitpunkt vor dem 1. Januar 1977, dann regelt sich die Zinsfrage nach § 111 FGO, § 4b StSäumG. Liegt der Zeitpunkt nach dem 31. Dezember 1976, dann beurteilt sich die Zinsfrage ausschließlich nach § 236 AO 1977 (ebenso Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rz. 3992/6 und 3993/5, sowie Urteil des FG Nürnberg vom 20. August 1982, EFG 1983, 160 für die zeitliche Abgrenzung bei Aussetzungszinsen nach § 112 FGO, § 4c StSäumG einerseits und § 237 AO 1977 andererseits).

4. Von der Entstehung des Zinsanspruchs ist der Beginn der Verzinsung zu unterscheiden. Nach § 236 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 beginnt die Verzinsung mit dem Tag der Rechtshängigkeit und sie läuft bis zum Auszahlungstag. Die Rechtshängigkeit hat somit nur Bedeutung für den Umfang, d. h. für die Höhe des Zinsanspruchs (vgl. BFH-Urteil vom 7. Oktober 1970 III R 114/68, BFHE 100, 187, BStBl II 1971, 14).

5. Der Anwendungsbereich des § 236 AO 1977 bezieht sich nur auf Steuererstattungs- und Steuervergütungsansprüche. Dazu gehört der Anspruch auf Investitionszulagen nicht. Die Vorschrift ist ab 1. Januar 1977 jedoch auf Investitionszulagen entsprechend anzuwenden. Das ergibt sich aus § 5 Abs. 5 InvZulG i. d. F. der Bekanntmachung vom 3. Mai 1977. Diese Neufassung des § 5 Abs. 5 InvZulG geht zurück auf Art. 64 Nr. 1 EGAO 1977. Nach Art. 102 EGAO 1977 trat § 5 Abs. 5 InvZulG gleichzeitig mit der AO 1977 am 1. Januar 1977 in Kraft. Bei Beendigung des Rechtsstreits um die Investitionszulage am 16. Juni 1977 war somit die Frage der Prozeßzinsen bei Investitionszulagen bereits positiv im Gesetz geregelt. Der Senat braucht damit auf die Anwendbarkeit des § 291 BGB nicht mehr einzugehen.

6. Die Entscheidung des Senats in BFHE 119, 336, BStBl II 1976, 728 steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Sie betrifft die Rechtslage vor dem Inkrafttreten der AO 1977 (ebenso Tipke-Kruse, a. a. O., § 236 AO 1977 Anm. 2).

7. Die dem Kläger zustehenden Zinsen betragen für jeden Monat 1/2 v. H.. Der Kläger hat jedoch weniger, nämlich nur Zinsen von 4 v. H. für das Jahr geltend gemacht (§§ 291, 288 BGB). Dabei muß es verbleiben, weil der Senat über das Klagebegehren des Klägers nicht hinausgehen kann (§ 96 Abs. 1 FGO) und lediglich das FA Revision eingelegt hat.