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BFH-Urteil vom 24.1.1985 (IV R 232/82) BStBl. 1985 II S. 568

Soll beim Steuerpflichtigen außerhalb des allgemeinen Prüfungsrhythmus aus besonderem Anlaß eine Betriebsprüfung durchgeführt werden, so müssen hierfür Gründe in den betrieblichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen vorliegen. Die Finanzbehörde muß hierbei erwägen, ob die erforderliche Aufklärung auch ohne Betriebsprüfung erreicht werden kann.

AO 1977 § 193 Abs. 1.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist als selbständiger Architekt und amtlicher Bausachverständiger tätig. Bei ihm fanden bisher Betriebsprüfungen für die Jahre 1960 bis 1964, 1965 bis 1967 und 1971 bis 1973 statt. Im Jahre 1980 ordnete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) eine weitere Betriebsprüfung für die Jahre 1976 bis 1978 an; in der Prüfungsanordnung wurde auf die §§ 193, 194 der Abgabenordnung (AO 1977) hingewiesen. Die Beschwerde des Klägers wurde von der Oberfinanzdirektion (OFD) unter Hinweis darauf zurückgewiesen, daß der Kläger in den Jahren 1976 bis 1978 PKW und Kameras zum Anlagevermögen gezählt habe und diese Zurechnung sowie ihre steuerlichen Auswirkungen prüfungsbedürftig seien. Das FA habe sein Ermessen sachgerecht ausgeübt. Daß andere Berufsangehörige seltener geprüft würden, sei nicht ausschlaggebend. Ebenso sei für die Prüfungsbedürftigkeit unerheblich, daß die Vorprüfung nur ein steuerliches Mehrergebnis von 8.572 DM erbracht habe.

Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht (FG).

a) Da der Kläger freiberuflich tätig ist, konnte bei ihm ohne weitere Voraussetzungen eine Außenprüfung durchgeführt werden (§ 193 Abs. 1 AO 1977). Ob die Finanzbehörde von dieser Möglichkeit Gebrauch macht und eine Prüfung anordnet, steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen (BFH-Urteil vom 28. April 1983 IV R 255/82, BFHE 138, 407, BStBl II 1983, 621, m. w. N.). Ihre Entschließung kann vom Gericht nur darauf überprüft werden, ob dabei die Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 102 FGO).

Die Finanzverwaltung hat sich dahin entschieden, daß Großbetriebe grundsätzlich lückenlos, andere Betriebe dagegen in zeitlichen Abständen geprüft werden sollen (§ 4 der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) - BpO(St) -). Neben den damit bezeichneten Routineprüfungen kann die Finanzverwaltung auch sonst eine Betriebsprüfung anordnen, wenn der Sachverhalt aus besonderem Anlaß prüfungswürdig erscheint (vgl. BFHE 138, 407, BStBl II 1983, 621). Von dieser Möglichkeit wollte das FA im Streitfall Gebrauch machen. Das ergibt sich aus der Beschwerdeentscheidung, mit der die erforderliche Begründung der Prüfungsanordnung zulässigerweise nachgeholt wurde (vgl. BFH-Entscheidungen vom 5. November 1981 IV R 179/79, BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208; vom 10. Februar 1983 IV R 104/79, BFHE 137, 404, BStBl II 1983, 286).

b) Der Kläger hat vorgetragen, daß die Prüfung nicht im Hinblick auf sachliche Prüfungserfordernisse, sondern aus Verärgerung des FA über häufige Auseinandersetzungen mit ihm im Veranlagungsverfahren angeordnet worden sei. Dies ergebe sich aus dem Prüfungsvorschlag der Veranlagungsstelle, in dem auf Unstimmigkeiten bei der vorausgegangenen Betriebsprüfung hingewiesen worden sei; da die Prüfung nicht zu sachlichen Beanstandungen und nur zu geringen Mehrsteuern geführt habe, könnten damit nur persönliche Differenzen mit dem Kläger gemeint sein. Die als prüfungsbedürftig bezeichneten Sachverhalte, nämlich die betriebliche Nutzung von zwei PKW und die Unterhaltung einer umfangreichen Fotoausrüstung für betriebliche Zwecke, seien vorgeschützt; beide Punkte seien in der vorausgegangenen Betriebsprüfung überprüft worden, ohne daß sich Beanstandungen ergeben hätten.

Das FG ist diesem, auf einen Ermessensfehlgebrauch hindeutenden Sachvortrag des Klägers nicht nachgegangen, sondern hat sich mit einer Würdigung der von der Finanzbehörde angegebenen Gründe für die Prüfungsanordnung begnügt. Der Senat vermag nicht zu prüfen, ob hierin ein Verstoß gegen das Aufklärungsgebot des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt; denn der Kläger hat einen solchen Verfahrensmangel nicht, wie geboten, mit der Revision gerügt (§ 120 Abs. 2 FGO).

Das FG hat bei seiner Entscheidung weiter angenommen, mit der Prüfung hätten neben der Nutzung der Fotoausrüstung und der PKW auch die Umstände eines Grundstückserwerbs geprüft werden sollen. Es hat wegen der möglichen privaten Verwendung der Wirtschaftsgüter und der in Frage stehenden nicht unerheblichen Steuerbeträge die Anordnung der Prüfung als ermessensgerecht und rechtlich unbedenklich bezeichnet. Wie die maßgebliche Beschwerdeentscheidung der OFD ergibt, ist die Prüfungsanordnung jedoch nur auf die als aufklärungsbedürftig bezeichnete Nutzung der PKW und der Fotoausrüstung gestützt worden. Das FG ist damit von Tatumständen ausgegangen, die gegen den Inhalt der Akten verstoßen; auch hierin liegt ein Verfahrensverstoß, der jedoch in der Revisionsinstanz ausdrücklich gerügt werden muß (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 96 Anm. 2, m. w. N.). Eine solche Rüge hat der Kläger ebenfalls nicht erhoben.

c) Trotzdem kann das Urteil des FG auch nach dem Sachverhalt, den es seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, keinen Bestand haben.

aa) Entschließt sich die Finanzbehörde, aufgrund der ihr in § 193 Abs. 1 AO 1977 erteilten Befugnis aus besonderem Anlaß eine Außenprüfung (Betriebsprüfung) durchzuführen, so muß ihre Entscheidung dem Zweck dieser Vorschrift gerecht werden. Für eine Betriebsprüfung in diesem Sinne werden geringere Anforderungen als für eine Außenprüfung aufgrund von § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 gestellt; deshalb kann eine solche Betriebsprüfung auch nur zur Aufklärung der betrieblichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen angeordnet werden. Dies gilt unbeschadet des Umstands, daß eine auf § 193 Abs. 1 AO 1977 gestützte Prüfung auch auf die nichtbetrieblichen Einkünfte des Steuerpflichtigen erstreckt werden kann (BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208). Nach der Auffassung des FG hat die Finanzbehörde die Prüfung auch zur Aufklärung eines Grundstückserwerbs des Klägers angeordnet, der ersichtlich sein Privatvermögen betrifft und allenfalls zu Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geführt haben kann. Die Behörde hätte damit in ermessensfehlerhafter Weise tatsächliche Gesichtspunkte mitberücksichtigt, die im Rahmen der nach § 193 Abs. 1 AO 1977 zu treffenden Entscheidung keine Rolle spielen dürfen (vgl. dazu Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 6. Aufl., § 114 Anm. 8).

bb) Die Finanzbehörde mußte bei ihrer Ermessensentscheidung auch erwägen, ob die von ihr gewünschten Aufklärungen eine Betriebsprüfung erforderten. Bei einer Betriebsprüfung i. S. von § 193 Abs. 1 AO 1977 handelt es sich um eine besonders intensive und umfangreiche Ermittlungsmaßnahme, die durchweg auf eine Überprüfung der Buchführung hinausläuft (vgl. BFH-Urteil vom 5. April 1984 IV R 244/83, BFHE 140, 518, BStBl II 1984, 790). Die darin liegende Belastung muß vom Steuerpflichtigen im Rahmen einer turnusmäßigen Prüfung hingenommen werden. Hält die Finanzbehörde zusätzliche Ermittlungen für erforderlich, muß sie auch erwägen, ob hierfür die Durchführung einer Betriebsprüfung angezeigt ist oder ob nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Aufklärung mit den Steuerpflichtigen weniger belastenden Maßnahmen erreicht werden kann (BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208). Zu solchen Überlegungen bestand gerade im Streitfall Anlaß. Denn es ist nicht ohne weiteres ersichtlich, warum die Buchhaltung des Klägers überprüft werden sollte, um über die betriebliche Nutzung der beiden PKW und der Kamera-Ausrüstung Aufschluß zu gewinnen, zumal die voraufgegangenen Prüfungen nach dem unwidersprochenen Vortrag des Klägers insoweit nicht zu Beanstandungen geführt hatten. Im Hinblick auf die gebotene Abwägung der öffentlichen Interessen mit den Belangen des Steuerpflichtigen hätte das FG deshalb erwägen müssen, ob die von der Finanzbehörde gewünschte Aufklärung auch mit anderen Mitteln hätte erreicht werden können.

Um dem FG eine erneute rechtliche Überprüfung zu ermöglichen, war die Sache daher gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zurückzuverweisen.