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BFH-Urteil vom 7.5.1985 (VII R 25/82) BStBl. 1985 II S. 571

Zum Anspruch des Denunzierten auf Einsicht der Akten und Auskunftserteilung der Finanzbehörden.

AO 1977 § 30.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

Gegen die Klägerin als Kommanditistin und Geschäftsführerin einer KG wurde im Oktober 1979 ein Strafverfahren eröffnet, weil der Verdacht bestand, daß in den Warenbestandsaufnahmen bestimmte Abfälle nicht erfaßt und die Erlöse aus Verkäufen dieses Abfalls nicht verbucht worden waren. Eine Steuerfahndungsprüfung ergab, daß zwar Abfälle in der Warenbestandsaufnahme zum 31. Dezember 1977 nicht erfaßt waren, die Firma der Klägerin aber keine Erlöse aus dem Verkauf von Abfällen erzielt hatte. Aufgrund dieser Feststellungen wurde das Strafverfahren eingestellt. Ein gegen die Klägerin eingeleitetes Bußgeldverfahren endete mit einem von der Klägerin anerkannten Bußgeldbescheid wegen leichtfertiger Verkürzung der Einkommensteuer und Gewerbesteuer 1977.

Die Klägerin vermutet, daß das Strafverfahren aufgrund einer Anzeige eines oder mehrerer ihrer Betriebsangehörigen eingeleitet worden war. Sie erstattete eine Strafanzeige gegen Unbekannt wegen falscher Verdächtigung u. a.. Die Klägerin beantragte beim FA, ihr, der Firma, und der Staatsanwaltschaft Akteneinsicht so zu gewähren, daß auch die Namen der Anzeigeerstatter erkennbar würden. Das FA lehnte es ab, den Inhalt der Anzeige oder die Namen der Anzeigeerstatter bekanntzugeben oder eine Einsichtnahme in die entsprechenden Aktenteile zu gestatten. Die Beschwerde und die Klage der Klägerin blieben erfolglos (Urteil des Finanzgerichts - FG - vom 9. Dezember 1981 V 148/81, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1982, 392).

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassenen Revision macht die Klägerin im wesentlichen geltend: Der Schutzzweck des Steuergeheimnisses (§ 30 AO 1977) erfasse nicht den Anzeigeerstatter. Zumindest das Persönlichkeitsrecht und die Rechtsstaatlichkeit erforderten gegenüber dem Denunziantenschutz einen Ausgleich über § 30 Abs. 5 AO 1977. Eine nach dieser Vorschrift getroffene Ermessensentscheidung müsse in vollem Umfang nachprüfbar sein.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Verwaltungsakt des FA in Gestalt der Beschwerdeentscheidung der OFD aufzuheben und das FA zu verurteilen, ihr Einsicht in die Akten des FA über Anlaß und Durchführung der gegen ihre Firma gerichteten Fahndungsmaßnahmen zu gewähren, hilfsweise, das FA zu verurteilen, ihr Namen und Anschrift der Person bekanntzugeben, die diese Fahndungsmaßnahmen veranlaßt habe und den diese Maßnahme auslösenden Sachvortrag mitzuteilen, hilfsweise hierzu lediglich über den Inhalt des Sachvorwurfs Mitteilung zu machen.

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist zulässig. Für den vorliegenden Rechtsstreit ist der Rechtsweg zu den FG gegeben.

Gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist der Finanzrechtsweg in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten gegeben, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Abgabenangelegenheiten sind alle mit der Verwaltung der Abgaben oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten (§ 33 Abs. 2 FGO). Die Frage, welcher Rechtsweg gegeben ist, ist auf Grund des Sachvortrags der Klägerin nach der Rechtsnatur ihres Klagebegehrens zu entscheiden. Der von der Klägerin verfolgte Anspruch auf Akteneinsicht bzw. Auskunftserteilung ist eine Abgabenangelegenheit, denn die Klägerin begehrt Einsicht in Akten bzw. Auskunft aus Akten, die auch Grundlage der Besteuerung sein können. Das gegen die Klägerin eingeleitete Strafverfahren wurde eingestellt und das gegen sie durchgeführte Bußgeldverfahren war abgeschlossen, als sie ihr Rechtsschutzbegehren geltend machte. Deshalb liegen die Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht vor, wonach die Vorschriften des § 33 Abs. 1 FGO auf das Straf- und Bußgeldverfahren keine Anwendung finden. Es verbleibt somit bei dem Grundsatz, daß das Begehren der Klägerin auf Akteneinsicht bzw. die hilfsweise geltend gemachten Anträge auf Auskunftserteilung, die den Zuständigkeitsbereich der Finanzverwaltung betreffen, eine Abgabenangelegenheit i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 FGO darstellen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. Dezember 1976 IV R 2/76, BFHE 120, 571, 573, 575, BStBl II 1977, 318).

2. Die Revision ist nicht begründet.

Die Klägerin konnte einen Anspruch auf Akteneinsicht nicht mit Erfolg geltend machen. Das FG hat zutreffend erkannt, daß die AO 1977 keine Regelung enthält, nach der ein allgemeines Akteneinsichtsrecht besteht. Soweit das Gesetz ein derartiges Recht gewährt (vgl. § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG -), gilt das unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs für die "Beteiligten" eines Verwaltungsverfahrens (vgl. § 91 AO 1977). Diese Sach- und Rechtslage trifft auf den Fall der Klägerin nicht zu, denn die gegen sie eingeleiteten (Straf- und Bußgeld-) Verfahren sind abgeschlossen. Auch einen Anspruch auf Auskunftserteilung kennt das Gesetz nicht. Die Klägerin hat lediglich einen Anspruch darauf, daß über ihren Antrag auf Akteneinsicht und über ihre hilfsweise geltend gemachten Anträge auf Auskunftserteilung im Wege pflichtgemäßer Ermessensausübung entschieden wird. Soweit die Finanzbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln oder zu entscheiden, hat das Gericht zu prüfen, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO).

Im Streitfall hat die Finanzbehörde den Anspruch der Klägerin auf fehlerfreie Ermessensausübung erfüllt. Die vom FG in seine Feststellungen einbezogene Beschwerdeentscheidung der OFD zeigt, daß die Finanzbehörde nicht verkannt hat, daß ihr eine Entscheidung über die von der Klägerin erhobenen Begehren im Wege pflichtgemäßer Ermessensausübung aufgegeben war. Bei der Ausübung dieses Ermessens war die Finanzbehörde zur Beachtung des § 30 AO 1977 verpflichtet. Auch das hat die OFD nicht verkannt. Sie hat unter Berücksichtigung der Vorschriften über das Steuergeheimnis das Begehren der Klägerin ermessensfehlerfrei abgelehnt.

Nach § 30 Abs. 1 AO 1977 haben Amtsträger das Steuergeheimnis zu wahren. Die zuständigen Bediensteten des FA waren daher als Amtsträger auch im Streitfall grundsätzlich gehalten, über den Inhalt der von ihnen verwalteten Akten Stillschweigen zu bewahren. Bei der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens im Rahmen einer Entscheidung über den Antrag auf Einsicht in Steuerakten bzw. über den Antrag auf Auskunftserteilung über Bestandteile von Steuerakten ist regelmäßig davon auszugehen, daß die Beachtung des Steuergeheimnisses die Ablehnung des Antrags nicht fehlerhaft macht. Das gilt selbst dann, wenn die Offenbarung nach § 30 Abs. 4 oder 5 AO 1977 zulässig wäre. Denn in den dort genannten Fällen ist die Verwaltung zur Offenbarung nur befugt, nicht aber verpflichtet.

Als Ausnahme von diesem Grundsatz könnte sich - im Falle einer befugten Offenbarung - eine Verpflichtung der Behörde zur Preisgabe des Namens eines Anzeigeerstatters dann ergeben, wenn der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des von der Anzeige Betroffenen dies gebietet. Denn jeder Bürger muß grundsätzlich die Möglichkeit haben, sich gegen ungerechtfertigte Angriffe auf seine Ehre zur Wehr zu setzen. Daraus ergibt sich aber im Streitfall nicht, daß die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens zur Gewährung der Akteneinsicht oder zur Mitteilung der gewünschten Informationen führen mußte. Immerhin haben sich aufgrund der Fahndungsprüfung erhebliche Steuernachzahlungen zu Lasten der Klägerin und der von ihr vertretenen Gesellschaft ergeben. Darüber hinaus hat die Klägerin wegen leichtfertiger Steuerverkürzung eine Geldbuße gezahlt und den dieser Zahlung zugrunde liegenden Bußgeldbescheid anerkannt. Daraus folgt, daß die gegen die Klägerin erhobene Anschuldigung von steuerlicher Relevanz war. Die steuerrechtliche und strafrechtliche Bewertung der gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe war Sache der Steuer- und Strafverfolgungsbehörden, nicht aber des Anzeigeerstatters. Die OFD hat bei ihrer Ermessensausübung auch diese Gesichtspunkte zutreffend berücksichtigt. Ihre Entscheidung, die von der Klägerin begehrte Akteneinsicht bzw. Auskunftserteilung abzulehnen, war demnach auch unter Berücksichtigung des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht ermessensfehlerhaft.