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BFH-Urteil vom 24.5.1985 (VI R 204/82) BStBl. 1985 II S. 583

Die Neufassung von § 26 b im EStG ab 1975 hat nichts daran geändert, daß gegen zusammenveranlagte Ehegatten wahlweise Einzelbescheide oder ein zusammengefaßter Bescheid (§ 155 Abs. 2 a. F., Abs. 3 n. F. AO 1977) ergehen können.

EStG 1975/1980 § 26b; AO 1977 § 44 Abs. 1, § 155 Abs. 2 a.F., Abs. 3 n.F.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) veranlagte die verheirateten Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) für das Streitjahr 1980 zusammen zur Einkommensteuer, wobei er den Bescheid vom 10. Dezember 1981 nur gegen den Ehemann richtete. Im Einspruch mit dem Betreff "Eheleute A..." wurde geltend gemacht, es seien Umzugskosten nicht als Werbungskosten berücksichtigt worden. Das FA ging von einem Einspruch beider Ehegatten aus und erließ eine Einspruchsentscheidung, die nunmehr gegen beide Ehegatten gerichtet war. Dabei berücksichtigte es die begehrten Werbungskosten nicht und ließ Unterhaltsleistungen, die im angefochtenen Bescheid als außergewöhnliche Belastung anerkannt waren, teilweise nicht mehr zum Abzug zu.

Mit der von beiden Ehegatten hiergegen erhobenen Klage wurde der Abzug von Umzugskosten und Unterhaltsleistungen begehrt.

Das Finanzgericht (FG) hob den angefochtenen Bescheid und die Einspruchsentscheidung auf, da ein gegen nur einen Ehegatten gerichteter Zusammenveranlagungsbescheid nicht habe ergehen dürfen und der dem Bescheid anhaftende Mangel durch die Einspruchsentscheidung nicht habe behoben werden können. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 4 veröffentlicht.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung von § 26 b des Einkommensteuergesetzes (EStG), § 155 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) und § 44 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Es führt aus:

Die Ehegatten seien im Falle der Zusammenveranlagung Gesamtschuldner i. S. von § 44 Abs. 1 AO 1977. Bei Gesamtschuldnerschaft könne ein zusammengefaßter Bescheid ergehen (§ 155 Abs. 3 AO 1977); insoweit handele es sich rechtlich um mehrere Bescheide, die nur äußerlich verbunden seien. Daß im Streitfall von der Möglichkeit der Zusammenfassung nicht Gebrauch gemacht worden sei, sei unschädlich, da das Gesetz bei der Zusammenveranlagung nicht zwingend vorschreibe, zusammengefaßte Bescheide zu erlassen. Keinesfalls habe ein nichtiger Verwaltungsakt vorgelegen.

Gegenstand der Anfechtungsklage sei der Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden habe (§ 44 Abs. 2 FGO). Ein etwaiger Mangel sei durch die Einspruchsentscheidung geheilt worden, da diese unstreitig an die Ehegatten gerichtet und diesen wirksam bekanntgegeben worden sei. Auch die Ehefrau habe in der Einspruchsentscheidung noch wirksam in Anspruch genommen werden können. Sehe sie sich durch einen Bescheid, der ihr gegenüber nicht ergangen sei, als belastet an, wäre es formalistisch zu fordern, daß zunächst gegen sie ein Bescheid erlassen, der Einspruch hiergegen abgewartet und dann darüber entschieden werden müßte.

Da der Anfechtungsklage ein wirksamer Bescheid zugrunde gelegen habe, müsse das FG diesen im Rahmen der Anträge der Kläger auch materiell-rechtlich überprüfen.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen.

Die Kläger sind der Revision ohne förmlichen Antrag entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG. Das FG hätte in eine sachliche Überprüfung der angegriffenen Verwaltungsakte eintreten müssen, weil diese Verwaltungsakte nicht nichtig waren (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Oktober 1970 II 167/64, BFHE 100, 56, BStBl II 1970, 826).

Entgegen der Ansicht des FG hat die Neufassung des § 26 b ab dem EStG 1975 nichts daran geändert, daß im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten jeder Ehegatte Steuerschuldner bleibt und daß es dem FA deshalb freisteht, gegen jeden Ehegatten gesondert einen (inhaltsgleichen) Bescheid zu erlassen oder statt dessen die Ehegatten als Gesamtschuldner durch einen gemäß § 155 Abs. 2 a. F., Abs. 3 n. F. AO 1977 zusammengefaßten Bescheid in Anspruch zu nehmen (Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., § 26 b S. 6 f.; Lademann/Söffing/Brockhoff, Einkommensteuergesetz, § 26 b Rdnrn. 2, 16; Giloy/Grundschock/Kleinsorge/Tullius, Einkommensteuergesetz, § 26 b Anm. 1, 5, 6; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 26 b EStG grüne Blätter; Nissen in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 26b Anm. 7, 8; v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 155 AO 1977 Anm. 28; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 155 AO 1977 Tz. 10; differenzierend Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 4. Aufl., § 26b Anm. 3).

§ 26 b EStG bestimmt, daß bei der Zusammenveranlagung die Einkünfte, die die Ehegatten erzielt haben, zusammengerechnet, den Ehegatten gemeinsam zugerechnet und, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, die Ehegatten sodann gemeinsam als Steuerpflichtige behandelt werden. Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, daß aus den Besteuerungsgrundlagen zweier Personen, nämlich den Einkünften einerseits und den bei diesen Personen zu berücksichtigenden Abzugsbeträgen andererseits, ein einheitlicher Steuerbetrag gebildet werden muß. Sie regelt also, wie die gegen jeden Ehegatten festzusetzende Steuer materiell zu ermitteln ist. Dagegen sagt sie nichts darüber aus, wie diese Steuer verfahrensrechtlich zu erheben ist. Dies ergibt sich vielmehr ausschließlich aus den Vorschriften der AO 1977. Insbesondere lassen sich aus den Begleitumständen der Gesetzesänderung keine Anhaltspunkte dafür herleiten, daß mit der Neufassung des § 26b EStG geänderte Anforderungen an den Inhalt des zu erlassenden Bescheides bezweckt worden seien. In der Einzelbegründung zu Art. 1 § 118 des Entwurfs eines Dritten Steuerreformgesetzes (BT-Drucks. 7/1470 S. 299) heißt es lediglich: "Durch diese Bestimmung wird umschrieben, daß bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten nur ein Gesamtbetrag der Einkünfte, ein Einkommen, ein zu versteuerndes Einkommen und eine Einkommensteuer ermittelt wird." Über die Art der Festsetzung und daraus sich ergebende Abweichungen vom bisherigen Rechtszustand hinsichtlich der Bekanntgabeerfordernisse (vgl. dazu BFH-Urteile vom 13. August 1970 IV 48/65, BFHE 100, 171, BStBl II 1970, 839; vom 16. August 1978 I R 26/78, BFHE 126, 5, BStBl II 1979, 58, und vom 28. Juli 1983 IV R 235/80, BFHE 139, 224, BStBl II 1984, 48) wird dagegen nichts ausgeführt. Dies wäre aber zu erwarten gewesen, wenn der Gesetzgeber hätte anordnen wollen, daß die Steuer bei zusammenveranlagten Ehegatten nur noch in einem gegen beide Ehegatten gerichteten einzigen Bescheid festgesetzt werden dürfe. Es kann dahingestellt bleiben, ob die bei Existenz nur eines Bescheides vom Niedersächsischen FG (Urteil vom 21. April 1981 VII 446/80, EFG 1981, 570) angenommene Vereinfachung des Zustellungsverfahrens tatsächlich Platz greift, oder ob nicht auch ein solcher Bescheid, der seinem Inhalt nach für zwei Personen bestimmt ist, jeder dieser Personen bekanntzugeben ist. Jedenfalls vermag der Senat § 26b EStG die von der Vorinstanz angenommene Verfahrensregelung nicht zu entnehmen.

Da das FG von anderen rechtlichen Überlegungen ausgegangen war, war die Vorentscheidung aufzuheben. Das FG wird nunmehr über die auf entsprechenden Hinweis (§ 76 Abs. 2 FGO) ggf. neu zu formulierenden Anträge der Beteiligten zu befinden haben.