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BFH-Urteil vom 11.7.1985 (II R 106/82) BStBl. 1985 II S. 593

1. Einheitliches Vertragswerk bei Abschluß eines Grundstückskaufvertrages und eines Baubetreuungsvertrages (Anschluß an die BFH-Urteile vom 13. April 1983 II R 53/81, BFHE 138, 476, BStBl II 1983, 606, und vom 4. Mai 1983 II R 6/82, BFHE 138, 480, BStBl II 1983, 609).

2. Verjährung der gemäß § 3 Abs. 4 GrEStWoBauG NW nachzuerhebenden Steuer.

GrEStWoBauG NW § 1 Nr. 4, § 3 Abs. 4; GrEStG NW § 16a.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I. 1. Der Kläger schloß am 11. Mai 1970 mit der X-KG vier Verträge:

a) Einen notariell beurkundeten Vertrag (Vertrag I), wonach er für 38.073 DM ein Grundstück in Nordrhein-Westfalen kaufte. In § 5 des Vertrages heißt es, daß der Käufer beabsichtige, auf dem Grundstück ein Mietwohnhaus zu errichten. Er habe in einem besonderen Vertrag der Verkäuferin den Auftrag erteilt, dieses Bauvorhaben in seinem Namen und für seine Rechnung durchzuführen;

b) einen notariell beurkundeten Vertrag (Vertrag II), wonach u. a. "die Gesamtkosten" für das Grundstück und ein von der X-KG auf dem Grundstück schlüsselfertig zu errichtendes Mietwohnhaus 405.000 DM betragen sollten;

c) einen als Anlage zu dem Vertrag II genommenen privatschriftlichen "Bauherren-Betreuer-Vertrag" (Vertrag III), wonach die X-KG die Errichtung des vorgenannten Mietwohnhauses zu betreuen hatte;

d) einen privatschriftlichen Zusatzvertrag (Vertrag III a) zu dem Vertrag zu III, in welchem einige Vertragsklauseln des formularmäßig abgeschlossenen Vertrages III wieder aufgehoben wurden; insbesondere brauchte die X-KG wegen des vereinbarten Festpreises abweichend von dem Formularvertrag die Kosten des Bauprojektes nicht abzurechnen.

2. Der Kläger beantragte Steuerbefreiung mit der Begründung, er wolle innerhalb von fünf Jahren auf dem gekauften Grundstück ein öffentlich gefördertes oder als steuerbegünstigt anzuerkennendes Wohnhaus errichten. Das beklagte Finanzamt (FA) stellte durch interne Verfügung vom 19. Juni 1970 den Vorgang gemäß § 1 Nr. 1 des Nordrhein-Westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau (GrEStWoBauG) steuerfrei und erteilte am 25. Juni 1970 die Unbedenklichkeitsbescheinigung.

Das Haus wurde am 1. April 1971 bezugsfertig. Der Kläger wurde am 22. Juli 1971 als Eigentümer des Grundstückes im Grundbuch eingetragen.

3. Durch eine Betriebsprüfung bei der X-KG im Jahre 1977 erfuhr das FA von den Verträgen II, III und III a. Es sah in dem gesamten Vertragswerk den Erwerb eines Grundstückes mit schlüsselfertig zu errichtendem Haus. Mit Bescheid vom 25. November 1977 setzte es Grunderwerbsteuer fest.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Die Klage wies das FG ab.

4. Mit der Revision verfolgt der Kläger weiterhin sein Klagebegehren, die Aufhebung des angefochtenen Steuerbescheids.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil läßt keine Verletzung geltenden Rechts erkennen.

1. Der Steueranspruch folgt dem Grunde nach aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes Nordrhein-Westfalen (GrEStG NW).

Steuerbefreiung nach § 1 Nr. 4 GrEStWoBauG kann der Kläger nicht in Anspruch nehmen. Die Verträge I bis III a sind ein einheitliches, auf den Erwerb des Grundstückes mit schlüsselfertigem Gebäude gerichtetes Vertragswerk. Die genannten Verträge sind - wie das FG zu Recht ausgeführt hat - schon dadurch untrennbar miteinander verbunden, daß nur eine einheitliche Gegenleistung vereinbart wurde. Der Vertrag I nennt einen Kaufpreis für das Grundstück in Höhe von 38.073 DM. Jedoch waren nach Feststellung des FG bei Abschluß des Vertrages I mindestens 48.755 DM Kosten für die Rohbauerstellung angefallen. Daß dem Kläger diese Aufwendungen auf das Grundstück unentgeltlich zugute kommen sollten, ist nicht ersichtlich. Sie hätten sich daher auf den Kaufpreis auswirken müssen. Darauf konnten die Vertragspartner nur dann verzichten, wenn alle Verträge eine Einheit bildeten und es deshalb nicht darauf ankam, wie die Gesamtgegenleistung für das schlüsselfertig bebaute Grundstück auf Grund und Boden sowie Gebäude aufgeteilt wurde. Dementsprechend läßt auch die in dem Vertrag II vereinbarte Gegenleistung nicht erkennen, wie sich diese auf den Vertrag I einerseits sowie die übrigen Verträge andererseits verteilt. Die Verträge waren dadurch untrennbar miteinander verknüpft. Ihre ernstlich gewollte Trennung hätte zumindest vorausgesetzt, daß bei Abschluß des Kaufvertrages eine körperliche Bestandsaufnahme der Bausubstanz vorgenommen und der Kaufpreis hierfür ermittelt worden wäre; denn die Baubetreuung konnte erst dort beginnen, wo der Kaufvertrag endete. Darauf hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung zu Fällen der vorliegenden Art schon mehrfach hingewiesen, zuletzt in dem Urteil vom 13. April 1983 II R 53/81 (BFHE 138, 476, BStBl II 1983, 606), in dessen Gründen (unter 1. letzter Absatz) u. a. darauf abgestellt wird, daß die Partner des dort zu beurteilenden Vertragswerkes nicht einmal den Preis für die noch ausstehenden Arbeiten bestimmt hätten. Der Senat verweist ergänzend auf diese Entscheidung und auf das Urteil vom 4. Mai 1983 II R 6/82 (BFHE 138, 480, BStBl II 1983, 609).

Ob und in welchem Umfang Rechnungen der Bauhandwerker auf den Namen des Klägers ausgestellt worden sind, kann offenbleiben. Direkte Beziehungen zwischen dem Kläger und den Bauhandwerkern waren ohne Bedeutung. Denn die Bezahlung der Rechnungen war gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 6 des Vertrages III gerade Aufgabe der X-KG, und zu diesem Zweck hatte sie selbst Anspruch gegen den Kläger auf Zahlung des Festpreises (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Oktober 1982 II R 102/81, BFHE 136, 561, BStBl II 1983, 55).

2. Die Steuer errechnet sich nach einer Gegenleistung von 405.000 DM. Diese 405.000 DM sind der Pauschpreis, auf welchen sich der Kläger mit der X-KG entsprechend dem Vertrag II für Grundstück und Gebäude geeinigt hat.

3. Der Steueranspruch ist nicht verjährt.

a) Der Kläger wurde 1971 nach der Bezugsfertigkeit des Mietwohnhauses als Eigentümer des Grundstückes im Grundbuch eingetragen, so daß zwar die fünfjährige Verjährungsfrist des § 16a Satz 1 GrEStG NW mit Ablauf des Jahres 1976 und daher vor Erlaß des Steuerbescheides am 25. November 1977 abgelaufen wäre. Jedoch war die Verjährung gemäß § 16a Satz 2 i. V. m. § 19 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG NW (i. d. F. vor dem Änderungsgesetz vom 21. Dezember 1976, Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen - GV NW - 1976, 473) hinausgeschoben worden, weil hier die Erhebung der Nachsteuer gemäß § 3 GrEStWoBauG streitig ist.

Der Grundstückserwerb des Klägers war zunächst gemäß § 1 Nr. 1 bzw. Nr. 4 GrEStWoBauG i. S. des § 19 Abs. 3 GrEStG NW materiell vorläufig steuerfrei. Der Kläger hatte erklärt, daß er das Gebäude selbst errichten wolle. Die Steuerpflicht war nachträglich gemäß § 3 GrEStWoBauG im Jahre 1971 entstanden, weil der Kläger die Absicht aufgegeben hatte, das Grundstück dem steuerbegünstigten Zweck zuzuführen (BFH-Entscheidungen vom 5. März 1968 II 165/64, BFHE 92, 43, BStBl II 1968, 416, und vom 10. März 1970 II B 7/70, BFHE 98, 374, BStBl II 1970, 389). Denn mit der bezugsfertigen Errichtung des Gebäudes am 1. April 1971 durch die X-KG hatte der Kläger seine Absicht, das Gebäude selbst (als Bauherr) zu errichten oder wenigstens fertigzustellen, zwangsläufig aufgegeben. Zwar mag es sein, daß nach dem jetzt bekannten Sachverhalt der Kläger schon bei Abschluß der Verträge I bis III a - also von Anfang an - nicht die Absicht hatte, das Gebäude selbst zu errichten bzw. fertigzustellen. Darauf kommt es aber nicht an. Denn die Nacherhebung der Steuer gemäß § 3 GrEStWoBauG ist verfahrensmäßig ein gesonderter Steuerfall. Diese verfahrensmäßige Trennung ist darin begründet, daß die Entscheidung des FA über einen beim Grundstückserwerb gestellten Steuerbefreiungsantrag regelmäßig anhand vorläufiger Erkenntnisse über einen erst künftig zu verwirklichenden Sachverhalt getroffen werden mußte; sie war daher nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes materiell vorläufig und konnte in dieser vorläufigen Eigenschaft durch spätere Ereignisse und Erkenntnisse nicht unrichtig werden. Die endgültige Prüfung sollte nach dem Willen des Gesetzgebers im sogenannten Nacherhebungsverfahren erfolgen, wenn der maßgebende Sachverhalt verwirklicht worden war. Diesem Grundsatz ist der Senat in den Urteilen vom 14. März 1979 II R 97/78 (BFHE 127, 554, BStBl II 1979, 526), vom 4. Mai 1983 II R 6/82 (BFHE 138, 480, BStBl II 1983, 609) und vom 13. Februar 1985 II R 74/82 (BFHE 143, 163, BStBl II 1985, 374) gefolgt. Das Urteil vom 15. Februar 1984 II R 142/81 (BFHE 140, 318, BStBl II 1984, 331) betraf einen Ausnahmefall. Hier war kein künftig zu verwirklichender Sachverhalt zu beurteilen. Vielmehr war unstreitig die Fünfjahresfrist des § 4 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG Hessen schon vor Abschluß des Grundstückskaufvertrages (im Juli 1972) abgelaufen, was dem FA bekannt war; denn die Kläger hatten in dem zugesandten Fragebogen angegeben, das Haus sei im Februar 1964 bezogen worden. Unter diesen besonderen Umständen ging der BFH davon aus, daß hier eine (verfahrensmäßig gesonderte) Nacherhebung der Steuer ausscheide, ein Freistellungsbescheid daher eine endgültige Entscheidung bedeutet hätte und die Erhebung der Steuer gehindert haben würde.

b) In dem Nachversteuerungsverfahren mußte der Kläger durch Vorlage der Verträge II, III und III a gemäß § 19 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG NW das FA informieren, daß der Tatbestand des § 3 Abs. 4 GrEStWoBauG erfüllt war. Diese Verpflichtung zur Information des FA war für den Kläger auch dann erkennbar, wenn er - bzw. sein steuerlicher Berater - das vorstehend dargestellte Verhältnis zwischen materiell vorläufiger und materiell endgültiger Steuerbefreiung nach dem GrEStWoBauG nicht in allen Einzelheiten kannte. Es genügte die - allgemein vorauszusetzende - Erkenntnis des Klägers, daß das FA nur bei Kenntnis des vollständigen Sachverhaltes über die endgültige Steuerbefreiung entscheiden konnte. § 16a Satz 2 GrEStG NW soll verhindern, daß ein Grundstückserwerber, der das FA unvollständig informiert, daraus Vorteile zieht.

Da es hier um die endgültige Steuerbefreiung geht, kommt es nicht darauf an, ob der Kläger die Verträge II, III und III a schon mit dem Antrag auf vorläufige Steuerbefreiung hätte einreichen müssen. Ebensowenig kann sich der Kläger auf das BFH-Urteil vom 4. August 1976 II R 20/71 (BFHE 119, 387, BStBl II 1977, 123) berufen. Diese Entscheidung soll eine unangemessen lange Verjährungsfrist in solchen Fällen verhindern, in denen dem FA ein Sachverhalt so vollständig mitgeteilt wird, daß - ggf. nach weiteren Ermittlungen - die Grunderwerbsteuer festgesetzt werden kann. Dieser Entscheidungsgrundsatz ist nicht anwendbar, wenn es um eine materiell vorläufige Steuerbefreiung geht, bei welcher ein erst künftig zu verwirklichender Sachverhalt und damit nur vorläufige Erkenntnisse die Grundlage für die Entscheidung des FA sind. Die genannte BFH-Entscheidung ist überdies zu einer Rechtslage ergangen, bei welcher noch jede Ermittlungshandlung des FA gemäß § 147 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) in der vor dem 1. Januar 1966 geltenden Fassung eine verjährungsunterbrechende Wirkung hatte. Untätigkeit des FA sollte nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen. Dieser Grundsatz kann dann nicht gelten, wenn das FA nur eingeschränkt tätig werden kann, weil es auf die Beurteilung künftiger Ereignisse angewiesen ist.

c) Der Kläger hat seine Verpflichtung, das FA gemäß § 19 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG NW zu informieren, nicht erfüllt. Nach den Feststellungen des FG hat er "auch anderweitig ... (dem FA) nicht mitgeteilt, daß aufgrund der getroffenen Vereinbarungen mit der X-KG nicht er selbst, sondern die X-KG zur Herstellung des Gebäudes verpflichtet war . . . ". Der Kläger hat also weder durch Vorlage der Verträge II, III und III a noch auf andere Weise dem FA den Inhalt der gesamten vertraglichen Vereinbarungen mitgeteilt.

Richtet sich demnach die Berechnung der Verjährung nach § 16a Satz 2 GrEStG NW, so ist hier die Kenntnisnahme des FA von den Verträgen II, III und III a als spätester Zeitpunkt für die Entstehung der Steuer maßgebend. Von den genannten Verträgen erfuhr das FA durch die Betriebsprüfung im Jahre 1977; die Steuer entstand dagegen bereits im Jahre 1971 (vgl. oben unter 3. a). Demnach begann die Verjährung fünf Jahre nach Ablauf dieses letztgenannten Jahres 1971, also mit Ablauf des Jahres 1976. Sie wäre erst mit Ende des Jahres 1981 abgelaufen (§ 144 Abs. 1 AO, Art. 97 § 10 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -).