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BFH-Urteil vom 6.8.1985 (VII R 189/82) BStBl. 1985 II S. 651

Wird bei der Übereignung eines Unternehmens im Ganzen von dem früheren Betriebsinhaber eine wesentliche Betriebsgrundlage - gleichgültig aus welchen Gründen - zurückbehalten und erst später an den Betriebsübernehmer übereignet, so kommt eine Haftung nach § 116 AO (§ 75 AO 1977) nicht in Betracht.

AO § 116; AO 1977 § 75.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) übernahm im Januar 1973 von seinem Vater das bewegliche - im wesentlichen mehrere Omnibusse umfassende - Betriebsvermögen des von diesem unterhaltenen Omnibusunternehmens. Das Betriebsgrundstück mit den für die Unterstellung der Omnibusse bestimmten Garagen verblieb im Eigentum. des Vaters und seiner Ehefrau. Mit Notarvertrag vom 10. Dezember 1973 übertrugen die Eltern das Betriebsgrundstück - nebst anderem Grundvermögen - auf den Bruder des Klägers. Dieser übereignete das Grundstück zu Anfang des Jahres 1976 auf den Kläger, nachdem dieser die auf demselben hypothekarisch abgesicherten Bankverbindlichkeiten des Vaters in Höhe von 161.469,52 DM gegenüber der kreditgebenden Bank abgelöst hatte.

Der Vater schuldete dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) für das Jahr 1972 bestandskräftig festgesetzte Umsatzsteuer in Höhe von 22.419,70 DM. Da von ihm keine Zahlung zu erlangen war, nahm das FA mit Haftungsbescheid vom 16. Februar 1979 den Kläger in seiner Eigenschaft als Betriebsübernehmer (§ 116 der Reichsabgabenordnung - AO -) in der genannten Höhe zusammen mit seinem Bruder als Gesamtschuldner in Haftung.

Die wegen des Haftungsbescheids vom 16. Februar 1979 mit dem Ziel der Aufhebung nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Es führte aus: Zwar sei das Betriebsgrundstück mit den darauf befindlichen Garagen, das als eine wesentliche Betriebsgrundlage des Omnibusunternehmens anzusehen sei, hier bei Übernahme der Busse vom Januar 1973 im Eigentum der Eltern des Klägers verblieben und - nach zunächst erfolgter Eigentumsüberschreibung an den Bruder - erst Anfang 1976 an den Kläger, nach Ablösung der eingetragenen Bankschulden durch diesen, übereignet worden. Der Kläger habe aber das Grundstück - unabhängig von den zivilrechtlichen Eigentumsverhältnissen - seit Übernahme der Busse für die Zwecke des Unternehmens weiter genutzt. Er sei deshalb als dessen wirtschaftlicher Eigentümer seit Betriebsübernahme anzusehen (§ 6 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -). Dies um so mehr, als nach dem von den Beteiligten wirtschaftlich Gewollten kein vernünftiger Grund bestanden habe, das Grundstück zunächst zurückzubehalten und dann vorübergehend auf den Bruder zu übertragen. Das von den Beteiligten verfolgte Ziel, nämlich die Eigentumsübertragung auf den Kläger nach vorheriger, von ihm vorgenommener Ablösung der eingetragenen Bankschulden, hätte - einfacher und weniger umständlich - auch dann erreicht werden können, wenn der Eigentumswechsel an den Kläger bereits im Januar 1973 unter der Auflage der Ablösung der Bankschulden durch diesen vorgenommen worden wäre.

Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter. Er rügt unrichtige Anwendung des § 116 AO.

Der Anwendung von § 116 AO stehe entgegen, daß der Kläger im Januar 1973 zum einen einen völlig überschuldeten und daher sterbenden Betrieb erworben habe, und zum anderen, daß sich das Betriebsgrundstück, eine notwendige Betriebsgrundlage, noch bis Anfang des Jahres 1976 in fremdem Eigentum (bis Ende 1973 in dem der Eltern, danach in dem des Bruders) befunden habe. Es sei also tatsächlich erst mehr als drei Jahre nach Übernahme des beweglichen Inventars an den Kläger übereignet worden. Diesen Vorgängen sei mit den Hinweisen des FG auf die umständliche und wenig sinnvolle Gestaltung der von den Beteiligten getroffenen Abmachungen und deren eigenwillige Interpretation durch das FG nicht zu begegnen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist in der Sache selbst begründet. Im Gegensatz zur Auffassung des FG fehlt es an den Voraussetzungen des hier noch einschlägigen § 116 AO (vgl. § 11 von Art. 97 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -). Die Übereignung eines Unternehmens bedeutet nach dieser Vorschrift den Übergang des gesamten lebenden Unternehmens, d. h. der durch das Unternehmen repräsentierten organischen Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden Maßnahmen, die dem Unternehmen dienen oder mindestens seine wesentlichen Grundlagen ausmachen, so daß der Erwerber das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen kann. Gehören zu den wesentlichen Grundlagen des Unternehmens des Steuerschuldners in dessen Eigentum stehende bewegliche Sachen oder Grundstücke, so müssen diese zur Erfüllung der haftungsbegründenden Voraussetzungen des § 116 AO nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) an den Erwerber übereignet werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. März 1982 VII R 105/79, BFHE 135, 239, BStBl II 1982, 483). Maßgebender Zeitpunkt für die Frage, ob die wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens auf den Erwerber übergegangen sind, ist derjenige der Übereignung (vgl. auch v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., § 116 AO Tz. 5; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 75 AO 1977 Anm. 3 d S. 186; BFH-Urteil vom 25. November 1965 V 173/63 U, BStBl III 1966, 333).

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall kommt der Senat zu dem Ergebnis, daß bei der Überlassung des Omnibusunternehmens an den Kläger im Januar 1973 nicht alle wesentlichen Grundlagen des Unternehmens des Steuerschuldners, des Vaters, auf den Kläger übertragen worden sind. Zu den wesentlichen Grundlagen dieses Unternehmens gehörte das Betriebsgrundstück nebst den darauf befindlichen Garagen zur Unterstellung der Busse. Das Eigentum am Betriebsgrundstück ist - nach den revisionsrechtlich bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) - im Januar 1973 als dem maßgeblichen Zeitpunkt, nicht auf den Kläger übertragen worden, sondern bei den Eltern verblieben. Damit ist eine der Grundlagen des Omnibusunternehmens - und zwar eine wesentliche - nicht auf den Kläger übergegangen. Schon aus diesem Grunde entfällt eine Anwendung von § 116 AO.

Dieses Ergebnis, das sich aus der Sachlage in dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt ergibt, wird nicht dadurch beeinflußt, daß es dem Kläger von dem jeweiligen Grundstückseigentümer (zunächst seinen Eltern, später - ab Dezember 1973 - seinem Bruder), offenbar rechtlich ungesichert, gestattet war, das Grundstück zunächst so lange für den Omnibusbetrieb zu nutzen, bis unter den Beteiligten eine einvernehmliche Regelung hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse am Betriebsgrundstück und damit erstmals auch hinsichtlich dessen weiterer Nutzung für das Unternehmen getroffen war. Denn diese Regelung ist ausweislich der finanzgerichtlichen Feststellungen erst Anfang 1976 - also über drei Jahre nach Übernahme des beweglichen Inventars - zustande gekommen, und zwar dahin gehend, daß der Kläger das Grundstück gegen Ablösung hypothekarisch gesicherter Bankschulden seines Vaters in Höhe von 161.469,52 DM von seinem Bruder zu Eigentum übernahm. Abgesehen davon, daß der Erwerbsvorgang hinsichtlich des Grundstücks sonach nicht - wie § 116 AO voraussetzt - zwischen dem Kläger und dem früheren Betriebsinhaber (dem Vater), sondern zwischen dem Kläger und einem Dritten (dem Bruder) stattgefunden hat, war der Kläger somit gehalten, den genannten Betrag von 161.469,52 DM aus eigenen Mitteln zu erlegen, um das Eigentum am Betriebsgrundstück - einer, wie ausgeführt, wesentlichen Betriebsgrundlage - zu erlangen. Der Kläger hatte somit erhebliche finanzielle Aufwendungen zu erbringen und auch erbracht, um sich im Jahr 1976 das Eigentum am Betriebsgrundstück von seinem Bruder zu verschaffen und den bis zum Eigentumsübergang für die Betriebsfortführung ungesicherten Rechtszustand zu beenden. Ob und inwieweit unter den Beteiligten möglicherweise eine andere und weniger umständliche Regelung hätte getroffen werden können, und welche Gründe für die hier zu beurteilenden Vorgänge maßgeblich gewesen sind, ist nicht entscheidungserheblich. Für eine Anwendung von § 6 StAnpG (§ 42 der Abgabenordnung - AO 1977 -) ist kein Raum.