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BFH-Urteil vom 17.7.1985 (II R 228/82) BStBl. 1985 II S. 675

Wird ein Bescheid über eine einheitliche Feststellung allen von ihr Betroffenen gegenüber wirksam, werden die Betroffenen, die keinen Einspruch eingelegt haben, aber nicht gemäß § 360 Abs. 3 AO 1977 zum Einspruchsverfahren hinzugezogen und wird ihnen deshalb die Einspruchsentscheidung nicht zugestellt, so sind sie gleichwohl in einem anhängigen Klageverfahren notwendig beizuladen. Die unterlassene notwendige Hinzuziehung zum Einspruchsverfahren berechtigt das FG grundsätzlich nicht, aus diesem Grunde die Einspruchsentscheidung isoliert aufzuheben (Anschluß an BFHE 136, 445, BStBl II 1983, 21).

Das Klageverfahren ist in diesen Fällen auszusetzen, damit das FA die Einspruchsentscheidung den gemäß § 360 Abs. 3 AO 1977 Hinzuzuziehenden nachträglich zustellen kann (Fortentwicklung von BFHE 122, 389, BStBl II 1977, 783 und BFHE 125, 116, BStBl II 1978, 503).

FGO § 44 Abs. 1, § 60 Abs. 3; AO 1977 § 360 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine GmbH, an der drei Gesellschafter zu gleichen Teilen beteiligt sind. Der gemeine Wert der GmbH-Anteile auf den 31. Dezember 1979 ist vom Beklagten (Finanzamt - FA -) auf 39 DM je 100 DM Stammkapital festgestellt worden. Der Bescheid vom 22. Januar 1981 ist der Klägerin und ihren Gesellschaftern bekanntgegeben worden. Den Einspruch der Klägerin hat das FA zurückgewiesen, ohne daß die Gesellschafter zum Einspruchsverfahren hinzugezogen worden sind.

Die Klägerin hat Klage erhoben und beantragt, den gemeinen Wert der Anteile unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung auf null DM festzustellen.

Das Finanzgericht (FG) hat die Einspruchsentscheidung aufgehoben und die Revision zugelassen. Zur Begründung seines Urteils hat es ausgeführt: Die Aufhebung der Einspruchsentscheidung sei deshalb erforderlich, weil das FA durch Unterlassung der Hinzuziehung der Gesellschafter zum Einspruchsverfahren gegen § 360 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) verstoßen habe.

Das FA hat Revision eingelegt und beantragt, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das FG zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

Seine Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Eine (von der Klägerin nicht beantragte) isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung, wie sie das FG für richtig hält, ist im vorliegenden Fall nicht zulässig. Sie wäre auch dann nicht zulässig, wenn sie von der Klägerin beantragt worden wäre (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. August 1982 IV R 185/80, BFHE 136, 445, BStBl II 1983, 21). Insbesondere bedarf es der isolierten Aufhebung der Einspruchsentscheidung nicht, um die erforderliche einheitliche Entscheidung über die Anteilsbewertung (vgl. die Anteilsbewertungsverordnung - AntBewV - i.V.m. § 179 Abs. 2 Satz 2 AO 1977) zu erreichen.

Im vorliegenden Fall ist das FG gemäß § 60 Abs. 3 FGO verpflichtet, die Gesellschafter der Klägerin notwendig beizuladen (vgl. hierzu das BFH-Urteil vom 16. April 1984 III R 96/82, BFHE 141, 209, BStBl II 1984, 670). Durch die notwendige Beiladung wird sichergestellt, daß die Gesellschafter rechtliches Gehör erhalten (§ 96 Abs. 2 FGO) und daß das rechtskräftige Urteil einheitlich wirkt und auch die Gesellschafter bindet (§ 110 Abs. 1 FGO).

Daß die Gesellschafter wegen der unterlassenen notwendigen Hinzuziehung zum Einspruchsverfahren gemäß § 360 Abs. 3 AO 1977 im Einspruchsverfahren nicht gehört worden sind, ist nach der Beiladung zum Klageverfahren unbeachtlich (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 91 AO 1977 Tz. 41; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 91 AO 1977 Tz. 5). § 365 i.V.m. § 126 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 AO 1977 steht dem nicht entgegen. Denn wegen des § 127 AO 1977 wäre die Aufhebung des angefochtenen Feststellungsbescheides nur bei Vorliegen eines materiellen Fehlers möglich. Trotz des § 126 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 kann somit die unterlassene Anhörung der Gesellschafter im Einspruchsverfahren im Klageverfahren noch "geheilt" werden.

2. Nach der notwendigen Beiladung der Gesellschafter kann allerdings noch nicht ohne weiteres über die Klage entschieden werden. Denn die Einspruchsentscheidung ist zwar der Klägerin zugestellt und dadurch für sie der Weg zum FG eröffnet worden (§ 44 Abs. 1 FGO). Es fehlt aber bisher an der einheitlichen Wirkung der Einspruchsentscheidung gegenüber allen am Einspruchsverfahren zu beteiligenden Personen (vgl. § 179 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Diese ist vor allem in den Fällen von besonderer Bedeutung, in denen die Einspruchsentscheidung zu einer Änderung gegenüber dem angefochtenen Bescheid führt.

Ist die notwendige Hinzuziehung zum Einspruchsverfahren unterlassen worden und deshalb die Einspruchsentscheidung den Hinzuzuziehenden nicht zugestellt worden, so hat das FA die einheitliche Wirkung der Einspruchsentscheidung nachträglich dadurch herzustellen, daß es die Einspruchsentscheidung unter Anordnung der Hinzuziehung den notwendig Hinzuzuziehenden noch zustellt. Die notwendig Hinzuzuziehenden erhalten dadurch die Möglichkeit, innerhalb der gegen sie nunmehr laufenden Klagefrist ihrerseits noch Klage zu erheben und dadurch stärkeren Einfluß auf das Klageverfahren zu gewinnen, als sie es als notwendig Beigeladene haben (zu den Unterschieden vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 60 FGO, Tz. 6).

Bis zum Ablauf der für die Gesellschafter geltenden Klagefrist wird das Klageverfahren auszusetzen sein (vgl. hierzu die BFH-Urteile vom 6. Mai 1977 III R 19/75, BFHE 122, 389, BStBl II 1977, 783, und vom 30. März 1978 IV R 72/74, BFHE 125, 116, BStBl II 1978, 503).

3. Eine zur Vorlage an den Großen Senat zwingende Abweichung von der Rechtsprechung anderer Senate liegt nicht vor. Im Ergebnis besteht Übereinstimmung mit dem III. und dem IV. Senat (vgl. die vorgenannten Urteile). In seinem späteren Urteil in BFHE 136, 445, BStBl II 1983, 21 hat sich allerdings der IV. Senat nicht ausdrücklich zu der Frage der nachträglichen Zustellung der Einspruchsentscheidung an die notwendig zum Einspruchsverfahren Hinzuzuziehenden geäußert. Daraus ergibt sich aber nicht, daß der IV. Senat nicht mehr an den Grundsätzen seines Urteils in BFHE 125, 116, BStBl II 1978, 503 festhalten wollte. Er hätte sich sonst mit diesem Urteil auseinandersetzen müssen, das einen jedenfalls im Grundsätzlichen vergleichbaren Fall betraf.