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BFH-Urteil vom 27.9.1985 (III R 68/84) BStBl. 1985 II S. 706

Ein Wohngrundstück kann auch dann als Einfamilienhaus zu bewerten sein, wenn es sich bei der zweiten Wohneinheit um eine Einliegerwohnung i. S. des § 11 des II. WoBauG handelt, die nach dem II. WoBauG als grundsteuerbegünstigt anerkannt ist.

BewG 1965 § 75 Abs. 5 und 6.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) haben ein im Jahre 1978 erworbenes Grundstück in den Jahren 1979 und 1980 bebaut. Das Gebäude wurde in der Baugenehmigung als "Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung" bezeichnet. Die sog. Einliegerwohnung ist als grundsteuerbegünstigt anerkannt. Es handelt sich um ein Reihenhaus, das ein Kellergeschoß, zwei Vollgeschosse, ein Dachgeschoß und einen Speicher umfaßt. Die Wohnfläche beträgt im Erdgeschoß 50,44 qm, im Obergeschoß 49,36 qm und im Dachgeschoß 30,66 qm. Das Gebäude ist nur von der Eingangstüre im Erdgeschoß zu betreten. Von dieser aus gelangt man in einen Windfang, von dem auf der linken Seite ein WC abgetrennt ist. Dieser Vorraum ist gegenüber den dahinter gelegenen Räumen durch eine Tür abgegrenzt. Durch diese betritt man eine Eßdiele, an die sich nach rechts die durch eine Tür abgeschlossene Küche anschließt. Geradeaus erreicht man einen zur Eßdiele hin offenen Raum, in dem links die in die Obergeschosse und in den Keller führende Treppe angebracht ist. Der nach hinten angrenzende Wohnraum war im Zeitpunkt der Inaugenscheinnahme durch das Finanzgericht (FG) von dem Treppenaufgang baulich abgetrennt. Im ersten Obergeschoß liegen drei Räume sowie ein Bad. Im Dachgeschoß befinden sich eine eingerichtete und funktionsfähige Küche mit einer Fläche von 3,29 qm, ein Sanitärraum mit Dusche und WC (3,61 qm) sowie zwei Räume von 15,79 qm und 6,24 qm. Die Räume in den beiden oberen Geschossen sind zum Treppenbereich hin durch Türen abgeschlossen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) stellte auf den 1. Januar 1981 die Grundstücksart Einfamilienhaus fest.

Der Einspruch, mit dem die Kläger die Artfeststellung Zweifamilienhaus begehrten, blieb erfolglos. Auf die Klage hat das FG die Grundstücksart Zweifamilienhaus festgestellt. Die Entscheidung ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 441 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 75 des Bewertungsgesetzes (BewG). Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1. Einfamilienhäuser sind Wohngrundstücke, die nur eine Wohnung (§ 75 Abs. 5 Satz 1 BewG), Zweifamilienhäuser solche, die nur zwei Wohnungen enthalten (§ 75 Abs. 6 Satz 1 BewG). Für die Artfeststellung Einfamilienhaus oder Zweifamilienhaus ist demnach entscheidend, ob das betreffende Wohngrundstück eine oder zwei Wohnungen enthält.

a) Unter einer Wohnung i. S. des § 75 Abs. 5 und 6 BewG ist nach ständiger Rechtsprechung die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, daß in ihnen die Führung eines selbständigen Haushalts möglich ist. Dies erfordert das Vorhandensein bestimmter weiterer Merkmale. Der erkennende Senat hat allerdings - teilweise abweichend von der bisherigen Rechtsprechung - in seiner Entscheidung vom 5. Oktober 1984 III R 192/83 (BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151) einzelne Merkmale des bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriffs, jedenfalls für die Bewertungsstichtage ab 1. Januar 1974, enger gefaßt. Danach ist für die Beurteilung der Frage, ob Räumlichkeiten den bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriff erfüllen, u. a. wesentlich, daß die Räume eine von anderen Wohnungen und Wohnräumen eindeutig baulich getrennte, in sich abgeschlossene Einheit darstellen. Sie müssen einen eigenen Zugang aufweisen.

b) Das Wohngrundstück der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Die Räume des Dachgeschosses, die nach Auffassung der Kläger eine eigenständige zweite Wohnung darstellen, bilden keine baulich getrennte, gegenüber den übrigen Wohnräumen abgeschlossene Einheit. Im Streitfall eröffnet die Treppe, die auch die Räume im Dachgeschoß erschließt, einen freien Zugang zu allen Wohnräumen der Hauptwohnung. Bei dieser Sachlage ist es nicht möglich, die einzelnen Wohnräume zwei selbständigen Wohnungen zuzuordnen. Darüber hinaus fehlt es den Räumen im Dachgeschoß an dem erforderlichen eigenen Zugang.

2. Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des FG kann aus der baurechtlichen Genehmigung der "Einliegerwohnung" und deren wohnungsbaurechtlicher Behandlung für den bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriff nichts hergeleitet werden. Die baurechtliche Genehmigung als bauordnungsrechtliche Überprüfung der architektonischen Zielsetzung enthält keine Prüfung, ob das bewertungsrechtliche Merkmal "abgeschlossene räumliche Einheit" erfüllt ist; sie kann damit keine Bindungswirkung für die bewertungsrechtliche Beurteilung entfalten. Auch die Begriffsbestimmung der Einliegerwohnung im Wohnungsbaurecht (vgl. §§ 11, 40 Abs. 2 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes - II. WoBauG - in der Fassung vom 30. Juli 1980, BGBl I 1980, 1085, BStBl I 1980, 482, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 21. Juli 1982, BGBl I 1982, 969, BStBl I 1982, 638) kann der bewertungsrechtlichen Auslegung des Wohnungsbegriffs nicht zugrunde gelegt werden. Gemäß § 11 des II. WoBauG ist eine Einliegerwohnung eine abgeschlossene oder nichtabgeschlossene Wohnung, die gegenüber einer Hauptwohnung von untergeordneter Bedeutung ist. Zwar verwendet auch § 75 Abs. 5 Satz 3 BewG den Begriff der Wohnung von untergeordneter Bedeutung. Dieser Begriff ist jedoch nicht mit dem umfassenderen wohnungsbaurechtlichen Begriff der Einliegerwohnung gleichzusetzen. Die Bestimmungen des II. WoBauG können nur Anhaltspunkte für die Beurteilung abgeben, und zwar insbesondere deshalb, weil der Wohnungsbegriff des II. WoBauG von anderen gesetzgeberischen Zielvorstellungen ausgeht. Im übrigen würde das Begehren der Kläger nach einer gleichartigen Behandlung eines gleichen konkreten Sachverhalts durch die Behörden dazu führen, daß die zuerst entscheidende Behörde die nächste bindet, ohne daß es auf den Regelungszusammenhang ankäme. Dies ist jedoch auch nicht durch Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geboten (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 7. Oktober 1980 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55, 72, 89).

In seinem Urteil vom 8. Februar 1985 III R 62/84 (BFHE 142, 567, BStBl II 1985, 319) hat der erkennende Senat bereits darauf hingewiesen, daß es ihm verwehrt ist, Billigkeitserwägungen zu berücksichtigen, sofern diese nicht Gegenstand des Klageverfahrens waren. Daran hat sich auch dadurch nichts geändert, daß die obersten Finanzbehörden der Länder durch gleichlautende Erlasse vom 15. Mai 1985 (BStBl I 1985, 201) zwischenzeitlich eine Regelung darüber getroffen haben, ab welchem Zeitpunkt die neue Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum Wohnungsbegriff anzuwenden ist.

3. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage war nach den vorstehenden Ausführungen abzuweisen.