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BFH-Urteil vom 18.9.1985 (II R 131/83) BStBl. 1985 II S. 713

Im förmlichen Umlegungsverfahren können nur insoweit Grundstücke steuerfrei erworben werden, als der Erwerber seinerseits wertgleichen oder gleichgroßen Grundbesitz in die Umlegungsmasse eingebracht hat.

GrEStBBauG ND § 1 Abs. 1 Nr. 5; BBauG §§ 45 ff.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Streitig ist, ob die Klägerin in zwei Fällen Grundstücke steuerfrei gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 des Niedersächsischen Gesetzes über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer bei Erwerbsvorgängen aus dem Bereich des Bundesbaugesetzes (GrEStBBauG) erworben hat. Die Grundstücke liegen in einem Gebiet, für das der Umlegungsausschuß der Stadt A wegen des noch zu erstellenden Bebauungsplanes Nr. 65 a am 22. März 1973 das Umlegungsverfahren eingeleitet hatte. Der Bebauungsplan wurde am 1. Mai 1979 rechtsverbindlich.

1. Mit Vertrag vom 2. Oktober 1972 hatte die Klägerin die in dem vorgenannten Umlegungsgebiet gelegenen Grundstücke B-Straße 81 und 83 (Flur 22, Flurstücke 7/1, 7/2 und 8) gekauft. Eine Auflassungsvormerkung wurde im Grundbuch eingetragen. Die Auflassung wurde jedoch erst am 1. August 1975 erklärt.

2. Später erwarb die Klägerin weitere Grundstücke. Die Besteuerung dieser nachfolgend genannten Erwerbsvorgänge ist hier streitig.

a) Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 10. September 1973 kaufte die Klägerin das in dem vorgenannten Umlegungsgebiet gelegene Grundstück B-Straße 77 (Flur 22, Flurstück 10) für 525.200 DM (Erwerbsvorgang I). Die Auflassung wurde erklärt.

Der Umlegungsausschuß der Stadt A versicherte dem beklagten Finanzamt (FA) am 17. Dezember 1973, daß der Grundstückserwerb der Vermeidung einer Umlegung diene.

b) Am 4. Dezember 1973 erklärte die Klägerin durch von ihr bevollmächtigte Personen in einer "Verhandlung" (Aktenzeichen 65 a/H 50/73) vor einem Beamten der Geschäftsstelle (als "Verhandlungsleiter") des Umlegungsausschusses der Stadt A:

Sie (die Klägerin) sei Eigentümerin der Grundstücke Flur 22, Flurstücke 7/1, 7/2, 8 und 10. Dieser Besitz liege im Bereich des Bebauungsplanes Nr. 65 a; für dieses Gebiet sei das Umlegungsverfahren eingeleitet. Die Klägerin wolle dieses Gebiet nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes bebauen. Aus diesem Grunde sei sie (die Klägerin) bereit, "eine Mehrabfindung von 1.125 qm mit dem Flurstück 4, Flur 22, und einem Verrechnungswert von 585.000 DM anzunehmen".

Die Bevollmächtigten erklärten im Namen der Klägerin: "Wir sind unwiderruflich bereit, zu dem vorstehend näher beschriebenen Einwurfbesitz als weitere Abfindung das Flurstück 4, Flur 22, B-Straße 89 in Größe von 1.125 qm anzunehmen. Uns ist bekannt, daß bei Annahme dieser Mehrabfindung eine Geldentschädigung in Höhe von 585.000 DM . . . zu zahlen ist . . .

Unter Bezugnahme auf § 76 BBauG beantragen wir, der Umlegungsausschuß wolle die Abfindungsverhältnisse nach den §§ 58, 59, 61 und 64 BBauG vor Aufstellung des Umlegungsplanes durch Beschluß regeln . . .".

Am 13. Dezember 1973 faßte der Umlegungsausschuß der Stadt A nach dem Protokoll über diese Sitzung folgenden Beschluß: "Im Bereich der Umlegung Nr. 65 a wird die Abfindung für die (Klägerin) ... gemäß § 76 BBauG nach Maßgabe der Verhandlung vom 4.12.1973 Az.: 50/73 geregelt" (Erwerbsvorgang II).

3. Das FA setzte für die Erwerbsvorgänge I und II in zwei getrennten Steuerbescheiden Grunderwerbsteuer fest, berechnet nach den Gegenleistungen von 525.200 DM (Steuer 36.764 DM) und 585.000 DM (Steuer 40.950 DM). Die Anträge auf Steuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 GrEStBBauG lehnte es ab. Die Klägerin habe zur Zeit der Erwerbsvorgänge I und II (im Jahre 1973) keinen Anspruch auf Zuteilung eines Grundstückes in dem betreffenden Umlegungsverfahren gemäß § 59 des Bundesbaugesetzes (BBauG) gehabt; denn die Auflassung der am 2. Oktober 1972 erworbenen Grundstücke (vgl. I. 1. der Gründe dieses Urteils) sei unstreitig erst am 1. August 1975 erfolgt.

Die Einsprüche hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen die beiden Steuerbescheide ab.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin weiterhin ihr Klageziel.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

1. a) Der Erwerbsvorgang I unterliegt der Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG).

b) Die Steuerpflicht des Erwerbsvorganges II folgt aus § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG i. V. m. §§ 76 und 74 Abs. 1 BBauG.

2. Steuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 GrEStBBauG kann die Klägerin für beide Erwerbe nicht in Anspruch nehmen.

a) Der Erwerbsvorgang I diente nicht im Sinne der genannten Vorschrift der Vermeidung einer Umlegung. Es kann offenbleiben, ob die Klägerin aufgrund des Kaufvertrages vom 2. Oktober 1972 (s. oben I. 1.) Beteiligte des Umlegungsverfahrens gemäß § 48 BBauG war und nach § 59 dieses Gesetzes Anspruch auf Zuteilung eines Grundstückes hatte. Die Steuerbefreiung scheitert schon daran, daß die Klägerin durch den Erwerbsvorgang I nur ein Grundstück gekauft, nicht aber dieses gegen anderen (eigenen) Grundbesitz eingetauscht hat. Ein Umlegungsverfahren hat gemäß § 45 Abs. 1 BBauG die Neuordnung von Grundstücken zum Ziel und ist daher ein gesetzlich geregeltes Grundstücksaustauschverfahren (vgl. z. B. die Kommentare zum Bundesbaugesetz von Brügelmann, § 45 Anm. 1 a, aa, und Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 45 Rdnr. 3). Demzufolge kann auch nur derjenige Vertrag i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 5 GrEStBBauG "zur Vermeidung" einer Umlegung abgeschlossen sein, der einen Grundstücksaustausch zum Inhalt hat (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. März 1977 II R 142/73, BFHE 121, 547, BStBl II 1977, 487). Ein bloßer Grundstückskaufvertrag, wie ihn die Klägerin abgeschlossen hat, vermeidet keine Umlegung; für diesen Erwerb wäre ein Umlegungsverfahren nicht notwendig.

Die Bescheinigung des Umlegungsausschusses vom 17. Dezember 1973 hat keine bindende Wirkung, soweit es um die grunderwerbsteuerrechtliche Beurteilung des Vorganges geht. Die Prüfung spezifisch grunderwerbsteuerrechtlicher Fragen bleibt dem FA und dem FG vorbehalten (vgl. das BFH-Urteil vom 23. Juni 1977 II R 125/76, BFHE 123, 57, BStBl II 1977, 779, letzter Satz des drittletzten Absatzes der Gründe).

b) Der Erwerbsvorgang II geschah zwar in einem förmlichen Umlegungsverfahren und daher "in Durchführung ... einer Umlegung", wie es § 1 Abs. 1 Nr. 5 GrEStBBauG fordert. Jedoch gewährt diese Vorschrift keine unbeschränkte Vergünstigung dergestalt, daß jemand in einem Umlegungsverfahren beliebig viel Grundbesitz steuerfrei ohne Rücksicht darauf erwerben kann, welche Grundfläche er seinerseits in die Umlegungsmasse eingebracht hat (§ 55 Abs. 1 BBauG). Vielmehr ist die Steuerbefreiung ihrem Umfang nach auf den Erwerb solchen Grundbesitzes beschränkt, der wertmäßig oder flächenmäßig (§ 56 BBauG) den in die Verteilungsmasse eingebrachten Grundstücken entspricht. lst die Umlegung ein - wie bereits ausgeführt - gesetzlich geregelter Grundstücksaustausch, so besteht kein Anlaß, die Steuerbefreiung des § 1 Abs. 1 Nr. 5 GrEStBBauG über den Rahmen des reinen Austausches - d. h. des Eigentümerwechsels gleichwertiger Grundstücke - hinaus auszudehnen. Denn ihren Sinn und Zweck leitet die genannte Vorschrift erkennbar nur daraus her, daß der Erwerber eines Grundstückes aus der Verteilungsmasse nicht mit Grunderwerbsteuer belastet werden soll, soweit er seinerseits in die Umlegungsmasse gleichwertigen oder gleichgroßen Grundbesitz eingebracht hat. Dagegen gibt sie keine Rechtfertigung, den über dieses Maß hinausgehenden Grundstückserwerb - also eine sog. Mehrabfindung - zu befreien.

Dementsprechend kann auch die Klägerin für den Erwerbsvorgang II keine Steuerbefreiung beanspruchen. Sie hat durch diesen Vorgang zu ihrem eingebrachten Grundbesitz Grundstücke hinzuerworben, ohne daß sie als Ausgleich dafür anderen Grundbesitz hergegeben hätte. Denn die Grundstücke, welche sie mit dem Vertrag vom 2. Oktober 1972 erworben hatte, hat sie ebenfalls behalten. Nach ihrem Vortrag in der Revisionsinstanz hatte das Umlegungsverfahren überhaupt nur den Zweck, sämtliche Grundstücke der Umlegungsmasse ihr (der Klägerin) zuzuteilen.