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BFH-Urteil vom 17.10.1985 (IV R 187/83) BStBl. 1986 II S. 39

Zur Auslegung einer Mitteilung des FA über den Beginn der Buchführungspflicht eines Landwirts.

AO 1977 § 141 Abs. 1 Nr. 3.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Landwirt. Mit Verfügung vom 6. Mai 1981, dem Kläger zugestellt am 8. Mai 1981, teilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) dem Kläger folgendes mit: "Nach meinen Feststellungen beträgt der Wirtschaftswert (§ 46 des Bewertungsgesetzes) Ihrer bewirtschafteten land- und forstwirtschaftlichen Flächen mehr als 40.000 DM (siehe umseitige Berechnung). Sie sind deshalb nach § 141 Abs. 1 Nr. 3 AO verpflichtet, ab 1. Juli 1979 für den o. b. Betrieb Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen."

Die Verfügung war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Der Kläger legte keinen Rechtsbehelf ein.

Erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist beantragte der Kläger, die Nichtigkeit der Verfügung vom 6. Mai 1981 festzustellen, da die Erfüllung der darin enthaltenen Aufforderung, bereits ab 1. Juli 1979 Bücher zu führen, aus tatsächlichen Gründen unmöglich sei.

Diesem Antrag gab das FA mit Verfügung vom 4. März 1982 teilweise statt. Das FA stellte fest, daß die Aufforderung zur Buchführung hinsichtlich der Wirtschaftsjahre 1979/80 und 1980/81 nichtig sei; für die Zukunft, d. h. ab 1. Juli 1981, sei der Verwaltungsakt jedoch uneingeschränkt zu befolgen. Die Teilnichtigkeit bewirke nicht die Nichtigkeit des gesamten Verwaltungsaktes.

Die Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion (OFD) zurück.

Auch die Klage hatte keinen Erfolg.

Mit der Revision beantragt der Kläger sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und festzustellen, daß die Verfügung des FA vom 6. Mai 1981 insgesamt nichtig ist. Der Kläger rügt Verletzung der §§ 119, 125 und 141 der Abgabenordnung (AO 1977).

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Zutreffend hat das Finanzgericht (FG) entschieden, daß die Verfügung vom 6. Mai 1981 nicht deshalb insgesamt nichtig ist, weil darin ausgesprochen ist, daß der Kläger ab 1. Juli 1979 buchführungspflichtig sei; die Verfügung ist vielmehr dahin zu verstehen, daß der Kläger verpflichtet ist, ab 1. Juli 1981 Bücher zu führen; mit diesem Inhalt ist die Verfügung rechtswirksam.

1. Gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sind Land- und Forstwirte, deren Umsatz, Gewinn oder Betriebsvermögen nach den Feststellungen der Finanzbehörden für den einzelnen Betrieb bestimmte Grenzen überschreitet, verpflichtet, für diesen Betrieb Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen. Gemäß § 141 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 ist die Verpflichtung nach § 141 Abs. 1 AO 1977 "vom Beginn des Wirtschaftsjahres an zu erfüllen, das auf die Bekanntgabe der Mitteilung folgt, durch die die Finanzbehörde auf den Beginn dieser Verpflichtung hingewiesen hat".

Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist die Mitteilung des FA über den Beginn der Buchführungspflicht nach § 141 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 "der entscheidende rechtsgestaltende Verwaltungsakt..., der den Beginn der Buchführungspflicht konstitutiv auslöst" (z. B. Urteil vom 23. Juni 1983 IV R 3/82, BFHE 138, 521, BStBl II 1983, 768, m. w. N.; Leingärtner/Zaisch, Die Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirtschaft, Rdnr. 435).

2. Der Senat unterstellt zugunsten der Revision, daß zu den wesentlichen Bestandteilen, also zum Regelungsinhalt des rechtsgestaltenden Verwaltungsaktes "Mitteilung des FA über den Beginn der Buchführungspflicht" grundsätzlich auch die Angabe des Datums, insbesondere aber des Wirtschaftsjahres (Bilanzstichtag) gehört, von dem ab Bücher zu führen sind (vgl. Leingärtner/Zaisch, a. a. O., Rdnr. 439). Für diese Auffassung spricht immerhin, daß der in Buchführungsfragen unerfahrene Landwirt seitens des FA Aufklärung darüber erhalten soll, ob für ihn das im Gesetz als Regelfall vorgesehene Wirtschaftsjahr 1. Juli bis 30. Juni oder ausnahmsweise ein anderer Zeitraum maßgeblich ist (vgl. § 4a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -; § 8 c der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV -).

Daraus folgt aber nicht, daß eine Verfügung, die vom FA erkennbar am 6. Mai 1981 erlassen und dem Landwirt am 8. Mai 1981 bekanntgegeben wurde, insgesamt nichtig und damit ohne jede rechtliche Wirkung ist, wenn darin ausgesprochen ist, der Landwirt sei verpflichtet, ab 1. Juli "1979", also ab einem nahezu zwei Jahre zurückliegenden Zeitpunkt, Bücher zu führen (so offenbar Leingärtner/Zaisch, a. a. O., Rdnr. 440). Zwar ist ein Verwaltungsakt, "den aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann", naturgemäß nichtig (vgl. § 125 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977). Auch kann zugunsten der Revision ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß eine Anordnung, bereits ab einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt seien Bücher zu führen, insoweit "aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann" (vgl. auch Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 26. Juni 1985 IV a ZR 221/83, noch nicht veröffentlicht). Welchen Regelungsinhalt ein Verwaltungsakt hat, insbesondere, ob der Regelungsinhalt ausschließlich in einer Anordnung besteht, die aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann und die deshalb nichtig ist, muß aber erforderlichenfalls im Wege der Auslegung ermittelt werden, weil ein Verwaltungsakt eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung ist, deren Inhalt sich - wie der jeder Willenserklärung - nicht allein nach dem "buchstäblichen Sinn des Ausdrucks" (vgl. § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) bestimmt. Bei dieser Auslegung ist entscheidend, wie der Betroffene nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. August 1981 VII B 3/81, BFHE 134, 97, 100, BStBl II 1982, 34; BFH-Urteil vom 26. August 1982 IV R 31/82, BFHE 136, 351, 354, BStBl II 1983, 23). Auch ist zu berücksichtigen, welchen Sinn und Zweck eine gesetzliche Regelung hat, die den Erlaß eines bestimmten Verwaltungsaktes vorsieht, und ob und in welchem Umfang diesem Sinn und Zweck im Einzelfalle durch den konkret vorliegenden Verwaltungsakt genügt ist.

3. Die in § 141 Abs. 2 AO 1977 vorgesehene Mitteilung dient der Rücksichtnahme auf die Unerfahrenheit bisher nicht buchführungspflichtiger Steuerpflichtiger, insbesondere Land- und Forstwirte; diesen soll Gelegenheit gegeben werden, sich für die Zukunft innerhalb angemessener Frist auf die Buchführungspflicht einzustellen, entsprechende Vorkehrungen zu treffen und gegebenenfalls rechtzeitig gemäß § 148 AO 1977 Buchführungserleichterungen zu beantragen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 141 AO 1977 Rdnr. 21, m. w. N.). Soweit davon auszugehen ist, daß zum Regelungsinhalt der Mitteilung die Angabe des Datums gehört, von dem ab Bücher zu führen sind, hat dies primär den Sinn, dem Landwirt Aufklärung darüber zu geben, ob für ihn das im Gesetz als Regelfall vorgesehene Wirtschaftsjahr 1. Juli bis 30. Juni oder ausnahmsweise ein anderer Zeitraum maßgeblich ist (s. oben zu Nr. 2), und dem Landwirt hinreichend Zeit zu bieten, sich auf die Buchführungspflicht einzurichten.

Im Streitfall konnte der Kläger aus der in der Verfügung vom 6. Mai 1981 enthaltenen Angabe "ab 1. Juli ..." jedenfalls ohne weiteres ersehen, daß er seiner Buchführung und seinen jährlichen Abschlüssen ein am 1. Juli beginnendes Wirtschaftsjahr und damit das im Gesetz für den Regelfall vorgesehene Wirtschaftsjahr 1. Juli bis 30. Juni zugrunde zu legen hat. Wie das FG zutreffend entschieden hat, konnte und mußte der Kläger bei verständiger und unbefangener Würdigung der Verfügung vom 6. Mai 1981 diese aber auch dahin verstehen, daß das FA von ihm nicht mehr und nicht weniger verlangen wollte, als ihm billigerweise zugemutet werden kann, und daß demgemäß die Angabe eines in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkts als maßgeblich für den Beginn der Buchführungspflicht auf einem Irrtum beruhen muß und für die Vergangenheit keine rechtlichen Wirkungen entfalten kann. Darüber hinaus sind jedoch keine besonderen Umstände ersichtlich, die ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers darauf begründen könnten, nur deshalb, weil das FA für den Beginn der Buchführungspflicht irrtümlich einen in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt (1. Juli "1979") angegeben hat und weil insoweit eine Buchführungsverpflichtung nicht erfüllbar erscheint, bestünde auch für die erst angemessene Zeit nach Zugang der Mitteilung beginnenden Wirtschaftsjahre, d. h. konkret für das am 1. Juli 1981 beginnende Wirtschaftsjahr und die folgenden Wirtschaftsjahre, keine Buchführungspflicht, sofern das FA nicht erneut auf den Beginn der Buchführungspflicht zu einem dann erst in Zukunft liegenden Zeitpunkt hinweist.