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BFH-Urteil vom 24.7.1985 (II R 147/77) BStBl. 1986 II S. 44

1. Zur Feststellung, ob eine tatsächlich vereinbarte Miete für gewerblich genutzte Räume um mehr als 20 v. H. von der üblichen Miete abweicht, ist es grundsätzlich erforderlich, eine Vergleichsmöglichkeit anhand von Mietspiegeln zu schaffen.

2. Als Vergleichsobjekte können dabei vermietete Grundstücke herangezogen werden, die nur jeweils eine der zu vergleichenden Nutzungsarten aufweisen.

3. Bei gemischtgenutzten Grundstücken ist das Sachwertverfahren auch dann anzuwenden, wenn eine Jahresrohmiete zwar ermittelt, aber eine übliche Miete nicht geschätzt werden kann, weil es nicht möglich ist, einen Mietspiegel zu schaffen.

BewG 1965 § 76 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2, § 79 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Eigentümerin eines gemischtgenutzten Grundstücks. Das stark verwinkelte und ineinander verschachtelt bebaute Grundstück gliedert sich nach dem Lageplan in eine größere Anzahl von einzelnen Gebäuden und Anbauten unterschiedlicher Baujahre, Bauart, Bauausführungen und Verwendungszwecke. Das 1956 errichtete sog. Vorderhaus weist eine bebaute Fläche von 228 qm auf. In ihm befinden sich Laden, Büro, Werkstatt sowie Wohnräume, die vom Vater der Klägerin bewohnt wurden. Im sog. Hinterhaus mit einer Fläche von 837 qm befinden sich Werkstatt, Lagerhalle und Abstellräume sowie Wohnräume, welche zum Hauptfeststellungszeitpunkt fremdvermietet waren. Die Baujahre für Gebäude und Gebäudeteile umfassen hier einen Zeitraum von 1870 bis 1947. Die gewerblichen Räume sowohl des Vorderhauses als auch des Hinterhauses waren zum 1. Januar 1964 - Hauptfeststellungszeitpunkt - einem Autohaus für jährlich ... DM vermietet. Ein schriftlicher Mietvertrag war nicht abgeschlossen worden.

Die Klägerin reichte in ihrer Erklärung zur Hauptfeststellung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1964 eine Grundstücksbeschreibung zur Bewertung im Ertragswertverfahren ein. Aufforderungen des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA - ), eine solche zur Bewertung im Sachwertverfahren abzugeben, kam sie nicht nach.

Das FA stellte daraufhin den Einheitswert auf den 1. Januar 1964 im Schätzungsweg unter Anwendung des Sachwertverfahrens fest.

Der Einspruch war erfolglos.

Die Klage hatte überwiegend Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) stellte den Einheitswert für das streitbefangene Grundstück auf den 1. Januar 1964 unter Anwendung des Ertragswertverfahrens fest. Es war der Auffassung, der Anwendung des Sachwertverfahrens stehe § 76 Abs. 3 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes - BewG - (2. Alternative) entgegen. Der Streitfall betreffe ein gemischtgenutztes Grundstück. Für diese Grundstücksart komme nur dann eine Bewertung im Sachwertverfahren in Frage, wenn im Einzelfall weder eine Jahresrohmiete ermittelt noch die übliche Miete nach § 79 Abs. 2 BewG geschätzt werden könne. Im Streitfall könne jedoch für den ganz überwiegenden Teil die tatsächliche Jahresrohmiete ermittelt und für die vom Vater der Klägerin bewohnten Räume die übliche Miete geschätzt werden (§ 79 Abs. 1 und 2 BewG). Daran ändere auch der Umstand nichts, daß für die sog. Lagerhalle und den sog. Holztrockenraum ein Vervielfältiger nicht zur Verfügung stehe.

Mit der Revision wendet sich das FA gegen die Anwendung des Ertragswertverfahrens. Es ist der Auffassung, der Ansatz einer tatsächlichen Miete als Jahresrohmiete setze voraus, daß diese anhand der üblichen Miete überprüft werden könne (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH vom 13. Dezember 1974 III R 82/73, BFHE 114, 264, BStBl II 1975, 191). Im Streitfall scheitere dies für die gewerblich genutzten Räume daran, daß nach Lage, Art und Ausstattung vergleichbare vermietete Objekte nicht oder nicht in hinreichender Zahl vorhanden seien oder daß die Art der Bebauung - Verschachtelung des Gebäudekomplexes - einem Vergleich entgegenstehe. Das FG habe die übliche Miete nur für die an den Vater der Klägerin entgeltlich überlassene Wohnung ermittelt; bei den fremdvermieteten Wohnungen habe es sich auf den Standpunkt stellen können, das FA hätte eine von der tatsächlichen Miete abweichende übliche Miete vorgetragen, wenn dafür ein Anlaß bestanden hätte. Hinsichtlich der üblichen Miete für die gewerblich genutzten Räume hätte das FG jedoch nicht so verfahren dürfen, sondern darlegen müssen, auf welchen Tatsachen seine Wertung für die Anwendung des Ertragswertverfahrens beruhe, obwohl das FA vorgetragen habe, eine übliche Miete für das Streitobjekt insoweit nicht ermitteln zu können. Dies wirke sich auch letztlich auf die Aufteilung der Mieten auf die einzelnen Gebäudeteile aus.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

1. Nach § 76 Abs. 1 Nr. 3 BewG sind gemischtgenutzte Grundstücke grundsätzlich nach dem Ertragswertverfahren zu bewerten. Das Sachwertverfahren kommt gemäß § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG nur zur Anwendung, wenn in Einzelfällen weder eine Jahresrohmiete ermittelt noch die übliche Miete nach § 79 Abs. 2 BewG geschätzt werden kann. Die für die Bewertung maßgebende Jahresrohmiete ist grundsätzlich das Gesamtentgelt, das die Mieter (Pächter) für die Benutzung des Grundstücks aufgrund vertraglicher Vereinbarung nach dem Stand im Feststellungszeitpunkt für ein Jahr zu entrichten haben (§ 79 Abs. 1 Satz 1 BewG). Nach den unangefochtenen Feststellungen des FG hatte die Klägerin zum maßgebenden Feststellungszeitpunkt die gewerblich genutzten Räume für jährlich ... DM an ein Autohaus ohne schriftlichen Mietvertrag vermietet. Zu Recht hält das FG die mangelnde Schriftform für unerheblich. Gemäß § 79 Abs. 1 BewG ist von der vertraglich vereinbarten Miete auszugehen; es genügt demnach, daß ein wirksamer mündlicher Vertrag geschlossen ist, der seinen Ausdruck in der tatsächlichen Mietzahlung findet (vgl. auch § 566 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Der Senat folgt der Vorinstanz auch insoweit, daß die Regelung in § 76 Abs. 3 Nr. 3 BewG (2. Alternative) auf Ausnahmefälle zu beschränken ist. Er teilt jedoch nicht deren Auffassung, das Fehlen der im Streitfall lediglich Kontrollzwecken dienenden Größe "übliche Miete" rechtfertige die Anwendung der Ausnahmeregelung nicht. Wie der BFH in seiner Entscheidung in BFHE 114, 264, 267, BStBl II 1975, 191 ausgeführt hat, ist es zur Feststellung, ob eine tatsächlich vereinbarte Miete - wie im Streitfall - um mehr als 20 v. H. von der üblichen Miete abweicht, erforderlich, eine Vergleichsmöglichkeit zu schaffen. Der BFH hat in dieser Entscheidung die Notwendigkeit eines Vergleichs zwischen tatsächlich entrichteter üblicher Miete hervorgehoben, um auszuschließen, daß jede beliebig vereinbarte Miete als Bewertungsgrundlage herangezogen werden müßte. Er betonte, daß diese Grundsätze nicht nur dann gelten, wenn eigengenutzter Wohnraum zu bewerten ist, für den überhaupt keine Miete vorliegt, so daß zwangsläufig auf einem sachgerechten Weg eine Mietschätzung durchgeführt werden muß.

Dies entspricht dem Sinn des Wertermittlungsverfahrens, wonach die Höhe des Einheitswerts als eines objektiven Werts nicht davon abhängen kann, ob der Eigentümer Räume vermietet, eigennutzt, zu vorübergehendem Gebrauch oder unentgeltlich überlassen hat oder ungenutzt läßt (vgl. BFH-Urteil vom 10. August 1984 III R 41/75, BFHE 142, 289, BStBl II 1985, 36, m. w. N.).

2. Nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG ist zur Schätzung der üblichen Miete grundsätzlich von vermieteten Vergleichsobjekten auszugehen. Dies setzt voraus, daß vermietete Objekte vorhanden sind, die nach Art, Lage und Ausstattung vergleichbar sind. Es kommen nur innerhalb derselben Region belegene Objekte in Betracht (vgl. Urteil in BFHE 142, 289, BStBl II 1985, 36, m. w. N.). Der Hinweis des FG, im Streitfall seien keinerlei Gesichtspunkte ersichtlich oder vorgetragen, das Grundstück sei unter der erzielbaren und daher in der Gegend üblichen Miete überlassen worden, genügt diesen Erfordernissen nicht. Vielmehr hätte - wie die Revision zu Recht ausführt - das FG dem Vorbringen des FA nachgehen müssen, vergleichbare Objekte stünden nicht zur Verfügung, und ggf. auf eine entsprechende Ergänzung des Mietspiegels für gewerblich genutzte Räume unter Berücksichtigung der Grundstücksart, Lage, Baujahrgruppe und Ausstattung hinwirken müssen (vgl. BFH-Urteil vom 10. August 1984 III R 18/76, BFHE 142, 297, BStBl II 1985, 200).

3. Da das gemischtgenutzte Grundstück der Klägerin nicht zu einer "Gruppe von Geschäftsgrundstücken" im Sinn von § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG (1. Alternative) gehört, ist die Schätzung der üblichen Miete entgegen der Auffassung des FA nicht nur über den Mietvergleich mit sog. Gruppengrundstücken durchzuführen. Dies widerspräche § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG (vgl. oben 2.). Aus der Entscheidung des BFH vom 7. November 1975 III R 120/74, BFHE 118, 59, BStBl II 1976, 277, die zu § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG (1. Alternative) ergangen ist, läßt sich für diese Auffassung des FA nichts herleiten. Vielmehr läßt es § 79 Abs. 2 BewG zu, daß die Mieten für die jeweilige Nutzungsart (Wohnzwecke, gewerbliche Zwecke) auch anhand vermieteter Grundstücke geschätzt werden können, die nur jeweils eine der zu vergleichenden Nutzungsarten aufweisen (BFH-Urteil vom 23. September 1977 III R 121/74, BFHE 123, 516, BStBl II 1978, 87).

4. Sollte es nach der vom Senat aufgezeigten Verfahrensweise unter Berücksichtigung der besonderen baulichen Gegebenheiten des streitbefangenen Grundstücks möglich sein, eine übliche Miete zum Vergleich mit der tatsächlich gezahlten Miete für die gewerblich genutzten Räume als Schätzungsgrundlage zu ermitteln, so ist die Bewertung im Ertragswertverfahren durchzuführen; andernfalls hat sie im Wege des Sachwertverfahrens zu erfolgen. Ist der Wert des gemischtgenutzten Grundstücks der Klägerin nach § 76 Abs. 1 Nr. 3 BewG im Wege des Ertragswertverfahrens zu ermitteln, so ergibt sich der Ertragswert nach § 78 Satz 2 BewG durch Anwendung eines Vervielfältigers auf die Jahresrohmiete. Der Vervielfältiger ist nach § 80 Abs. 1 BewG aus den Anlagen 3 bis 8 zum BewG zu entnehmen. Er bestimmt sich nach der Grundstücksart, der Bauart und Bauausführung, dem Baujahr des Gebäudes sowie nach der Einwohnerzahl der Belegenheitsgemeinde im Hauptfeststellungszeitpunkt. Nach § 80 Abs. 4 Satz 2 BewG kann für das ganze Grundstück ein Vervielfältiger nach einem durchschnittlichen Baujahr angewendet werden, wenn die Werte der einzelnen Gebäude oder Gebäudeteile nur schwer ermittelt werden können. Im Streitfall weist die zu bewertende wirtschaftliche Einheit Gebäude und Gebäudeteile verschiedener Baujahre auf, die sich nur schwer abgrenzen lassen, so daß es auch nur schwer möglich ist, insoweit die Mieten richtig zuzuordnen. Das FG wird bei seiner erneuten Entscheidung ggf. auch seine Aufteilung bezüglich der geleisteten oder üblichen Mieten zu überprüfen haben. Dabei hat es bei der Ermittlung des durchschnittlichen Baujahres vor allem den Umfang und ggf. auch die unterschiedliche Beschaffenheit der in verschiedenen Jahren bezugsfertig gewordenen Gebäudeteile zu berücksichtigen (vgl. Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 8. Aufl., § 80 BewG Anm. 23).

5. Die Vorentscheidung war aufzuheben, da sie auf einer anderen Rechtsauffassung beruht. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie war daher an die Vorinstanz zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).