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BFH-Urteil vom 18.10.1985 (III R 160/81) BStBl. 1986 II S. 80

Tritt ein Steuerpflichtiger nach dem 30. November 1974 in einen Vertrag über die Lieferung oder Herstellung eines schlüsselfertigen Großprojekts i. S. des § 4b Abs. 2 Satz 4 InvZulG 1975 ein, so hat er jedenfalls dann keinen Anspruch auf Gewährung der sogenannten Konjunkturzulage für die von ihm aufgewendeten Kosten, wenn der Rechtsvorgänger bereits vor dem 1. Dezember 1974 mit der Herstellung des Investitionsvorhabens begonnen hatte.

InvZulG 1975 § 4b.

Sachverhalt

Die beiden Gesellschafter der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die A-AG (A) und die B-AG (B), beschlossen Anfang 1971, ein Kraftwerk zu errichten. Mit Schreiben vom 18. Juni 1971 erteilten sie der C-AG (C) den Auftrag zur Planung, Lieferung, Errichtung, Inbetriebnahme und zum Probebetrieb eines schlüsselfertigen Kraftwerks.

Im Mai 1975 gründeten A und B die Klägerin, die noch im selben Monat in das Handelsregister eingetragen wurde. Aufgrund eines Vertrages vom April/Juni 1975 zwischen A, B, C und der Klägerin trat diese anstelle der A und der B mit Wirkung vom 27. Mai 1975 in sämtliche vertraglichen Rechte und Pflichten bezüglich der Lieferung des Kraftwerks ein. Die für das Kraftwerk vorgesehenen Grundstücke wurden einschließlich der aufstehenden Gebäude und Baulichkeiten im Juni 1975 an die Klägerin veräußert. Darüber hinaus verkauften A und B durch Vertrag vom 27. Juni 1975 der Klägerin den sonstigen noch nicht veräußerten Teil des bereits in Bau befindlichen Kraftwerks. Gleichzeitig vereinbarten die Vertragspartner, daß die Klägerin in alle Rechte und Pflichten der noch nicht erfüllten Lieferungs- und Leistungsverträge eintrete, die von A und B zum Zweck der Errichtung und Inbetriebnahme des Kraftwerks abgeschlossen worden waren. Der Bundesminister für Wirtschaft (BMWi) hat die Errichtung des Kraftwerks als Großprojekt im Bereich der Energieerzeugung und -verteilung mit besonderer energiepolitischer Bedeutung (§ 4b Abs. 2 Satz 4 des Investitionszulagengesetzes - InvZulG - 1975) anerkannt.

Im Februar 1979 beantragte die Klägerin, ihr für das Wirtschaftsjahr 1977/78 eine Investitionszulage für "Anzahlungen" auf Anschaffungskosten von Wirtschaftsgütern zu gewähren, die bereits A und B in Auftrag gegeben hatten. Als Zeitpunkt der "Anzahlungen" war jeweils der 27. Mai 1975 angegeben.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die fraglichen Wirtschaftsgüter seien nicht während des maßgeblichen Begünstigungszeitraums bestellt worden. Während des Einspruchsverfahrens berichtigte die Klägerin ihren Antrag, indem sie die Investitionssumme kürzte.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 4 b InvZulG 1975.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat zu Recht die Ansicht vertreten, daß die Klägerin deshalb keinen Anspruch auf Gewährung der Konjunkturzulage hat, weil die fraglichen Investitionen bereits vor dem 1. Dezember 1974 in Auftrag gegeben waren.

1. Da die Rechtsvorgänger der Klägerin die Bau- und Lieferungsverträge bereits vor dem 1. Dezember 1974 abgeschlossen hatten, hätte die Klägerin nur dann einen Zulageanspruch, wenn ihr Eintritt in die bereits bestehenden vertraglichen Beziehungen als selbständige, begünstigungsfähige Bestellung i. S. des § 4b InvZulG 1975 zu beurteilen wäre. Das ist jedoch nicht der Fall.

Die Zielsetzung des § 4b InvZulG 1975, nämlich kurzfristige Ankurbelung der allgemeinen Wirtschaftstätigkeit (vgl. insbesondere BT-Drucks. 7/2979 S. 1 und 7/3010 S. 5), erfordert es, den Begriff "Bestellen" in der Weise auszulegen, daß nur solche Aufträge zu einer zulagebegünstigten Anschaffung oder Herstellung führen können, die geeignet sind, die Wirtschaftstätigkeit zu beleben. Dementsprechend hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 12. November 1982 III R 124/80 (BFHE 136, 570, BStBl II 1983, 29) die Ansicht vertreten, daß eine Bestellung dann nicht vorliegt, wenn im maßgeblichen Begünstigungszeitraum eine frühere Bestellung des gleichen Wirtschaftsguts lediglich formal wiederholt wird (vgl. auch das zur Frage des Beginns der Herstellung ergangene Urteil des Senats vom 21. September 1984 III R 109/78, BFHE 142, 94, BStBl II 1985, 17). In gleicher Weise ist grundsätzlich auch in anderen Fällen zu entscheiden, in denen die Investition nicht die vom Gesetzgeber gewollte konjunkturpolitische Wirkung hat. Deshalb ist - bezogen auf den Streitfall - der Eintritt eines Steuerpflichtigen in bereits vor dem 1. Dezember 1974 bestehende vertragliche Beziehungen dann nicht als eine selbständige Bestellung i. S. des § 4b InvZulG 1975 anzusehen, wenn Gegenstand der Verträge die Errichtung eines Großprojekts i. S. des § 4b Abs. 2 Satz 4 InvZulG 1975 ist und der ursprüngliche Auftraggeber bereits vor dem 1. Dezember 1974 in nicht nur unerheblichem Umfang mit der Herstellung dieses Investitionsvorhabens begonnen hatte. In einem solchen Fall trägt der Steuerpflichtige grundsätzlich nicht mehr zur Belebung der Wirtschaftstätigkeit bei. Er führt lediglich die bereits begonnenen Investitionen zu Ende. Der Senat kann unerörtert lassen, ob diese Grundsätze uneingeschränkt auch dann gelten, wenn das Großprojekt nachweislich ohne den Eintritt des Steuerpflichtigen nicht fertiggestellt worden wäre. Daß eine derartige Sachlage im Streitfall vorliege, hat die Klägerin nicht geltend gemacht.

2. Die von der Klägerin erhobenen Gegeneinwände sind unbegründet.

a) Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. März 1981 V R 119/79 (BFHE 133, 115) berufen. In dieser zu den §§ 30, 27 Abs. 15 des Umsatzsteuergesetzes 1973 ergangenen Entscheidung hat der BFH die Auffassung vertreten, daß sich ein Unternehmer mit seiner verbindlichen Erklärung, er übernehme die Rechte und Pflichten aus dem von einem anderen geschlossenen Kaufvertrag über einen PKW, in gleicher Weise rechtlich binde wie bei der Abgabe eines verbindlichen Vertragsangebotes gemäß § 145 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Unbeschadet der Frage, ob der Eintritt in einen solchen Vertrag auch im Anwendungsbereich des § 4b InvZulG 1975 dem Abschluß eines neuen Kaufvertrags gleichgestellt werden kann, hat der Einwand der Klägerin jedenfalls deshalb keinen Erfolg, weil der Sachverhalt der Entscheidung in BFHE 133, 115 mit dem des Streitfalles nicht vergleichbar ist. Hier handelt es sich um den Eintritt in einen Vertrag, der die Errichtung eines Großprojekts zum Gegenstand hat, das eine Vielzahl von Herstellungs- und Lieferungsvorgängen umfaßt und das in nicht nur unwesentlichem Umfang bereits in Angriff genommen worden ist. Dies ist wirtschaftlich etwas anderes.

b) Damit erweist sich auch der Hinweis der Klägerin auf Tz. 3.3.3 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen vom 26. Februar 1975 IV B 2 - S 1988 - 200/75 (BStBl I 1975, 213) als unbegründet. Nach dieser Verwaltungsregelung ist in den Fällen, in denen der Steuerpflichtige in den Kaufvertrag eines Dritten eingetreten ist, als Zeitpunkt der Bestellung der Zeitpunkt anzusehen, in dem der Steuerpflichtige die Rechte und Pflichten des Dritten aus dem Vertragsverhältnis übernommen hat.

c) Der Vertragseintritt der Klägerin ist auch nicht deshalb als anspruchsbegründende Bestellung i. S. des § 4b InvZulG 1975 zu beurteilen, weil er ein Großprojekt betrifft, das einer längeren Planungszeit bedarf. Wie der Senat in seinem Urteil vom 25. Januar 1985 III R 130/80 (BFHE 143, 192, BStBl II 1985, 309) entschieden hat, lassen sowohl der Gesetzeswortlaut als auch die Zielsetzung des § 4b InvZulG 1975 hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Bestellung eine Differenzierung nach Art der Investition nicht zu. Nach Auffassung des Senats waren die im Zusammenhang mit der Herstellung von Großprojekten verbundenen Schwierigkeiten dem Gesetzgeber bekannt, der diesen durch das Hinausschieben des Fertigstellungszeitpunkts Rechnung getragen hat.