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BFH-Beschluß vom 21.10.1985 (GrS 2/84) BStBl. 1986 II S. 207

1. Bei Änderung der Zuständigkeit eines Senats des BFH geht das Entsendungsrecht nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FGO nur dann auf einen anderen Senat über, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, für die Entscheidung über die dem Großen Senat vorgelegte konkrete Rechtsfrage nicht mehr zuständig ist.

2. Die Bestandskraft eines nach § 42 EStG ergangenen Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheids hindert das FA nicht, denselben Steuerpflichtigen für dasselbe Kalenderjahr unter den Voraussetzungen des § 46 EStG zu veranlagen und dabei den gleichgebliebenen Sachverhalt rechtlich anders zu würdigen.

FGO § 11; EStG 1975/1977 §§ 42, 46; AO 1977 §§ 37, 155, 218.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

A.

Anrufungsbeschluß des VI. Senats, Sachverhalt

I. Der VI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Beschluß vom 28. September 1984 VI R 175/82 (BFHE 142, 135, BStBl II 1985, 58) den Großen Senat gemäß § 11 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen folgender Rechtsfrage angerufen:

Steht die Bestandskraft eines nach § 42 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergangenen Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheids einer Einkommensteuerveranlagung desselben Steuerpflichtigen für dasselbe Kalenderjahr entgegen, falls das Finanzamt (FA) nach Eintritt der Bestandskraft den gleichgebliebenen Sachverhalt nunmehr rechtlich anders würdigt und aufgrund dieser Würdigung zu dem Ergebnis gelangt, daß die Veranlagungsgrenzen des § 46 Abs. 1 EStG überschritten sind?

II. Dem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist spanischer Staatsangehöriger. Er ist verheiratet und lebt seit 1969 als Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Seitdem unterhielt er hier mit seiner Ehefrau einen gemeinsamen Familienwohnsitz. Im Jahre 1974 kehrte die Ehefrau aus privaten (gesundheitlichen) Gründen nach Spanien zurück und begründete dort einen gemeinsamen Familienhausstand.

Im Lohnsteuer-Jahresausgleich 1974 machte der Kläger einen erhöhten Werbungskostenabzug wegen Mehraufwands für doppelte Haushaltsführung mit der Begründung geltend, daß er seinen Familienwohnsitz wegen der endgültigen Rückkehr seiner Frau nach Spanien dorthin verlegt habe. Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) anerkannte die geltend gemachten Aufwendungen als abziehbar. Auch in den Folgejahren wurden entsprechende Mehraufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt.

Beim Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1978 (Streitjahr) machte der Kläger, der lediglich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit hatte, wiederum Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung geltend. Mit Bescheid betreffend Lohnsteuer-Jahresausgleich vom 20. März 1979 berücksichtigte das FA diese Aufwendungen erneut als Werbungskosten; dadurch ergab sich für den Kläger ein Erstattungsbetrag.

Beim Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Jahr 1979 ging das FA davon aus, die doppelte Haushaltsführung sei nicht beruflich veranlaßt, weil die Ehefrau des Klägers aus privaten Gründen nach Spanien zurückgekehrt sei. Aus demselben Grund änderte das FA nunmehr den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1978 unter Berufung auf § 173 der Abgabenordnung (AO 1977). Es führte für das Streitjahr eine Einkommensteuerveranlagung des Klägers durch, die zu einer Steuernachforderung gegen diesen führte.

Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage in dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 572 veröffentlichten Urteil statt.

Gegen dieses Urteil hat das FA Revision eingelegt, mit der es geltend macht, bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Einkommensteuerveranlagung bestehe keine Bindung an einen zuvor ergangenen Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich.

Diese Auffassung vertritt auch der dem Verfahren beigetretene Bundesminister der Finanzen (BMF).

Dagegen vertritt der Kläger die Ansicht, das FA sei an den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich gebunden.

III. Aufgrund der mündlichen Verhandlung vor dem VI. Senat vom 6. April 1984 beabsichtigt dieser, die Revision zurückzuweisen. Er hält den Erlaß eines Einkommensteuerbescheids für dasselbe Jahr, für das bereits ein Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich vorliegt, nicht für zulässig, falls keine neuen Tatsachen i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 vorliegen. Der VI. Senat sah sich aber zunächst an dieser Entscheidung durch das Urteil des VIII. Senats vom 6. Dezember 1983 VIII R 196/82 (BFHE 140, 433, BStBl II 1984, 416) gehindert.

Der vorlegende Senat hat beim VIII. Senat angefragt, ob dieser an seiner Entscheidung festhalte. Der VIII. Senat hat hierauf mitgeteilt, daß er erhebliche Bedenken gegen eine seinem Urteil entgegenstehende Entscheidung habe.

Auf die weitere Anfrage des VI. Senats beim IX. Senat des BFH hat dieser geantwortet, daß er mehrheitlich der Rechtsauffassung des vorlegenden Senats zustimmen würde, hat aber gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, daß er zur Entscheidung darüber, ob einer Abweichung vom Urteil in BFHE 140, 433, BStBl II 1984, 416 zugestimmt werde, nach wie vor den VIII. Senat für zuständig halte.

Der vorlegende Senat hat den Großen Senat vorrangig wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache (§ 11 Abs. 4 FGO) angerufen, weil die vorgelegte Rechtsfrage insbesondere in den Senaten VI, VIII und IX entscheidungserheblich werden könne. Zwischen den Senaten und wohl auch innerhalb der Senate bestehe keine übereinstimmende Auffassung. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erscheine es deshalb zweckmäßig, daß der Große Senat entscheide.

Eine Divergenz i. S. des § 11 Abs. 3 FGO verneint der vorlegende Senat. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 der Geschäftsordnung des BFH führe die Änderung der Geschäftsverteilung zu einer Änderung der Beteiligung i. S. des § 11 Abs. 2 FGO. Aufgrund der derzeitigen Geschäftsverteilung hätte der IX. Senat über das Rechtsmittel im Verfahren VIII R 196/82, wenn es noch anhängig wäre, zu entscheiden. Deshalb komme es für die Frage der Divergenz auf die Auffassung des IX. Senats an. Die zu entscheidende Rechtsfrage könne zwar nach der derzeitigen Geschäftsverteilung auch beim VIII. Senat relevant werden. Die Auffassung, daß deshalb der VIII. Senat über die Frage der Zustimmung zur Abweichung zu entscheiden habe, teile der vorlegende Senat jedoch nicht.

Für den Fall, daß der Große Senat meine, es bestehe eine entscheidungserhebliche Divergenz zum VIII. Senat, werde die Vorlagefrage hilfsweise auf § 11 Abs. 3 FGO gestützt.

Entscheidungsgründe

B.

Entscheidung des Großen Senats zu den Verfahrensfragen

I. Entsendungsrecht

Der Große Senat entscheidet zunächst in seiner Stammbesetzung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 FGO darüber, ob noch andere (und ggf. welche) Senate des BFH berechtigt sind, nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FGO einen weiteren Richter zu den Sitzungen des Großen Senats zu entsenden (BFH-Beschluß vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter B. 1., mit weiteren Hinweisen). Diese Entscheidung ist ohne mündliche Verhandlung zulässig (Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFH-EntlG - vom 8. Juli 1975, BGBl I 1975, 1861, BStBl II 1975, 932 i. d. F. des Gesetzes vom 4. Juli 1985, BGBl I 1985, 1274, BStBl I 1985, 496).

1. Berechtigt zur Entsendung eines weiteren Richters ist der VI. Senat. Dies gilt unabhängig davon, ob der Vorlagegrund nach § 11 Abs. 4 FGO oder der (hilfsweise vom VI. Senat geltend gemachte) Anrufungsgrund des § 11 Abs. 3 FGO zum Zuge kommt. Der VI. Senat ist bei Annahme einer Divergenz beteiligter Senat. Er ist bei Vorlage wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 11 Abs. 4 FGO der "erkennende" Senat.

2. Weiterhin entsendungsberechtigt ist der VIII. Senat des BFH. Er hat der Abweichung des VI. Senats von seiner Entscheidung in BFHE 140, 433, BStBl II 1984, 416 nicht zugestimmt. Diese Erklärung ist für den Großen Senat allein rechtsverbindlich.

Ungeachtet der Frage, daß der VI. Senat in erster Linie wegen grundsätzlicher Bedeutung und nur hilfsweise wegen Divergenz angerufen hat, muß der Große Senat vorab entscheiden, ob der VI. Senat von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen will. Denn von der Beantwortung dieser Frage hängt es ab, ob und ggf. welcher Senat (welche Senate) einen weiteren Richter zu den Sitzungen des Großen Senats entsenden darf (dürfen).

a) Der vorlegende Senat ist der Auffassung, daß die von ihm beabsichtigte Entscheidung vom Urteil in BFHE 140, 433, BStBl II 1984, 416 abweiche. Eine Abweichung liegt dann vor, wenn die Entscheidung des anderen Senats auf der Rechtsauffassung, von der abgewichen werden soll, beruht. Das trifft hier zu. Im Urteilsfall in BFHE 140, 433, BStBl II 1984, 416 hatte der VIII. Senat zu entscheiden, ob nach Ergehen eines bestandskräftigen Bescheids über den Lohnsteuer-Jahresausgleich im Hinblick auf das Vorliegen sonstiger Einkünfte nach § 22 EStG (Leibrente) eine Veranlagung zur Einkommensteuer stattfinden dürfe. Der VIII. Senat hat dies bejaht. Seine Rechtsauffassung war für seine Entscheidung tragend.

Der VI. Senat seinerseits will seine Entscheidung auf den Gesichtspunkt stützen, daß bei vorausgegangenem bestandskräftigen Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 173 AO 1977 kein Veranlagungsbescheid ergehen dürfe. Dabei ist es für den Großen Senat unerheblich, ob der VI. Senat auch mit anderer, die Rechtsauffassung des VIII. Senats nicht berührender Begründung zu seinem Ergebnis gelangen könnte. Denn es liegt in der Zuständigkeit jeden Senats, die übergeordneten Rechtssätze zu bestimmen, aus denen er seine Entscheidung ableitet (BFH-Beschlüsse vom 26. November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132, und vom 10. November 1980 GrS 1/79, BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164).

b) Inzwischen ist die Zuständigkeit für Einkommensteuer, soweit es sich um sonstige Einkünfte handelt, durch den Geschäftsverteilungsplan des BFH für das Jahr 1984 (BFHE 139, VII. ff., BStBl II 1984, 43 ff.) auf den IX. Senat übergegangen (Geschäftsverteilungsplan A IX. Senat, Nr. 1 Buchst. c). Damit ist jedoch die Kompetenz, zu erklären, ob von der dem Urteil in BFHE 140, 433, BStBl II 1984, 416 zugrunde liegenden Rechtsansicht abgewichen werden soll, nicht auf den IX. Senat übergegangen.

Nach § 2 Abs. 2 der Geschäftsordnung des BFH hat in den Fällen des § 11 Abs. 3 FGO der Senat, der von der Entscheidung des anderen Senats abweichen will, zunächst bei diesem anzufragen, ob er der Abweichung zustimmt. Hat sich die Geschäftsverteilung geändert, so ist als anderer Senat derjenige anzusehen, auf den die "Zuständigkeit für die Streitfrage" übergegangen ist.

Was in diesem Sinne unter Zuständigkeit für die Streitfrage zu verstehen ist, muß nach dem Sinn des Anfrageverfahrens in engem Zusammenhang mit der Bedeutung des Entsendungsrechts nach § 11 Abs. 2 FGO beurteilt werden. Dem Anfrageverfahren liegt der Gedanke zugrunde, zu vermeiden, daß dem Großen Senat eine Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt wird, obwohl der Senat, von dessen Rechtsansicht abgewichen werden soll, an dieser Rechtsauffassung nicht mehr festhält. Deshalb steht die Befugnis, sich auf Anfrage über eine mögliche Aufgabe der bisherigen Rechtsauffassung zu äußern, grundsätzlich dem Senat zu, der die Entscheidung erlassen hat, von der abgewichen werden soll (§ 11 Abs. 3 FGO). Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn durch Änderung der Geschäftsverteilung der bisher zuständige Senat zur Entscheidung über die ggf. dem Großen Senat vorzulegende konkrete Rechtsfrage künftig nicht mehr zu entscheiden hat. Ist dies zu verneinen, kann also trotz Änderung der Geschäftsverteilung der bisher für ein bestimmtes Sachgebiet zuständige Senat aufgrund der geänderten Zuständigkeit jederzeit in die Lage kommen, die strittige Rechtsfrage erneut entscheiden zu müssen, wäre es sinnwidrig, einen anderen Senat über die Verbindlichkeit der vom ursprünglichen Senat vertretenen Rechtsauffassung verfügen zu lassen. Entscheidend muß daher sein, ob die Zuständigkeit eines Senats für die dem Großen Senat vorgelegte Rechtsfrage nach Änderung der Zuständigkeit noch besteht.

Die Zuständigkeit des VIII. Senats für die dem Senat vorgelegte Rechtsfrage ist erhalten geblieben. Der VIII. Senat ist seit der ab 1984 geltenden Geschäftsverteilung nach wie vor zuständig für Einkünfte aus Kapitalvermögen (Geschäftsverteilungsplan für 1984, a. a. O., A VIII. Senat, Nr. 1 Buchst. b). Bei Einkünften aus Kapitalvermögen kann die dem Großen Senat vorgelegte Rechtsfrage jederzeit ebenso auftreten wie bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und sonstigen Einkünften, für die nunmehr der IX. Senat des BFH zuständig ist. Würde man dem vorlegenden Senat folgen, so könnte der VIII. Senat in die Lage kommen, bei der nächsten Entscheidung über die Frage des Verhältnisses von Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid zum Einkommensteuerbescheid seinerseits den Großen Senat anrufen zu müssen, um seiner ursprünglichen Rechtsansicht Geltung zu verschaffen. Dies kann nicht der Sinn des Anfrageverfahrens sein. Der Große Senat teilt daher die Auffassung des vorlegenden Senats nicht, daß zuständig zur Beantwortung der Abweichungsfrage derjenige Senat sein müsse, der nach Änderung der Geschäftsverteilung die Rechtsfrage in dem konkret entschiedenen Fall nunmehr zu entscheiden hätte.

Nach diesen Grundsätzen ist auch zu entscheiden, welcher Senat einen weiteren Richter entsenden darf.

c) Anders lagen die Verhältnisse im Fall des BFH-Beschlusses vom 13. Februar 1968 GrS 5/67 (BFHE 91, 351, BStBl II 1968, 365). In diesem Fall war die ausschließliche Zuständigkeit für Verfahren betreffend Androhung und Festsetzung von Zwangsmitteln nach § 202 der Reichsabgabenordnung (AO) vom IV. über den II. auf den VII. Senat übergegangen. Der Große Senat hat daher zu Recht befunden, daß der VII. Senat, der eine vom II. und IV. Senat abweichende Rechtsansicht vertreten wollte, nicht von der Entscheidung eines "anderen" Senats abweiche.

d) Der große Senat setzt sich damit nicht in Widerspruch zu seinem Beschluß in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751. In diesem Fall hat der Große Senat dem Umstand Bedeutung beigemessen, daß die Zuständigkeit für gesonderte Feststellungen vom I. auf den VIII. Senat übergegangen war. Zum Zuständigkeitsbereich des I. Senats gehört zwar nach wie vor die Entscheidung über "gesonderte Feststellungen i. S. des § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) und b) AO 1977, soweit es sich um Fälle der beschränkten Steuerpflicht und um Fragen des Außensteuergesetzes und der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen handelt und wenn die sich daraus ergebenden Fragen allein oder überwiegend zu beurteilen sind". Stehen andere Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung im Vordergrund, so ist der sonst nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige Senat zuständig (Geschäftsverteilungsplan 1984, a. a. O., A I. Senat, Nr. 3). Die dem I. Senat verbliebene Zuständigkeit umfaßt also nur einen durch sachlich genau bestimmte Merkmale eingegrenzten engen Bereich der gesonderten Gewinnfeststellung. Im übrigen entscheiden über die Rechtsfragen der gesonderten Gewinnfeststellung nunmehr diejenigen Senate, die über gesonderte Gewinnfeststellungen unbeschränkt steuerpflichtiger Personen zu befinden haben.

e) Die Auffassung des Großen Senats liegt schließlich auf der Linie des Beschlusses des Großen Senats des Bundesgerichtshofs (BGH) für Zivilsachen vom 30. März 1953 GSZ 1-3/53 (BGHZ 9, 179, 181). Auch dort war über die Auswirkungen nach Änderung der Geschäftsverteilung zu entscheiden. Der VI. Zivilsenat des BGH hatte vom III. Zivilsenat die Rechtsstreitigkeiten aus dem Gebiet der unerlaubten Handlungen übernommen, hatte aber im konkreten Fall Fragen des Schadensersatzes, des Vorteilsausgleichs, des Sozialversicherungsrechts und des Beamtenrechts zu entscheiden. Der Große Senat des BGH für Zivilsachen verneinte das Recht des VI. Zivilsenats, über die streitige Rechtsfrage abweichend von der Auffassung des III. Zivilsenats selbst zu entscheiden. "Nur wenn das streitige Rechtsproblem allein das Sachgebiet des VI. Zivilsenats beträfe, wäre der VI. Zivilsenat an eine gegenteilige Entscheidung des damals für dieses Sachgebiet zuständigen III. Senats nicht gebunden." Der VIII. Zivilsenat des BGH hat dies in seinem Urteil vom 24. Juni 1958 VIII ZR 205/57 (BGHZ 28, 16, 28 f.) dahin präzisiert, daß ein Senat (nur dann) aufgrund einer auf ihn übergegangenen Zuständigkeit selbst ohne Anrufung des Großen Senats für Zivilsachen entscheiden dürfe, wenn es sich um eine Rechtsfrage aus einem ihm übertragenen "abgeschlossenen" Rechtsgebiet handele. Diese selbständige Entscheidung stehe ihm allerdings auch dann zu, wenn die Rechtsfrage "auch einmal in einem Rechtsstreit aus einem ganz anderen Gebiet auftauchen" könne, zu dessen Entscheidung ein anderer Zivilsenat berufen sei. So aber liegen die Dinge im Anrufungsfall nicht. Die zu entscheidende Rechtsfrage fällt nicht in das abgeschlossene Teilrechtsgebiet, das vom VIII. Senat auf den IX. Senat des BFH übergegangen ist.

3. Der IX. Senat des BFH ist nicht entsendungsberechtigt.

Der IX. Senat ist selbst der Ansicht, der VIII. Senat sei zur Beantwortung der Anfrage zuständig. Nur hilfsweise hat er der Rechtsansicht des VI. Senats zugestimmt. Diese Erklärung ist wirkungslos.

Der VI. und der VIII. Senat des BFH haben von ihrem Entsendungsrecht Gebrauch gemacht.

II. Weitere Verfahrensfragen

Der Große Senat entscheidet sodann in seiner erweiterten Besetzung über andere Verfahrensfragen (BFH-Beschluß vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272).

1. Eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich.

Ob der Große Senat eine mündliche Verhandlung anberaumt, steht in seinem Ermessen (Art. 1 Nr. 2 BFH-EntlG; BFH-Beschluß vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217 unter B. II. 1.). Im vorliegenden Fall sind alle Gesichtspunkte bereits schriftlich vorgetragen. Den Beteiligten wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Eine mündliche Verhandlung erscheint deshalb nicht erforderlich, zumal kein Verfahrensbeteiligter einen entsprechenden Antrag gestellt hat.

2. Die Vorlage ist zulässig.

a) Der VI. Senat hat in erster Linie wegen grundsätzlicher Bedeutung, hilfsweise wegen Divergenz vorgelegt. Da er - wie dargelegt - mit der von ihm beabsichtigten Entscheidung von einem Urteil des VIII. Senats abweichen würde, kommt die Anrufung wegen Divergenz zum Zuge. Sie geht der Anrufung wegen grundsätzlicher Bedeutung vor, da in den Fällen des § 11 Abs. 3 FGO (Divergenz) das Recht zur Entsendung weiterer Richter umfassender geregelt ist als bei Anrufung wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 11 Abs. 2 Satz 2 FGO; vgl. z. B. BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217 unter B. I. 1.).

b) Die vorgelegte Rechtsfrage ist für die beabsichtigte Entscheidung des VI. Senats auch entscheidungserheblich.

C.

Entscheidung des Großen Senats über die vorgelegte Rechtsfrage

Der Große Senat verneint die vom VI. Senat zur Entscheidung vorgelegte Rechtsfrage.

I. Entwicklung der Rechtslage

Der Lohnsteuer-Jahresausgleich war früher in der Verordnung über den Lohnsteuer-Jahresausgleich i. d. F. vom 16. März 1971 - JAV - (BGBl I 1971, 195, BStBl I 1971, 170) geregelt. Danach war (nur) dann, wenn der Antrag des Steuerpflichtigen auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs ganz oder teilweise abgelehnt wurde, ein mit einer Belehrung über den Rechtsbehelf versehener Bescheid zu erteilen, gegen den der Einspruch gegeben war (§ 229 Nr. 7 AO). Wurde dem Antrag auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs hingegen voll entsprochen, so führte das FA den Lohnsteuer-Jahresausgleich im Wege der Erstattung durch (§ 4 Abs. 6, 7 Satz 1 JAV).

Seit Inkrafttreten des Einkommensteuerreformgesetzes vom 5. August 1974 - EStRG - (BGBl I 1974, 1769, BStBl I 1974, 530) sieht das Gesetz in § 42 Abs. 5 EStG ausdrücklich vor, daß über jeden Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich dem Antragsteller ein Steuerbescheid zu erteilen ist (Art. 1 Nr. 54 EStRG). Die JAV wurde durch Art. 48 Nr. 2 des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974 - EG-EStRG - (BGBl I 1974, 3656, BStBl I 1975, 2) aufgehoben. Auf den beim VI. Senat anhängigen Fall ist die neue Rechtslage anzuwenden.

II. Ansichten in Schrifttum und Rechtsprechung

1. Für die Rechtslage vor Geltung des § 42 Abs. 5 EStG wurde allgemein die Ansicht vertreten, der sich in der Form der bloßen Erstattung erschöpfende Bescheid über den Antrag auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs stehe einer späteren Einkommensteuerveranlagung nicht entgegen (BFH-Urteile vom 20. September 1963 VI 24/62 U, BFHE 77, 716, BStBl III 1963, 583, und vom 13. Februar 1976 VI R 100/74, BFHE 118, 219, BStBl II 1976, 425, mit weiteren Hinweisen auf das Schrifttum). Diese Auffassung wurde im wesentlichen damit begründet, daß aus dem Lohnsteuer-Abzugsverfahren, wozu auch der Lohnsteuer-Jahresausgleich gehöre, grundsätzlich keine Bindung für das Veranlagungsverfahren erwachse. Der Lohnsteuer-Jahresausgleich bedeute zwar im Verhältnis zum Lohnsteuerabzug einen Abschluß, nicht aber auch im Verhältnis zur veranlagten Steuer. Denn die nachfolgende Einkommensteuer-Veranlagung sei in bezug auf den Lohnsteuer-Jahresausgleich für dasselbe Jahr ein selbständiges Verfahren mit abweichender Zielrichtung. Sie ende mit einem erstmaligen Veranlagungsbescheid, der den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich nicht ändere, sondern gegenstandslos mache.

2. Für den Rechtszustand nach Inkrafttreten des § 42 Abs. 5 EStG sind die Meinungen zum Verhältnis des Bescheids über den Lohnsteuer-Jahresausgleich zur späteren Einkommensteuerveranlagung in Schrifttum und Rechtsprechung geteilt.

a) Im Schrifttum vertreten Herrmann/Heuer/Raupach (Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 42 EStG Erl. zu Abs. 5 - grüne Blätter -), Blümich/Falk (Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., § 42 Anm. 17, Ergänzungslieferung 16), Klein/Flockermann/Kühr (Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 3. Aufl., § 42 Rdnr. 14), Hartz/Meeßen/Wolf (ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: "Veranlagung von Arbeitnehmern" Anm. E), Hein (Deutsche Steuerzeitung - DStZ - 1982, 426), Birkenfeld (Betriebs-Berater - BB - 1984, 775) und Meyer (Deutsches Steuerrecht - DStR - 1982, 519) die Ansicht, der das Verfahren über den Lohnsteuer-Jahresausgleich abschließende Steuerbescheid nach § 42 Abs. 5 EStG binde die spätere Einkommensteuerveranlagung auch weiterhin nicht. Es bedarf nach dieser Auffassung nicht des Vorliegens der Voraussetzungen der Änderung von Steuerbescheiden, um im Einkommensteuerveranlagungsverfahren Entscheidungen zu treffen, die denen im Steuerbescheid nach § 42 Abs. 5 EStG widersprechen (ebenso Guth, Finanz-Rundschau - FR - 1982, 157 ff., jedoch mit der Einschränkung, der fortwirkende Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich müsse nach § 175 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zuvor aufgehoben werden). Dieser Auffassung haben sich das FG Berlin im Urteil vom 16. Juni 1978 III 160/77 (EFG 1979, 310) und das FG Hamburg im Urteil vom 24. März 1980 I 182/79 (EFG 1980, 450) angeschlossen. Dem entspricht auch der als gemeinsamer Ländererlaß ergangene Erlaß des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen vom 11. Mai 1978 S 0330 - 3 - V A 1 (Der Betrieb - DB - 1978, 1057; ebenso Abschn. 108 Abs. 8 der Lohnsteuer-Richtlinien - LStR -).

b) Andere Autoren meinen, das FA sei bei Durchführung der Einkommensteuerveranlagung jedenfalls insoweit gebunden, als die Entscheidung über den Steueranspruch im Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich reiche (so Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., vor § 172 AO Tz. 4; Giloy, DStZ/A 1978, 407, 408; Rößler, DStZ 1984, 515).

c) Ein Teil des Schrifttums und der Rechtsprechung geht noch weiter und ist - wie der vorlegende Senat - der Ansicht, das FA dürfe nach Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs und Erlaß eines Bescheids nach § 42 Abs. 5 EStG den Steuerpflichtigen nur dann zur Einkommensteuer veranlagen, wenn besondere Vorschriften über die Änderung von Steuerbescheiden dies gestatteten. Als solche Vorschrift komme insbesondere § 173 AO 1977 (Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel) in Betracht (so Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 4. Aufl., § 42 Anm. 5 f.; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 4. Aufl., § 46 Anm. 2 unter Aufgabe seiner gegenteiligen bis zur 2. Auflage vertretenen Ansicht; Grube in Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 14. Aufl., §§ 42-42 c Rdnr. 68 a; Buchheister, DStZ 1981, 456, 457; Heinke, DStZ 1980, 308; Seibold, BB 1985, 1787; FG Schleswig-Holstein in dem das Aussetzungsverfahren betreffenden Beschluß vom 20. Juli 1979 II 64/79, EFG 1980, 23).

d) Der BFH hat auch für die Rechtslage nach Inkrafttreten des § 42 Abs. 5 EStG an seiner früheren Rechtsauffassung festgehalten, daß Lohnsteuer-Jahresausgleich und Einkommensteuerveranlagung unabhängig voneinander durchgeführt werden dürfen. Der VI. Senat des BFH hatte dies im Urteil vom 10. September 1982 VI R 110/79 (BFHE 136, 419, BStBl II 1983, 58) noch offengelassen. Eindeutig zu dieser Auffassung bekannt hat sich dagegen der VIII. Senat im Urteil in BFHE 140, 433, BStBl II 1984, 416.

III. Rechtsansicht des Großen Senats

Der Große Senat folgt der Auffassung des VIII. Senats in BFHE 140, 433, BStBl II 1984, 416, daß der Bescheid nach § 42 Abs. 5 EStG 1975 keine Bestandskraft für eine ggf. nachfolgende Einkommensteuerveranlagung auslöst.

1. Nach § 42 Abs. 5 EStG erteilt das FA "über den Lohnsteuer-Jahresausgleich dem Antragsteller" einen Steuerbescheid. Bereits die Wortfassung läßt erkennen, daß der Bescheid des FA den Antrag des Steuerpflichtigen im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren zu bescheiden hat und daß ihm eine weitergehende Bedeutung nicht zukommt. Dies ergibt sich außer aus dem Wortlaut auch aus dem Sinnzusammenhang, in den die auszulegende Vorschrift gestellt ist.

Hierzu gehören zunächst diejenigen Vorschriften, die nach der AO 1977 für Steuerbescheide gelten (§§ 155 ff.). Auf den Steuerbescheid nach § 42 Abs. 5 EStG sind daher die Vorschriften des 1. Unterabschnittes des Dritten Abschnittes ("Steuerfestsetzung") der AO 1977 anzuwenden. Dies betrifft zunächst die unter I. geregelten Allgemeinen Vorschriften. Danach muß z. B. der Bescheid nach § 42 Abs. 5 EStG den Form- und Inhaltserfordernissen des § 157 AO 1977 entsprechen. Ferner sind die unter III. des 1. Unterabschnittes normierten Regeln über die Bestandskraft anzuwenden. Ist ein Bescheid nach § 42 Abs. 5 EStG unanfechtbar geworden, so darf dieser Bescheid nur unter bestimmten Voraussetzungen - insbesondere wegen neuer Tatsachen und Beweismittel (§ 173 AO 1977) - aufgehoben oder geändert werden. Das ist unbestritten.

2. Damit ist jedoch das Verhältnis des Bescheids nach § 42 Abs. 5 EStG zum Einkommensteuerveranlagungsbescheid nicht in dem Sinne geregelt, daß eine Veranlagung nicht mehr ohne weiteres durchgeführt werden kann, wenn ein bestandskräftiger Bescheid nach § 42 Abs. 5 EStG ergangen ist.

a) Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 EStG 1975 wird die für das abgelaufene Kalenderjahr einbehaltene Lohnsteuer insoweit erstattet, als sie die auf den Jahresarbeitslohn entfallende Jahreslohnsteuer übersteigt. Der Steuerbescheid nach § 42 Abs. 5 EStG entscheidet somit über Bestehen oder Nichtbestehen eines Erstattungsanspruches. Es handelt sich um einen Erstattungsanspruch i. S. des § 37 Abs. 1 AO 1977, der jedoch nicht auf Absatz 2 dieser Vorschrift beruht, sondern in einem "Einzelsteuergesetz" - nämlich dem Einkommensteuergesetz - geregelt ist. Nach der Systematik der AO 1977 wird durch den Steuerbescheid nach § 42 Abs. 5 EStG nicht über einen Steueranspruch, sondern über einen Anspruch auf volle oder teilweise Freistellung von einer Steuer entschieden. Dies folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 155 AO 1977 in Verbindung mit ihrer Entstehungsgeschichte, wie sie sich aus den Materialien ergibt.

Nach Satz 1 des § 155 Abs. 1 AO 1977 werden Steuern grundsätzlich von der Finanzbehörde durch Steuerbescheid festgesetzt. Hierunter fällt der Einkommensteuerbescheid. Steuerbescheid ist nach § 155 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 der nach § 122 Abs. 1 bekanntgegebene Verwaltungsakt. Dem folgt der weitere Satz 3: "Dies gilt auch für die volle oder teilweise Freistellung von einer Steuer und für die Ablehnung eines Antrages auf Steuerfestsetzung." Das Gesetz unterscheidet danach innerhalb der Steuerbescheide (im weiteren Sinne) zwischen dem Steuerfestsetzungsbescheid und dem Freistellungsbescheid.

Der Bescheid nach § 42 Abs. 5 EStG ist, sofern er dem Antrag des Steuerpflichtigen ganz oder teilweise stattgibt, ein Freistellungsbescheid. Die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur AO (BT-Drucks. VI/1982) - § 136 des Entwurfs entspricht dem späteren § 155 AO 1977 - führt dazu auf S. 145 folgendes aus:

"Absatz 1 Satz 3 stellt klar, daß unter den Begriff der Steuerfestsetzung auch die volle oder teilweise Freistellung von einer Steuer sowie die Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung fällt. Dabei ist vor allem an die Fälle des Lohnsteuer-Jahresausgleichs und der Kapitalertragsteuererstattung gedacht. Hierdurch wird eindeutig zwischen der Freistellung von einer Steuer und der nachfolgenden Erstattung der bisher entrichteten Steuer unterschieden. Bisher war dies nicht immer der Fall (vgl. z. B. § 152 AO) ... Die sogenannten reinen Erstattungsansprüche, d. h. solche Ansprüche des Steuerpflichtigen, die allein auf Rückzahlung einer überzahlten Steuer gerichtet sind, ohne daß es zuvor noch der Festsetzung einer Steuer oder der Freistellung von einer Steuer bedarf, fallen nicht unter § 136. Für diese Ansprüche gilt der /damalige/ Fünfte Teil nicht. Die Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs gehört in das Erhebungsverfahren (vgl. § 199 Abs. 2)."

Hieraus folgern Tipke/Kruse (a. a. O., § 155 AO Tz. 3) zu Recht, das Gesetz sehe in der Feststellung, daß bei einem Steuerpflichtigen Steuerabzugsbeträge (Lohnsteuer) nicht oder in geringerem Umfang als geschehen einzubehalten gewesen seien, eine volle oder teilweise Freistellung. Ein solcher Freistellungsbescheid löse grundsätzlich eine Steuererstattung aus; er bilde im Sinne des § 218 AO 1977 die Grundlage für die Erstattung (so auch Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 155 AO 1977 Bem. 4).

b) Der Unterschied zwischen dem Einkommensteuerbescheid und dem Freistellungsbescheid nach § 42 Abs. 5 EStG ist im EStG durch zusätzliche Rechtsvorschriften näher ausgestaltet. Diese Vorschriften zeigen, daß der Einkommensteuerbescheid und der Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich einen anderen Regelungsinhalt haben, der durch die unterschiedliche Zielsetzung beider Verfahren bestimmt wird.

Die Einkommensteuer wird nach Ablauf des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraums) nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat, soweit nicht nach § 46 und § 46 a eine Veranlagung unterbleibt (§ 25 Abs. 1 EStG). Die Einkommensteuer entsteht, soweit im Gesetz nichts anderes bestimmt ist, mit Ablauf des Veranlagungszeitraums (§ 36 Abs. 1 EStG). Auf die Einkommensteuer wird u. a. die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfaßten Einkünfte entfällt und nicht die Erstattung beantragt oder durchgeführt worden ist, angerechnet (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Entscheidendes Merkmal für den Steuerbescheid ist die Entscheidung über den gesamten Einkommensteueranspruch.

Dagegen bezieht sich die teilweise oder völlige Freistellung nach § 42 Abs. 5 EStG i. V. m. § 37 AO 1977 allein auf die Lohnsteuer. Sie ist eine besondere Erhebungsform der Einkommensteuer (nur) für "Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit" durch Abzug vom Arbeitslohn durch den Arbeitgeber. Der Anspruch auf (völlige oder teilweise) Freistellung von der Lohnsteuer mit der Folge der Erstattung zuviel einbehaltener Lohnsteuer ist das der besonderen Erhebungsform der Lohnsteuer entsprechende letzte Mittel des Steuerpflichtigen, den zuviel einbehaltenen Betrag der Lohnsteuer im Erstattungsweg zurückzuerhalten (vgl. § 42 Abs. 1 EStG). Der Zusammenhang mit der Lohnsteuererstattung entfällt nicht dadurch, daß für die Berechnung der Jahreslohnsteuer die Einkommensteuerschuld zu ermitteln ist (§ 42 Abs. 4 Satz 4 EStG). Bei dieser Bezugnahme auf die Einkommensteuerschuld handelt es sich nach Wortlaut und Sinnzusammenhang nur um die Bemessungsgrundlage der Jahreslohnsteuer, die für die Erstattung nach § 42 Abs. 1 EStG maßgebend ist.

Wird ein Lohnsteuer-Jahresausgleich durchgeführt, so liegt dem entsprechenden Bescheid zwar die Ansicht zugrunde, daß der Steuerpflichtige nicht zur Einkommensteuer veranlagt werde (vgl. § 42 Abs. 1 EStG). Dies schließt es jedoch nicht aus, daß die Prüfung der Voraussetzungen für eine Einkommensteuerveranlagung durch die Veranlagungsstelle später gleichwohl zu einem Einkommensteuerbescheid führen muß, wenn das FA erkennt, daß die Voraussetzungen für eine Einkommensteuerveranlagung gegeben sind. Der Inhalt einer in einem Steuerbescheid getroffenen Regelung ergibt sich aus dem sog. Ausspruch (Verfügungs- oder Entscheidungssatz), der im Prozeßrecht dem Tenor des gerichtlichen Urteils oder Beschlusses entspricht. Die Gründe nehmen an der Bindungswirkung nicht teil (Tipke/Kruse, a. a. O., § 118 AO Tz. 25). Bei einem Bescheid nach § 42 Abs. 5 EStG ist lediglich auszusprechen, daß die Voraussetzungen für eine Freistellung von der Lohnsteuer in vollem Umfang, zum Teil oder nicht gegeben sind. Nur durch diese Aussage wird der Umfang der Bestandskraft des Bescheids bestimmt.

c) Angesichts der unterschiedlichen Zielrichtung der Lohnsteuerfreistellung (Lohnsteuererstattung) einerseits und der Einkommensteuerveranlagung andererseits wird das Verhältnis der sie regelnden Bescheide zueinander nicht durch die Bestandskraft des Bescheids nach § 42 Abs. 5 EStG und den ihr zugrunde liegenden Grundsatz der Rechtssicherheit bestimmt, sondern nach dem Grundsatz der gleichmäßigen und zutreffenden Besteuerung. Wer mit Erfolg einen Lohnsteuer-Jahresausgleich beantragt hat, soll nicht anders (besser oder schlechter) gestellt werden als derjenige, der sich auf die Abgabe der Einkommensteuererklärung beschränkt. Dies kann für den Steuerpflichtigen nachteilig oder vorteilhaft sein.

Nachteile für den Steuerpflichtigen können sich dann ergeben, wenn das FA bei der Einkommensteuerveranlagung seine bisherige Rechtsansicht ändert mit der Folge, daß das Einkommen des Steuerpflichtigen nunmehr mehr als 48.000 DM (24.000 DM) beträgt (vgl. § 46 Abs. 1 EStG). Bleibt der Steuerpflichtige dagegen unter diesen Einkommensgrenzen, so wirkt zunächst zu seinen Gunsten die Bestandskraft des Bescheids nach § 42 Abs. 5 EStG. Ergebnisse dieser Art müssen hingenommen werden. Sie folgen daraus, daß sich der Gesetzgeber aufgrund einer rechtspolitischen Entscheidung dazu entschlossen hat, die Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung von bestimmten Einkommensgrenzen abhängig zu machen. Ähnliche Auswirkungen ergeben sich auch an anderen Stellen des EStG. So wird etwa nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG eine Veranlagung durchgeführt, wenn die Einkünfte, die nicht der Lohnsteuer zu unterwerfen waren, insgesamt mehr als 800 DM betragen. Wer diesen Betrag von 800 DM überschreitet, muß - stufenweise - versteuern, wer knapp unter dieser Betragsgrenze liegt, wird von der Einkommensteuerveranlagung nicht erfaßt.

Vorteilhaft ist die vom Großen Senat vertretene Rechtsauffassung für den Steuerpflichtigen dann, wenn er sich nach Erstattung im Lohnsteuer-Jahresausgleich etwa aufgrund neuer Erkenntnisse entschließt, nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG 1977 die Veranlagung zu beantragen, weil er (a) die Vorschriften der §§ 34, 34 c und 35 EStG in Anspruch nehmen oder (b) Verluste aus einer anderen Einkunftsart als derjenigen aus nichtselbständiger Arbeit oder (c) Verlustabzüge (§ 10 d EStG) berücksichtigt wissen oder (d) die Anrechnung von Kapitalertragsteuer oder (e) die Anrechnung von Körperschaftsteuer auf die Steuerschuld erreichen will. Die Veranlagung kann der Steuerpflichtige noch bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres beantragen. Im Fall des § 10 d Satz 1 EStG ist der Antrag für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum bis zum Ablauf des diesem folgenden dritten Kalenderjahres zu stellen (§ 46 Abs. 2 Satz 2 EStG). Dagegen ist die Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs - nach dem derzeit geltenden Recht - schon spätestens am 31. Mai (EStG 1975) bzw. 30. September (EStG 1977 in der ab 1. Oktober 1978 geltenden Fassung) des dem Ausgleichsjahr folgenden Kalenderjahres zu beantragen; die Frist kann nicht verlängert werden (§ 42 Abs. 2 Satz 3 EStG). Die für die Einkommensteuerveranlagung maßgebliche Frist bleibt dem Steuerpflichtigen erhalten, wenn die Einkommensteuerveranlagung unberührt von der Bestandskraft des Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheids durchgeführt werden kann.

Zu berücksichtigen ist ferner, daß es für den Steuerpflichtigen schwieriger wäre als für das FA, die Bestandskraft des Bescheids nach § 42 Abs. 5 EStG zu durchbrechen. Dem Steuerpflichtigen könnte entgegengehalten werden, die dem FA nunmehr bekanntgewordenen neuen Tatsachen seien wegen groben Verschuldens nicht zu berücksichtigen (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977). Andererseits könnte sich das FA eine spätere Änderung seines Rechtsstandpunkts zum Nachteil des Steuerpflichtigen - verstünde man den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich bereits als (positive oder negative) Festsetzung der Einkommensteuer - dadurch offenhalten, daß es unter Berufung auf § 164 Abs. 1 AO 1977 den Bescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung erließe (vgl. Heinke, DStZ 1980, 308). Auch neue Tatsachen und Beweismittel könnte das FA zu seinen Gunsten unter weniger erschwerten Voraussetzungen geltend machen als der Steuerpflichtige (vgl. § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977).

Nach Auffassung des Großen Senats würde dem Bescheid nach § 42 Abs. 5 EStG - folgte man dem vorlegenden Senat - eine Bedeutung unterlegt, die ihm nicht zukommt. Sinn der gesetzlichen Regelung ist es, daß die Einkommensteuerveranlagung nicht von dem nur bei Beziehern von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit möglicherweise eintretenden Zufall abhängen soll, ob vor Durchführung der Einkommensteuerveranlagung auf Antrag des Steuerpflichtigen im Verfahren über den Lohnsteuer-Jahresausgleich Lohnsteuer erstattet wurde. Wenn der Gesetzgeber gegenüber der früheren Rechtslage als Form der Entscheidung über den Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich in allen Fällen einen Steuerbescheid vorgeschrieben hat, so sollte dies nur sicherstellen, daß der Antrag des Steuerpflichtigen auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs in jedem Fall ordnungsgemäß beschieden wird und der Steuerpflichtige nicht darauf verwiesen bleibt, die Antwort des FA auf seinen Antrag lediglich aus seinem Kontoauszug ersehen zu müssen. Eine weiterreichende Bedeutung hatte die Gesetzesänderung insoweit nicht.

Ob die Grundsätze nach Treu und Glauben im Einzelfall dazu Anlaß geben können, eine Bindung des FA im Einkommensteuerverfahren an die im Bescheid nach § 42 Abs. 5 EStG getroffene Entscheidung zu bejahen, hat der Große Senat nicht zu entscheiden.

IV. Die vorgelegte Rechtsfrage entscheidet der Große Senat wie folgt:

Die Bestandskraft eines nach § 42 EStG ergangenen Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheids hindert das FA nicht, denselben Steuerpflichtigen für dasselbe Kalenderjahr unter den Voraussetzungen des § 46 EStG zu veranlagen und dabei den gleichgebliebenen Sachverhalt rechtlich anders zu würdigen.