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BFH-Urteil vom 25.10.1985 (III R 67/82) BStBl. 1986 II S. 279

Zur Abgrenzung Einfamilienhaus/Zweifamilienhaus bei Wohngrundstücken, die vor dem 1. Januar 1973 bezugsfertig errichtet, um- oder ausgebaut wurden und auf die die neue Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 5. Oktober 1984 III R 192/83, BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151) noch nicht anzuwenden ist.

Ein 1968 bezugsfertig errichtetes zweigeschossiges Wohngebäude ist als Zweifamilienhaus zu bewerten, wenn auf jedem Geschoß die für die Führung eines Haushalts notwendigen Räume vorhanden sind und der Treppenaufgang zum Obergeschoß in der durch Türen abgeschlossenen Diele im Erdgeschoß unmittelbar hinter der Hauseingangstür beginnt.

Nach den am 1. Januar 1969 maßgebenden Verhältnissen ist für die Annahme einer Wohnung das Vorhandensein eines eingerichteten Bades oder einer Dusche nicht erforderlich.

BewG 1965 § 75 Abs. 5 und 6.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines im Jahre 1968 bezugsfertig errichteten Wohngebäudes. Ausweislich der Feststellungen des Finanzgerichts (FG) und der Baupläne handelt es sich um ein Gebäude mit einem Erdgeschoß (136 qm) und einem ausgebauten Dachgeschoß (103 qm). Das Gebäude wird im Erdgeschoß durch die Hauseingangstür, an der zwei Klingelanlagen angebracht sind, betreten. Man gelangt zunächst in eine geräumige Diele. Von hier führen mehrere Türen zu den Räumen des Erdgeschosses. Es enthält u. a. eine eingerichtete Küche mit angrenzendem Wirtschaftsraum, ein Wohn-Eßzimmer sowie ein Spielzimmer. Der in der Bauzeichnung als Bad/Dusche bezeichnete Raum ist nicht als solcher ausgebaut worden. Abweichend von den Bauzeichnungen ist dieser Raum durch eine Mauer aufgeteilt, wobei der von der Diele aus zugängliche Teil als Toilette eingerichtet ist. Der andere Teil, in dem die Anschlüsse für Bad und Dusche vorhanden sind, dient als Arbeitszimmer. Von der Diele im Erdgeschoß führt unmittelbar nach der Eingangstür eine Treppe durch einen oben angebrachten Türabschluß in den Flur des Dachgeschosses. Die massive Holztür ist mit einem Blendrahmen ohne Maueranschluß unmittelbar in die Durchgangsöffnung eingepaßt. Von dem Flur gehen insgesamt sieben Türen zu den Räumen im Obergeschoß ab. Sechs Räume davon, u. a. eine funktionsfähige Küche, ein Badezimmer und eine Toilette stellen nach Ansicht des Klägers eine zweite Wohnung dar. Am westlichen Ende des Flurs gelangt man durch eine Doppeltür in einen Schlaftrakt, der aus einem Schlafzimmer und einem daran unmittelbar angrenzenden Badezimmer mit WC besteht. Am 1. Januar 1974 bewohnte der Kläger mit seiner Familie das ganze Erdgeschoß und im Obergeschoß den Schlaftrakt sowie ein daneben liegendes Zimmer, das nach dem Vortrag des Klägers zu der zweiten Wohnung gehören soll. Diese zweite Wohnung wurde im Jahre 1974 gelegentlich und abwechselnd von der Mutter des Klägers und einer Bekannten bewohnt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) bewertete das Wohngrundstück des Klägers auf den 1. Januar 1969 als Mietwohngrundstück und auf den 1. Januar 1974 im Wege der Nachfeststellung im Anschluß an eine Ortsbesichtigung als Einfamilienhaus. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt: Das Wohngrundstück des Klägers enthalte nur eine Wohnung. Insbesondere könnten die sechs Räume im Obergeschoß nicht als eine zweite Wohnung angesehen werden, da sie nach ihrer baulichen Gestaltung nicht von anderen Wohnräumen abgeschlossen seien. Der Schlaftrakt für sich könne schon deswegen nicht als Wohnung angesehen werden, weil er keine Küche enthalte. Das Dachgeschoß insgesamt stelle keine Wohnung dar, weil auch bei dieser Betrachtungsweise ein dauerhafter Abschluß fehle. Die Tür, die im Dachgeschoß von der Treppe in den Flur führe, könne ohne größeren Aufwand entfernt und auch wieder angebracht werden. Im übrigen würde in diesem Fall im Erdgeschoß ein eingerichtetes Badezimmer fehlen.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 75 des Bewertungsgesetzes (BewG). Das Gebäude enthalte im Erd- und im Obergeschoß jeweils eine eigene Wohnung und sei deshalb unabhängig von den tatsächlichen Nutzungsverhältnissen als Zweifamilienhaus zu bewerten. Die Nutzung des Schlaf- und des Badezimmers im Obergeschoß durch den Kläger und seine Familie beruhe auf einer Vereinbarung mit der Mieterin. Die Tür von der Treppe in den Flur des Obergeschosses sei von massiver Bauweise und müsse als dauerhafter Wohnungsabschluß angesehen werden. Außerdem sei im Untergeschoß des Wohngebäudes eine Dusche vorhanden, die zu der Erdgeschoßwohnung gerechnet werden müsse.

Der Kläger beantragt, das Wohngrundstück auf den 1. Januar 1974 als Zweifamilienhaus zu bewerten.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Das Wohngrundstück des Klägers enthält zum 1. Januar 1974 zwei Wohnungen und ist demzufolge gemäß § 75 Abs. 6 BewG als Zweifamilienhaus zu bewerten.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist unter einer Wohnung die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, daß sie die Führung eines selbständigen Haushalts ermöglichen. Dazu ist es u. a. erforderlich, daß entsprechende Nebenräume, insbesondere eine Küche oder ein Raum mit Kochgelegenheit und die notwendigen zusätzlichen Einrichtungen vorhanden sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. November 1978 III R 81/76, BFHE 126, 565, BStBl II 1979, 255). Der erkennende Senat hat allerdings - teilweise abweichend von der bisherigen Rechtsprechung - in seiner Entscheidung vom 5. Oktober 1984 III R 192/83 (BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151) einzelne Merkmale des bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriffs enger gefaßt. Danach ist für die Beurteilung der Frage, ob Räumlichkeiten den bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriff erfüllen, u. a. wesentlich, daß die Räume eine von anderen Wohnungen und Wohnräumen eindeutig baulich getrennte, in sich abgeschlossene Einheit darstellen. Sie müssen einen eigenen Zugang aufweisen. Diese Rechtsgrundsätze sind jedoch erstmals bei der Bewertung von Wohngrundstücken anzuwenden, die im Laufe des Jahres 1973 bezugsfertig errichtet, aus- oder umgebaut wurden. An dieser Voraussetzung fehlt es im Streitfall. Das Wohngebäude wurde bereits im Jahre 1968 bezugsfertig errichtet und auf den 1. Januar 1969 nach altem Recht (§ 32 Abs. 1 Nr. 1 der Durchführungsverordnung zum Bewertungsgesetz vom 2. Februar 1935 - BewDV -) als Mietwohngrundstück bewertet. Somit war auf den 1. Januar 1974 gemäß Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965 (BStBl I 1965, 375) i. V. m. § 23 BewG eine Nachfeststellung nach neuem Recht (§§ 23, 75 BewG) durchzuführen. Für die Annahme einer Wohnung reicht es in derartigen Fällen aus, daß sich die Zusammenfassung mehrerer Räume zu einer Wohnung aus der Lage dieser Räume zueinander, aus ihrer Zweckbestimmung und der dieser Zweckbestimmung entsprechenden tatsächlichen Nutzung ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 22. Juni 1979 III R 17/77, BFHE 129, 65, BStBl II 1980, 175).

2. Die Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall ergibt, daß das Wohngrundstück des Klägers zwei Wohnungen enthält. Das FG hat die Wohneinheiten in ihrer stockwerksmäßigen Zusammenfassung zu Unrecht nicht als Wohnungen angesehen.

Beide Wohnungen sind dadurch hinreichend zu selbständigen Einheiten zusammengefaßt und räumlich voneinander getrennt, daß sie sich auf verschiedenen Stockwerken befinden (vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember 1970 III R 3/69, BFHE 101, 266, BStBl II 1971, 230). Der Zugang zum Obergeschoß berührt im Erdgeschoß keine Wohnräume, da der Treppenaufgang in der Diele unmittelbar hinter der Hauseingangstür beginnt. Die Annahme einer selbständigen Wohnung im Obergeschoß scheitert auch nicht daran, daß es an einem dauerhaften Abschluß fehlte. Das FG verkennt die Funktion der Tür im Obergeschoß. Sie dient nicht nur dem baulichen Abschluß der Wohneinheit im Obergeschoß im Sinne einer dauerhaften baulichen Abgeschlossenheit gegenüber der Wohneinheit im Erdgeschoß. Die Tür stellt vielmehr auch den einzigen Wohnungseingang zu den im Obergeschoß als Wohneinheit zusammengefaßten Räumen dar und ist insoweit unentbehrlich. Der Beurteilung der Wohneinheit im Obergeschoß als Wohnung steht ferner nicht entgegen, daß der Kläger mit seiner Familie neben der Wohnung im Erdgeschoß noch einige Räume des Obergeschosses mitbenutzt. Diese Räume sind bei der bewertungsrechtlichen Beurteilung nicht deshalb der Wohnung im Erdgeschoß zuzurechnen, weil sie von denselben Personen bewohnt werden. Ob Räume zu einer Einheit im Sinne des bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriffs zusammenzufassen sind, ergibt sich in erster Linie aus ihrer Lage und ihrer baulichen Zuordnung und nicht aus ihrer Nutzung.

In beiden Wohneinheiten kann nach den Feststellungen des FG ein selbständiger Haushalt geführt werden. Das Obergeschoß enthält insgesamt vier Zimmer, eine eingerichtete Küche, zwei Badezimmer sowie eine separate Toilette. Im Erdgeschoß befinden sich drei Zimmer, eine eingerichtete Küche, ein separates WC sowie ein Raum, in dem die Anschlüsse für die Einrichtung einer Dusche oder eines Bades vorhanden sind. Das Vorhandensein eines eingerichteten Bades oder einer Dusche hat der Senat für die Annahme einer Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinne bei Wohngrundstücken, die - wie im Streitfall - im Jahre 1968 bezugsfertig errichtet wurden, nicht für notwendig gehalten.

3. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, waren die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Auf die Klage war der Einheitswertbescheid zu ändern. Die Sache ist spruchreif. Für das Grundstück ist die Grundstücksart Zweifamilienhaus festzustellen.