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BFH-Urteil vom 6.11.1985 (II R 220/82) BStBl. 1986 II S. 281

Es ist jedenfalls dann gerechtfertigt, einen negativen Ertragshundertsatz bei der Anteilsbewertung nicht anzusetzen, wenn die für die nächsten Jahre zu erwartenden Verluste weniger als 1 v. H. des Substanzwertes betragen und der gemeine Wert entsprechend Abschn. 79 Abs. 3 Satz 6 VStR 1977 mit 45,5 v. H. des Vermögenswertes festgestellt wird.

BewG § 11 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine GmbH, deren Anteile von der Beigeladenen zu 4., einer Kommanditgesellschaft, gehalten werden. Die Beigeladenen zu 1. bis 3. sind Gesellschafter dieser Kommanditgesellschaft.

Das beklagte Finanzamt (FA) hat den Wert der Anteile an der Klägerin zu je 100 DM Stammkapital auf 472 DM nach dem sog. Stuttgarter Verfahren festgestellt (= 45,5 v. H. von 1.038 v. H.). Dabei hat es den Ertragshundertsatz gemäß Abschn. 78 Abs. 6 Satz 3 der Vermögensteuer-Richtlinien 1977 (VStR 1977) mit null v. H. angesetzt und einen Abschlag von 30 v. H. (gemäß Abschn. 79 Abs. 3 VStR 1977) gewährt. Die Klägerin hatte demgegenüber den Ansatz eines negativen Ertragshundertsatzes begehrt und zur Begründung ausgeführt, daß Verluste zu erwarten seien.

Nach erfolglosem Einspruch hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt, den Wert von 100 DM Stammkapital auf 188 DM, hilfsweise auf 331 DM, festzustellen. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Vom Stichtag 31. Dezember 1976 her sei als in Zukunft erzielbarer Durchschnittsertrag ein Verlust anzusetzen. Die Begrenzung des Ertragshundertsatzes auf null v. H. sei inkonsequent. Hinsichtlich des Betriebsgrundstückes müsse berücksichtigt werden, daß es deshalb wertlos geworden sei, weil in unmittelbarer Nachbarschaft ein nichtgenutztes Fabrikgrundstück eines inzwischen eingestellten Unternehmens liege.

Das Finanzgericht (FG) hat den Wert eines Anteils von 100 DM Stammkapital auf 458 DM festgestellt. Es hat dabei die Auffassung vertreten, daß auch negative Ertragsaussichten bei der Bewertung zu berücksichtigen seien.

Dem vom FG festgestellten Wert liegt folgende Berechnung zugrunde:

I.

Vermögenswert wie bisher

1.038 v.H.

II.

Ertragshundertsatz

./. 6,65 v.H.

III.

Gemeiner Wert

 
 

1. Vermögenswert

1.038 v.H.

 

2. Ertragshundertsatz

 
 

./. 6,65 v.H. x 5

./. 33,25 v.H.

   

------------------

 

zusammen

1.005 v.H.

 

davon 65 v.H.

654 v.H.

 

Abschlag von 30 v.H.

196 v.H.

   

------------------

 

gemeiner Wert

458 v.H.

Das FA hat Revision eingelegt. Es hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Seine Revision ist begründet.

Der Senat folgt dem FG darin, daß es sich bei dem sog. Stuttgarter Verfahren dem Grundsatz nach um ein geeignetes Schätzungsverfahren handelt. Diese Auffassung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (vgl. zuletzt das Urteil vom 16. April 1984 III R 82/81, BFHE 141, 172, BStBl II 1984, 547). Wie das FG richtig erkannt hat, enthebt dieser Umstand die Gerichte aber nicht der Verpflichtung, dieses Verfahren in seiner jeweiligen Ausgestaltung an § 11 Abs. 2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) zu messen und darüber hinaus auf seine innere Folgerichtigkeit zu überprüfen.

Das Stuttgarter Verfahren ist immer dann Ausdruck einer zugunsten des Steuerpflichtigen vorsichtigen Bewertung, wenn die Unternehmensrendite den bei der Bewertung angenommenen Normalzinssatz (im vorliegenden Fall 10 v. H.) übersteigt. Denn dann bleiben die nach dem Stuttgarter Verfahren ermittelten Werte mehr oder weniger weit hinter den Ergebnissen anderer Schätzungsmethoden zurück (vgl. hierzu die Senatsurteile vom 7. Dezember 1977 II R 164/72, BFHE 124, 356, BStBl II 1978, 323, und vom 12. März 1980 II R 28/77, BFHE 130, 198, BStBl II 1980, 405, und II R 143/76, BFHE 130, 336, BStBl II 1980, 463; vgl. ferner Helbling, Unternehmensbewertung und Steuern, 4. Aufl., S. 86 f., der dort allerdings beim Stuttgarter Verfahren die zukünftigen Erträge nur für drei Jahre berücksichtigt).

Geht man davon aus, daß die Differenz zwischen dem Ertragswert und dem Substanzwert dem Geschäftswert entspricht (vgl. das BFH-Urteil vom 5. August 1970 I R 180/66, BFHE 100, 89, BStBl II 1970, 804; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl., § 153 Tz. 129; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl., S. 42), so wird der Geschäftswert bei der Ertragswertmethode voll, bei der Mittelwertmethode zur Hälfte, beim Stuttgarter Verfahren nach den VStR 1977 zu 1/3 angesetzt.

Sinkt die Unternehmensrendite unter 10 v. H., so ergeben sich bei unveränderter Anwendung der jeweiligen Methode im Verhältnis zum Substanzwert niedrigere Werte, wobei die Differenz als sog. negativer Geschäftswert bezeichnet worden ist (vgl. Troll, Entlastung der Wirtschaft bei der Vermögensteuer, Betriebs-Berater - BB -, Beilage 6/1983 zu Heft 14/1983, Abschn. V). Dieser sog. negative Geschäftswert wird somit bei den drei genannten Methoden jeweils voll, zur Hälfte oder nur zu 1/3 berücksichtigt. Die Systematik des Stuttgarter Verfahrens führt somit in diesen Fällen (ohne Berücksichtigung des besonderen Abschlags gemäß Abschn. 79 Abs. 3 VStR 1977) zu entsprechend höheren Werten als die beiden anderen genannten Methoden. Dies dürfte den besonderen Abschlag i. S. des Abschn. 79 Abs. 3 VStR 1977 rechtfertigen.

Ob die Anwendung des Stuttgarter Verfahrens auch bei einer geringeren Unternehmensrendite als 10 v. H. bei Berücksichtigung des besonderen Abschlags nach Abschn. 79 Abs. 3 VStR 1977 durchweg zu angemessenen Werten führt, mag im vorliegenden Fall dahinstehen. Insbesondere braucht der Senat sich nicht mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es gerechtfertigt ist, den Ertragshundertsatz bei der Anwendung des Stuttgarter Verfahrens niemals unter null v. H. absinken zu lassen (vgl. Abschn. 78 Abs. 6 Satz 3 VStR 1977). Denn jedenfalls bei Ergebniserwartungen zwischen null v. H. und einem Verlust von 1 v. H. des Substanzwertes führen die VStR zu Ergebnissen, die mit § 11 Abs. 2 BewG zu vereinbaren sind.

Bei einem Ertragshundertsatz von null v. H. ergibt sich nach den VStR 1977 ein gemeiner Wert der Anteile in Höhe von 45,5 v. H. des Vermögenswertes des Unternehmens der Gesellschaft. Er liegt noch unter dem Ergebnis der Mittelwertmethode (50 v. H. des Substanzwertes). Auch der Wert einer auf fünf Jahre befristeten unverzinslichen Forderung wäre bei einem Abzinsungssatz von 10 v. H. noch höher (rund 56,45 v. H.). Das Stuttgarter Verfahren hält sich somit in diesem Bereich im Rahmen einer vorsichtigen Bewertung.

Nichts anderes gilt für den vorliegenden Fall eines Ertragshundertsatzes von % 6,65 v. H. (bezogen auf das Stammkapital), der einem zu erwartenden Verlust von 0,64 v. H. des im vorliegenden Fall angenommenen Substanzwertes entspricht. Auch in diesem Bereich entspricht der Ansatz eines Wertes von 45,5 v. H. des Vermögenswertes der Vorschrift des § 11 Abs. 2 BewG und dem Grundsatz einer vorsichtigen Bewertung.

Offenbleibt, ob es auch bei zu erwartenden höheren Verlusten bei einem Anhaltewert von 45,5 v. H. des Vermögenswertes verbleiben kann. Verfügt eine Kapitalgesellschaft über erhebliche Reserven, so können auch längere Verlustperioden überstanden werden. Dasselbe gilt, wenn mit der Zuführung zusätzlichen Kapitals während einer vorübergehenden Verlustperiode gerechnet werden kann. Wenn unter diesen Umständen nicht mit einer baldigen Liquidation des Unternehmens zu rechnen ist, wird nicht ohne weiteres der Liquidationswert als Mindestwert für die Anteile angesetzt werden können (vgl. in diesem Zusammenhang auch Helbling, a. a. O., S. 440 f.). Diese Fragen brauchen im vorliegenden Fall jedoch nicht vertieft zu werden.