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BFH-Urteil vom 27.11.1985 (I R 115/85) BStBl. 1986 II S. 362

Aufgrund des Beschlusses des BVerfG vom 12. März 1985 1 BvR 571/81, 1 BvR 494/82, 1 BvR 47/83 (BVerfGE 69, 188, BStBl II 1985, 475) darf bei der Beurteilung der personellen Verflechtung zwischen Besitz- und Betriebsunternehmen als Voraussetzung für die Annahme einer Betriebsaufspaltung nicht mehr von der - wenn auch widerlegbaren - Vermutung ausgegangen werden, Eheleute verfolgten gleichgerichtete wirtschaftliche Interessen. Als besondere Umstände, die es rechtfertigen, die Anteile der Ehefrau an einem Unternehmen denen des Ehemannes zuzurechnen, sind nicht anzusehen:

a) Jahrelanges konfliktfreies Zusammenwirken der Eheleute innerhalb der Gesellschaft,

b) Herkunft der Mittel für die Beteiligung der Ehefrau an der Betriebsgesellschaft vom Ehemann,

c) "Gepräge" der Betriebsgesellschaft durch den Ehemann,

d) Erbeinsetzung der Ehefrau durch den Ehemann als Alleinerbe, gesetzlicher Güterstand der Zugewinngemeinschaft, beabsichtigte Alterssicherung der Ehefrau.

GewStG § 2 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Bremen

Sachverhalt

A.

Der inzwischen verstorbene O war Inhaber eines Klempnerei- und Installationsbetriebs. Er ist von seiner Ehefrau - der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - beerbt worden. Im Jahre 1969 gründete er zusammen mit dem Prokuristen seines Einzelunternehmens die J-GmbH (GmbH), deren Gegenstand der Bau von Rohrleitungen, Heizungs- und Sanitäranlagen ist. Von dem Stammkapital von 50.000 DM übernahm O 49.000 DM. Ende 1970 gründeten die GmbH, die Klägerin sowie § und L - die volljährigen Kinder der Eheleute - die J-GmbH & Co. KG (KG). Die GmbH wurde die persönlich haftende Gesellschafterin; eine Einlage wurde von ihr nicht geleistet. Die drei übrigen Gesellschafter wurden Kommanditisten mit Einlagen von je 50.000 DM. Nach dem Gesellschaftsvertrag oblagen die Geschäftsführung und die Vertretung der KG der Komplementärin (GmbH). Beschlüsse der Gesellschafterversammlung bedurften der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Jeder Gesellschafter hatte eine Stimme. Bei Stimmengleichheit entschied die Stimme der Komplementärin.

O überließ durch einen weiteren Vertrag der KG das gesamte Umlaufvermögen seines Einzelunternehmens gegen Zahlung von ... DM. Die KG übernahm ferner die dem Umlaufvermögen gegenüberstehenden Verbindlichkeiten des Einzelunternehmens. Gleichzeitig verpachtete O mit Wirkung vom 1. Januar 1971 das gesamte Anlagevermögen (Grundstücke, Werkstatt mit Einrichtung, Maschinen, Betriebs- und Geschäftsausstattung, Kraftfahrzeuge und geringwertige Wirtschaftsgüter) gegen eine umsatzabhängige Pacht von 7 v. H. an die KG. Diese führte den Betrieb des O unverändert fort.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) zog O auch für die Zeit nach dem 1. Januar 1971 zur Gewerbesteuer heran. Das FA sah eine Betriebsaufspaltung als gegeben an. Es setzte mit Vorauszahlungsbescheid die Gewerbesteuervorauszahlungen für 1973 rückwirkend auf ... DM fest. Nach erfolgloser Beschwerde wandte sich O mit der Klage gegen die Festsetzung der Vorauszahlungen. Er bestritt das Vorliegen einer Betriebsaufspaltung.

Klage und Revision hatten keinen Erfolg. Der Bundesfinanzhof (BFH) sah in der Verpachtung des Anlagevermögens des Einzelunternehmens an die KG eine gewerbliche Tätigkeit (Urteil vom 10. November 1982 I R 178/77, BFHE 137, 67, BStBl II 1983, 136). Die sachlichen, aber auch die personellen Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung seien gegeben. Die an die KG verpachteten Grundstücke und sonstigen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens gehörten zu den wesentlichen Grundlagen des Betriebs der KG. O als der Inhaber des Besitzunternehmens könne über die von ihm zu 98 v. H. beherrschte GmbH zugleich auch im Betriebsunternehmen (KG) seinen Willen durchsetzen. O verfüge als beherrschender Gesellschafter der Komplementär-GmbH zwar nur über eine Stimme gegenüber den drei Stimmen der Kommanditisten (seiner Ehefrau - der Klägerin - und seiner beiden Kinder). Die Stimme der Ehefrau sei ihm jedoch hinzuzurechnen. Nach ständiger Rechtsprechung bestehe die - widerlegbare - Vermutung, daß der Gesellschafter die Rechte seiner an der Gesellschaft beteiligten Ehefrau und seiner Kinder, soweit sie noch minderjährig und von ihm wirtschaftlich abhängig seien, in Übereinstimmung mit seinen eigenen Interessen wahrnehme. Diese Vermutung beruhe auf der Lebenserfahrung, daß zwischen Eheleuten enge persönliche Beziehungen beständen, die eine Übereinstimmung in wirtschaftlichen Fragen erwarten ließen. Bei Zusammenrechnung der Stimmen der Ehefrau (Klägerin) und der von O beherrschten GmbH sei zwar noch nicht die Stimmenmehrheit gesichert. Denn diesen beiden Stimmen ständen die Stimmen der beiden erwachsenen Kinder gegenüber. Bei Stimmengleichheit entscheide aber aufgrund des Gesellschaftsvertrags die Stimme der Komplementär-GmbH. Die Stimme des hinter der GmbH stehenden O gebe somit den Ausschlag.

Auf die Verfassungsbeschwerde der Klägerin hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluß vom 12. März 1985 1 BvR 571/81, 1 BvR 494/82, 1 BvR 47/83 (BVerfGE 69, 188, BStBl II 1985, 475) die Entscheidung des BFH in BFHE 137, 67, BStBl II 1983, 136 aufgehoben und die Sache an den BFH zurückverwiesen. Die Fortentwicklung der Rechtsprechung des BFH zur Betriebsaufspaltung verstoße zwar nicht gegen Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG). Es sei aber mit Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn bei der Beurteilung der personellen Verflechtung zwischen Besitz- und Betriebsunternehmen als Voraussetzung für die Annahme einer Betriebsaufspaltung von der - wenn auch widerlegbaren - Vermutung ausgegangen werde, Ehegatten verfolgten gleichgerichtete Interessen. Ehegatten dürften im Vergleich zu Ledigen steuerlich nicht schlechtergestellt werden. Die Finanzbehörde trage die Beweislast für die Tatsachen, die den Steueranspruch begründeten. Die konkreten Umstände des Einzelfalles könnten es allerdings rechtfertigen, Anteile der Ehefrau an einem Unternehmen des Ehemannes diesem wie eigene Anteile zuzurechnen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe der Entscheidung des BVerfG verwiesen.

Die Verfahrensbeteiligten haben sich in dem erneut beim BFH anhängigen Verfahren geäußert.

Entscheidungsgründe

B.

Auf die Revision der Klägerin ist das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung in die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die bisherigen Feststellungen des FG erlauben keine abschließende Beurteilung, ob O mit der Verpachtung des Anlagevermögens seines Einzelunternehmens an die KG weiterhin einen Gewerbebetrieb betrieben hat, der der Gewerbesteuer unterliegt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes - GewStG -). Die einzelnen Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, um die Gewerbesteuerpflicht eines aus einer sog. Betriebsaufspaltung hervorgegangenen Verpachtungsbetriebs annehmen zu können, sind unter Ziff. 1 der Gründe der vom BVerfG aufgehobenen Entscheidung des Senats dargestellt (BFHE 137, 67, 68, BStBl II 1983, 136, 137). Es wird insoweit darauf verwiesen.

Bei einer Betriebsaufspaltung ist die Gewerbesteuerpflicht des Verpachtungsbetriebs gegeben, wenn die verpachteten Wirtschaftsgüter zu den wesentlichen Grundlagen der Betriebsgesellschaft (Pächterin) gehören (sachliche Voraussetzungen) und enge personelle Verflechtungen zwischen Besitz- und Betriebsunternehmen bestehen (personelle Voraussetzungen).

Nach den unbestrittenen Feststellungen des FG haben die von O an die KG verpachteten Grundstücke und sonstigen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens zu den wesentlichen Grundlagen des Betriebs der KG gehört, so daß die sachlichen Voraussetzungen für eine Betriebsaufspaltung gegeben sind.

Nach dem jetzigen Stand des Verfahrens ist es offen, ob die personellen Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung vorliegen. O hätte in der Lage sein müssen, als Inhaber des Besitzunternehmens über die von ihm zu 98 v. H. beherrschte Komplementär-GmbH zugleich auch im Betriebsunternehmen (KG) seinen Willen durchzusetzen.

Für die Durchsetzung des Willens in einem Unternehmen ist grundsätzlich der Besitz der Mehrheit der Anteile erforderlich. An dem Erfordernis einer Beteiligung von 75 v. H. ist nicht mehr festgehalten worden (BFH-Urteil vom 28. November 1979 I R 141/75, BFHE 129, 279, BStBl II 1980, 162). In besonders gelagerten Einzelfällen kann die Fähigkeit, den Willen in dem Betriebsunternehmen durchzusetzen, auch ohne Anteilsbesitz durch eine besondere tatsächliche Machtstellung gegeben sein (BFH-Urteil vom 29. Juli 1976 IV R 145/72, BFHE 119, 462, BStBl II 1976, 750). Das BVerfG hat gegen diese Auffassung keine verfassungsrechtlichen Bedenken geäußert.

Für die Durchsetzung des Willens im Betriebsunternehmen, das im Streitfall in der Rechtsform einer KG geführt wird, sind nach dem Gesellschaftsvertrag die Stimmrechtsverhältnisse maßgebend. O hatte über die von ihm beherrschte Komplementär-GmbH nur eine Stimme gegenüber den drei Stimmen der Kommanditisten (seiner Ehefrau - der Klägerin - und seiner beiden erwachsenen Kinder). Das FG ist davon ausgegangen, daß die Ehefrau (Klägerin) stets wie ihr Ehemann stimmen werde. Es hat die Stimme der Ehefrau dem Kläger zugerechnet, so daß - falls die beiden Kinder gegen ihre Eltern stimmten - O über die im Falle der Stimmengleichheit ausschlaggebende Stimme der GmbH seinen Willen hätte durchsetzen können. Das FG hat sich bei der Zusammenrechnung der Stimme des O mit der seiner Ehefrau auf die bisherige Rechtsprechung des BFH gestützt, daß bei Ehegatten eine - wenn auch widerlegbare - Vermutung besteht, sie verfolgten gleiche Interessen. Auf diese Vermutung darf nach Ergehen der Entscheidung des BVerfG, an die der erkennende Senat nach § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) gebunden ist, nicht mehr zurückgegriffen werden. Wie unter C. III. der Gründe des aufhebenden Beschlusses des BVerfG ausgeführt ist, ist eine Zusammenrechnung von Anteilen der Eheleute gerechtfertigt, wenn hierfür konkrete Umstände vorliegen. Es müssen zusätzlich zur ehelichen Lebensgemeinschaft Beweisanzeichen gegeben sein, die für die Annahme einer personellen Verflechtung durch gleichgerichtete wirtschaftliche Interessen sprechen.

Das BVerfG hat davon abgesehen, auf mögliche Fallgestaltungen einzugehen. In der mündlichen Verhandlung ist mit den Beteiligten erörtert worden, ob und ggf. welche der bisher bekannten Umstände dazu führen könnten, die Anteile des O mit denen seiner Ehefrau zusammenzurechnen. Nach Auffassung des erkennenden Senats rechtfertigen die folgende Umstände - einzeln für sich oder insgesamt gesehen - nicht den Schluß, daß die Eheleute wirtschaftlich gleichgerichtete Interessen verfolgen, die notwendig zu einer Zusammenrechnung ihrer Beteiligungen führen müßten:

a) Jahrelanges konfliktfreies Zusammenwirken der Eheleute innerhalb der Gesellschaft,

b) Herkunft der Mittel für die Beteiligung der Ehefrau an der Betriebsgesellschaft vom Ehemann, hier Schenkung von 50.000 DM seitens O an seine Ehefrau zur Erbringung ihrer Kommanditeinlage, was unter den Beteiligten unstreitig ist.

c) "Gepräge" der Betriebsgesellschaft durch den Ehemann, d. h. der Ehemann führt die Geschäfte und verfügt über die erforderlichen Fachkenntnisse,

d) Erbeinsetzung der Ehefrau durch den Ehemann als Alleinerbin, gesetzlicher Güterstand der Zugewinngemeinschaft und ggf. die Absicht, der Ehefrau durch die Beteiligung eine Alterssicherung zu geben.

Es gibt keinen Erfahrungssatz, daß Gesellschaftsverhältnisse nur unter Eheleuten oder nahen Angehörigen konfliktfrei verlaufen. Auch wenn die Ehefrau die Mittel für ihre Beteiligung an der Betriebsgesellschaft von ihrem Ehemann im Wege einer Schenkung erhalten hat, hat ihre Beteiligung an der Betriebsgesellschaft ihr eigenes Gewicht. Das drückt sich je nach dem Erfolg oder Mißerfolg des Unternehmens durch Zuschreibung von Gewinnen oder durch Belastung mit Verlusten auf den Kapitalkonten oder ähnlichen Konten aus. Im Laufe der Zeit tritt die Tatsache, daß die Mittel für die Beteiligung aus einer Schenkung von dem anderen Ehegatten stammen, immer mehr in den Hintergrund. Was das "Gepräge" durch einen maßgeblich Beteiligten anbelangt, ist es auch unter Fremden üblich, daß sich jemand, wenn er die Möglichkeit hierzu erhält, an einem Unternehmen beteiligt, wenn dessen Inhaber ein erfolgversprechender Fachmann auf seinem Gebiet ist. Der Wunsch des Ehemannes, die Versorgung der Ehefrau zu sichern, desgleichen eine schon bekanntgewordene Erbeinsetzung und ferner der für die Eheleute maßgebliche Güterstand bedingen nicht notwendig, daß die wirtschaftlichen Interessen der Ehefrau mit denen des Ehemannes voll übereinstimmen oder daß die Ehefrau in geschäftlichen Dingen stets die Meinung des Ehemannes teilt. Würde man die unter a) bis d) erwähnten Umstände für gewichtig halten, liefe dies auf die bisherige vom BVerfG als verfassungswidrig angesehene und schwer widerlegbare Vermutung gleichgerichteter wirtschaftlicher Interessen zu Lasten der Eheleute hinaus. Von gleichgerichteten wirtschaftlichen Interessen der Eheleute kann um so weniger gesprochen werden, wenn neben den an der Betriebsgesellschaft mittelbar oder unmittelbar beteiligten Eltern volljährige Kinder ebenfalls Gesellschafter sind und nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Kinder zusammen mit einem Elternteil in der Lage sind, ihren eigenen Willen durchzusetzen. Im Streitfall sind die an der Betriebsgesellschaft (KG) beteiligten beiden Kinder volljährig und mindestens eines der Kinder - der Sohn - arbeitet im Betrieb verantwortlich mit.

Der erkennende Senat muß es - da der bisher festgestellte und erkennbare Sachverhalt hierzu keine Veranlassung bietet - ablehnen, auf Fälle einzugehen oder Fälle zu konstruieren, aus denen sich ergibt, daß Eheleute ihre Ehe dazu benutzen, ihre Verhältnisse steuerlich günstig zu gestalten.

Das FG ist noch von den bisherigen Grundsätzen (Vermutung der wirtschaftlich gleichgerichteten Interessen der Eheleute) ausgegangen und hatte keine Veranlassung nachzuprüfen, ob im Streitfall konkrete Umstände vorliegen, die es erforderlich machen, die Beteiligung der Ehefrau (Klägerin) an der KG der (mittelbaren) Beteiligung des Ehemannes an diesem Unternehmen zuzurechnen. Das FG wird das unter Berücksichtigung der obigen Grundsätze nachzuholen haben. Die Sache geht deshalb an das FG zurück.