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BFH-Urteil vom 19.12.1985 (V R 34/80) BStBl. 1986 II S. 371

1. Kleinunternehmer können nicht gemäß § 9 UStG 1967/73 auf Steuerbefreiungen für solche Veranlagungszeiträume verzichten, derentwegen sie nach § 19 Abs. 1 bis 3 UStG 1967/73 besteuert werden.

2. Bei Kleinunternehmern können die in § 9 UStG 1967/73 angeführten steuerfreien Umsätze nicht zur Bemessungsgrundlage des besonderen Kürzungsanspruchs nach § 13 BerlinFG werden.

UStG 1967/73 § 9, § 19; BerlinFG § 13.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

I.

Die Kläger sind in Grundstücksgemeinschaft Eigentümer eines Mietwohngrundstücks mit - vermieteten - Ladengeschäften. Hinsichtlich ihrer Mietumsätze gegenüber Unternehmern für deren Unternehmen haben die Kläger gemäß § 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1967/73) auf die Steuerfreiheit verzichtet, halten aber an der Besteuerung nach § 19 Abs. 1 bis 3 UStG 1967/73 fest. Für das Streitjahr (1976) machen sie einen Kürzungsanspruch gemäß § 13 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) geltend.

Das Finanzamt lehnte den Ansatz eines Kürzungsbetrages nach § 13 BerlinFG ab und setzte demzufolge die Umsatzsteuer 1976 auf 0 DM fest. Hierzu führte das Finanzamt aus, bei Kleinunternehmern setze die Wirksamkeit einer Option i. S. des § 9 UStG 1967/73 voraus, daß auch für die Regelbesteuerung optiert werde.

Auf die Klage hat das Finanzgericht die Umsatzsteuer 1976 auf ./. 480 DM festgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Finanzamt habe den Klägern den Kürzungsbetrag nach § 13 BerlinFG zu Unrecht verweigert; denn die Kläger hätten für einen Teil ihrer Umsätze wirksam auf die Steuerfreiheit verzichtet. Eine Option nach § 9 UStG 1967/73 hänge bei Kleinunternehmern in ihrer Wirksamkeit nicht davon ab, daß die Kleinunternehmer gemäß § 19 Abs. 4 UStG 1967/73 für die Regelbesteuerung optierten.

Mit der - vom Finanzgericht zugelassenen - Revision rügt das Finanzamt Verletzung des § 9 UStG 1967/73 und macht geltend, nach dem Sinnzusammenhang der Vorschrift setze eine Option für die Steuerpflicht bei Kleinunternehmern voraus, daß diese nach § 19 Abs. 4 UStG 1967/73 für die Regelbesteuerung optierten.

Die Kläger sind der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Auf die Revision des Finanzamts wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das Finanzgericht hat verkannt, daß ein Verzicht gemäß § 9 UStG 1967/73 auf Steuerbefreiungen nicht für Veranlagungszeiträume zulässig ist, derentwegen der Unternehmer nach § 19 Abs. 1 bis 3 UStG 1967/73 besteuert wird.

1. Nach § 13 Abs. 1 BerlinFG können unter den im Gesetz näher bestimmten Voraussetzungen Unternehmer die von ihnen für einen Veranlagungszeitraum geschuldete Umsatzsteuer um 4 v. H. des Entgelts für ihre im gleichen Veranlagungszeitraum bewirkten steuerpflichtigen Umsätze kürzen.

2. Die von den Klägern im Streitjahr vereinnahmten Entgelte aus der Vermietung von Ladengeschäften ihres Mietwohngrundstücks an Unternehmer für deren Unternehmen stellen keine Entgelte aus steuerpflichtigen Umsätzen i. S. des § 13 Abs. 1 BerlinFG dar. Denn die betreffenden Umsätze sind nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1973 steuerfrei. Die Kläger haben auf die Steuerfreiheit auch nicht wirksam gemäß § 9 UStG 1967/73 verzichtet. Der Wirksamkeit steht entgegen, daß die Kläger im Streitjahr die Besteuerung nach § 19 Abs. 1 bis 3 UStG 1967/73 beibehalten haben.

a) Nichts Gegenteiliges ergibt sich aus Wortlaut oder Sinn des Berlinförderungsgesetzes.

§ 13 Abs. 1 Satz 1 BerlinFG läßt den besonderen Kürzungsanspruch nur nach Maßgabe der Steuerpflicht von Umsätzen entstehen. Die Vorschrift bestimmt nicht selbständig, unter welchen Voraussetzungen ein Umsatz als steuerpflichtig anzusehen ist. Der Gesetzgeber hat im Berlinförderungsgesetz diese Regelung den Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes überlassen.

Auch die Einfügung des Satzes 4 in § 13 Abs. 1 BerlinFG durch Abschn. 1 Art. 1 Nr. 13 des Gesetzes zur Änderung des Berlinhilfegesetzes und anderer Vorschriften vom 23. Juni 1970 (BGBl I 1970, 826) kann entgegen der Annahme des Finanzgerichts zur Lösung des Problems nichts beitragen, insbesondere nicht die in der Vorentscheidung vertretene Ansicht stützen. Nach dem eingefügten Satz ist auf den besonderen Kürzungsanspruch § 18 Abs. 2 Satz 4 und 5 sowie Abs. 4 Satz 4 UStG anzuwenden. Die in Bezug genommenen Vorschriften aus dem Umsatzsteuergesetz 1967/73 betreffen die Frage, ob und inwieweit die im Voranmeldungs- und Veranlagungsverfahren sich zugunsten des Unternehmers ergebenden Überschüsse an den Unternehmer zurückzuzahlen sind. Ihre Anwendbarkeit auf den besonderen Kürzungsanspruch aus § 13 BerlinFG besagt mithin nichts darüber, ob dieser Anspruch einem nach § 19 Abs. 1 bis 3 UStG 1967/73 besteuerten Unternehmer zustehen kann.

b) Unwirksamkeit des Verzichts auf die Steuerfreiheit ergibt sich jedoch aus § 9 i. V. m. § 19 UStG 1967/73.

aa) Ob das Umsatzsteuergesetz 1967/73 Unternehmern, die unter § 19 Abs. 1 bis 3 UStG 1967 fallen, einen Verzicht gemäß § 9 UStG 1967/73 auf Steuerbefreiungen gestattet, ist im Schrifttum umstritten. Im bejahenden Sinne haben sich ausgesprochen: Eckhardt/Weiß (UStG, § 9 Rdnrn. 16 bis 17a), Forst (UStR 1968, 275 ff., 277), Geist (BB Beilage 11 zu Heft 32/1967, S. 1 f. und BB 1968, 30 ff., 32), Klemp (UStR 1971, 328f., 329), Mühlhause (UStR 1968, 39 ff., 41), Schmidt (UStR 1968, 328 ff., 329) und Späth (DStR 1968, 34). Verneinende Stellungnahmen liegen vor von: Plückebaum/Malitzky (UStG, 10. Aufl., § 9 Rdnrn. 16 ff. - 77. Lief./Juli 1978 -), Rau/Dürrwächter/Flick/Geist (UStG - Mehrwertsteuer -, 4. Aufl., § 19 Rdnr. 144 - Lfg. 26. Juli 1977 -), Gmach (DStZ/A 1978, 101 ff., 104), Griebel (DB 1968, 255f.), Kremerskothen (UStR 1976, 240), wohl auch List (UStR 1969, 146 ff., 147) und Puttlitz (DStR 1970, 285, aber auch DStR 1977, 178).

bb) Die Verwaltungsauffassung hat sich gewandelt. Im BMF-Erlaß vom 14. Februar 1968 IV A/2 - S 7015 - 2/68, Abschn. B Rdnr. 33 Abs. 4 (BStBl I 1968, 401 ff., 413) war ausgeführt, für Unternehmer, die ihre Umsätze nach § 19 Abs. 1 bis 3 UStG 1967 zu versteuern haben, sei der Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 UStG 1967 nur dann von Vorteil, wenn die Unternehmer außerdem die Erklärung nach § 19 Abs. 4 UStG 1967 abgäben; die in Betracht kommenden Unternehmer seien gegebenenfalls darauf hinzuweisen. Dies ist dahin zu verstehen, daß die Zulässigkeit eines Verzichts nach § 9 UStG 1967 vorausgesetzt wurde. Von Zulässigkeit geht wohl auch das BMF-Schreiben vom 23. Juli 1968 IV A/3 - S 7360 - 59/68, Abschn. B unter Nr. 1 Abs. 2 Buchst. a (BStBl I 1968, 1037) aus. Dort ist nämlich ausgeführt, im Rahmen der Berechnung des Gesamtumsatzes (§ 19 Abs. 3 UStG 1967) gehörten die Umsätze, auf deren Steuerfreiheit der Unternehmer nach § 9 UStG 1967 verzichtet habe, zu den steuerpflichtigen Umsätzen. Im Sinne der Zulässigkeit einer auf § 9 UStG 1967 beschränkten Option hat sich schließlich die Oberfinanzdirektion Düsseldorf ausgesprochen (Verfügung vom 7. März 1969 S 7366 A - St 641, UStR 1969, 204).

Im BMF-Schreiben vom 12. Juli 1976 IV A 1 - S 7316/S 7312 - 3/76 (BStBl I 1976, 392 ff., 395) heißt es dagegen, bei der Besteuerungsform des § 19 UStG 1967 sei § 9 UStG 1967 nicht anwendbar. Schließlich ist durch das BMF-Schreiben vom 18. November 1976 IV A 3 - S 7198 - 2/76 (BStBl I 1976, 664) der zitierte Erlaß vom 14. Februar 1968 (s. oben) dahin geändert worden, daß er fortan die Aussage enthält, ein Verzicht auf die Steuerfreiheit gemäß § 9 UStG 1967 ohne Option nach § 19 Abs. 4 UStG 1967 sei nicht zulässig (statt: sei nicht von Vorteil). Begründet wird dies mit dem Sinn und Zweck des § 9 UStG 1967 (Ermöglichung des Vorsteuerabzuges). Auf das erwähnte BMF-Schreiben hin hat der Senator für Finanzen in Berlin mit Erlaß vom 18. November 1976 III E 12 - S 7198 - 3/76 (StZBI. Bln. 1976, 2217) eine entsprechende Verwaltungsanordnung getroffen, die erstmals im Veranlagungszeitraum 1976 anzuwenden sein soll.

cc) Der Senat vermag der früheren Verwaltungsauffassung und der entsprechenden Ansicht in einem Teil des Schrifttums nicht zu folgen. Der Gesetzeswortlaut der §§ 9 und 19 UStG 1967/73, für sich allein genommen, ergibt zwar nicht, daß ein Verzicht auf Steuerbefreiungen bei Kleinunternehmern nur in Verbindung mit einer Option für die Regelbesteuerung zulässig sei (§ 19 Abs. 4 UStG 1967/73). Aus Sinn und Zweck der Vorschriften ist jedoch herzuleiten, daß der Gesetzgeber die Möglichkeit, auf Steuerbefreiungen zu verzichten, nur für Fälle mit Regelbesteuerung (Mehrwertsteuer) hat schaffen wollen.

Bei der Ablösung der Allphasenbruttoumsatzsteuer durch die Mehrwertsteuer (vgl. zu den beiden Steuersystemen: BFH-Urteil vom 19. April 1979 V R 11/72, BFHE 127, 447, BStBl II 1979, 420) hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, auf bestimmte, mit einem Vorsteuerabzugsverbot verbundene Steuerbefreiungen zu verzichten (§§ 9, 15 Abs. 2 UStG 1967). Damit sollte denjenigen Unternehmern, deren Umsätze unter die in § 9 UStG 1967 angeführten Steuerbefreiungen fielen und die wegen der Steuerfreiheit der Umsätze vom Abzug der Vorsteuer ausgeschlossen waren, der Zugang zum Vorsteuerabzug eröffnet werden, und zwar um den Preis der Steuerpflicht der betreffenden Umsätze.

Unter diesem Aspekt kann der Gesetzgeber nicht beabsichtigt haben, die Möglichkeit des Verzichts auf bestimmte Steuerbefreiungen auch Kleinunternehmern einzuräumen. Für Kleinunternehmer wurde beim Systemwechsel die Allphasenbruttoumsatzsteuer beibehalten (vgl. § 19 Abs. 1 bis 3 UStG 1967). Dementsprechend sind sie vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen worden (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 2 UStG 1967). Bei ihnen hätte mithin ein Verzicht auf Steuerbefreiungen den Zugang zum Vorsteuerabzug nicht eröffnen können.

Auch unter anderen Gesichtspunkten läßt sich nicht annehmen, der Gesetzgeber habe die Regelung des § 9 UStG 1967 auf Kleinunternehmer erstrecken wollen, etwa unter dem Aspekt der Auswirkungen des Verzichts auf die Ermittlung des Gesamtumsatzes oder auf den besonderen Kürzungsanspruch gemäß § 13 BerlinFG.

Würde den Kleinunternehmern die Möglichkeit eingeräumt worden sein, gemäß § 9 UStG 1967 auf Steuerbefreiungen zu verzichten, so wären sie in die Lage versetzt worden, durch die Ausübung des Verzichts die Höhe ihres Gesamtumsatzes heraufzusetzen; denn für die in § 9 UStG 1967 angeführten, nach § 4 Nrn. 6 ff. UStG 1967 steuerfreien Umsätze hing die Berücksichtigung beim Gesamtumsatz von der Herbeiführung der Steuerpflicht dieser Umsätze ab (§ 19 Abs. 3 Satz 1 UStG 1967). Kleinunternehmer hätten demnach unter Umständen erreichen können, daß sie im Folgejahr unter die Regelbesteuerung gefallen wären, ohne daß sie der mit einer Option nach § 19 Abs. 4 UStG 1967 verknüpften zeitlichen Bindung unterlegen hätten. Hierin würde zwar ein mit einem Verzicht für Kleinunternehmer verbundener Vorteil gelegen haben. Dies hat der Gesetzgeber jedoch vernünftigerweise gerade nicht anstreben können, da er anderenfalls die in § 19 Abs. 4 UStG 1967 geschaffene Regelung der Option ausgehöhlt hätte.

Schließlich ist zu verneinen, daß der Gesetzgeber die Anwendbarkeit des § 9 UStG 1967 auf Kleinunternehmer angeordnet haben könnte, um diesen für die unter die Vorschrift fallenden Umsätze die Berücksichtigung beim besonderen Kürzungsanspruch nach § 13 BerlinFG bzw. des Berlinhilfegesetzes möglich zu machen. Einer solchen Überlegung läßt sich entgegenhalten, daß beim Erlaß des Umsatzsteuergesetzes 1967 vom 2. Juni 1967 (BGBl I 1967, 545) der besondere Kürzungsanspruch noch nicht bestanden hat, sondern erst durch Art. 1 Nr. 1 § 13 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Berlinhilfegesetzes vom 14. Dezember 1967 (BGBl I 1967, 1221) in seiner gesetzlichen Grundlage geschaffen worden ist, so daß der Anspruch beim Erlaß des Umsatzsteuergesetzes 1967 vom Gesetzgeber noch nicht hat berücksichtigt werden können.

3. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben, und die Klage war abzuweisen.