| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Urteil vom 6.11.1985 (I R 297/82) BStBl. 1986 II S. 415

1. Eine Schuld, die einmal den Charakter einer Dauerschuld hat, fällt bis zu ihrem Erlöschen unter § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG.

2. Verbindlichkeiten sind auch dann als Dauerschulden zu behandeln, wenn zu ihrer Tilgung ausreichende liquide Mittel in dem Betrieb vorhanden sind.

3. Die Behandlung von Stillhalteschulden wie eine laufende Schuld gemäß Abschn. 47 Abs. 11 GewStR beruht auf sachlichen Billigkeitserwägungen, die seit dem Inkrafttreten der AO 1977 im Anfechtungsverfahren gegen den Gewerbesteuermeßbescheid nicht mehr berücksichtigt werden können.

GewStG § 8 Nr. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb den Groß- und Einzelhandel mit ... Im Dezember 1976 nahm sie ein langfristiges Darlehen in Höhe von 3.000.000 DM bei der Sparkasse S auf, das durch Eintragung einer Grundschuld auf einem zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Grundstück gesichert wurde. Mit Hilfe des Darlehens löste die Klägerin Verbindlichkeiten ab, die aus Anlaß der Errichtung eines betrieblich genutzten Gebäudes auf dem Grundstück entstanden waren, auf dem die Grundschuld bestellt wurde. Zum 31. Dezember 1977 betrug der Stand der Darlehensverbindlichkeit 1,9 Mio. DM.

Mit notariellem Vertrag vom 9. Dezember 1977 verkaufte die Klägerin das mit der Grundschuld belastete Grundstück. Am 8. Februar 1978 wurde der notarielle Kaufvertrag dahin geändert, daß der Erwerber in Anrechnung auf den Kaufpreis die Darlehensverbindlichkeit gegenüber der Sparkasse S mit ihrem Stand per 1. Februar 1978 übernahm.

In ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1977 wies die Klägerin die Darlehensverbindlichkeit als langfristige Kapitalschuld aus. Nach einer Außenprüfung ermittelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) das Gewerbekapital zum 1. Januar 1978 unter Hinzurechnung der Darlehensverbindlichkeit als Dauerschuld. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Mit ihrer Revision wiederholt die Klägerin den vom Finanzgericht (FG) festgestellten Sachverhalt. Als Revisionsbegründung vertritt sie die Auffassung, durch die Entscheidung, das untrennbar mit der Grundschuld verbundene Grundstück zum 31. Dezember 1977 zu verkaufen, habe die Darlehensverbindlichkeit ihren Charakter als Dauerschuld verloren. Am 31. Dezember 1977/1. Januar 1978 habe die Grundschuld nicht mehr der Stärkung des Dauerbetriebskapitals gedient. Die auf der Aktivseite der Bilanz brutto ausgewiesene Kaufpreisforderung habe dem Unternehmen als freies Betriebskapitel nie zur Verfügung gestanden. Der Grundstückserwerber sei zur Zahlung des Kaufpreises vor Löschung der Grundschuld nicht bereit gewesen. Deshalb sei der Kaufpreisanspruch in Höhe der Grundschuld ihren Betriebsmitteln als Dauerbetriebskapital eindeutig entzogen. Abschn. 47 Abs. 11 der Gewerbesteuer-Richtlinien (GewStR) sei auf den Streitfall entsprechend anzuwenden.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Gewerbesteuermeßbescheid 1978 vom 26. November 1981 zu ändern und den Gewerbesteuermeßbetrag nach dem Gewerbekapital ohne Berücksichtigung der Verbindlichkeit gegenüber der Sparkasse S als Dauerschuld festzustellen.

Das FA beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) werden dem Einheitswert des Betriebsvermögens die Verbindlichkeiten, die den Schuldzinsen i. S. des § 8 Nr. 1 GewStG entsprechen, hinzugerechnet, soweit sie bei der Feststellung des Einheitswertes abgezogen worden sind. Bei den Verbindlichkeiten, die den Schuldzinsen i. S. des § 8 Nr. 1 GewStG entsprechen, unterscheidet die Rechtsprechung zwischen den Schulden, die wirtschaftlich mit der Gründung oder dem Erwerb des Betriebes (Teilbetriebes) oder eines Anteils am Betrieb oder mit einer Erweiterung oder Verbesserung des Betriebes zusammenhängen (erste Tatbestandsgruppe), und den Schulden, die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen (zweite Tatbestandsgruppe). Die Verbindlichkeiten der ersten Tatbestandsgruppe sind ohne Rücksicht auf ihre Laufzeit Dauerschulden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. November 1983 VIII R 179/83, BFHE 140, 96, BStBl II 1984, 213). Verbindlichkeiten der zweiten Tatbestandsgruppe sind dagegen nur dann Dauerschulden, wenn sie der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen. Ob eine Verbindlichkeit im letzteren Sinne Dauerschuld oder laufende Verbindlichkeit ist, richtet sich in erster Linie nach dem Charakter der Schuld. Dient die Schuld (der Kredit) der Beschaffung des eigentlichen Dauerbetriebskapitals, das der Betrieb nach seiner Eigenart und seiner speziellen Anlage und Gestaltung ständig benötigt, so spricht dies für eine Dauerschuld. Steht der Kredit dagegen mit einzelnen laufenden, nach Art des Betriebes immer wiederkehrenden bestimmbaren Geschäftsvorfällen im Zusammenhang - z.B. mit dem Erwerb von Umlaufvermögen -, so hat er in der Regel den Charakter einer laufenden, nicht unter § 8 Nr. 1 bzw. unter § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG fallenden Verbindlichkeit (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 1978 I R 81/75, BFHE 125, 564, BStBl II 1978, 651).

2. Nach den tatsächlichen und mit Revisionsrügen nicht angefochtenen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) nahm die Klägerin den Kredit bei der Sparkasse S zur Umschuldung von Verbindlichkeiten auf, die durch die Finanzierung der Errichtung eines betrieblich genutzten Gebäudes entstanden waren. In der Errichtung eines betrieblich genutzten Gebäudes kann die Erweiterung oder Verbesserung eines Betriebes liegen, was die Zuordnung der mit der Errichtung zusammenhängenden Verbindlichkeiten zu den Dauerschulden ohne Rücksicht auf ihre Laufzeit nach sich ziehen würde. Die tatsächlichen Feststellungen des FG lassen jedoch eine abschließende Beurteilung dieser Frage nicht zu. Es fehlt an Feststellungen darüber, welche Funktion das errichtete Gebäude innerhalb des Betriebes der Klägerin hatte. Deshalb muß dahingestellt bleiben, ob die Darlehensverbindlichkeit nicht auch unabhängig von ihrer Laufzeit Dauerschuld war.

3. Jedenfalls dient die Errichtung eines betrieblich genutzten Gebäudes der Herstellung von Anlagevermögen. Eine solche Maßnahme ist selbst dann kein bloßer laufender Geschäftsvorfall, wenn eine Ersatzinvestition getätigt worden sein sollte. Die nicht nur vorübergehende Verstärkung des Betriebskapitals setzt allerdings auch in diesem Fall eine längerfristige Verschuldung voraus, die im allgemeinen bei einer Kreditaufnahme für mindestens 12 Monate anzunehmen ist (so zuletzt: Urteil in BFHE 140, 96, BStBl II 1984, 213, m. w. N.). Jedoch fehlt es im Streitfall auch an dieser Voraussetzung nicht, weil der Kredit im Dezember 1976 aufgenommen wurde und eine Laufzeit von mehr als 12 Monaten vereinbart war.

4. Zwar kann eine ursprünglich kurzfristige Schuld durch Änderung der Verhältnisse zu einer Dauerschuld werden, z.B. wenn eine ursprünglich kurzfristige Schuld verlängert wird. Entsprechendes gilt jedoch im umgekehrten Fall nicht. Eine Schuld, die einmal den Charakter einer Dauerschuld hat, fällt bis zu ihrem Erlöschen unter § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG. Sie wird weder durch das Heranrücken des Fälligkeitstermins noch durch die Vereinbarung ihrer vorzeitigen Rückzahlung zu einer kurzfristigen (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 17. August 1938 VI 509/38, RStBl 1938, 940). Aus diesem Grund ist es steuerrechtlich unerheblich, daß die Klägerin am 1. Januar 1978 beabsichtigte, die Darlehensverbindlichkeit mit Hilfe des Kaufpreiserlöses abzulösen. Entscheidend ist allein, daß - wie das FG festgestellt hat - die Darlehensverbindlichkeit am 1. Januar 1978 noch bestand.

5. Verbindlichkeiten sind auch dann als Dauerschulden zu behandeln, wenn zu ihrer Tilgung ausreichende liquide Mittel in dem Betrieb vorhanden sind. Die Schuld einerseits und die liquiden Mittel andererseits sind jeweils selbständige Wirtschaftsgüter, die schon nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung getrennt voneinander angesetzt und bewertet werden müssen. Diese Grundsätze sind auch bei der Anwendung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG zu berücksichtigen, weil die Vorschrift bei dem festgestellten Einheitswert des Betriebs ansetzt und der Begriff des Wirtschaftsgutes in § 95 des Bewertungsgesetzes (BewG) in gleicher Weise wie nach den ertragsteuerlichen Grundsätzen der Bilanzierung verstanden wird. Deshalb ist es steuerrechtlich unerheblich, daß die Bilanz der Klägerin zum 31. Dezember 1977 eine Kaufpreisforderung auswies, die zur Tilgung der Darlehensverbindlichkeit verwendet werden sollte. Dies gilt auch deshalb, weil die Bilanzierung einer Forderung nicht den Zufluß liquider Mittel bedeutet. Gerade weil im Streitfall die Klägerin den Kaufpreis erst nach lastenfreier Grundstücksübertragung beanspruchen und dieser Verpflichtung wegen der Haltung der Sparkasse S nicht nachkommen konnte, blieb die Darlehensverbindlichkeit über den 1. Januar 1978 hinaus unverändert bestehen. Ihre wirtschaftliche Selbständigkeit ergibt sich schon daraus, daß die Klägerin über den 1. Januar 1978 hinaus Zinsen auf den vollen Darlehensbetrag zahlen mußte. Gerade deshalb ist eine Saldierung von Forderung und Schuld unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht gerechtfertigt.

6. Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt im Streitfall auch eine entsprechende Anwendung von Abschn. 47 Abs. 11 GewStR nicht in Betracht. Diese Verwaltungsanweisung geht zurück auf die Rechtsprechung des RFH (vgl. Urteil vom 23. März 1943 I 2/43, RStBl 1943, 509) und betrifft sog. Stillhalteschulden. Hierunter sind solche zu verstehen, deren Abdeckung gewährleistet ist, deren Rückzahlung aber wegen gesetzlicher, behördlicher oder ähnlicher Maßnahmen behindert ist. An sich sind Stillhalteschulden Dauerschulden, da ihr Gegenwert dem Betrieb für längere Zeit zur Verfügung steht. Mit Rücksicht auf die Zwangslage, in der sich die Schuldner von Stillhalteschulden befinden, hat der RFH im Urteil in RStBl 1943, 509 aus Billigkeitsgründen die Behandlung wie eine laufende Schuld befürwortet. Abgesehen davon, daß seit Inkrafttreten der Abgabenordnung (AO 1977) am 1. Januar 1977 Billigkeitserwägungen nicht mehr im Anfechtungsverfahren gegen den Steuerbescheid berücksichtigt werden können (vgl. BFH-Urteil vom 28. November 1980 VI R 226/77, BFHE 132, 264, BStBl II 1981, 319), fehlt es auch an den vom RFH aufgestellten Voraussetzungen. Die Klägerin befand sich bezüglich der Rückzahlung der Darlehensverbindlichkeit in keiner Zwangslage, sondern sie hatte lediglich die Folgen ihrer eigenen vertraglichen Vereinbarung zu tragen.