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BFH-Urteil vom 20.12.1985 (VI R 45/84) BStBl. 1986 II S. 459

Zahlungen, die ein Gastarbeiter an den türkischen Staat leistet, um seinen Wehrdienst zu verkürzen, sind auch dann keine Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, wenn der Steuerpflichtige bei Ableistung des normalen Wehrdienstes seinen Arbeitsplatz verlieren würde.

EStG 1980 § 9 Abs. 1 Satz 1, § 12 Nr. 1 Satz 2, § 33.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1981 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Sie waren in diesem Jahr beide als zahnärztliche Helfer tätig. Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger, die Klägerin besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit Aufwendungen in Höhe von 19.808 DM für den Freikauf des Klägers vom türkischen Wehrdienst normaler Dauer geltend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte die Berücksichtigung dieser Aufwendungen als Werbungskosten auch in der Einspruchsentscheidung ab.

Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Zur Begründung führte es aus:

Der Senat sei zwar mit den Klägern der Auffassung, daß es dem Ehemann nur wegen der weitgehenden Freistellung vom Wehrdienst möglich gewesen sei, das begonnene Ausbildungsverhältnis als zahntechnischer Helfer fortzusetzen und damit im Inland steuerpflichtige Einnahmen zu erzielen. Gleichwohl stellten die vom Kläger aufgewendeten Beträge für die Verkürzung des Wehrdienstes auf zwei Monate keine abzugsfähigen Werbungskosten dar, weil der Lebensvorgang zugleich die staatsbürgerliche Sphäre des Klägers als eines türkischen Staatsangehörigen berühre. Damit unterlägen aber die Aufwendungen dem Abzugsverbot des § 12 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des § 9 Abs. 1 EStG. Zur Begründung tragen sie vor: Er - der Kläger - sei mit einer deutschen Frau verheiratet. In seiner Heimat sei er Behördenangestellter gewesen. Da er diese Tätigkeit in Deutschland nicht habe ausüben können, habe er sich einen Ausbildungsplatz als zahntechnischer Helfer verschafft, mit dem Ziel, nach fünfjähriger Tätigkeit die Prüfung als Zahntechniker ablegen zu können. In seine Ausbildungszeit sei die Einberufung zur türkischen Armee mit zweijähriger Dienstzeit gefallen. Dies hätte zum Verlust des mühsam erlangten Ausbildungsplatzes geführt, da für ihn, den Kläger, als Türken nicht die gesetzlichen sozialen Sicherungen des Arbeitsplatzes wie für deutsche Wehrpflichtige gälten. Das Nichtbeachten seiner Einberufung hätte zur Folge gehabt, daß sein Paß nicht verlängert und ihm dann als Staatenlosen womöglich die Aufenthaltsgenehmigung versagt worden wäre. In beiden Fällen hätte dies zum Verlust der Ausbildungsstätte geführt.

Im Streitfall handle es sich um sogenannte gemischte Aufwendungen, die ihre Ursache im beruflichen Bereich hätten, durch die aber auch der Privatbereich berührt werde. Für die Entscheidung darüber, ob eine Aufwendung für die private Lebenshaltung vorliege, komme es auf die tatsächliche Verwendung im Einzelfall an. Im Streitfall habe er, der Kläger, gewußt, daß ihn der volle Wehrdienst wirtschaftlich in eine fast aussichtslose Lage bringen würde. Der Verlust der Arbeitsstätte wäre zwar gravierend gewesen, jedoch nicht so irreparabel wie der Abbruch der für ihn als Ausländer besonders schwierig zu erlangenden Ausbildungsmöglichkeit in einem qualifizierten Beruf. Die mit einem Freikauf eventuell verbundenen persönlichen Annehmlichkeiten hätten bei der Entscheidung fast keine Rolle gespielt. Die persönlichen Einschränkungen durch einen Wehrdienst hätten sich bei ihm auch in Grenzen gehalten. Aufgrund seiner für die Türkei außergewöhnlich guten Schulbildung und seiner Berufsausbildung für den öffentlichen Dienst habe er durchaus damit rechnen können, eine weniger entbehrungsreiche Tätigkeit in der türkischen Armee zu erlangen. Insgesamt seien seine privaten Vorteile durch den Freikauf nur von völlig untergeordneter Bedeutung gewesen.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer auf 4.752 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat die Aufwendungen des Klägers für den Freikauf vom Wehrdienst normaler Dauer zu Recht nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anerkannt. Diese Aufwendungen können auch nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

Nach der Rechtsprechung des Senats sind Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG alle Aufwendungen, die durch den Beruf veranlaßt sind. Eine solche berufliche Veranlassung ist bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anzunehmen, wenn objektiv ein Zusammenhang mit dem Beruf besteht und subjektiv die Aufwendungen zur Förderung des Berufs gemacht werden (vgl. z. B. Urteil des Senats vom 28. November 1980 VI R 193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368, und die dort erwähnte Rechtsprechung).

Besonderheiten ergeben sich jedoch, wenn die Aufwendungen zugleich die allgemeine Lebensführung berühren. Denn nach § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG dürfen Aufwendungen für die Lebensführung, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringen, weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen. Wie der Große Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hierzu in den Beschlüssen vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70 (BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17) und GrS 3/70 (BFHE 100, 317, BStBl II 1971, 21) dargelegt hat, ist bei solchen gemischten Aufwendungen eine Aufteilung in nichtabziehbare Aufwendungen für die Lebensführung und in Betriebsausgaben oder Werbungskosten nur zulässig, wenn objektive Merkmale und Unterlagen eine zutreffende und leicht nachprüfbare Trennung ermöglichen und wenn außerdem der berufliche Anteil nicht von untergeordneter Bedeutung ist. Aufwendungen zur Förderung des Berufs, die zugleich die private Lebensführung berühren, können nach diesen Entscheidungen nur dann in vollem Umfang als Werbungskosten anerkannt werden, wenn die Förderung des Berufs bei weitem überwiegt und die Lebensführung ganz in den Hintergrund tritt.

Die Aufwendungen für den Freikauf vom Wehrdienst können nicht als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit anerkannt werden, weil sie in einem nicht unbedeutenden Umfang auch Aufwendungen für die allgemeine Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG darstellen.

Der Senat geht zwar mit dem FG davon aus, daß der Kläger sich durch die Freistellung vom Wehrdienst normaler Dauer seinen Arbeitsplatz und seine Einkünfte erhalten wollte. Andererseits waren die Aufwendungen jedoch auch durch die private Lebensführung des Klägers mitveranlaßt. Die Ableistung des Wehrdienstes ist - worauf das FG zutreffend hinweist - eine staatsbürgerliche Pflicht, die grundsätzlich jeden unter die entsprechenden Gesetze seines Heimatlandes fallenden Bürger trifft, und zwar unabhängig vom Beruf. Die Erfüllung des Wehrdienstes betrifft daher grundsätzlich die private Lebensführung aller Wehrpflichtigen.

Die Ableistung des unverkürzten Wehrdienstes hätte auch die Lebensführung des Klägers in erheblichem Maße berührt. Er hätte sich von seiner Ehefrau und seinen Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen für längere Zeit trennen müssen. Statt in der vertrauten Umgebung leben zu können, hätte er die Pflichten eines Wehrdienstleistenden und insbesondere die damit verbundenen Einschränkungen der persönlichen Freiheit in Kauf nehmen müssen. Hierdurch wäre der Kläger einer einschneidenden Änderung seiner persönlichen Lebensführung ausgesetzt gewesen.

Selbst wenn die Erhaltung des Arbeitsplatzes für den Kläger im Vordergrund gestanden hat, sind die streitigen Aufwendungen doch auch in einem solchen Maße durch die private Lebensführung veranlaßt, daß diese Umstände gegenüber dem beruflichen Anlaß nicht in den Hintergrund treten (so auch Urteil des FG Nürnberg vom 15. Dezember 1981 VI 252/81, rechtskräftig, Entscheidungen der Finanzgerichte 1982, 292). Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 18. Mai 1984 VI R 130/80 (BFHE 141, 140, BStBl II 1984, 588) entschieden, daß Aufwendungen für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft auch dann keine Werbungskosten darstellen, wenn die Anstellung im deutschen Staatsdienst vom Erwerb der Staatsangehörigkeit abhängt. Denn der Besitz der Staatsangehörigkeit berührt die Rechtsstellung des Steuerpflichtigen über seinen Beruf hinaus in nicht unerheblichem Maße. Ähnlich verhält es sich im Streitfall. Auch hier wird die Stellung des Klägers durch die Freistellung vom normalen Wehrdienst weit über den beruflichen Bereich hinaus beeinflußt.

Eine Aufteilung solcher gemischten Aufwendungen in nichtabziehbare Kosten der Lebensführung und in Werbungskosten kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil keine objektiven Merkmale oder Unterlagen vorhanden sind, die eine zutreffende und leicht nachprüfbare Trennung ermöglichen.