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BFH-Urteil vom 5.2.1986 (I R 78/82) BStBl. 1986 II S. 504

1. Die Übernahme des Vermögens einer GmbH durch eine andere GmbH gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten kann eine Vermögensübernahme i.S. des § 419 BGB sein.

2. Im Anschluß an die BGH-Urteile vom 19. Februar 1976 III ZR 75/74 (BGHZ 66, 217) und vom 6. Dezember 1984 X ZR 103/83 (BGHZ 93, 135) greift die Vorschrift des § 419 BGB allenfalls dann nicht ein, wenn dem Veräußerer eine dem hingegebenen Aktivvermögen entsprechende Gegenleistung gewährt wird und die Gläubiger des Veräußerers die gleichen Sicherheiten und Befriedigungsmöglichkeiten haben wie vor der Vermögensübertragung. Das trifft in der Regel nicht zu, wenn der Kaufpreis unter Berücksichtigung übernommener Schulden gekürzt wird.

AO § 120, § 330; BGB § 419.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Streitig ist die Rechtmäßigkeit von Leistungsgeboten, die auf §§ 330, 120 der Reichsabgabenordnung (AO) gestützt wurden.

Die X-GmbH hatte früher ihren Sitz in..., später in...; daneben hatte sie Zweigniederlassungen in... und ... Alleinige Gesellschafterin der X-GmbH war die Klägerin. Durch Abtretungsverträge vom 28. April 1970 hatte die Klägerin sämtliche Gesellschaftsanteile an der X-GmbH auf vier Gesellschaften übertragen. Durch notariellen Vertrag vom selben Tag hatte sie die gesamten Aktiva und Passiva der X-GmbH, deren Wert aufgrund der Bilanz zum 31. Dezember 1969 unter Berücksichtigung der Auflösung stiller Reserven auf 3.448.000 DM festgestellt worden war, übernommen. Die Niederlassungen wurden nunmehr als Zweigniederlassungen der Klägerin ins Handelsregister eingetragen.

Die Bilanz zum 31. Dezember 1969 weist zusammengefaßt folgende Positionen aus:

Aktiva

DM

 

Anlagevermögen

2.355.262

Umlaufvermögen

5.508.067

Rechnungsabgrenzungsposten

1.443

Verlustvortrag

548.034

 

----------------

 

8.412.806

 

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Passiva

DM

 

Stammkapital

2.000.000

Rücklagen

1.200.000

Wertberichtigung der Forderungen

158.671

Rückstellungen

122.072

Verbindlichkeiten

4.930.780

Rechnungsabgrenzungsposten

1.283

 

---------------

 

8.412.806

 

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Gesondert vermerkt sind auf der Passivseite eine Vermögensabgabeschuld gemäß § 218 des Lastenausgleichsgesetzes - LAG - (Gegenwartwert 139.970 DM) und ein Wechselobligo (250.340,88 DM).

Als "Gegenleistung für die Übertragung des Vermögens" hatte die Klägerin der X-GmbH Anteile im Nennbetrag von 3.448.000 DM an ihrem entsprechend erhöhten Stammkapital eingeräumt. Ferner hatte die Klägerin It. Abschn. II Abs. 7 des notariellen Vertrags übernommen: "alle bis heute entstandenen Verbindlichkeiten der Veräußerin sowie auch deren etwaige künftigen Verbindlichkeiten, sofern sie mit der unverzüglich zu erfolgenden Auflösung der X-GmbH in Verbindung stehen oder gesetzlich ohne besondere Mitwirkung des Abwicklers bis zur Beendigung der Abwicklung entstehen, als eigene Schuld ohne Rücksicht darauf, ob die Gläubiger die bisherige Schuldnerin aus der Schuldhaft freigeben oder nicht."

Zugleich mit der Einbringung des Betriebs in die Klägerin hatten die Gesellschafter der X-GmbH deren Auflösung mit der Maßgabe beschlossen, daß die Geschäfte ab 1. Januar 1970 als für die Klägerin geführt gelten sollten. Ihre Auflösung hatte die X-GmbH dem Finanzamt (FA) am 26. August 1970 schriftlich mitgeteilt.

Die X-GmbH hatte ihre Anteile an der Klägerin bis zum Ende des Liquidationszeitraums (9. November 1972) gehalten und sie alsdann an ihre Gesellschafter übertragen. Am 14. Februar 1973 war das Erlöschen der X-GmbH im Handelsregister eingetragen worden.

Mit Schreiben vom 8. Oktober 1971 hatte die Klägerin bei dem damals zuständigen FA für Körperschaften unter Hinweis auf die Liquidation eine Betriebsprüfung bei der X-GmbH für die Jahre 1965 bis 1969 beantragt, "um die ... X-GmbH bis zum 31. 12. 1969 komplett abzuschließen".

Die daraufhin vom FA angeordnete steuerliche Betriebsprüfung hatte am 15. Mai 1972 begonnen und It. Betriebsprüfungsbericht vom 11. März 1974 u. a. zu folgenden Steuernachforderungen geführt:

Körperschaftsteuer 1976

570.833,00 DM

Umsatzsteuer 1968

26.956,70 DM

 

-------------------

insgesamt

597.789,70 DM

 

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Die Nachforderungen hatten sich daraus ergeben, daß das FA die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung der X-GmbH für die Jahre 1966 bis 1968 verneint, insbesondere eine 6 b-Rücklage aus der Veräußerung eines Grundstücks nicht anerkannt hatte. Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) hatte zunächst - gestützt auf § 222 AO - für Körperschaftsteuer 1966 und Umsatzsteuer 1968 berichtigte Bescheide gegen die Klägerin erlassen, diese aber wieder aufgehoben, nachdem die Klägerin geltend gemacht hatte, sie sei nicht Gesamtrechtsnachfolgerin der X-GmbH geworden.

Daraufhin nahm das FA, gestützt auf § 120 AO i. V. m. § 419 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), die Klägerin durch Leistungsgebote in Anspruch.

Nach im wesentlichen erfolglosen Beschwerdeverfahren erhob die Klägerin Klage beim Finanzgericht (FG), mit der sie sich u. a. gegen ihre Inanspruchnahme nach § 419 BGB schon dem Grunde nach wandte. Die Klage hatte Erfolg. Das FG hob die Leistungsgebote des FA betreffend Körperschaftsteuer 1966 und Umsatzsteuer 1968 sowie die dazu ergangene Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) auf. Das FG vertrat die Auffassung, die Voraussetzungen des § 419 BGB lägen nicht vor. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) hafte der Erwerber eines Vermögens jedenfalls dann nicht, wenn die dem Veräußerer tatsächlich zugeflossene Gegenleistung angemessen sei und seinen Gläubigern - in Form neuer Haftungsmasse - im wesentlichen die gleiche Sicherheit und die gleiche Befriedigungsmöglichkeit biete wie das übertragene Vermögen. Das FA könne sich auch nicht - wie erstmals im Klageverfahren geltend gemacht - auf § 25 des Handelsgesetzbuches (HGB) berufen.

Mit seiner Revision rügt das FA, das FG habe § 120 Abs. 1, § 330 Abs. 1 AO, § 419 Abs. 1 BGB und § 25 Abs. 1 HGB verletzt. Seine Rechtsauffassung stehe nicht mit der Auslegung des § 419 durch Reichsgericht (RG) und BGH im Einklang.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie wiederholt im wesentlichen die Ausführungen des FG.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Voraussetzungen des § 419 BGB sind erfüllt.

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß § 419 BGB auch im Steuerrecht anzuwenden ist und daß das FA den darauf gegründeten Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Erwerbers im Verwaltungsverfahren durch ein Leistungsgebot durchsetzen kann. Dies ergibt sich für das Recht vor Inkrafttreten der Abgabenordnung (AO 1977) aus §§ 120, 330 AO (vgl. zur neuen Rechtslage § 191 Abs. 4 AO 1977; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., vor § 69 Tz. 10, 14). Die Übertragung eines Vermögens von einer GmbH auf eine andere gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten kann eine Vermögensübernahme i.S. des § 419 BGB sein.

2. Übernimmt jemand durch Vertrag das Vermögen eines anderen, so können dessen Gläubiger, unbeschadet der Fortdauer der Haftung des bisherigen Schuldners, von dem Abschluß des Vertrages an ihre zu dieser Zeit bestehenden Ansprüche auch gegen den Übernehmer geltend machen (§ 419 Abs. 1 BGB). § 419 BGB beruht auf dem deutschrechtlichen Gedanken, daß die Schulden eine Last des Vermögens bilden. Diese Bestimmung gibt daher dem Gläubiger, dem das Vermögen schon zur Zeit der Übertragung auf einen Dritten haftete, die Möglichkeit, seine Forderung auch gegen den Übernehmer geltend zu machen. Dementsprechend können unter Vermögen i.S. des § 419 BGB nur die im Zeitpunkt der Vermögensübertragung vorhandenen aktiven Vermögenswerte verstanden werden. Sie sind mit den Schulden des Übergebers belastet. An diese im Zeitpunkt der Vermögensübertragung vorhandenen (aktiven) Vermögenswerte soll sich der Gläubiger halten können. Der Grundgedanke des § 419 BGB spricht ebenfalls für dieses Verständnis des Begriffs Vermögen. Als Grundgedanke dieser Bestimmung ist in der Rechtsprechung des BGH anerkannt, daß das Aktivvermögen des Schuldners die natürliche Grundlage für den ihm eingeräumten Kredit in weitestem Sinne bildet und daß daher die Gläubiger des Übergebers die Möglichkeit haben müssen, ihre Befriedigung aus dem übertragenen Vermögen in gleicher Weise zu erhalten, wie wenn die Übertragung nicht stattgefunden hätte (Urteil vom 30. Januar 1974 VIII ZR 4/73, BGHZ 62, 100). Die bei der Vermögensübertragung übernommenen Schulden sind bei dieser Betrachtungsweise grundsätzlich außer Betracht zu lassen.

3. Im neueren Schrifttum sind gegen diese vom RG und BGH vertretene Auffassung Einwände erhoben worden. Sie richten sich vor allem dagegen, daß bei entgeltlicher Vermögensübernahme die Gläubiger sowohl in das alte (übergegangene) wie in das neue (als Entgelt erlangte) Vermögen vollstrecken können. Damit - so wird eingewendet - würde der Rechtsverkehr in einer über den Gläubigerschutz hinausgehenden Weise behindert. Im einzelnen werden folgende Auffassungen vertreten (s. Schricker, Juristenzeitung 1970, 265 ff.):

a) § 419 BGB soll nur bei unentgeltlicher Veräußerung eingreifen.

b) Die Vorschrift des § 419 BGB soll nicht anwendbar sein, wenn der Übernehmer eine gleichwertige Gegenleistung erbracht hat, die dem Gläubiger dieselbe Sicherheit und Befriedigungsmöglichkeit wie das übergegangene Vermögen bietet.

c) Der Erwerber darf die Gegenleistung von dem übernommenen Aktivvermögen absetzen und haftet nur in Höhe des Differenzbetrags.

d) Der Übernehmer hat wie bei der Bürgschaft die Einrede der Vorausklage.

e) Der Übernehmer kann sich auf eine analoge Anwendung des § 2 des Gläubigeranfechtungsgesetzes berufen.

Der BGH hat an der Haftung des Aktivvermögens (ohne Abzug der Schulden) grundsätzlich festgehalten und eine Ausnahme nur dann zugelassen, wenn an Bestandteilen des übernommenen Vermögens dingliche Sicherungsrechte Dritter bestehen. Ob die Gegenleistung dann zu berücksichtigen ist, wenn sie dem übernommenen Vermögen gleichwertig ist und den Gläubigern des Veräußerers die gleiche Sicherheit und die gleiche Befriedigungsmöglichkeit bietet, hat der BGH ausdrücklich offengelassen (Urteile vom 19. Februar 1976 III ZR 75/74, BGHZ 66, 217, und vom 6. Dezember 1984 X ZR 103/83, BGHZ 93, 135, jeweils m.w.N.).

4. Der erkennende Senat hält die aus dem Grundgedanken des § 419 BGB hergeleitete Erwägung, daß die Gläubiger nach Vermögensübertragung nicht schlechter-, aber auch nicht bessergestellt sein sollen als zuvor, im Grundsatz für beachtlich. Unter Berücksichtigung eines wirksamen Gläubigerschutzes hält er indes eine einschränkende Auslegung des § 419 BGB mit dem BGH allenfalls in dem Sinne für erwägenswert, daß die Haftung nach § 419 BGB dann nicht eingreift, wenn eine dem veräußerten Aktivvermögen (abzüglich dinglich gesicherter Schulden) entsprechende Gegenleistung gewährt wird und die Gläubiger nach der Vermögensübertragung die gleichen Sicherheiten und Befriedigungsmöglichkeiten haben wie zuvor. Der erkennende Senat braucht diese Frage jedoch ebensowenig abschließend zu entscheiden wie der BGH. Denn unter Berücksichtigung der in Betracht gezogenen Einschränkung ist § 419 BGB im Streitfall anwendbar.

5. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG ist die Gegenleistung für die Übertragung sämtlicher Aktiva und Passiva in Höhe von 3.448.000 DM "unter Berücksichtigung der Auflösung stiller Reserven" bemessen worden. Das kann nur bedeuten, daß der Betrag von 3.448.000 DM den Unterschiedsbetrag zwischen den übertragenen Aktiva und den übernommenen Passiva darstellt. Die den Gläubigern nach der Vermögensübertragung verfügbare Haftungsmasse (bestehend aus dem GmbH-Anteil) ist - wie sich schon aus der Bilanz auf den 31. Dezember 1969 mit dem dort dargestellten buchmäßigen Aktivvermögen von rd. 7.800.000 DM ergibt - erheblich geringer als das übertragene Aktivvermögen. Es bedarf danach keiner weiteren Untersuchung, ob die Pfändung und Verwertung eines Geschäftsanteils an der GmbH, wie er den Gläubigern nach der Vermögensübertragung zur Verfügung stand, der Pfändung und Verwertung einzelner Vermögensgegenstände gleichwertig ist. Es braucht auch nicht geprüft zu werden, ob der Anspruch gegen die Klägerin zusätzlich auf § 25 HGB gestützt werden könnte.

6. Das FG ist bisher auf die Einwände der Klägerin gegen Grund und Höhe der Steuernachforderungen des FA nicht eingegangen. Dies muß nachgeholt werden; das FG muß hierzu die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen treffen. Die Sache ist nicht spruchreif.