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BFH-Beschluß vom 24.4.1986 (III B 55/85) BStBl. 1986 II S. 573

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die in Tz. 101 des BMF-Schreibens vom 5. Mai 1977 (BStBl I 1977, 246) zugelassenen Ausnahmefälle von dem dreijährigen Verbleiben im Betrieb des Investors eine abschließende Regelung darstellen.

InvZulG § 1 Abs. 3, § 5 Abs. 6.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist eine GmbH, die sich seit April 1983 in Liquidation befindet. Alleingesellschafter und Geschäftsführer war der jetzige Liquidator L.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) gewährte der Antragstellerin für die Jahre 1980 und 1981 Regionalzulagen nach § 1 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG).

Mit Verträgen vom 30./31. Dezember 1982 veräußerte die Antragstellerin ihren Betrieb mit sämtlichen beweglichen und unbeweglichen Wirtschaftsgütern an die Firma... GmbH & Co. KG (KG). Beherrschender Gesellschafter der KG war im Erwerbszeitpunkt ebenfalls L.

Die Veräußerung nahm das FA zum Anlaß, die Zulagebescheide zu ändern und die Investitionszulagen 1980 und 1981 zurückzufordern. Das FA führte aus, die begünstigten Wirtschaftsgüter seien infolge des Verkaufs des gesamten Betriebs nicht drei Jahre lang seit ihrer Anschaffung oder Herstellung im Betrieb der Antragstellerin verblieben. Die Ansprüche auf Investitionszulage seien daher gemäß § 5 Abs. 6 InvZulG mit Wirkung für die Vergangenheit erloschen.

Der Einspruch gegen die Änderungsbescheide war erfolglos. Die Klage ist beim Finanzgericht (FG) anhängig.

Gleichzeitig mit dem Einspruch hatte die Antragstellerin beim FA die Aussetzung der Vollziehung beantragt. Sie hatte folgendes vorgetragen:

Bis Ende 1982 hätten zur L-Gruppe neben ihr (der Antragstellerin) und der KG noch die Firmen A-GmbH & Co. KG und B-GmbH & Co. KG gehört. Im Wege einer Umstrukturierung seien alle Unternehmen auf die KG übertragen worden. So seien die Firmen A-GmbH & Co. KG und B-GmbH & Co. KG nach § 24 des Umwandlungs-Steuergesetzes (UmwStG) 1977 in die KG eingebracht worden. Dieses relativ einfache Verfahren hätte jedoch hinsichtlich der Antragstellerin nicht praktiziert werden können, weil § 1 Abs. 2 des Umwandlungsgesetzes (UmwG) einer Umwandlung in eine GmbH & Co. KG entgegengestanden habe. Um den beabsichtigten Zweck dennoch zu erreichen, sei der Betrieb der Antragstellerin durch Kaufvertrag auf die KG übertragen worden. In Tz. 101 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 5. Mai 1977 (BStBl I 1977, 246) seien Fälle aufgeführt, in denen der Vermögensübergang auf einen "anderen" innerhalb der Verbleibfrist von drei Jahren ausnahmsweise unschädlich sei, so bei der Gesamtrechtsnachfolge (Erbfall), der unentgeltlichen Betriebsübertragung sowie den Fällen der Umwandlung und Einbringung nach dem UmwStG. Im letzteren Falle genüge es sogar, wenn der Einbringende nur mit 1 % an der Personengesellschaft beteiligt werde. Der vorliegende Fall sei bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise diesen Beispielsfällen gleichzustellen. Denn L, der Alleingesellschafter der Antragstellerin, sei im Erwerbszeitpunkt bereits Hauptgesellschafter der KG gewesen. Im übrigen hätten die begünstigten Wirtschaftsgüter die Betriebsstätte nicht verlassen.

Das FA lehnte den Aussetzungsantrag ab. Auch die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Dagegen setzte das FG die Vollziehung im Antragsverfahren nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus. Das FG stützte seine Entscheidung auf den Sinn und Zweck des Zulagegesetzes, nämlich die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Dieser Gesetzeszweck sei trotz der Betriebsveräußerung gewahrt geblieben.

Das FG hat die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Gegen den Aussetzungsbeschluß wendet sich das FA mit der Beschwerde. Es ist der Auffassung, daß der angefochtene Beschluß gegen den eindeutigen Gesetzeswortlaut verstoße, der eine Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht zulasse. Abschließend weist das FA noch darauf hin, daß sich bei der KG zum 1. Januar 1983 die Beteiligungsverhältnisse grundlegend geändert hätten. Die Beteiligung des bis dahin beherrschenden Gesellschafters L sei auf 32 % reduziert worden.

Das FA beantragt, den Aussetzungsbeschluß des FG aufzuheben und den Aussetzungsantrag abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das FG hat die Vollziehung der Änderungsbescheide zu Recht nach § 69 Abs. 3 FGO ausgesetzt. An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen ernstliche Zweifel. Diese sind rechtlicher Art und haben ihren Grund in der Unsicherheit, die die Tz. 101 des BMF-Schreibens vom 5. Mai 1977 für die Praxis bedeutet. Dabei ist ungewiß, ob diese Verwaltungsregelung abschließend ist oder ob die dort aufgeführten Beispielsfälle um weitere Fälle vermehrt werden können.

Zutreffend ist zunächst der Ausgangspunkt, daß die Regionalzulagen nach § 1 Abs. 3, § 5 Abs. 6 InvZulG nur gewährt und belassen werden können, wenn die begünstigten Wirtschaftsgüter mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung in der Betriebsstätte des Investors verbleiben (bewegliche Wirtschaftsgüter) bzw. wenn sie mindestens drei Jahre nach ihrer Herstellung vom Investor ausschließlich zu eigenbetrieblichen Zwecken verwendet werden. Entsprechend dem Gesetzeswortlaut sind nach ständiger Rechtsprechung und Verwaltungspraxis sowohl die Veräußerung als auch die Nutzungsüberlassung von begünstigten Wirtschaftsgütern an "Dritte" zulageschädlich. Allerdings läßt die Finanzverwaltung, worauf das FG zutreffend hinweist, in Tz. 101 des BMF-Schreibens vom 5. Mai 1977 Ausnahmen von diesem Grundsatz zu. Solche Ausnahmefälle, die nach Verwaltungsauffassung ausnahmsweise nicht zur Zurückforderung von Investitionszulagen führen, sind der Gesellschafterwechsel bei Personengesellschaften, der Vermögensübergang im Todesfall und der vorweggenommenen Erbfolge sowie Vermögensübertragungen im Zusammenhang von Umwandlung und Einbringung nach dem Umwandlungssteuerrecht; außerdem soll die Nutzungsüberlassung im Rahmen einer Betriebsaufspaltung unschädlich sein, wenn das Besitzunternehmen ein Einzelunternehmen oder eine Personengesellschaft ist. Im letzteren Bereich, nämlich der Betriebsaufspaltung, hat der BMF durch ein weiteres Schreiben vom 10. Dezember 1985 (BStBl I 1985, 683) den Katalog begünstigter Ausnahmen beträchtlich erweitert. So sieht er nunmehr auch Nutzungsüberlassungen im Rahmen einer kapitalistischen Betriebsaufspaltung, bei der umgekehrten Betriebsaufspaltung und bei Organschaftsverhältnissen als unschädlich an.

Der Senat schließt aus diesen verwaltungsmäßigen Anordnungen, daß die wortgetreue Anwendung der Verbleibensregelungen in der Praxis zu Ergebnissen führt, die von der Finanzverwaltung nicht mehr als sachgemäß empfunden werden. Die Finanzverwaltung behandelt deshalb die Verbleibregelung restriktiv in dem Sinne, daß sie Ausnahmen vom allgemeinen Grundsatz zuläßt. Allerdings ist bisher weder das Prinzip erkennbar, von dem allgemeine Ausnahmen abgeleitet werden könnten (vgl. zur Lückenausfüllung bei der teleologischen Reduktion Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl., S. 375 ff.), noch ist die rechtliche Tragfähigkeit eines solchen Prinzips von der Rechtsprechung anerkannt. Möglicherweise liegen den verwaltungsmäßigen Ausnahmeregelungen je nach Fallgruppe auch unterschiedliche Prinzipien zugrunde. Ausnahmen von der allgemeinen Verbleibregelung könnten dort denkbar und gerechtfertigt sein, wo trotz der formalen Änderung des Rechtsträgers der bisherige Investor auf den Einsatz des begünstigten Wirtschaftsguts weiterhin Einfluß nehmen kann. Auf diesen Gesichtspunkt weist das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 10. April 1984 VIII R 218/79 (BFHE 141, 395, BStBl II 1984, 734) für einen ähnlich gelagerten Fall bereits hin (vgl. dazu auch das BMF-Schreiben vom 29. März 1985, BStBl I 1985, 113). So ist es nicht auszuschließen und damit ernstlich zweifelhaft, daß auch bei besonders gelagerten Veräußerungsfällen eine weitere Ausnahme von der allgemeinen Verbleibregelung anzuerkennen ist. Die Klärung dieser Problematik muß jedoch dem Verfahren der Hauptsache vorbehalten bleiben.