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BFH-Urteil vom 4.3.1986 (VII R 38/81) BStBl. 1986 II S. 577

Zu den Pflichten eines Mineralölsteuerlagerinhabers, die dessen gesetzlicher Vertreter oder Bevollmächtigter zu erfüllen hat (Haftung des gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten für die Mineralölsteuer, die durch Entnahme von Mineralöl aus dem Steuerlager unbedingt wird).

AO §§ 103, 108, 109.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

Die Firma E - ein Unternehmen der A-Gruppe - war Inhaberin eines Mineralölsteuerlagers. Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA -) nahm den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) mit Bescheid vom 14. August 1973 als Haftenden auf Zahlung von 7.855.782 DM Mineralölsteuer - sowie 38.678 DM Säumniszuschlägen - mit der Begründung in Anspruch, er sei als Bevollmächtigter der Firma E tätig gewesen und habe in dieser Eigenschaft darauf zu achten gehabt, daß die entstandene Mineralölsteuer jeweils zum Fälligkeitstermin habe entrichtet werden können. Diese Verpflichtung habe er dadurch verletzt, daß er es - in den Monaten Mai, Juni, Juli 1973 - pflichtwidrig unterlassen habe, auf die in der A-Gruppe für den Verkauf von Mineralöl zuständige Vertriebs-GmbH mit dem Ziel einzuwirken, den Finanzbedarf zur Entrichtung der Mineralölsteuer aus den für die Firma E getätigten Mineralölverkäufen in ausreichendem Umfang rechtzeitig zur Verfügung zu stellen.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Klage führte zur Aufhebung des Haftungsbescheids hinsichtlich der darin festgesetzten Mineralölsteuer durch das angefochtene Urteil. Zur Begründung führt das Finanzgericht (FG) folgendes aus:

Aus § 103 Satz 1 Halbsatz 2 der Reichsabgabenordnung (AO) ergebe sich, daß die Verpflichtung zur Sorge für die Steuerentrichtung sich nur auf die tatsächlich verwalteten Mittel erstrecke. Diese Voraussetzung sei im Streitfall aber schon deshalb nicht erfüllt, weil die Firma E zu verwaltende Mittel nicht besessen oder erlangt habe. Ihr sei im Bereich der von A geschaffenen Firmengruppe ganz offensichtlich nur die Aufgabe zugefallen, das umsatzsteuerrechtliche Blindenprivileg zu "rechtfertigen". Die Aufgabe des Verkaufs der steuerpflichtigen Kraftstoffe und damit auch die Aufgabe, die hohen Mineralölsteuerbeträge über die Verkaufspreise hereinzuholen, sei der Vertriebs-GmbH zugedacht gewesen. Dafür seien der Firma E von der A-Gruppe die jeweils fällig werdenden Mineralölsteuerbeträge zur Verfügung gestellt worden. Die vom HZA erwähnten "Möglichkeiten" des Klägers, den Steuerausfall durch monatliche Aufstellungen zur Überwachung des Finanzbedarfs, durch gezielte Maßnahmen zur Erhaltung der Liquidität, durch Einsichtnahme in die Unterlagen und durch Kassenkontrollen bei der Vertriebs-GmbH sowie notfalls durch Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Vertriebs-GmbH zu vermeiden, stellten nicht nur objektiv unwirksame Mittel dar, die Steuerbelange im Steuerlager der Firma E zu wahren, so daß sie aus diesem Grunde für die Steuerausfälle bei der Firma E auch nicht ursächlich geworden seien. Sie seien darüber hinaus wegen der Strohmann-Eigenschaft der Firma E nicht realisierbar gewesen. Die Liquidität, die der Kläger nach Ansicht des HZA durch gezielte Maßnahmen habe erhalten sollen, sei jeweils von der Bereitwilligkeit und der finanziellen Fähigkeit des A abhängig gewesen. Das HZA habe in dem Steuerbescheid an A selbst ausgeführt, daß es A gelungen sei, die Firma E durch geschickte Vertragsgestaltungen voll und ganz in seine Firmengruppe einzugliedern und diese in ihren geschäftlichen Tätigkeiten beim An- und Verkauf von Mineralöl an die Dispositionen und finanziellen Überlegungen der A-Gruppe zu binden. Außerdem sei der gesamte Sachkomplex der Verwaltung durch verschiedene Steueraufsichtsmaßnahmen bekannt gewesen. Da die Verwaltung dennoch nichts zur Sicherung der Steuerbelange unternommen habe, den Umständen vielmehr die Billigung des Vorgehens der A-Gruppe und insbesondere der Firma E zu entnehmen sei, fehle es auch an der Ursächlichkeit zwischen dem Verhalten des Klägers und dem Steuerausfall.

Das HZA legte Revision ein.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Den Ausführungen in den Gründen des angefochtenen Urteils ist zu entnehmen, daß das FG die Regelung in § 103 AO rechtsfehlerhaft angewandt hat.

Dabei kommt es nach der gegenwärtigen Sachlage nicht darauf an, ob das FG bei seiner Entscheidung über die Pflichten eines Bevollmächtigten i. S. des § 108 AO von einer zutreffenden Auslegung der Regelung in § 103 Satz 1 Halbsatz 2 AO ausgegangen ist, nach der der Bevollmächtigte dafür zu sorgen hat, daß die Steuern aus den seiner Verwaltung unterliegenden Mitteln entrichtet werden. Denn das FG ist - bereits - rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, daß eine Haftung des Klägers aufgrund der Regelung in § 103 AO nur in Betracht kommen soll, wenn die Firma E aus den Mineralölverkäufen tatsächlich Mittel erlangt hat, aus denen der Kläger, sofern er als Bevollmächtigter i. S. des § 108 AO aufgetreten ist, die Mineralölsteuer hätte bezahlen können. Das gelte auch dann, wenn durch geschickte Gestaltung der Verträge zwischen der Firma E und der A-Gruppe erreicht worden sei, daß auf seiten der Firma E keine eigenverantwortlichen Dispositionen zur Bereitstellung der Mittel, die zur Entrichtung der Steuern erforderlich waren, hätten getroffen werden können, weil die Verkaufserlöse unmittelbar der Vertriebs-GmbH und nicht der Firma E zugeflossen seien. Dieser Auffassung kann aus den nachstehenden Gründen nicht gefolgt werden.

a) Sie wird schon dem Wortlaut des § 103 Satz 1 AO nicht gerecht. Danach hat der Vertreter im Sinne dieser Vorschrift alle Pflichten zu erfüllen, die dem Vertretenen obliegen. Die Pflicht, dafür zu sorgen, daß die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die der Vertreter verwaltet, kann schon nach dem Wortlaut des § 103 Satz 1 AO nur als beispielhafte Bezeichnung einer besonderen Pflicht angesehen werden. Zwar kommt in dem Wort "insbesondere" zum Ausdruck, daß der Vertreter auf die Erfüllung dieser Verpflichtung besonders zu achten hat. Das ändert aber nichts daran, daß der Bezeichnung dieser Pflicht nach dem Wortlaut des § 103 Satz 1 AO nur beispielhafte Bedeutung zukommt und daß dadurch andere Pflichten nicht ausgeschlossen werden.

b) Nur dieses Ergebnis entspricht auch dem erkennbaren Sinn und Zweck der Regelung in § 103 Satz 1 AO. Dadurch sollte erreicht werden, dem Vertreter die steuerlichen Pflichten des Vertretenen zur eigenverantwortlichen Erfüllung aufzuerlegen. Mit der Wahrung dieses Zwecks ist es nicht vereinbar, andere steuerliche Pflichten als die der Entrichtung der Steuern aus den verwalteten Mitteln von vornherein auszuscheiden. Vielmehr entspricht es dem genannten Zweck, davon auszugehen, daß der Vertreter grundsätzlich alle steuerlichen Pflichten des Vertretenen erfüllen soll.

c) Das wird auch durch die geschichtliche Entwicklung der genannten Vorschrift bestätigt. Sie geht auf den Entwurf einer Reichsabgabenordnung aus dem Jahre 1919 (vgl. Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung Band 338 Nr. 759) zurück, der Grundlage für die Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919 (RGBl S. 1993) war. Die vorgesehene, dem § 103 AO entsprechende Regelung war in § 84 des genannten Entwurfs enthalten und stand im Zusammenhang mit anderen Vorschriften unter der Überschrift "Geschäftsfähigkeit, Vertretung, Vollmacht, Haftung". In der Begründung des genannten Entwurfs wird dazu folgendes ausgeführt:

"Nach dem bürgerlichen Recht wirken die Handlungen des Vertreters nur für und wider den Vertretenen, der Vertreter selber kann nicht in Anspruch genommen werden; nur der falsus procurator haftet auf Schadenersatz, Erfüllung oder das negative Vertragsinteresse. Für das Steuerrecht reichen diese Vorschriften nicht aus. Die Finanzämter müssen jemand haben, an den sie sich wenden können... Der Entwurf verpflichtet deshalb die gesetzlichen Vertreter..., die Pflichten zu erfüllen, die den von ihr vertretenen Personen obliegen, insbesondere auch die Steuern aus etwa von ihnen verwalteten Mitteln zu bezahlen. Soweit der Steuerfiskus durch ihr Verschulden geschädigt wird, sollen sie persönlich haften, § 90. Die gleichen Grundsätze gelten für Bevollmächtigte und für die, die als solche auftreten, § 89" (vgl. Entwurf einer Reichsabgabenordnung, a. a. O., Begründung zu § 83 Abs. 2 bis 86).

2. Aufgrund der Feststellungen des FG ist zumindest nicht auszuschließen, daß Pflichten i. S. des § 103 Satz 1 AO verletzt worden sind.

a) Nach den Ausführungen des FG hat die Firma E sich vertraglich zugunsten der Vertriebs-GmbH aller Rechte zum Verkauf von Mineralöl aus dem Steuerlager einschließlich der Erlangung der Verkaufserlöse begeben. Sie hatte danach im Rahmen des Mineralölverkaufs aus dem Steuerlager nur noch die Stellung eines sog. Strohmanns. Der Firma E wurden lediglich von seiten der A-Gruppe die Mittel zur Entrichtung der Mineralölsteuern für die im Rahmen der Mineralölverkäufe aus dem Steuerlager entnommenen Mineralölmengen zur Verfügung gestellt. Nach dem vom FG in den Urteilsgründen wiedergegebenen Vortrag des Klägers ist der Steuerausfall darauf zurückzuführen, daß A und seine Berater wegen des - späteren - Wegfalls des sog. Blindenprivilegs durch planmäßiges Handeln die Konkursreife der Firma E herbeigeführt haben.

b) Diese Ausführungen deuten darauf hin, daß steuerliche Pflichten der Firma E i. S. des § 103 Satz 1 AO verletzt worden sind.

aa) Als Inhaber eines Steuerlagers hatte die Firma E die Pflicht, sicherzustellen, daß die Mineralölsteuer im Fälligkeitszeitpunkt entrichtet werden konnte. Diese Sorgfaltspflicht folgt daraus, daß der Steuerlagerinhaber Schuldner der auf dem Mineralöl im Steuerlager ruhenden bedingten Mineralölsteuer ist (vgl. § 36 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes - MinöStDV -) und daß diese Steuerschuld mit der Entnahme des Mineralöls aus dem Steuerlager (zur Verwendung als Kraftstoff) - wenn auch nicht sofort fällig, so doch - sofort unbedingt wird (vgl. § 36 Abs. 8 Nr. 1 und Abs. 9 MinöStDV). Als Schuldner einer unbedingten Mineralölsteuerforderung ist der Steuerlagerinhaber verpflichtet, die Mineralölsteuer dem HZA anzumelden (vgl. § 36 Abs. 10 MinöStDV) und am Fälligkeitstag zu entrichten. Um diese Verpflichtung erfüllen zu können, muß er dafür sorgen, daß am Fälligkeitstag auch die Mittel zur Entrichtung der Mineralölsteuer vorhanden sind.

Mit dieser Verpflichtung ist es nicht zu vereinbaren, wenn der Steuerlagerinhaber Maßnahmen trifft, die zur Folge haben können, daß die Mittel zur Entrichtung der Mineralölsteuerschuld am Fälligkeitstag nicht zur Verfügung stehen. Das kann auch dadurch bewirkt werden, daß der Lagerinhaber einem anderen gestattet, die Verkaufserlöse im eigenen Namen und für eigene Rechnung einzuziehen. Die aufgezeigte Pflicht des Lagerinhabers, die Entrichtung der Mineralölsteuer am Fälligkeitstag sicherzustellen, gestattet es ihm grundsätzlich nicht, sich in eine Lage zu bringen, in der er nicht mehr eigenverantwortlich für die Bereitstellung der Mittel zur Entrichtung der Mineralölsteuer im Fälligkeitszeitpunkt sorgen kann.

bb) Ob im Streitfall eine Pflichtverletzung deshalb nicht vorliegt, weil die Vertriebs-GmbH, wie den Ausführungen des FG zu entnehmen ist, die rechtzeitige Zuweisung der Mittel zur Entrichtung der Mineralölsteuer zugesagt hatte, hängt zwar von den näheren, bisher nicht bekannten Umständen des vorliegenden Falles ab. Dabei ist aber zu beachten, daß einem Steuerlagerinhaber grundsätzlich nicht zugestanden werden kann, sich ohne erfolgversprechende Absicherung der Verpflichtungserklärung eines anderen zur Bereitstellung der Mittel für die Entrichtung der Mineralölsteuer auszusetzen. Das folgt aus der Verpflichtung des Steuerlagerinhabers, in eigener Verantwortung für die Bereitstellung der Mittel zu sorgen. Überläßt er die Bereitstellung der Mittel gleichwohl anderen, so kann das allenfalls unter Voraussetzungen hingenommen werden, die es dem Steuerlagerinhaber ermöglichen, notfalls eine Bereitstellung der Mittel zu erzwingen oder den Mineralölverkauf aus dem Steuerlager rechtzeitig zu unterbinden. Das kann nur durch Vereinbarung entsprechender Sicherungsmaßnahmen erreicht werden. Dazu wird etwa erforderlich sein, daß sich der Steuerlagerinhaber von der Zahlungsfähigkeit und der Zuverlässigkeit des anderen in geeigneter Weise überzeugt und daß er sich auch Befugnisse etwa zur regelmäßigen Information über die Zahlungsfähigkeit durch geeignete Überprüfungsmaßnahmen sowie die Möglichkeit zur Lösung aus dem Vertragsverhältnis einräumen läßt, sofern die rechtzeitige Bereitstellung der Mittel zur Entrichtung der Steuern nicht mehr gewährleistet erscheint. Unterbleiben derartige Sicherungsmaßnahmen, so wird in der Regel schon darin eine Verletzung der Pflichten eines Steuerlagerinhabers zu erblicken sein.

cc) Ist eine Absicherung etwa in der aufgezeigten Weise erfolgt, so kann eine Pflichtverletzung auch darin liegen, daß von den Prüfungsmöglichkeiten kein Gebrauch gemacht wird.

3. Eine Verletzung von Pflichten i. S. des § 103 Satz 1 AO durch den Kläger kommt aufgrund der bisherigen Feststellungen des FG in Betracht, wenn der Kläger i. S. des § 108 AO als Bevollmächtigter der Firma E aufgetreten ist, was das FG offengelassen hat, und wenn er dabei Pflichten im aufgezeigten Sinne des § 103 Satz 1 AO verletzt hat. Das kann etwa dadurch geschehen sein, daß der Kläger bei der aufgezeigten Vertragsgestaltung mitgewirkt hat, durch die die Strohmann-Eigenschaft der Firma E herbeigeführt worden ist.

Hat der Kläger, sofern er als Bevollmächtigter aufgetreten ist, nicht schon bei dieser Vertragsgestaltung mitgewirkt, so kann daraus noch nicht gefolgert werden, daß er keine Pflichten i. S. des § 103 Satz 1 AO verletzt hat. Auch in der Duldung der Mineralölverkäufe aufgrund der genannten Vereinbarungen, die die Strohmann-Eigenschaft der Firma E herbeigeführt haben, kann eine - kontinuierliche - Verletzung der Pflichten i. S. des § 103 Satz 1 AO liegen.

Eine Rechtfertigung des Verstoßes gegen Pflichten des Steuerlagerinhabers kann nicht schon daraus hergeleitet werden, daß der Kläger möglicherweise aufgrund privatrechtlicher Bindungen gegenüber A zur Duldung der Mineralölverkäufe aus dem Steuerlager verpflichtet war. Die Pflicht nach § 103 Satz 1 AO zur Wahrnehmung der Verpflichtungen der Firma E als Steuerlagerinhaber konnte durch privatrechtliche Vereinbarungen nicht aufgehoben werden.