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BFH-Urteil vom 24.4.1986 (IV R 282/84) BStBl. 1986 II S. 672

1. Im Falle eines Liquidationsvergleiches entsteht der Vergleichsgewinn erst mit Abschluß des Liquidationsverfahrens.

2. § 3 Nr. 66 EStG betrifft auch den Fall der übertragenden Sanierung.

EStG § 3 Nr. 66.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Klägerin ist Erbin ihres 1980 verstorbenen Ehemannes, der gemeinsam mit seinem Sohn, dem Kläger, Gesellschafter einer OHG war, die einen Großhandel betrieb. Das Unternehmen geriet in wirtschaftliche Schwierigkeiten, die im Jahre 1975 zur Eröffnung eines gerichtlichen Vergleichsverfahrens führten. Dieses Verfahren ist in Form der Liquidation der OHG durchgeführt und zum 31. Dezember 1978 abgeschlossen worden. Bereits vor der Verfahrenseröffnung gründete der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau eine GmbH, die den Betrieb der OHG fortsetzte; der inzwischen verstorbene Vater des Klägers war in ihr als Geschäftsführer tätig.

In der Liquidationsschlußbilanz der OHG zum 31. Dezember 1978 wird ein Gewinn aus dem Erlaß von Verbindlichkeiten in Höhe von 2,4 Mio. DM ausgewiesen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte diesen Ertrag im Gewinnfeststellungsbescheid für 1978 als laufenden Gewinn, da es sich im Hinblick auf die Abwicklung der OHG nicht um einen steuerfreien Sanierungsgewinn handle.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg; das Finanzgericht (FG) sah im Ertrag aus dem Forderungserlaß einen steuerfreien Sanierungsgewinn. Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 331 veröffentlicht.

Mit seiner Revision macht das FA geltend, daß die Voraussetzungen für einen steuerfreien Sanierungsgewinn nicht vorgelegen hätten.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA erweist sich als unbegründet.

1. Ob aus dem Erlaß der geschäftlichen Schulden der OHG ein steuerfreier Sanierungsgewinn entstanden ist, hat das FA zu Recht im Verfahren der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung entschieden (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. Juni 1980 IV R 150/79, BFHE 131, 299, BStBl II 1981, 8).

Der Feststellungsbescheid konnte von den Klägern als frühere Gesellschafter bzw. als Rechtsnachfolger eines Gesellschafters mit der Klage angegriffen werden, da die OHG nach Abschluß der Liquidation voll beendet ist (BFH-Urteil vom 24. November 1977 IV R 113/75, BFHE 125, 107, BStBl II 1978, 467) und ihr infolgedessen das Prozeßführungsrecht aus § 48 Abs. 1 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht mehr zusteht.

2. Zu Recht hat das FA den von ihm angenommenen Gewinn der OHG aus der Durchführung des Vergleichsverfahrens erst im Jahre der Liquidationsbeendigung erfaßt. Zwar wird der Gewinn aus der vergleichsweisen Herabsetzung von Verbindlichkeiten sonst bereits mit der gerichtlichen Bestätigung des Vergleichs realisiert (BFH-Urteile vom 22. November 1963 VI 117/62 U, BFHE 78, 325, BStBl III 1964, 128, und in BFHE 131, 299, BStBl II 1981, 8). Dies kann jedoch nicht im Falle des im Streitfall abgeschlossenen Liquidationsvergleichs gemäß § 7 Abs. 4 der Vergleichsordnung (VerglO) gelten, weil hier der Umfang des Schulderlasses und damit des realisierten Gewinns erst mit dem Abschluß der Liquidation feststeht; er kann daher erst in diesem Jahr zur Besteuerung herangezogen werden.

3. In der Sache hat das FG den strittigen Gewinn im Ergebnis zu Recht als steuerbefreiten Sanierungsgewinn behandelt.

a) Nach § 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist als Sanierungsgewinn eine Erhöhung des Betriebsvermögens steuerfrei, die dadurch entsteht, daß Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden. Die Bestimmung geht davon aus, daß der Erlaß einer betrieblichen Verbindlichkeit auch für ein notleidendes Unternehmen, das seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, eine Vermögensmehrung bedeutet. Zwar mag der Erlaß einer notleidenden und bereits abgeschriebenen Forderung für den Gläubiger keine wirtschaftliche Bedeutung mehr haben. Für den Schuldner hat sie aber eine Verminderung seiner Zahlungspflichten und außerdem zur Folge, daß sein künftiger Vermögenserwerb nicht mehr dem Zugriff des Gläubigers unterliegt; der in einigen Urteilen des Reichsfinanzhofs (RFH) beiläufig vertretenen abweichenden Auffassung (Urteile vom 30. Juni 1927 VI A 297/27, RStBl 1927, 197; vom 16. Dezember 1936 VI A 725/36, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1937 Nr. 88; vom 26. April 1939 VI A 58/39, StuW 1939 Nr. 320) ist die BFH-Rechtsprechung nicht gefolgt. Danach liegt die sachliche Rechtfertigung der Steuerbefreiung des Sanierungsgewinns in dem Ziel, das Unternehmen als Faktor des Wirtschaftslebens, insbesondere als Einkunftsquelle des Unternehmers und seiner Arbeitnehmer und mittelbar auch seiner Geschäftspartner am Leben zu erhalten, nicht aber in der Rücksichtnahme auf die Wertlosigkeit der erlassenen Forderungen (BFH-Urteile vom 15. Dezember 1966 IV 232/64, BFHE 88, 122, BStBl III 1967, 309; vom 7. Februar 1985 IV R 177/83, BFHE 143, 531, BStBl II 1985, 504). Wäre der Sanierungsgewinn steuerpflichtig, würden sich die Gläubiger vielfach von einem Erlaß abhalten lassen; der Erlaß würde sein Ziel nicht oder nicht vollständig erreichen, wenn mit ihm das Entstehen einer Steuerschuld verbunden wäre und das FA als neuer Gläubiger auftreten würde.

Der in § 3 Nr. 66 EStG ausgesprochene Steuerverzicht ist unter diesem Gesichtspunkt nur gerechtfertigt, wenn die vorausgesetzte Ausnahmesituation tatsächlich besteht. Deshalb ist nicht nur erforderlich, daß der Gläubiger in Sanierungsabsicht handelt, sondern auch, daß das begünstigte Unternehmen tatsächlich sanierungsbedürftig und der Schulderlaß zur Herbeiführung der Wiedergesundung geeignet ist (BFH-Urteile vom 22. November 1983 VIII R 14/81, BFHE 140, 521, BStBl II 1984, 472; vom 22. Januar 1985 VIII R 37/84, BFHE 143, 420, BStBl II 1985, 501).

b) Da über das Vermögen der OHG das Vergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses eröffnet werden mußte, konnte das FG unbedenklich annehmen, daß ihr Unternehmen sanierungsbedürftig war. Die Vorinstanz hat auch angenommen, daß die Gläubiger der OHG in der Absicht der Sanierung gehandelt haben und daß der Erlaß zur Herbeiführung der Sanierung geeignet gewesen sei, allerdings nicht zur Wiederherstellung der im Vergleichsverfahren zu liquidierenden OHG, wohl aber zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der Gesellschafter der OHG, die dadurch von der drückenden Schuldenlast befreit worden seien.

Das FG knüpft damit an Vorstellungen des RFH an, der bei einem Einzelunternehmer einen steuerbefreiten Sanierungsgewinn trotz Liquidierung des Unternehmens angenommen hat, wenn ihm durch den Schulderlaß der Rückzug in das Privatleben bzw. die Rückkehr als Unternehmer oder Arbeitnehmer ermöglicht werden sollte (Urteile vom 12. Oktober 1938 VI 621/38, RStBl 1939, 86; vom 14. November 1938 VI 495/38, RStBl 1939, 117) oder wenn der einer Personengesellschaft gewährte Schulderlaß ihren Gesellschaftern die wirtschaftliche Weiterexistenz ermöglichen sollte (RFH-Urteile vom 16. Dezember 1936 VI A 725/36, RStBl 1937, 436; vom 4. Mai 1938 VI 192/38, StuW 1938 Nr. 300).

Ob dem auch gegenwärtig noch zu folgen ist, kann dahinstehen. Denn die Feststellungen des FG ergeben, daß die Gläubiger der OHG ihre Forderungen nur im Interesse einer Fortführung des Unternehmens durch die neugegründete GmbH erlassen habe; damit war den Voraussetzungen des § 3 Nr. 66 EStG genügt.

c) Ein durch Überschuldung oder Zahlungsschwierigkeiten notleidend gewordenes Unternehmen einer Personenhandelsgesellschaft wird finanziell im allgemeinen in der Weise saniert, daß der Gesellschaft Altschulden erlassen und neue Eigenmittel zugeführt werden, sei es auch durch die Aufnahme neuer Gesellschafter. Die Sanierung kann aber auch in der Weise herbeigeführt werden, daß die bisherigen Gesellschafter bzw. hinzutretende neue Gesellschafter eine Nachfolgegesellschaft, auch in Form einer Kapitalgesellschaft, gründen, die den Betrieb der Personenhandelsgesellschaft übernimmt, während diese das ihr verbliebene Vermögen zur teilweisen Befriedigung der Gläubiger verwendet. Hierbei wird das Unternehmen in seiner neuen rechtlichen Gestalt von Altschulden entweder völlig oder nach Maßgabe der an die schwindende Gesellschaft zu zahlenden Vergütung teilweise entlastet; ihm werden in der Übernahmegesellschaft auch neue Eigenmittel zugeführt. Von der Möglichkeit einer solchen "übertragenden Sanierung" (K. Schmidt, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis - ZiP - 1980, 328, 336) wird vermehrt Gebrauch gemacht; sie tritt neben die Unternehmenssanierung unter Fortführung der bisherigen Gesellschaft. Wofür sich die Beteiligten entscheiden, ist eine Zweckmäßigkeitsfrage (vgl. Paul J. Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften 1982, 30, 165 ff.; vgl. auch Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 10. Aufl., § 174 Anm. 1h).

Der Gesetzeswortlaut des § 3 Nr. 66 EStG steht der Einbeziehung der übertragenden Sanierung in die Steuerbefreiung nicht im Wege; er verlangt lediglich, daß Schulden zum Zweck der Sanierung erlassen werden, nicht aber, daß die Sanierung beim bisherigen Unternehmensträger erfolgt, dem der Erlaß gewährt wird. Wie sich die BFH-Rechtsprechung bisher nicht mit Fällen der übertragenden Sanierung beschäftigt hat, so mag allerdings auch der Gesetzgeber des § 3 Nr. 66 EStG von einer fortführenden Unternehmenssanierung ausgegangen sein, die in der Hand des bisherigen Unternehmensinhabers erreicht werden soll. Der geschilderte wirtschaftspolitische Zweck des § 3 Nr. 66 EStG erfordert seine Anwendung aber auch in Fällen der übertragenden Sanierung. Verfolgt die Vorschrift nämlich das Ziel, das Unternehmen als lebenden Organismus und als Quelle von Einkünften zu erhalten, so kann nicht hinderlich sein, daß der Erlaß der untergehenden Altgesellschaft gewährt wird, sofern dies in der Absicht geschieht, dadurch den Übergang des notleidenden Unternehmens auf die Nachfolgegesellschaft zu ermöglichen und seine Gesundung herbeizuführen. Zu einer Sanierung kann es auf diesem Wege nur kommen, wenn die Gläubiger der Ausgliederung des Unternehmens zustimmen und sich mit einer Verwertung der der Altgesellschaft verbliebenen Vermögenswerte begnügen, aber darauf verzichten, die künftigen Erträgnisse des Unternehmens etwa unter Hinweis auf § 25 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB), § 419 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in Beschlag zu nehmen. Es ist kein einleuchtender Grund dafür ersichtlich, einem solchen Verzicht die Steuerbegünstigung des § 3 Nr. 66 EStG zu versagen und die Beteiligten auf den Weg der fortführenden Sanierung zu drängen, bei dem das Unternehmen dem wirtschaftlich vorbelasteten bisherigen Rechtsträger verbleibt.

d) Im Streitfall ergeben die tatsächlichen Feststellungen des FG, daß einverständlich mit den Gläubigern bereits vor Einleitung des Vergleichsverfahrens eine Nachfolgegesellschaft in der Rechtsform der GmbH gegründet worden ist, die den Betrieb der OHG unter Übernahme aller Geschäftsbeziehungen in der bisherigen Weise fortgeführt hat. Damit waren die wesentlichen Betriebsgrundlagen des früher von der OHG betriebenen Großhandels übertragen, ohne daß es auf die Übernahme eines Warenbestandes oder von Anlagevermögen ankommen würde (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juni 1976 IV R 200/72, BFHE 119, 430, BStBl II 1976, 672; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 4. Aufl., § 16 Anm. 10). Im Zusammenhang damit haben die Gläubiger hinsichtlich der OHG in einen Liquidationsvergleich gemäß § 7 Abs. 4 VerglO unter Verzicht auf ihre in diesem Verfahren nicht zu deckenden Forderungen eingewilligt und dadurch das bei der Übernahmegesellschaft fortgeführte Unternehmen von den Altschulden freigestellt; für die Zahlung einer Übernahmevergütung durch die Nachfolgegesellschaft ergeben sich aus den Feststellungen des FG keine Anhaltspunkte. Die Gläubiger haben infolgedessen in Sanierungsabsicht, d.h. mit dem Ziel gehandelt, den Zusammenbruch des notleidenden Unternehmens zu verhindern und seine finanzielle Gesundung herbeizuführen. Daß sie sich das Unternehmen, wenn auch in neuer Rechtsform, gleichzeitig als Geschäftspartner erhalten wollten, ist unschädlich (vgl. BFH-Urteile vom 26. November 1980 I R 52/77, BFHE 132, 72, BStBl II 1981, 181; vom 22. April 1964 I 62/61 U, BFHE 79, 382, BStBl III 1964, 370). Die Maßnahme war zu einer Sanierung auch geeignet, wie schon daraus erhellt, daß das Unternehmen in der Hand der Übernahmegesellschaft dauerhaft fortbestanden hat.