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BFH-Beschluß vom 4.7.1986 (VII B 134/85) BStBl. 1986 II S. 752

Wendet sich der Steuerpflichtige in einem finanzgerichtlichen Verfahren gegen die Vollstreckung aus der Festsetzung von Einkommensteuervorauszahlungen, so kann eine Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache auch dadurch eintreten, daß für den betreffenden Veranlagungszeitraum ein Steuerbescheid ergeht, in dem die Einkommensteuer entsprechend dem Begehren des Steuerpflichtigen auf Herabsetzung der Vorauszahlungen niedriger festgesetzt wird.

FGO § 135 Abs. 1, §§ 137, 138.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) begehrte die Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen 1984 wegen zu erwartender Verluste aus Gewerbebetrieb. Gegen die Ablehnung dieses Antrags hat er Klage beim Finanzgericht (FG) erhoben. Er stellte außerdem beim FG den Antrag, durch einstweilige Anordnung die Durchführung weiterer Vollstreckungsmaßnahmen hinsichtlich der im Streit befindlichen Einkommensteuervorauszahlungen 1984 durch den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) zu unterbinden.

Das FG lehnte den Antrag auf einstweilige Anordnung ab.

Seine gegen diese Ablehnung gerichtete Beschwerde begründete der Beschwerdeführer damit, daß bei Ablehnung des Antrags auf einstweilige Anordnung seine Existenz vernichtet werde. Die zu erwartenden Vollstreckungsmaßnahmen des FA bedeuteten einen schweren Eingriff in seine Existenz, weil er keine finanziellen Reserven mehr habe.

Das FA beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Es macht unter anderem geltend, daß es am Anordnungsgrund fehle und der Beschwerdeführer seine finanzielle Lage weder dargelegt noch glaubhaft gemacht habe.

Nachdem das FA während des Beschwerdeverfahrens die geltend gemachten Verluste in der Einkommensteuerveranlagung 1984 anerkannt hatte, erklärte der Beschwerdeführer die Hauptsache für erledigt. Er beantragt nunmehr, dem FA die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Das FA beantragt, die Beschwerde abzuweisen und die Kosten des Rechtsstreits dem Beschwerdeführer aufzuerlegen.

Es hat die Hauptsache nicht für erledigt erklärt und macht geltend, daß durch die Erteilung des Einkommensteuerbescheides das Verfahren wegen Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen 1984 zwar erledigt sei. Es - das FA - habe aber weiterhin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, ob eine einstweilige Anordnung zu gewähren gewesen wäre. Bis zur Abgabe der Einkommensteuererklärung während des Beschwerdeverfahrens habe dem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung schon deshalb nicht entsprochen werden können, weil es sich überwiegend um nicht bekannte Besteuerungsgrundlagen gehandelt habe.

Entscheidungsgründe

II.

Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt.

a) Da im Streitfall nur eine einseitige Erledigungserklärung des Beschwerdeführers vorliegt, kommt eine Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wie im Falle der Erledigung des Rechtsstreits durch beiderseitige übereinstimmende Erledigungserklärungen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. Februar 1968 V B 46/67, BFHE 91, 514, BStBl II 1968, 413) nicht in Betracht; denn die Frage der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist zwischen den Beteiligten weiterhin streitig. Die einseitige Erledigungserklärung des Beschwerdeführers hat zur Folge, daß sich der Rechtsstreit nunmehr auf die Erledigungsfrage beschränkt. An die Stelle des durch den ursprünglich gestellten Antrag bestimmten Streitgegenstandes tritt der Streit um die Behauptung des Beschwerdeführers, seinem ursprünglichen Begehren sei durch das in der Hauptsache erledigende Ereignis die Grundlage entzogen worden (BFH-Urteile vom 19. Januar 1971 VII R 32/69, BFHE 101, 201, BStBl II 1971, 307; vom 27. September 1979 IV R 70/72, BFHE 128, 492, BStBl II 1979, 779, und vom 29. November 1984 V R 146/83, BFHE 143, 101, 105, BStBl II 1985, 370).

Das Gericht hat bei einseitiger Erledigungserklärung die tatsächliche Erledigung des Rechtsstreits zu prüfen. Kommt es entsprechend dem Antrag des Beschwerdeführers zu der Auffassung, daß die Hauptsache erledigt ist, ist die Erledigung im Beschluß festzustellen; dem Beschwerdegegner - hier: FA - sind in diesem Falle die Kosten aufzuerlegen (vgl. die vorstehend zitierten BFH-Entscheidungen).

b) Im Streitfall ist eine Erledigung des Rechtsstreits eingetreten.

Die Frage der Erledigung der Hauptsache bestimmt sich nach den in Streit befangenen Sachfragen und ist danach zu beurteilen, ob der Rechtsstreit nach Eintritt der Rechtshängigkeit durch entsprechende Ereignisse gegenstandslos geworden ist (vgl. BFH-Beschluß vom 5. März 1979 GrS 4/78, BFHE 127, 147, 152, BStBl II 1979, 375).

Im Streitfall war der Hauptantrag des Beschwerdeführers darauf gerichtet, dem FA im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, Vollstreckungstätigkeiten aufgrund der Festsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen einzustellen. Dieses prozessuale Begehren ist dadurch gegenstandslos geworden, daß das FA während des Beschwerdeverfahrens die Einkommensteuerveranlagung 1984 durch Erlaß des (Jahres-)Steuerbescheids abgeschlossen hat. Das hat dazu geführt, daß der Steuerbescheid als Zahlungs- und Vollstreckungsgrundlage an die Stelle der Einkommensteuervorauszahlungsfestsetzung getreten ist (vgl. BFH-Urteil vom 4. Juni 1981 VIII B 31/80, BFHE 133, 267, BStBl II 1981, 767), mit der Folge, daß diese Festsetzung als Grundlage der Vollstreckung entfallen ist. Ob das für eine Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache auch dann ausgereicht hätte, wenn die Einkommensteuer in dem Steuerbescheid in Höhe der geforderten Vorauszahlungen festgesetzt worden wäre, braucht nicht entschieden zu werden. Denn im Streitfall ist die Einkommensteuer in dem Maße niedriger festgesetzt worden, in dem der Beschwerdeführer eine Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen begehrt hatte. In diesem Umfang fehlt es nunmehr also an einem vollstreckbaren Verwaltungsakt, der gemäß § 251 der Abgabenordnung (AO 1977) die Grundlage für jedes Vollstreckungsverfahren bildet (vgl. BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370). Es ist deshalb davon auszugehen, daß dem Begehren des Beschwerdeführers auf einstweiligen Rechtsschutz dadurch die Grundlage entzogen worden ist, daß Vollstreckungsmaßnahmen zumindest in dem Ausmaß, in dem er sie - einstweilen - beseitigt haben wollte, mangels entsprechendem vollstreckbaren Verwaltungsakts - nach Durchführung der Einkommensteuerveranlagung unter Berücksichtigung der geltend gemachten Verluste - nicht mehr zu befürchten sind.

Das FA unterliegt, weil es zu Unrecht die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache bestritten und seinen Sachantrag (Abweisung der Beschwerde) aufrechterhalten hat.

c) Das FA kann auch nicht wegen eines besonderen Interesses an der Feststellung, der Antrag auf einstweilige Anordnung sei von Anfang an unbegründet gewesen, eine Sachentscheidung verlangen. Es kann dahingestellt bleiben, ob bei einem derartigen besonderen Rechtsschutzinteresse in der Sache selbst zu entscheiden wäre (vgl. dazu BFHE 101, 201, 203, BStBl II 1971, 307; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 138 Anm. 2 C I). Denn im Streitfall liegt kein derartiges besonderes Interesse vor.

Der vom FA gegebene Hinweis auf eine verspätete Mitteilung von Besteuerungsgrundlagen durch den Beschwerdeführer vermag eine derartige Entscheidung schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil dieser Umstand wegen der in § 138 Abs. 2 Satz 3 FGO enthaltenen Verweisung auf § 137 FGO auch nach Abgabe einer Erledigungserklärung durch das FA im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 138 FGO hätte berücksichtigt werden können (vgl. dazu von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 138 FGO Anm. 37).