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BFH-Urteil vom 8.4.1986 (IX R 212/84) BStBl. 1986 II S. 790

1. Die in § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG vorgesehene zweijährige Ausschlußfrist für den Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer ist verfassungsgemäß.

2. Ein Grundlagenbescheid, mit dem Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gesondert und einheitlich festgestellt werden, vermag den nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b und Satz 2 EStG notwendigen Antrag auf Veranlagung nicht zu ersetzen.

AO 1977 § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 175 (Abs. 1) Nr. 1; EStG 1979 § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b, Abs. 2 Satz 2.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielte ausweislich ihrer mit Schreiben vom 11. November 1983 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) eingereichten Einkommensteuererklärung für 1980 im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Außerdem machte sie bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung aus ihrer Beteiligung an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) einen Werbungskostenüberschuß geltend. Mit Bescheid vom 27. Dezember 1983 lehnte das FA die Veranlagung der Klägerin zur Einkommensteuer 1980 mit der Begründung ab, daß die Frist gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verstrichen sei.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, daß die Klägerin die Ausschlußfrist des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG versäumt hatte. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 der Abgabenordnung (AO 1977) komme mangels dazu vorgetragener Gründe nicht in Betracht. Zwar sei nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ein Steuerbescheid u. a. dann zu erlassen, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen wird. Diese Bestimmung könne jedoch die in den Einzelsteuergesetzen geregelten Voraussetzungen für den Erlaß des Folgebescheids nicht ersetzen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 46 EStG und § 175 AO 1977 durch das FG. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 verpflichte das FA nach Ergehen eines Grundlagenbescheids zum Erlaß eines Folgebescheids. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. Mai 1978 VIII R 78/77 (BFHE 128, 210, BStBl II 1979, 676) könne nicht herangezogen werden, da sie zu der anderslautenden Vorschrift des § 218 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) ergangen sei. Die Ausschlußfrist des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG komme nicht zur Anwendung, weil im Streitfall keine Veranlagung beantragt worden sei, vielmehr von Amts wegen ein Einkommensteuerbescheid für 1980 zu erlassen sei. Außerdem sei die Ausschlußfrist wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 20 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verfassungswidrig.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, für 1980 eine Einkommensteuerveranlagung durchzuführen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

§ 46 Abs. 2 Satz 2 EStG gehe § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 vor. Die Ausschlußfrist sei nicht verfassungswidrig. Im übrigen nimmt das FA zur Begründung auf die Entscheidung des FG Bezug.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Im Streitfall kommt keine Veranlagung zur Einkommensteuer 1980 in Betracht, weil die Klägerin die Zweijahresfrist des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG versäumt hat.

Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b und Abs. 2 Satz 2 EStG wird zur Berücksichtigung von Verlusten aus einer anderen Einkunftsart als derjenigen aus nichtselbständiger Arbeit eine Veranlagung nur durchgeführt, wenn sie bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs beantragt wird.

a) Gegen die in § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG vorgesehene Antragsfrist bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Daß Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt ist, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits allgemein im Verhältnis zur Einkommensteuerveranlagung von Amts wegen ausgesprochen. Es hat einen ausreichenden sachlichen Differenzierungsgrund vor allem darin gesehen, daß die Frist des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG auch das Interesse der Allgemeinheit an einer funktionsfähigen, möglichst sparsam arbeitenden Finanzverwaltung sowie Gründe der Budgetsicherheit berücksichtigt (BVerfG-Beschluß vom 22. Oktober 1981 1 BvR 172/81, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz 1974, § 46, Rechtsspruch 2). Nichts anderes kann dann gelten, wenn dem Veranlagungsverfahren ein Feststellungsverfahren vorgeschaltet ist. Die ausnahmsweise (vgl. § 157 Abs. 2 AO 1977) gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ist nicht Selbstzweck, sondern dient der sachgerechten Durchführung des Steuerfestsetzungsverfahrens (Begründung zu § 162 Entwurf einer AO 1974 - EAO 1974 -, BT-Drucks. VI/1982).

Auch das Grundrecht auf Eigentum ist nicht berührt. Dies folgt schon daraus, daß von der Klägerin die Einkommensteuererstattung ohne weiteres hätte erreicht werden können, wenn sie innerhalb der Frist des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG die Veranlagung beantragt hätte (vgl. entsprechend zu § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG, BVerfG-Beschluß vom 8. Oktober 1985 1 BvL 17, 19/83, BGBl I 1986, 288 - Leitsatz -; Wertpapier-Mitteilungen - WM - 1986, 282; Der Betrieb - DB - 1986, 517). Die nach § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG gesetzte Zweijahresfrist ist auch angesichts des Art. 14 Abs. 1 GG verhältnismäßig. Wenn der Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich verfassungsrechtlich unbedenklich (bis zum Steuerbereinigungsgesetz 1986 vom 19. Dezember 1985, BGBl I, 2436, BStBl I 1985, 735) spätestens zum 30. September des dem Ausgleichsjahr folgenden Kalenderjahrs gestellt sein muß (vgl. BVerfG in WM 1986, 282, DB 1986, 517), so ist es gerechtfertigt, daß in den Fällen, in denen ebenfalls die Einkommensgrenzen des § 46 Abs. 1 EStG oder die besonderen Voraussetzungen für eine sonstige Amtsveranlagung nicht gegeben sind, der gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG zur Antragsveranlagung notwendige Antrag wenigstens bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs gestellt wird.

Schließlich hält der Senat das Sozialstaatsprinzip angesichts des diesbezüglich dem Gesetzgeber eingeräumten weiten Gestaltungsspielraums nicht für verletzt (vgl. BVerfG in WM 1986, 282, DB 1986, 517).

b) Die Klägerin hat die Frist des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG versäumt. Zwar hat die Rechtsprechung des BFH in der Einreichung der Einkommensteuererklärung beim FA einen Antrag i. S. von § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b EStG gesehen (BFHE 128, 210, BStBl II 1979, 676). Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) hat die Klägerin die Einkommensteuererklärung 1980 aber erst nach Ablauf der in § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG enthaltenen Antragsfrist beim FA eingereicht.

Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, wann die Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte 1980 der GbR beim FA eingereicht wurde. Aber auch wenn dies innerhalb der Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG geschehen wäre, könnte diese Erklärung nicht als fristwahrender Antrag aufgefaßt werden. Denn der Antrag gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG bezieht sich - wie schon vom Wortlaut der Vorschrift klargestellt - nur auf die Veranlagung. Das Feststellungsverfahren nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 179 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 wird demgegenüber ohne Rücksicht darauf durchgeführt, ob es für einen an diesem Verfahren Beteiligten überhaupt zu einer Einkommensteuerveranlagung kommt (BFH-Urteil vom 12. November 1985 IX R 85/82, BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239).

c) Auch die Vorschrift des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 vermag der Revision nicht zum Erfolg zu verhelfen. Abgesehen davon, daß die gegenteilige Auffassung (z. B. Littmann, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1979, 596; Keßler in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 14. Aufl., 1985, § 46 EStG Rdnr. 59) verfassungsrechtliche Bedenken hervorruft (BFHE 128, 210, BStBl II 1979, 676), kann § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 schon nach Stellung und Zweck nicht dahin verstanden werden, daß hierdurch die Präklusion des Antragsrechts nach § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG beseitigt werden sollte. Wie auch die Überschrift vor § 172 AO 1977 zeigt, befassen sich die Vorschriften der §§ 172 bis 177 AO 1977 mit den Grenzen der (materiellen) Bestandskraft von Steuerbescheiden. Daraus folgt, daß über diese Vorschriften andere formelle Hindernisse als die Bestandskraft nicht durchbrochen werden können. Dies gilt auch dann, wenn nach Ergehen eines Grundlagenbescheids gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 der erstmalige Erlaß eines Folgebescheids in Betracht zu ziehen ist. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, daß diese Alternative des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 weiter reicht, als wenn eine Änderung eines Steuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 notwendig ist. Daß über § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 andere formelle Hindernisse als die Bestandskraft nicht überwunden werden können, zeigt etwa auch § 171 Abs. 10 AO 1977. Dieser Vorschrift hätte es nicht bedurft, wenn über § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 die ggf. beim Folgebescheid bereits eingetretene Festsetzungsverjährung durchbrochen werden könnte.

Es besteht außerdem kein Anlaß zu der Auffassung, daß die Bindungswirkung eines Grundlagenbescheides i. S. der AO 1977 im Gegensatz zur AO (dazu BFHE 128, 210, BStBl II 1979, 676) das Antragserfordernis nach § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG ersetzt (ebenso Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 20. März 1984 V 78/81, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 24; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 46 EStG Anm. 180). Die Vorschrift des § 182 Abs. 1 AO 1977 hat insoweit gegenüber § 218 Abs. 2 AO keine Änderung gebracht (Begründung zu § 163 Abs. 1 EAO 1974, BT-Drucks. VI/1982; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 182 AO 1977 Anm. 1). Die Entscheidung darüber, ob i. S. des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG fristgerecht ein Antrag gestellt wurde, kann vom dafür zuständigen FA nur im Verfahren über die Veranlagung der Einkommensteuer getroffen werden.