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BFH-Urteil vom 13.6.1986 (III R 178/82) BStBl. 1986 II S. 841

Verzichtet der Erwerber von Grundstücken gegen eine Entschädigungszahlung auf die im Kaufvertrag vereinbarte Verpflichtung des Veräußerers, auf den Grundstücken einen Gleisanschluß zu errichten, so kann der Erwerber für die Entschädigungsleistung auch dann keinen passiven Rechnungsabgrenzungsposten bilden, wenn sich die Höhe der Entschädigung nach den Mehrkosten richtet, die dem Erwerber infolge der Nichterrichtung des Gleisanschlusses entstehen.

EStG 1975 § 5 Abs. 3 Nr. 2.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1976 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger betreibt einen Kohlenhandel. Er ermittelt den Gewinn nach § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Durch Vertrag vom 6. April 1970 erwarb der Kläger von der Gemeinde B mehrere Betriebsgrundstücke. In § 8 des Grundstückskaufvertrags verpflichtete sich die Gemeinde, die verkauften Grundstücke auf ihre Kosten mit einem Gleisanschluß zu versehen. Dieser Gleisanschluß wurde jedoch nicht erstellt. Im Jahre 1975 beauftragte der Kläger daraufhin einen Rechtsanwalt mit der Geltendmachung seiner Ansprüche. Im Jahre 1976 kam zwischen dem Kläger und der Gemeinde eine Vereinbarung zustande, in der sich die Gemeinde zur Zahlung einer einmaligen Entschädigung in Höhe von 100.000 DM verpflichtete. In der Vereinbarung heißt es:

"Mit der Zahlung einer einmaligen Entschädigung in Höhe von 100.000 DM verzichtet ..." (der Kläger) "für sich und seine Rechtsnachfolger auf die Verlegung eines Anschlußgleises ... und erklärt hiermit, daß damit alle Ansprüche aus dem Vertrag vom 6. April 1970 ... abgegolten sind."

Die Gemeinde B zahlte den Entschädigungsbetrag im Jahr 1976. Er wurde nach den Mehrkosten berechnet, die dem Kläger für einen Zeitraum von zehn Jahren bei den Kohletransporten wegen der Nichterstellung des Gleisanschlusses bereits entstanden waren und noch entstehen würden.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) vertrat nach einer Betriebsprüfung die Auffassung, daß die Entschädigungsleistung in Höhe von 100.000 DM Ertrag des Jahres 1976 und - entgegen der Auffassung der Kläger - eine passive Rechnungsabgrenzung nicht zulässig sei. Dementsprechend erhöhte das FA in dem geänderten Einkommensteuerbescheid 1976 den Gewinn um die Entschädigung in Höhe von 100.000 DM; gleichzeitig minderte es ihn um die darauf entfallende Gewerbesteuer. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der die Kläger die erfolgsneutrale Behandlung der Entschädigungszahlung im Streitjahr 1976 durch Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens begehrten, ab. Es entschied, daß der Entschädigungsbetrag nicht passiv abgegrenzt werden könne; denn die Gegenleistung des Klägers, die in einem Verzicht auf die Verlegung des Gleisanschlusses auf seinem Gewerbegelände bestanden habe, sei im Streitjahr 1976 erbracht worden. Dies lasse die Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens nicht zu. An diesem Ergebnis ändere sich auch nichts dadurch, daß die Entschädigungshöhe danach berechnet worden sei, was dem Kläger für einen Zeitraum von zehn Jahren an zusätzlichem Aufwand für den Transport von Kohle auf dem Landweg entstehe.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Die Voraussetzungen für den Ausweis eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens hätten vorgelegen. Der Kläger habe in der Vereinbarung mit der Gemeinde B nicht auf die Errichtung des Gleisanschlusses verzichtet; er hätte auch gar nicht darauf verzichten können, denn zur Zeit der Vereinbarung hätte bereits festgestanden, daß die Gleisanlage nicht gebaut werde. Der Entschädigungsbetrag stelle den Ersatz für die eingetretenen Schäden dar; damit sei der betriebliche Mehraufwand ausgeglichen worden. Der Streitfall sei dem im Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Juli 1980 IV R 10/76 (BFHE 133, 363, BStBl II 1981, 669) entschiedenen Fall ähnlich.

Die Kläger beantragen, das FG-Urteil aufzuheben und der Klage stattzugeben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Bundesminister der Finanzen (BMF), der dem Verfahren beigetreten ist, trägt im wesentlichen vor: Der Ausweis eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens sei nur möglich für Vorleistungen, die der Steuerpflichtige für eine Gegenleistung empfange, die er seinem Vertragspartner - auf eine bestimmte Zeit nach dem Bilanzstichtag bezogen - noch zu erbringen habe. Im Streitfall sei die Entschädigung Ertrag des Jahres 1976; sie beziehe sich nicht auf eine Leistung, die der Kläger nach dem Bilanzstichtag erbracht habe. Die Leistung des Klägers bestehe darin, daß er der Gemeinde deren Verpflichtung, den Gleisanschluß herzustellen, erlassen habe. Auch der Umstand, daß die Höhe der Entschädigung nach den künftigen Mehraufwendungen des Klägers bemessen worden sei, führe zu keinem anderen Ergebnis. Im übrigen könne ein passiver Rechnungsabgrenzungsposten auch deshalb nicht gebildet werden, weil die Einnahmen nicht einer bestimmten Zeit nach dem Bilanzstichtag zugeordnet werden könnten.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, daß die Voraussetzungen für die Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens nicht vorgelegen haben.

Nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 EStG 1975 (jetzt § 5 Abs. 4 Nr. 2 EStG) sind als Rechnungsabgrenzungsposten auf der Passivseite solche Einnahmen vor dem Abschlußstichtag anzusetzen, die Erträge für eine bestimmte Zeit nach diesem Stichtag darstellen. Der Sinn dieser Vorschrift liegt darin, Einnahmen dem Jahr zuzuordnen, zu dem sie wirtschaftlich gehören. Der Anwendungsbereich der Rechnungsabgrenzung betrifft in erster Linie gegenseitige Verträge, bei denen für eine bestimmte Zeit Leistungen zu erbringen sind, bei denen aber Leistung und Gegenleistung zeitlich auseinanderfallen. Erhält z. B. der Vermieter die Mietzinsen für einen Zeitraum von mehreren Jahren, so ist dieser Vorleistung des Mieters in den Bilanzen des Vermieters durch einen passiven Rechnungsabgrenzungsposten Rechnung zu tragen; mit ihm wird berücksichtigt, daß der Vorleistung des anderen Vertragsteils eine noch nicht erbrachte Gegenleistung des Steuerpflichtigen gegenübersteht (BFH-Urteile vom 5. April 1984 IV R 96/82, BFHE 141, 31, BStBl II 1984, 552; vom 22. Juli 1982 IV R 111/79, BFHE 136, 266, BStBl II 1982, 655, m. w. N.).

Im Streitfall hat der Kläger im Jahre 1976 mit der Gemeinde B einen gegenseitigen Vertrag geschlossen, in dem sich die Gemeinde zur Zahlung einer Summe von 100.000 DM verpflichtet hat; als Gegenleistung hat der Kläger - wie aus dem Wortlaut der im Jahr 1976 abgeschlossenen Vereinbarung hervorgeht - auf die ihm durch Vertrag vom 6. April 1970 zugesagte Errichtung eines Gleisanschlusses verzichtet. Die Entschädigungszahlung in Höhe von 100.000 DM war im Streitjahr 1976 "Einnahme" i. S. des § 5 Abs. 3 Nr. 2 EStG 1975; die Gegenleistung, der Verzicht auf die Herstellung des Gleisanschlusses, ist im gleichen Jahr erbracht worden. Der Kläger hat keine Verpflichtung übernommen, in den Jahren nach 1976 noch etwas an die Gemeinde B zu leisten. Damit sind im Streitfall die Voraussetzungen, die die Vorschrift des § 5 Abs. 3 Nr. 2 EStG 1975 an die Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens knüpft, nicht erfüllt.

Der Auffassung des Klägers, daß die Gegenleistung nicht in einem Verzicht auf die Errichtung des Gleisanschlusses bestanden habe, weil zur Zeit des Abschlusses der Vereinbarung schon festgestanden habe, daß die Gemeinde den Gleisanschluß nicht bauen werde, kann nicht beigepflichtet werden. Entscheidend ist, daß der Kläger im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung noch einen Rechtsanspruch auf Errichtung der Gleisanlage hatte. Darauf hat er im Jahre 1976 verzichtet. Damit hat der Kläger in diesem Jahr seine Leistungsverpflichtung voll erfüllt.

Auch der Vortrag des Klägers, daß durch die Entschädigungsleistung der durch die Nichterrichtung des Gleisanschlusses entstandene Mehraufwand der Jahre nach 1976 abgegolten worden sei, ändert an der einkommensteuerrechtlichen Beurteilung nichts. Denn wesentlich ist, daß der Ansatz eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens voraussetzt, daß einer Vorleistung des einen Vertragsteils eine noch nicht erbrachte Gegenleistung des anderen Vertragsteils gegenübersteht. Diese Voraussetzung kann selbst dann nicht als gegeben angenommen werden, wenn die Entschädigungsleistung sich danach gerichtet hat, welche Aufwendungen dem Kläger infolge der Nichterrichtung des Gleisanschlusses entstanden sind.

Die Kläger können auch nicht mit Erfolg geltend machen, daß die Streitsache mit dem vom IV. Senat des BFH im Urteil in BFHE 133, 363, BStBl II 1981, 669 entschiedenen Fall, in dem die Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens Anerkennung gefunden habe, vergleichbar sei. Im Urteilsfall verzichtete der Steuerpflichtige gegen Zahlung einer Entschädigung auf die Ausübung eines ihm zustehenden Wassernutzungsrechts "für alle Zeit"; der IV. Senat des BFH sah darin die Verpflichtung zu einer künftigen Unterlassung. Er ging also in diesem Fall davon aus, daß der Vorleistung (Entschädigungsleistung) des anderen Vertragsteils eine noch nicht erbrachte zeitbezogene Gegenleistung (Unterlassen der Ausübung des Wassernutzungsrechts) des Steuerpflichtigen gegenüberstand. Darin liegt der entscheidungserhebliche Unterschied zum Streitfall, in dem der Kläger, der nicht auf künftige Nutzungen, sondern auf die Errichtung eines Gleisanschlusses verzichtet hat, seine Leistungsverpflichtung bereits im Streitjahr voll erfüllt hat.

Da aus den genannten gründen die an den Kläger geleistete Entschädigungszahlung in Höhe von 100.000 DM nicht passiv abgegrenzt werden konnte, brauchte der Senat auf die vom BMF aufgeworfene Frage nicht mehr einzugehen, ob die Vorschrift des § 5 Abs. 3 Nr. 2 EStG 1975 auch deshalb nicht anzuwenden war, weil die Entschädigungszahlung keine Einnahme darstelle, die einer "bestimmten Zeit" nach dem Bilanzstichtag zugeordnet werden könne.