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BFH-Urteil vom 5.8.1986 (VII R 117/85) BStBl. 1986 II S. 870

Wird die dem Teilnehmer an einer Steuerberaterprüfung mündlich eröffnete Entscheidung des Prüfungsausschusses, die Prüfung sei nicht bestanden, schriftlich bestätigt, so ist diese Entscheidung nicht deshalb rechtswidrig, weil sie nicht schriftlich begründet ist.

StBerG § 164a; AO 1977 § 121.

Sachverhalt

Der zur Steuerberaterprüfung 1984 zugelassene Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte für die drei schriftlichen Prüfungsaufgaben die Noten 3,5 sowie 4,0 und 4,5. Nach der mündlichen Prüfung am 22. Januar 1985 eröffnete ihm der Vorsitzende des bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzministerium - FinMin -) eingerichteten Prüfungsausschusses, daß er die Prüfung nicht bestanden habe. Über die mündliche Prüfung wurde eine Niederschrift gefertigt, in der vermerkt ist, daß der Kläger die Prüfung nicht bestanden und der Vorsitzende ihm das Ergebnis bekanntgegeben habe. In den Prüfungsakten sind außerdem die insgesamt 42 einzelnen Noten der sechs Prüfungsmitglieder für den Vortrag des Klägers und für dessen Leistungen auf den sechs Gebieten der mündlichen Prüfung sowie die errechnete Durchschnittsnote für die mündliche Prüfung (4,71) und das unter Einbeziehung der Note für die schriftlichen Arbeiten ermittelte Gesamtergebnis (4,35) angegeben. Auf die mit Schreiben vom 25. Januar 1985 geäußerte Bitte des Klägers um schriftliche Bestätigung der Entscheidung des Prüfungsausschusses antwortete dessen Vorsitzender mit Schreiben vom 1. Februar 1985, er, der Vorsitzende, habe ihm, dem Kläger, im Anschluß an die mündliche Prüfung eröffnet, daß er die Steuerberaterprüfung 1984 nicht bestanden habe.

Die Klage, mit der der Kläger die Aufhebung der Entscheidung des Prüfungsausschusses und die Verpflichtung des Finanzministers begehrte, ihm die Wiederholung des mündlichen Teils der Steuerberaterprüfung zu gestatten, blieb ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die angefochtene Prüfungsentscheidung ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht deshalb aufzuheben, weil sie nicht schriftlich begründet worden ist. Auch wenn der erkennende Senat der Auffassung des Klägers folgt, daß das Schreiben des Prüfungsvorsitzenden an den Kläger mit dem Inhalt, ihm - dem Kläger - sei im Anschluß an die mündliche Prüfung eröffnet worden, daß er die Prüfung nicht bestanden habe, als schriftliche Bestätigung der angefochtenen Prüfungsentscheidung anzusehen ist, so kann daraus nicht gefolgert werden, die Prüfungsentscheidung hätte in Anwendung des § 121 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. § 164a StBerG begründet werden müssen.

1. Folgt man der Auffassung des Klägers, daß die Vorschriften der AO 1977 (§ 121) über die Begründung von Verwaltungsakten nach § 164a StBerG für Prüfungsentscheidungen gelten, so konnte im Streitfall auf eine Begründung verzichtet werden, weil die Feststellungen des FG die Annahme rechtfertigen, daß für den Kläger die Auffassungen der Prüfer und des Prüfungsausschusses zu seinen Leistungen - einschließlich derjenigen in der mündlichen Prüfung - auch ohne schriftliche Begründung ohne weiteres erkennbar waren, und weil es nach § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 unter dieser Voraussetzung einer Begründung nicht bedarf. Diese Auffassungen gingen aus den einzelnen Prüfungsquoten sowie aus dem nach § 28 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften (DVStB) bestimmten Gesamtergebnis hervor. Die einzelnen Noten und das Gesamtergebnis wiederum konnten, wie das FG festgestellt hat, den Prüfungsakten entnommen werden.

2. Der Kläger hält die Prüfungsentscheidung allerdings nicht deshalb für rechtsfehlerhaft, weil zu ihrer Begründung die für das Prüfungsergebnis maßgebende Zahl im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 2 DVStB sowie die einzelnen Noten, die der Festlegung dieser Zahl zugrunde liegen, nicht angegeben worden sind. Er ist vielmehr, wie er auch in der mündlichen Verhandlung mit Nachdruck vorgetragen hat, der Auffassung, daß eine Begründung mit Angaben darüber hätte erteilt werden müssen, auf welchen Erkenntnissen und Erwägungen der einzelnen Prüfer die Bewertungen, vor allem die der mündlichen Prüfungsleistungen, beruhen. Dieser Auffassung kann aber deshalb nicht gefolgt werden, weil zumindest eine Begründung von Prüfungsentscheidungen mit einem Inhalt, wie der Kläger ihn wünscht, nicht gefordert werden kann. Das folgt aus den Besonderheiten, die für Prüfungsentscheidungen maßgebend sind.

a) Diese Besonderheiten ergeben sich vornehmlich daraus, daß die einer Prüfungsentscheidung zugrunde liegenden Benotungen auf persönlichen Werturteilen des Prüfungsausschusses beruhen, die aus der besonderen Prüfungssituation des Einzelfalles heraus gewonnen werden müssen (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 3. Juli 1980 VII R 84/79, BFHE 131, 173, BStBl II 1980, 610, und vom 20. Dezember 1983 VII R 123/83, BFHE 140, 125, BStBl II 1984, 280).

Eine Begründung der Einzelnoten, die einer Prüfungsentscheidung zugrunde liegen, wäre bei dieser Sachlage nur dann sinnvoll, wenn sie über die Beurteilungsvorgänge, insbesondere über die Erkenntnisse und Erwägungen der einzelnen Prüfer, die Grundlage der Benotungen sind, Aufschluß gäbe. Insoweit ist aber der Auffassung zu folgen, daß den Werturteilen der Prüfer eine "Fülle von Eindrücken und Faktoren" zugrunde liegen, die nur schwer in einer für die Aufnahme in die Begründung einer Prüfungsentscheidung geeigneten Weise erfaßt und ausgedrückt werden können (vgl. Dolzer in Die Öffentliche Verwaltung - DÖV - 1985, 9, 14). Das gilt vor allem für die mündliche Prüfung, in der die für die Werturteile maßgebenden Erkenntnisse und Erwägungen der Prüfer weitgehend durch situationsbedingte Faktoren wie die Erfassung der Fragen und Antworten, die Reaktionen der Bewerber auf die Prüfungsfragen und die Reaktionen der Prüfer auf die Antworten beeinflußt werden. Wegen der Schwierigkeiten der Erfassung dieser Erkenntnisse und Erwägungen kann von den Prüfern nur verlangt werden, daß sie ihre Beurteilungen und Benotungen nach bestem Wissen und Gewissen - und damit nach höchstpersönliche zu verantwortenden Maßstäben - treffen (vgl. BFHE 140, 125, 128, BStBl II 1984, 280), mit der Folge, daß es nicht zumutbar erscheint, diese für die Werturteile und Benotungen maßgebenden Erkenntnisse und Erwägungen der Prüfer zu ermitteln und in einer Begründung der Prüfungsentscheidung wiederzugeben.

b) Die für eine Prüfungsentscheidung maßgebenden Besonderheiten werden auch als Rechtfertigung dafür angesehen, daß nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) Prüfungsentscheidungen aufgrund der Regelung in § 2 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG auch dann keiner schriftlichen Begründung nach § 39 Abs. 1 Satz 1 VwVfG bedürfen, wenn sie schriftlich bestätigt werden (vgl. Dolzer, a. a. O.; Niehüs, Schul- und Prüfungsrecht, 2. Aufl., Rdnr. 425). Zwar ist die Regelung des VwVfG auch die Entscheidung über das Nichtbestehen einer Steuerberaterprüfung nicht anwendbar. Denn in § 164a StBerG ist bestimmt, daß die Durchführung des Verwaltungsverfahrens in Angelegenheiten der Steuerberaterprüfung sich nach der AO 1977 richtet, und die Verfahrensvorschriften der AO 1977 enthalten in § 121 besondere Regelungen über die Begründung von Verwaltungsakten. Gleichwohl kann bei der Entscheidung im Streitfall berücksichtigt werden, daß die Gründe, die gegen das Erfordernis einer Begründung von Prüfungsentscheidungen sprechen, vom Gesetzgeber anerkannt worden sind. Wenn im StBerG eine dem § 2 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG entsprechende Regelung nicht enthalten ist, so folgt daraus nicht, daß Prüfungsentscheidungen auf der Grundlage des StBerG stets zu begründen wären. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, das Erfordernis der Begründung einer Prüfungsentscheidung nach dem StBerG anders zu beurteilen als nach dem VwVfG.

c) Auch aus der Verweisung in § 164a StBerG, nach der sich die Durchführung des Verfahrens nach den Vorschriften der AO 1977 "richtet", kann im Streitfall das Erfordernis einer Begründung, wie der Kläger sie anstrebt, nicht hergeleitet werden. Die Verweisung gebietet nicht eine uneingeschränkte Anwendung der Verfahrensvorschriften der AO 1977. Vielmehr kommt in dieser Vorschrift lediglich zum Ausdruck, daß die Verfahrensvorschriften der AO 1977 Richtschnur für die Durchführung des Verfahrens i. S. des § 164a StBerG sein sollen. Daraus ist zu entnehmen, daß die Verwaltungsverfahrensvorschriften der AO 1977 aufgrund der Verweisung in § 164a StBerG nur sinngemäß Anwendung finden können (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 26. August 1980 VII R 42/80, BFHE 131, 187, BStBl II 1980, 699). Damit ist es aber nicht vereinbar, die Verfahrensvorschriften der AO 1977 auch anzuwenden, soweit besondere Gründe dem entgegenstehen. Das trifft - wie dargelegt - im Streitfall zumindest insoweit zu, als eine Begründung nicht schon nach § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 entbehrlich ist.

3. Dieses Ergebnis verstößt nicht gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Rechtsschutzgarantie und der Rechtsstaatlichkeit.

a) Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Rechtsschutzgarantie gebietet es, daß eine vollständige Nachprüfung des Verwaltungsakts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch das Gericht sichergestellt wird (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 5. Februar 1963 2 BvR 21/60, BVerfGE 15, 275, 282, und vom 19. Juni 1973 1 BvL 39/69 u. 14/72, BVerfGE 35, 263, 274). Dieses Ziel ist zumindest nicht uneingeschränkt davon abhängig, daß zu einem Verwaltungsakt auch eine besondere Begründung ergeht. Demgemäß wird auch die Auffassung vertreten, daß aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht ein allgemeines Gebot zur Begründung staatlicher Akte einschließlich belastender Verwaltungsakte hergeleitet werden kann (vgl. Schmidt-Assmann in Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Lieferung 24, Januar 1985, Art. 19 Abs. IV Rdnr. 253).

Bei Prüfungsentscheidungen ist insoweit zu berücksichtigen, daß sie aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten nur begrenzt einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich sind (zur gerichtlichen Kontrolle vgl. Niehüs, a. a. O., Rdnrn. 470 ff.) und daß der für den Ausgang einer Prüfung maßgebende Bereich, nämlich die Einschätzung und Bewertung (Benotung) der Prüfungsleistungen des Bewerbers durch den Prüfer, bis zur Grenze der Willkür der gerichtlichen Kontrolle entzogen ist (vgl. Niehüs, a. a. O., Rdnr. 470).

b) Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich der Grundsatz, daß dem Bürger die Gründe für Verwaltungsakte, die für ihn ungünstig sind, mitgeteilt werden müssen. Dadurch soll erreicht werden, daß der Bürger sich sachgemäß verteidigen kann (vgl. BVerfG-Entscheidungen vom 16. Januar 1957 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32, 44, und vom 29. Oktober 1975 2 BvR 812/73, BVerfGE 40, 276, 286; vgl. auch Schmidt-Aßmann, a. a. O.). Schon das Ziel dieses Grundsatzes, die sachgemäße Verteidigung sicherzustellen, deutet darauf hin, daß eine Ausnahme von dem Erfordernis, einem Bürger die für ihn ungünstigen Gründe eines Verwaltungsakts mitzuteilen, zumindest dann in Betracht kommen kann, wenn dieses Ziel auch ohne Erteilung einer besonderen Begründung erreichbar ist. Entsprechendes muß gelten, wenn oder soweit eine besondere Begründung für eine sachgemäße Verteidigung nicht förderlich erscheint. Das trifft für Prüfungsentscheidungen in der Regel zumindest hinsichtlich der Erkenntnisse und Erwägungen der einzelnen Prüfer zu, auf denen die Werturteile einer Prüfungsentscheidung beruhen. Der Grund dafür liegt darin, daß die eigentliche Grundlage der Prüfungsentscheidungen, nämlich die Beurteilung der Prüfungsleistungen, im wesentlichen einer gerichtlichen Kontrolle entzogen ist.

Die Begrenzung der Überprüfbarkeit von Prüfungsentscheidungen durch die Gerichte wird auch aus der Sicht des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit als Rechtfertigung dafür angesehen, daß Prüfungsentscheidungen nach dem VwVfG (§ 2 Abs. 3 Nr. 2) keiner schriftlichen Begründung bedürfen (vgl. Niehüs, a. a. O., Rdnr. 425; im Ergebnis auch Schmidt-Assmann, a. a. O.).