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BFH-Urteil vom 22.7.1986 (VIII R 12/85) BStBl. 1986 II S. 900

Ein Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG kann auch in einer anderen Erklärung als der Steuererklärung gestellt werden.

EStG 1979 § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8, Satz 2; EStDV § 56 Abs. 1 Satz 2, § 60.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hat zum 1. Juli 1979 einen Gewerbebetrieb als Bauträger aufgenommen. Auf die Aufforderung des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) vom 24. November 1980 zur Abgabe von Steuererklärungen für das Kalenderjahr 1979 bat der Kläger mit Schreiben vom 30. Dezember 1980 um Fristverlängerung und wies darauf hin, daß er den Steuerberater gewechselt habe. Nach erfolglosen Erinnerungen vom 24. März 1981 und 4. September 1981 zur Einreichung der Steuererklärungen setzte das FA mit Verfügung vom 20. November 1981 gegen den Kläger ein Zwangsgeld in Höhe von 150 DM fest. Dagegen legte der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 8. Dezember 1981 Beschwerde ein und führte zur Begründung folgendes aus:

"Herr J hat mich beauftragt, die o. g. Steuererklärungen zu erstellen. Eine überschlägige Prüfung meinerseits hat bereits ergeben, daß sich für 1979 keine Steuerschuld ergeben wird, sondern vielmehr Steuererstattungsansprüche bestehen. Für die Bearbeitung der entsprechenden Steuererklärungen wollen Sie mir bitte noch eine Frist von 14 Tagen einräumen."

Da der Kläger auch in der Folgezeit die Einkommensteuererklärung nicht abgab, schätzte das FA im Steuerbescheid vom 2. Dezember 1982 die Besteuerungsgrundlagen. Der Einspruch, den der Kläger nicht begründete, blieb erfolglos.

Während des Klageverfahrens reichte der Kläger die Einkommensteuererklärung 1979 (Bruttoarbeitslohn 10.160 DM, Verlust aus Gewerbebetrieb 23.459 DM) beim FA ein. Daraufhin hob das FA den angefochtenen Schätzungsbescheid gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO 1977) ersatzlos auf, weil die Voraussetzungen für eine Veranlagung, wie es in der Verfügung vom 26. Juni 1984 heißt, nach § 46 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht erfüllt seien. Eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b EStG komme nicht in Betracht, weil der Antrag auf Veranlagung nicht bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs (hier 1981) gestellt worden sei.

Das Finanzgericht (FG) verpflichtete das FA, eine Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr durchzuführen. Der erforderliche Antrag sei vom Kläger innerhalb der nach § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG mit Ablauf des Kalenderjahrs 1981 endenden Frist gestellt worden.

Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung von § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG, § 60 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV). Der Beschwerdeschrift gegen die Festsetzung von Zwangsgeld könne eine Willensäußerung, das FA möge eine Antragsveranlagung durchführen, nicht entnommen werden. Ein wirksamer Antrag nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG müsse die ausdrückliche Darlegung enthalten, aufgrund welchen Sachverhalts eine Antragsveranlagung in Betracht komme. Die Auffassung des FG, es könne nicht gefordert werden, daß der Antrag auf Veranlagung "nach dem amtlich vorgeschriebenen Steuererklärungsvordruck" gestellt wird, sei unzutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Der Kläger hat fristgerecht beantragt, für das Streitjahr 1979 eine Einkommensteuerveranlagung durchzuführen.

Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b EStG 1979, der für das Streitjahr maßgebend ist, kann ein Arbeitnehmer, dessen Einkommen 24.000 DM - bei zusammenveranlagten Ehegatten 48.000 DM - jährlich nicht übersteigt, eine Einkommensteuerveranlagung zur Berücksichtigung von Verlusten aus einer anderen Einkunftsart als derjenigen aus nichtselbständiger Arbeit beantragen, falls die Einkünfte, von denen der Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vorgenommen worden ist, zusammen einen Verlustbetrag ergeben. Der Antrag auf Veranlagung ist bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs zu stellen (§ 46 Abs. 2 Satz 2 EStG).

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger hat bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer gestellt.

Der Kläger hat seine Steuererklärung zwar erst nach Ablauf der Frist des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG eingereicht. Dies steht einem wirksamen Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses aber nicht entgegen, weil § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht festlegt, daß der Antrag mittels Steuererklärung zu stellen ist.

Der Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses kann auch einer anderen Erklärung als der Steuererklärung oder einem anderen Antrag des Steuerpflichtigen im Wege der Auslegung entnommen werden. Voraussetzung ist lediglich, daß das Begehren auf Durchführung der Veranlagung zur Berücksichtigung von Verlusten mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommt (so hinsichtlich der Einkommensteuererklärung Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Dezember 1962 IV 33/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1963, 248; vom 9. Mai 1972 VIII R 158/71, BFHE 106, 67, BStBl II 1972, 672; vom 27. März 1979 VIII R 76/77, nicht veröffentlicht; vom 8. Mai 1979 VIII R 78/77, BFHE 128, 210, BStBl II 1979, 676; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. April 1971 I 66/70, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1971, 439; FG Münster, Urteil vom 20. Dezember 1983 VI 87/81 E, EFG 1984, 352; Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 20. März 1984 V 78/81, EFG 1985, 24).

Das FG ist mit Recht davon ausgegangen, daß sich die in Abschn. 217 Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) enthaltene Anweisung an die Finanzverwaltung, der Antrag müsse den Erfordernissen des § 60 EStDV - also einer eigenhändig unterschriebenen, nach amtlichem Vordruck erstellten Steuererklärung - entsprechen, aus dem Wortlaut des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht herleiten läßt. Diese Auffassung wird auch überwiegend im Schrifttum vertreten (Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 46 EStG Anm. 175; Baumdicker in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 46 Rz. 96; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 5. Aufl., § 46 Anm. 22 b; a. A. Bonsels in Klein/Flockermann/Kühr, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 3. Aufl., § 46 Rz. 132).

Eine Verpflichtung, den Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses innerhalb der Frist des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG durch Abgabe einer Steuererklärung zu stellen, ergibt sich auch nicht aus § 56 Abs. 1 Satz 2 EStDV. Für das Streitjahr bestimmt diese Vorschrift aufgrund der Änderung durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung vom 3. August 1977 (BGBl I, 1473, BStBl I, 432), daß eine Steuererklärung außerdem abzugeben ist, wenn eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nrn. 7 und 8 oder § 46 a Satz 2 EStG beantragt wird.

§ 56 Abs. 1 Satz 2 EStDV ist i. V. m. § 56 Abs. 3 EStDV zu sehen, der zwar durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1977 vom 16. Juli 1980 (BGBl I, 1017, BStBl I, 434) aufgehoben, aber im Streitjahr noch anwendbar war. In § 56 Abs. 3 Satz 1 EStDV wurde bestimmt, daß die jährlichen Steuererklärungen spätestens an dem von den obersten Finanzbehörden der Länder mit Zustimmung des Bundesministers der Finanzen (BMF) bestimmten Zeitpunkt abzugeben sind. Dieser Zeitpunkt ist regelmäßig der 31. Mai des auf den Veranlagungszeitraum folgenden Kalenderjahrs (vgl. hierzu jetzt auch § 149 Abs. 2 AO 1977). Die Frist aufgrund § 56 Abs. 3 EStDV ist also wesentlich kürzer als die in § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG bestimmte Frist, so daß in § 56 Abs. 1 Satz 2 EStDV keine ergänzende zeitliche Regelung zu § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG gesehen werden kann.

Der Kläger hat mit seinem Beschwerdeschreiben vom 8. Dezember 1981 den Willen auf Durchführung einer Veranlagung hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht. In diesem Schreiben, das an das FA gerichtet war, hat er ausgeführt, daß er mit Steuererstattungen rechne. Für die Bearbeitung der Steuererklärungen bat der Kläger um eine Frist von 14 Tagen, die er allerdings nicht eingehalten hat. Die Auffassung des FG, daß der Kläger sich mit seinen Ausführungen nicht nur gegen die Festsetzung von Zwangsgeld wegen Nichtabgabe der Steuererklärung gewandt hat, sondern gleichzeitig eine Veranlagung mit dem Ziel der Festsetzung von Steuererstattungsbeträgen begehrt hat, läßt einen Rechtsirrtum nicht erkennen.