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BFH-Urteil vom 6.11.1986 (VI R 106/85) BStBl. 1987 II S. 81

1. Beruflich veranlaßte Umzugskosten können gegeben sein, wenn der Steuerpflichtige nicht seinen Arbeitsplatz wechselt, durch den Umzug aber eine Fahrzeitersparnis bei Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von täglich bis zu einer Stunde eintritt (Ergänzung des BFH-Urteils vom 10. September 1982 VI R 95/81, BFHE 136, 478, BStBl II 1983, 16).

2. Umzugskosten können je nach den Umständen des Einzelfalls auch dann als Werbungskosten anerkannt werden, wenn der beruflich veranlaßte Umzug in ein zuvor erworbenes Eigenheim (Eigentumswohnung) erfolgt.

3. Ein Indiz für die berufliche Veranlassung des Umzugs kann in den Fällen zu 2 in der Annahme bestehen, daß der Steuerpflichtige den Umzug in dieselbe oder in eine nach Lage und Ausstattung ähnliche Wohnung auch dann vorgenommen hätte, wenn er kein Eigentum erworben hätte.

EStG 1977 § 9, § 12 Nr. 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist als Berufssoldat in A stationiert. Er bewohnte seit 1974 eine Mietwohnung in B. Der 16 km lange Weg zur Arbeitsstätte führte quer durch die Stadt B. Im Streitjahr 1979 zog der Kläger in ein 500 m von der Arbeitsstelle entfernt liegendes Reihenhaus, das durch Bundeswehrdarlehen gefördert worden war. Das Haus war durch Versetzung des bisherigen Mieters freigeworden und dem Kläger war von seiner Dienststelle geraten worden, sich um die freigewordene Wohnung zu bewerben, da er am weitesten von der Dienststelle entfernt gewohnt hatte. Er erhielt deshalb unter mehreren am Standort A tätigen Bundeswehrangehörigen den Vorzug. Der Kläger schloß über das Reihenhaus einen Kaufvertrag ab mit der Maßgabe, daß er das Haus ab 1. August 1979 als Mieter bewohnt und zum 1. Januar 1980 zu Eigentum erwirbt.

In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1979 machte der Kläger Umzugskosten in Höhe von 2.000 DM geltend, die der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nicht zum Abzug zuließ, da der Umzug in das Eigenheim nicht ausschließlich beruflich veranlaßt gewesen sei.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage bis auf einen Restbetrag von 43 DM statt. Es führte unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. September 1982 VI R 95/81 (BFHE 136, 478, BStBl II 1983, 16) aus: Durch den vom Arbeitgeber angeregten Umzug habe sich der Weg zur Dienststelle des Klägers erheblich, nämlich von 16 km auf 500 m, verringert. Dadurch sei die Benutzung des eigenen PKW oder öffentlicher Verkehrsmittel entbehrlich geworden. Das falle um so mehr ins Gewicht, als der Kläger auch außerhalb der regulären Dienstzeit an seinem Standort zur Verfügung stehen müsse. Die berufliche Veranlassung des Umzugs sei nicht dadurch beseitigt oder in steuerschädlicher Weise überlagert worden, daß der Kläger das Reihenhaus zu Eigentum erworben habe. Denn es sei grundsätzlich unerheblich, ob ein Mietobjekt oder ein eigenes Haus bezogen werde.

Gegen das Urteil legte das FA Revision ein. Es begründete sie wie folgt: Die Frage, ob Umzugskosten von einer Mietwohnung in ein eigenes Haus Werbungskosten seien, werde von den FG unterschiedlich beurteilt. Im Streitfall habe der Umzug zwar zu einer Verkürzung des Weges zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geführt. Dies habe jedoch in erster Linie der Verlängerung der Freizeit gedient und müsse daher als privat veranlaßt angesehen werden (so auch Urteil des FG Bremen vom 21. Oktober 1983 I 144/81 K, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1984, 117). Für die private Veranlassung des Umzugs spreche auch die Tatsache, daß der Klägers erstmals Hauseigentum erworben habe. Es müsse daher das Aufteilungs- und Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) eingreifen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet.

a) Da das Bewohnen einer Wohnung in der Regel dem privaten Lebensbereich zuzurechnen ist, sind auch Aufwendungen wegen Umzugs in eine neue Wohnung grundsätzlich steuerlich nicht abziehbare Kosten der allgemeinen Lebensführung im Sinne des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG. Sie sind nur dann als Werbungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG anzuerkennen, wenn sie beruflich veranlaßt sind. Das ist der Fall, wenn die berufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen als Arbeitnehmer den entscheidenden Grund für den Umzug darstellt, Umstände der allgemeinen Lebensführung also nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 13. Mai 1964 VI 122/63, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz, § Sätze 1 und 2, Rechtsspruch 265, und in BFHE 136, 478, BStBl II 1983, 16).

Umzüge können beruflich veranlaßt sein wegen einer Ortsveränderung aufgrund eines Berufs- oder Stellungswechsels des Steuerpflichtigen (vgl. auch Abschn. 26 Abs. 1 Satz 2 der Lohnsteuer-Richtlinien 1978 - LStR -). Ein beruflich veranlaßter Umzug kann nach dem Urteil des Senats in BFHE 136, 478, BStBl II 1983, 16 auch vorliegen, wenn er weder vom Arbeitgeber gefordert wird noch mit einem Arbeitsplatzwechsel in Zusammenhang steht, wenn sich aber durch den Wechsel der Familienwohnung die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte erheblich verkürzt. Indem der Gesetzgeber Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 EStG als Werbungskosten zum Abzug zuläßt, gibt er zu erkennen, daß er solche Fahrten dem beruflichen Bereich des Arbeitnehmers zuordnet. Aufwendungen des Steuerpflichtigen wegen eines Umzugs, der zu einer wesentlichen Verkürzung solcher Fahrtstrecken führen soll, sind beruflich veranlaßt, da sie zu einer entsprechenden Verbesserung dieser Arbeitsbedingungen führen. Daß sich dies in der Regel mittelbar auf eine Verlängerung der Freizeit auswirkt, ist steuerrechtlich unschädlich, da hierdurch die berufliche Kausalität nicht beeinträchtigt wird.

b) Steht wie hier der Umzug mit dem Erwerb und dem Bezug eines Eigenheims im Zusammenhang, so trifft die berufliche Veranlassung der Umzugskosten mit zwei anderen Kausalketten zusammen, nämlich mit der des Umzuges als Vorgang im Bereich der privaten Lebensführung und der durch den Umzug zu künftigen Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung führenden Kausalkette. Eine Abgrenzung der Umzugskosten zur letztgenannten Ursachenkette ist insoweit eindeutig, als Umzugskosten ins eigene Haus nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 18. Oktober 1983 VIII R 199/82, BFHE 140, 187, BStBl II 1984, 297) keine Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sein können, da dies der Zielsetzung des § 21 Abs. 2, § 21a EStG widersprechen würde. Im Hinblick auf den Erwerb eines den eigenen Wohnzwecken dienenden Objekts kann je nach den Umständen des Einzelfalls die berufliche Veranlassung des Umzugs derart von Motiven der privaten Lebensführung überlagert sein, daß die Umzugskosten nach dem Aufteilungs- und Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG steuerlich insgesamt nicht berücksichtigungsfähig sind. Nach der Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70 (BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17, 20 linke Spalte oben) ist eine private Ursachenkette für den Abzug von Aufwendungen als Werbungskosten aber unschädlich, führt also nicht zu dem Aufteilungs- und Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG, wenn sie von untergeordneter (unwesentlicher, irrelevanter) Bedeutung ist. Dies ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalls zu werten bzw. zu gewichten (v. Bornhaupt bei Kirchhoff/Söhn, § 9 EStG, Rdnr. B 215 ff. und B 606 ff.; so im Ergebnis wohl auch Seitrich, Finanz-Rundschau - FR - 1984, 34, 37/38; Auf der Springe, Deutsche Steuerzeitung/Ausgabe A - DStZ/A - 1985, 89, 93/94, und FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 5. Juli 1982 5 K 155/82, EFG 1983, 111).

c) Das FG hat den Sachverhalt dahin gewürdigt, daß der Umzug des Klägers von B nach A trotz des Kaufs des Reihenhauses beruflich veranlaßt war und die von ihm geltend gemachten Umzugsaufwendungen daher als Werbungskosten zum Abzug zuzulassen sind. Diese Würdigung ist rechtlich möglich. Der Senat ist an sie gebunden, da das FA hiergegen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht hat (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG konnte für die berufliche Veranlassung des Umzugs im Hinblick auf die Ausführungen des Senats im Urteil in BFHE 136, 478, BStBl II 1983, 16 dem Umstand zu Recht entscheidendes Gewicht beimessen, daß sich durch den Umzug die Entfernung zwischen der Wohnung des Klägers und seiner Arbeitsstätte von 16 km auf 500 m verkürzte und der Kläger diese Strecke zuvor täglich, gelegentlich auch mehrmals, aus beruflichen Gründen hat zurücklegen müssen. Jetzt konnte er zu Fuß die Arbeitsstätte erreichen, brauchte also seinen PKW nicht mehr zu benutzen. Das FG hat zwar keine Feststellungen getroffen, wie stark sich dies zeitlich ausgewirkt hat. Es ist zwischen den Beteiligten jedoch unstreitig, daß sich bei einer täglichen Hin- und Rückfahrt Zeitersparnisse bis zu einer Stunde ergeben haben. Eine solche Zeitspanne ist als erheblich anzusehen (Offerhaus in Lademann/Söffing/Brockhoff, § 12 EStG, Anm. 29, Stichwort: Umzugskosten).

Das FG konnte es ohne Rechtsverstoß für nicht bedeutsam ansehen, daß der Kläger in ein Haus einzog, das er vier Monate später zu Eigentum erwarb. Es nahm insoweit Bezug auf das Urteil des FG Rheinland-Pfalz in EFG 1983, 111, nach dem es bei einem beruflich veranlaßten Umzug grundsätzlich unerheblich ist, in welches Objekt, Mietwohnung oder Eigenheim der Steuerpflichtige einzieht. Der Senat tritt dem mit der Einschränkung bei, daß es im Rahmen der Gesamtwürdigung ein erhebliches Indiz für die Annahme von beruflich veranlaßten Umzugskosten darstellen kann, wenn davon auszugehen ist, daß der Steuerpflichtige den Umzug in dieselbe oder in eine nach Ausstattung und Lage ähnliche Wohnung auch dann vorgenommen hätte, wenn sie nicht im erworbenen Eigenheim liegen würde, sondern von ihm hätte gemietet werden müssen. Hiervon kann im Streitfall im Hinblick auf die Entfernung der Wohnung in B vom dienstlichen Standort A und dem durch den Ortswechsel eingetretenen Wegfall jeglicher PKW-Benutzung und einer Zeitersparnis bis zu einer Stunde ausgegangen werden.