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BFH-Urteil vom 28.8.1986 (V R 20/79) BStBl. 1987 II S. 162

Eine vorübergehende Verlagerung der Produktion eines Berliner Unternehmers von Berlin (West) in den übrigen Geltungsbereich des Gesetzes in der Weise, daß dort für eine Übergangszeit (durch eigene Arbeitskräfte, aber in "fremder" Betriebstätte) aus den in Berlin (West) hergestellten Rohmaterialien die Endprodukte gefertigt wurden, die dann den Gegenstand der Lieferung an westdeutsche Abnehmer bildeten, führte zu keiner Vergünstigung nach dem BerlinFG 1970.

BerlinFG 1970 § 1 Abs. 1 und § 1a Abs. 1; StAnpG § 16 Abs. 1 (AO 1977 § 12 Abs. 1); GG Art. 20 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

I.

Streitig sind die Steuervergünstigungen nach §§ 1, 1a des Gesetzes zur Förderung der Berliner Wirtschaft vom 29. Oktober 1970 - BerlinFG 1970 - (BGBl I 1970, 1482).

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin der X KG (KG). Die KG, die ihren Sitz und ihre Geschäftsräume in Berlin (West) hatte, stellte in Berlin (West) u. a. Stahlflaschen für die Lieferung von Flüssiggas her. Für die Lieferung solcher Flaschen an westdeutsche Unternehmen nahm sie Umsatzsteuerkürzungen gemäß § 1 Abs. 1 BerlinFG 1970 in Anspruch.

Als im Januar 1971 die Spritzanlage der KG infolge Brandschadens für etwa drei Monate ausfiel, transportierte sie, um nicht in Lieferverzug zu geraten, die in Berlin (West) hergestellten "Rohflaschen" nach Süddeutschland und ließ sie dort von eigenen, dorthin entsandten Arbeitskräften zu Ende fertigen. Ausgeführt wurden diese Arbeiten (Lackieren der Flaschen, Einbrennen der Farbe und Einziehen der Ventile) in einer der KG gehörenden, aber seit 1968 an die X Export GmbH, verpachteten Werkshalle, und zwar in Nachtschicht. Für die Nutzung zahlte die KG der GmbH ein Entgelt von 41.498 DM. Anschließend wurden die Flaschen von Süddeutschland aus an westdeutsche Unternehmer geliefert.

Für die in Süddeutschland zu Ende gefertigten Flaschen versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Umsatzsteuervergünstigung nach § 1 Abs. 1 BerlinFG 1970 mit der Begründung, es sei hier nicht - wie der Vergünstigungstatbestand dies verlange - die letzte wesentliche Bearbeitung vor Ausführung des begünstigten Umsatzes in Berlin (West) vorgenommen worden. Eine abschließende Bearbeitung im übrigen Geltungsbereich des Gesetzes führe dazu, daß der Gegenstand dort und nicht in Berlin (West) hergestellt sei. Eine Ausnahme gelte nur bei geringfügigen Bearbeitungen außerhalb von Berlin (West). Davon aber könne hier nicht die Rede sein. Auch eine Umsatzsteuerkürzung gemäß § 1a BerlinFG 1970 könne nicht gewährt werden, weil durch das nur vorübergehende Tätigwerden in Süddeutschland keine Betriebstätte begründet worden sei.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Das die Anfechtungsklage abweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) verneint die Voraussetzungen der §§ 1 Abs. 1, 1a und 6 Abs. 1 BerlinFG 1970 für die begehrte Steuervergünstigung.

Die hiergegen eingelegte Revision ist auf die Verletzung des § 1a BerlinFG 1970 gestützt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil läßt keine Rechtsverletzung im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO erkennen.

1. Zu Recht hat das FG einen Kürzungsanspruch nach dem BerlinFG 1970 verneint. Die in Frage stehenden Lieferungen unterfallen keinem der beiden hier allein in Betracht kommenden Vergünstigungstatbestände.

a) Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BerlinFG 1970, wonach ein Berliner Unternehmer, der Gegenstände an einen westdeutschen Unternehmer geliefert hatte, berechtigt war, die von ihm geschuldete Umsatzsteuer um 4,5 v. H. des für diese Gegenstände vereinbarten Entgelts zu kürzen, wenn diese Gegenstände in Berlin (West) hergestellt wurden und aus Berlin (West) in den übrigen Geltungsbereich dieses Gesetzes gelangt waren, sind nicht erfüllt.

Eine Herstellung in Berlin (West) lag nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BerlinFG 1970 vor, wenn durch eine Bearbeitung oder Verarbeitung in Berlin (West) nach der Verkehrsauffassung ein Gegenstand anderer Marktgängigkeit entstanden war, es sei denn, daß der Gegenstand in Berlin (West) nur geringfügig bearbeitet worden war.

Die Gegenstände, die im Streitfall an westdeutsche Unternehmer geliefert wurden, sind - wie das FG zutreffend entschieden hat - nicht in Berlin (West), sondern in Süddeutschland hergestellt worden. Sie hatten zwischen Herstellungsbeginn in Berlin (West) und Herstellungsabschluß sowie Lieferung im übrigen Geltungsbereich des Gesetzes eine entscheidende Veränderung erfahren: Die von Süddeutschland aus gelieferten und dort gefertigten funktionsfähigen Endprodukte (Flüssiggasflaschen) stellten ihrer Art nach, als Handelsobjekte am Markt, etwas anderes dar als die in Berlin (West) hergestellten Rohflaschen.

Diese außerhalb von Berlin (West) vorgenommene Änderung der Marktgängigkeit der an westdeutsche Unternehmen gelieferten Gegenstände steht der Anwendung des § 1 Abs. 1 BerlinFG 1970 entgegen. Anders als in dem in § 6 Abs. 1 Satz 1 BerlinFG 1970 (im Nachsatz: "... es sei denn, ...") ausdrücklich geregelten umgekehrten Fall der in Berlin (West) durchgeführten Endfertigung ist nicht zu prüfen, ob die eine Änderung der Marktgängigkeit herbeiführende Behandlung der gelieferten Gegenstände nur geringfügig war.

In die gleiche Richtung geht die bisherige Senatsrechtsprechung, derzufolge die in Frage stehende Vergünstigungsregelung voraussetzt, daß der in Berlin (West) hergestellte Gegenstand im Zusammenhang mit der Lieferung (durch den Berliner Unternehmer) in den übrigen Geltungsbereich des Gesetzes gelangt war (Urteil vom 31. März 1977 V R 99/72, BFHE 123, 84, BStBl II 1977, 810, 812, zu § 1 Abs. 1 des Berlinhilfegesetzes 1968 - BHG -, BGBl I 1968, 1049) bzw. daß es auf eine räumliche Warenbewegung des (in Berlin (West) hergestellten und von dort ausgelieferten) Gegenstandes im Zusammenhang mit einem Leistungsaustausch zwischen Berliner Lieferer und seinem westdeutschen Abnehmer ankam (Beschluß vom 31. März 1980 V B 3/80, BFHE 130, 344, BStBl II 1980, 429, 430 f.).

b) Der Vorinstanz ist auch darin beizupflichten, daß der Klägerin ein Kürzungsanspruch nach § 1a BerlinFG 1970 schon deshalb nicht zusteht, weil ihre Rechtsvorgängerin, die KG, im übrigen Geltungsbereich des Gesetzes keine Betriebstätte hatte.

§ 1a BerlinFG 1970 beruht auf dem Gesetz zur Änderung des Berlinhilfegesetzes vom 23. Juni 1970 (BGBl I, 1970, 826), das zur Neufassung vom 29. Oktober 1970 unter der Bezeichnung "Gesetz zur Förderung der Berliner Wirtschaft" (BerlinFG 1970, BGBl I 1970, 1482) geführt hat. Der dort verwendete Begriff der Betriebstätte ergibt sich - mangels einer besonderen Regelung im BerlinFG 1970 - aus § 16 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG). Danach war unter Betriebstätte im Sinne der Steuergesetze jede feste örtliche Anlage oder Einrichtung zu verstehen, die der Ausübung des Betriebes eines stehenden Gewerbes diente.

Wenn in diesem Zusammenhang eine feste (Geschäftseinrichtung) Einrichtung oder Anlage und außerdem deren dienende Funktion für die betriebliche bzw. unternehmerische Tätigkeit verlangt wird, so ist damit auf ein Moment der organisatorischen Verfestigung und vor allem der zeitlichen Dauerhaftigkeit abgestellt, das eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht des Unternehmers voraussetzt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. März 1982 I R 189/79, BFHE 136, 120, BStBl II 1982, 624, m. w. N.), über eine bloße Mitbenutzung hinausgeht und mit der Überlassung einer Rechtsposition verbunden sein muß, die dem Nutzenden ohne seine Mitwirkung nicht mehr ohne weiteres entzogen oder die ohne seine Mitwirkung nicht mehr ohne weiteres verändert werden kann (BFHE 136, 120, BStBl II 1982, 624).

Hinzukommen muß eine (aus denselben Tatbestandsmerkmalen herzuleitende) von der Anlage oder Einrichtung ausgehende, auf Dauer angelegte, nachhaltige Betätigung, die dem Unternehmen dient bzw. auf einen solchen dauerhaften Bezug zum Unternehmen hin ausgerichtet ist (BFH-Urteile vom 18. März 1976 IV R 168/72, BFHE 118, 404, BStBl II 1976, 365, und vom 6. Juli 1978 IV R 24/73, BFHE 126, 102, BStBl II 1979, 18, m. w. N.).

Diese Gesetzesinterpretation entspricht dem speziellen Zweck des § 1a BerlinFG 1970, auch den "Teil der Berliner Produktion zu begünstigen, der nicht unmittelbar an westdeutsche Fremdabnehmer veräußert, sondern als Teil- oder Zwischenproduktion oder zu Anlagezwecken in einer westdeutschen Betriebstätte innerbetrieblich verwendet wird" (BTDrucks VI/614 S. 11/12), und damit Konzernunternehmen, Unternehmenszusammenschlüsse oder sonstige Unternehmen mit Betriebstätten sowohl in Berlin (West) als auch im übrigen Bundesgebiet in die Vergünstigungsregelung einzubeziehen (Klemp, Finanz-Rundschau - FR - 1971, 85).

Bei Anwendung dieser Grundsätze lassen die vom FG getroffenen, mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen, Tatsachenfeststellungen keinen anderen Schluß zu, als daß es sich bei der durch den Brand ausgelösten zeitweiligen Produktionsverlagerung von Berlin (West) nach Süddeutschland um eine vorübergehende Maßnahme handelte, welche die Annahme einer Betriebstätte im zuvor umschriebenen Sinne ausschließt.

Daß der Grund für die zeitweilige Verlagerung der Endproduktion aus Berlin (West) heraus durch höhere Gewalt ausgelöst wurde, ist nach Funktion und Charakter des § 1a BerlinFG 1970 ebenso unbeachtlich wie das für sich gesehen durchaus berechtigte Argument der Klägerin, daß es sich hierbei letztlich um eine in mehrfacher Hinsicht (sicherlich auch im Interesse der Berliner Wirtschaft) sinnvolle Maßnahme gehandelt hat. Die Kürzungsansprüche des BerlinFG 1970 sind jedoch nicht von einem mehr oder weniger allgemein gefaßten, in der Art einer Generalklausel gestalteten Gesetzestatbestand abhängig, sondern an eng umgrenzte, katalogartig gefaßte tatbestandliche Voraussetzungen geknüpft worden, und zwar in der Form eines bewußten Kompromisses zwischen Effektivität der beabsichtigten Wirtschaftsförderung und entsprechender Kompliziertheit der Gesetzesregelung einerseits und dem Zwang zur Praktikabilität andererseits (vgl. die amtliche Begründung BTDrucks VI/614 S. 10 ff. und den Bericht des Finanzausschusses hierzu in BTDrucks VI/752, sowie Sönksen/Söffing, Berlinförderungsgesetz, J 990 Tz. 11 ff.; George, Berliner Steuerpräferenzen, BerlinFG, 6. Aufl., 1983 Tz. 6 vor § 1).

2. Unter den gegebenen tatsächlichen Umständen und bei dieser gesetzlichen Ausgangslage hätte der Klägerin ein Rechtsanspruch nach dem BerlinFG 1970 im Rahmen der Rechtsanwendung nur im Wege der Rechtsfortbildung zugestanden werden können. Hieran aber sah sich der Senat aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -) gehindert. Die durch den Streitfall aufgedeckte Lücke in der Vergünstigungsregelung des BerlinFG 1970 erscheint, gemessen an dessen Systematik, nicht als planwidrige, ergänzungsbedürftige Unvollständigkeit (BFH-Entscheidungen vom 5. März 1979 GrS 4/78, BFHE 127, 147, BStBl II 1979, 375, 378; vom 19. Dezember 1979 I R 23/79, BFHE 129, 462, BStBl II 1980, 368, und vom 9. April 1981 I R 157/77, BFHE 134, 404, 407 f., jeweils mit weiteren Nachweisen). Die Gewährung des begehrten Kürzungsanspruchs hätte unter diesen Umständen die Schaffung eines im Gesetz nicht vorgesehenen Befreiungstatbestandes bzw. die Ausweitung des in § 1 Abs. 1 bzw. § 1a BerlinFG 1970 genau umrissenen gesetzlichen Befreiungstatbestands auf Grund eigener Wertvorstellungen zur Voraussetzung gehabt. Beides ist den Gerichten nach der verfassungsmäßigen Verteilung der Hoheitsaufgaben verwehrt (vgl. dazu näher BFH-Urteile vom 8. Dezember 1970 II R 26/67, BFHE 101, 312, BStBl II 1971, 255, 256; vom 8. November 1977 VII R 41/75, BFHE 124, 268, 274; vom 16. Juli 1980 II R 175/75, BFHE 131, 243, BStBl II 1980, 677, 679 f.; vom 26. Juni 1981 III R 99/78, BFHE 133, 432, BStBl II 1981, 640, 643; vom 28. Oktober 1983 III R 129/79, BFHE 139, 416, BStBl II 1984, 91, 93 f.).