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BFH-Urteil vom 26.8.1986 (IX R 6/81) BStBl. 1987 II S. 164

1. Ein Steuerpflichtiger verfügt vorzeitig und steuerschädlich über seine Bausparsumme, wenn er sich diese vor Ablauf von zehn Jahren seit Vertragsabschluß auszahlen läßt, um sie zum Wohnungsbau im Ausland zu verwenden.

2. Steht bereits bei der Veranlagung zur Einkommensteuer fest, daß eine Nachversteuerung nach § 31 Abs. 1 EStDV durchzuführen ist, so ist schon bei der Veranlagung der Abzug der geltend gemachten Bausparbeiträge als Sonderausgaben zu versagen.

EStG 1979 § 10 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 6 Satz 1, Abs. 6 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a; EStG 1986 § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 2 Buchst. e Doppelbuchst. bb.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz (EFG 1981, 453)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde mit seiner Ehefrau im Streitjahr 1979 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger Bausparbeiträge in Höhe von 18.904 DM als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes 1979 (EStG) geltend. Diese Aufwendungen beruhen auf zwei Bausparverträgen des Klägers über 50.000 DM (Abschluß: 22. August 1972) und 150.000 DM (Abschluß: 4. März 1975). Mit zwei am 25. April 1980 beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) eingegangenen Schreiben teilte die Bausparkasse X mit, daß am 2. Mai 1980 - vor Ablauf der steuerlichen Bindungsfrist - Beiträge bezüglich der genannten Bausparverträge zurückgezahlt worden seien. Die Bausparverträge seien nicht zugeteilt und für die Aufwendungen der Jahre 1973 bis 1979 bzw. 1975 bis 1979 die Steuervergünstigung gemäß § 10 EStG beantragt worden.

Im Einkommensteuerbescheid für 1979 vom 4. Juli 1980 ließ das FA daraufhin die geltend gemachten Bausparbeiträge nicht als Sonderausgaben zum Abzug zu und führte wegen der Bausparbeiträge der Jahre 1974 bis 1978 gemäß §§ 30, 31 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) eine Nachversteuerung durch.

Der hiergegen erhobene Einspruch hatte teilweise Erfolg. Das FA verzichtete auf die Nachversteuerung gemäß §§ 30, 31 EStDV im Streitjahr 1979, weil der Kläger die empfangenen Beträge erst im Jahr 1980 steuerschädlich verwendet habe.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger weiterhin den Abzug der im Streitjahr geleisteten Bausparbeiträge als Sonderausgaben. Zur Begründung trug er vor, die vorzeitige Verfügung über die Bausparbeiträge in Höhe von insgesamt 89.293,03 DM sei unschädlich, weil die empfangenen Beträge unverzüglich und unmittelbar zum Wohnungsbau i. S. des § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG verwendet worden seien. Er habe nämlich im August 1980 in Südafrika nach seiner im selben Monat erfolgten Übersiedlung dorthin ein Wohngebäude erworben und dieses mit den empfangenen Geldbeträgen (teilweise) finanziert. Das Bausparguthaben sei ihm auf seinen Antrag vom 29. März 1980 ausgezahlt worden, nachdem die Bausparkasse ihm noch am 1. April 1980 mitgeteilt hätte, daß der Bausparvertrag über 50.000 DM am 2. Mai 1980 zugeteilt würde. Seinen Antrag habe er gestellt, weil er nach Südafrika übersiedeln und dort Wohnungseigentum habe erwerben wollen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Die streitigen Aufwendungen seien im Streitjahr dem Grunde nach als Sonderausgaben abziehbar, da es sich um Bausparbeiträge "zur Erlangung von Baudarlehen" i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG handele. Aus dem Sachverhalt ergäben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger im Streitjahr eine solche Absicht nicht gehabt hätte. Zwar sei er in dem - dem Streitjahr - folgenden Jahr nach Südafrika übergesiedelt; es stehe aber nicht fest, daß er hierzu bereits bei Zahlung der Bausparbeiträge entschlossen gewesen sei. Die Übersiedlung nach Südafrika spreche zudem noch nicht gegen die Absicht, Baudarlehen i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG zu erlangen, denn der Kläger habe trotzdem noch an Wohnungsbau in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) denken können.

Die Verwendung der Bausparbeiträge zum Erwerb eines Wohnhauses in Südafrika sei zwar steuerschädlich und führe zu einer Nachversteuerung der geleisteten Bausparbeiträge. Diese könne vom FA erst für das Jahr 1980 durchgeführt werden.

Mit der vom FG gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 10 Abs. 6 Nr. 2 EStG und des § 31 EStDV.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

1. Gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG sind Beiträge an Bausparkassen zur Erlangung eines Baudarlehens als Sonderausgaben abziehbar. Diese Steuervergünstigung entfällt gemäß § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 1 EStG, wenn vor Ablauf von zehn Jahren seit Vertragsabschluß die Bausparsumme ganz oder zum Teil ausgezahlt, geleistete Beiträge ganz oder zum Teil zurückgezahlt oder Ansprüche aus dem Bausparvertrag abgetreten oder beliehen werden. Unschädlich ist die vorzeitige Verfügung u.a. jedoch, wenn die Bausparsumme ausgezahlt wird und der Steuerpflichtige die empfangenen Beträge unverzüglich und unmittelbar zum Wohnungsbau verwendet (§ 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG).

a) Bezüglich des Bausparvertrages über 150.000 DM entfällt die Steuervergünstigung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG deshalb, weil die geleisteten Beiträge im Jahr 1980 vorzeitig i. S. des § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 1 EStG zurückgezahlt worden sind; denn eine Rückzahlung des Bausparguthabens und keine (teilweise) Auszahlung der Bausparsumme liegt vor, wenn der Bausparvertrag nicht vertragsgemäß durch Zuteilung abgewickelt, sondern - wie im Streitfall - durch Kündigung aufgelöst wird (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juni 1975 VI R 199/73, BFHE 116, 245, BStBl II 1975, 757). Diese vorzeitige Rückzahlung geleisteter Beiträge an den Kläger führt zum endgültigen Wegfall der Steuervergünstigung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Die unverzügliche und unmittelbare Verwendung der empfangenen Beträge zum Wohnungsbau gemäß § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG ist lediglich im Anschluß an eine (teilweise) Auszahlung der Bausparsumme unschädlich (BFH-Urteil vom 20. Oktober 1961 VI 108/61 U, BFHE 73, 860, BStBl III 1961, 578).

b) Hinsichtlich des Bausparvertrages über 50.000 DM kann der Senat offenlassen, ob die vorzeitige Überweisung der entsprechenden Geldbeträge an den Kläger eine in jedem Fall steuerlich schädliche Rückzahlung von Beiträgen oder eine unter weiteren Voraussetzungen steuerlich unschädliche (teilweise) Auszahlung der Bausparsumme darstellt. Im Streitfall wäre auch eine (teilweise) Auszahlung der Bausparsumme keine unschädliche vorzeitige Verfügung i. S. des § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG, da der Kläger die empfangenen Beträge zum Erwerb eines im Ausland (Südafrika) gelegenen Wohngebäudes verwendet hat. Zwar umfaßt der Begriff "Wohnungsbau" i. S. des § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz Buchst. a EStG auch den Erwerb eines Wohngebäudes (BFH-Urteil vom 29. Oktober 1976 VI R 127/73, BFHE 120, 486, BStBl II 1977, 152). Dies trifft aber nur für den Erwerb eines im Inland gelegenen Wohngebäudes zu. Infolgedessen entfällt die Steuervergünstigung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG, wenn die Bausparsumme zum Wohnungsbau im Ausland verwendet wird (gleicher Auffassung: Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 10 Anm. 510, ABC-Stichwort "Ausland", mit weiteren Nachweisen; Gerard in Lademann/Söffing/Brockhoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 10 Anm. 218; Gericke in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 10 Anm. 47; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer, Lohnsteuer, Stichwort "Bausparkassenbeiträge" S. 243, 244; anderer Auffassung: Geier in Littmann/Bitz/Meincke, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 14. Aufl., 1985, § 10 Anm. 97).

aa) Diese Einschränkung läßt sich zwar dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a EStG und insbesondere dem Wortsinn der Begriffe "Baudarlehen" und "Wohnungsbau" nicht ausdrücklich entnehmen und auch aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 des Wohnungsbau-Prämiengesetzes in der Fassung vom 22. Juni 1979 - WoPG 1979 - (BGBl I 1979, 697, BStBl I 1979, 493) läßt sich keine derartige ausdrückliche Beschränkung herleiten. Der VI. Senat des BFH hat aber bereits in seinen Urteilen vom 1. März 1963 VI 269/61 U (BFHE 76, 550, BStBl III 1963, 200) und vom 1. März 1974 VI R 331/69 (BFHE 111, 449, BStBl II 1974, 374) zu den entsprechenden Vorschriften des WoPG in der Fassung vom 21. Dezember 1954 (BGBl I, 482, BStBl I, 709) sowie des Änderungsgesetzes vom 24. Juli 1958 (BGBl I, 539, BStBl I, 508) bzw. des WoPG in der Fassung vom 25. August 1960 (BGBl I 1960, 713, BStBl I 1960, 617) entschieden, daß eine unschädliche Verwendung der vorzeitig ausgezahlten Bausparsumme nur dann vorliege, wenn diese zum Wohnungsbau im Inland verwendet worden sei. Diese Einschränkung ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte und dem Zweck des WoPG, den Wohnungsbau im Inland zu fördern. Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsauffassung, die auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gebilligt hat (Beschlüsse des BVerfG vom 18. Dezember 1963 1 BvR 268/63, Der Betrieb - DB - 1964, 280, und vom 5. Mai 1972 1 BvR 137/72, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1972, 441). Aufgrund dieser Rechtsauffassung ist auch bei Bausparbeiträgen, die als Sonderausgaben berücksichtigt wurden, die Verwendung der Bausparsumme zum Wohnungsbau im Ausland steuerschädlich. Denn die Voraussetzungen, unter denen Bausparbeiträge zur Erlangung von Baudarlehen begünstigt werden, sind für Wohnungsbauprämien und Sonderausgaben - abgesehen von unterschiedlichen Sperrfristen - gleich (BFH-Urteile vom 22. März 1968 VI R 213/67, BFHE 92, 142, BStBl II 1968, 512, und vom 27. November 1964 VI 55/63 S, BFHE 81, 598, BStBl III 1965, 214); im übrigen entspricht die Zielsetzung der Prämienbegünstigung für Bausparbeiträge derjenigen der Steuervergünstigung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG (vgl. Gutachten der Steuerreformkommission 1971, Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Heft 17, Bonn 1971, Abschn. III, Tz. 4, 11).

bb) Der Senat sieht sich in seiner Auffassung bestätigt durch die Entstehungsgeschichte des § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 2 Buchst. e Doppelbuchst. bb EStG in der Fassung vom 15. April 1986 - EStG 1986 - (BGBl I 1986, 441, BStBl I 1986, 172). Diese Vorschrift gilt gemäß § 52 Abs. 16 Satz 1 EStG 1986 entsprechend auch für Bausparbeiträge, die im Streitjahr als Sonderausgaben abgezogen worden sind. Hiernach ist unter gewissen zeitlichen Bedingungen (§ 52 Abs. 16 Satz 2, 2. Halbsatz EStG 1986) eine vorzeitige Verfügung unschädlich, wenn die Bausparsumme ... nach den §§ 1 bis 6 des Gesetzes über eine Wiedereingliederungshilfe im Wohnungsbau für rückkehrende Ausländer vom 18. Februar 1986 - WiedereingliederungshilfeG - (BGBl I 1986, 280) unverzüglich und unmittelbar zum Wohnungsbau im Heimatland verwendet und innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach Beginn der Auszahlung der Bausparsumme den Geltungsbereich des EStG auf Dauer verlassen hat. In der Begründung zu § 7 des Entwurfs eines WiedereingliederungshilfeG (BTDrucks 10/3760, Seite 7), auf den § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 2 Buchst. e in der Fassung des EStG 1986 zurückzuführen ist, heißt es wörtlich: "Die Wiedereingliederung soll auch dadurch erleichtert werden, daß der Bausparer die Bausparssume ausnahmsweise steuer- ... unschädlich zum Wohnungsbau im Heimatland verwenden kann" (so auch Bericht des Haushaltsausschusses, BTDrucks 10/4542; Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BTDrucks 10/4450, Buchst. B, Seite 1). Der Ausnahmecharakter dieser Regelung (siehe Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BTDrucks 10/4450, Ziff. A, II Seite 9) macht deutlich, daß nach den bis dahin geltenden gesetzlichen Vorschriften (§ 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG) nur die vorzeitige Verwendung der Bausparsumme zum Wohnungsbau im Inland steuerunschädlich gewesen ist (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., Grüne Blätter, Erläuterungen zu § 10 Abs. 6 Nr. 2 EStG 1986, Anm. II).

2. Rechtsfehlerhaft hat das FG entschieden, die im Streitfall geleisteten Bausparbeiträge seien als Sonderausgaben abziehbar und erst im Jahr 1980 - dem Jahr der steuerschädlichen Verfügung durch den Kläger - sei eine Nachversteuerung durchzuführen.

Nach dem Einleitungssatz des § 10 Abs. 6 EStG ist nach Maßgabe einer Rechtsverordnung eine Nachversteuerung durchzuführen, wenn vor Ablauf von zehn Jahren seit Vertragsabschluß die Bausparsumme ganz oder zum Teil ausgezahlt, geleistete Beiträge ganz oder zum Teil zurückgezahlt oder Ansprüche aus dem Bausparvertrag abgetreten oder beliehen werden. Nach der aufgrund dieser Ermächtigung ergangenen Rechtsverordnung (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 2 i.V. m. § 30 EStDV) ist eine Nachversteuerung für den Veranlagungszeitraum durchzuführen, in dem der steuerschädliche Tatbestand i. S. des § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 1 EStG verwirklicht ist.

Der VI. Senat des BFH hat hierzu in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, eine Nachversteuerung im Jahr der steuerschädlichen Verfügung komme nicht in Betracht, wenn das Jahr, in dem die Bausparbeiträge geleistet werden, noch nicht bestandskräftig veranlagt sei. In diesem Fall könne die steuerlich richtige Behandlung der Bausparbeiträge für das Jahr der Zahlung erfolgen (BFH-Urteile vom 1. Dezember 1964 VI 160/63, HFR 1965, 263; vom 13. Juli 1967 VI 291/65, BFHE 89, 195, BStBl III 1967, 575; gleicher Auffassung: Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 10 EStG Anm. 459; Tiedtke, Einkommensteuer- und Bilanzsteuerrecht, 1983, § 27 V 2 dd, Seite 419; Biergans, Einkommensteuer und Steuerbilanz, 3. Aufl., 1985, Seite 1008 f.). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an.

Die von dieser Rechtsauffassung abweichende Vorentscheidung verkennt den Regelungsinhalt des § 10 Abs. 6 Nr. 2 EStG. Diese Vorschrift beruht auf dem Rechtsgedanken des § 175 Nr. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 - (nunmehr: § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977; früher: § 4 Abs. 3 Nr. 2 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -; vgl. BFH-Urteil vom 29. Juni 1962 IV 136/60, HFR 1962, 336). Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Ein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 stellt auch eine (steuerrechtliche) auflösende Bedingung dar (Frotscher in Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 175, Anm. 25; von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 8. Aufl., § 175 Anm. 17). Solche auflösenden Bedingungen enthält § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 2 EStG; denn die Zahlung von Bausparbeiträgen durch den Steuerpflichtigen "zur Erlangung" eines Baudarlehens i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG ist von dem künftigen, objektiv ungewissen Ereignis abhängig, daß über die Bausparsumme innerhalb der Sperrfrist nicht steuerschädlich verfügt wird. Eine steuerschädliche Verfügung innerhalb der Sperrfrist bewirkt eine "rückwirkende Tatbestandswandlung" (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1976 VI R 72/73, BFHE 118, 224, BStBl II 1976, 338) mit der Folge, daß die geleisteten Bausparbeiträge nicht "zur Erlangung" eines Baudarlehens gedient haben und die Steuervergünstigung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG rückwirkend entfällt, ungeachtet des Umstandes, ob bezüglich der entsprechenden Aufwendungen bereits bestandskräftige Veranlagungen vorliegen oder nicht.

Soweit bestandskräftige Veranlagungen vorliegen, führen die Bestimmungen über die verfahrensmäßige Abwicklung der Nachversteuerung (§§ 30 Satz 2, 31 EStDV) dazu, daß beim Eintritt der auflösenden Bedingung - entgegen § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 - nicht jede Veranlagung zu ändern ist, sondern lediglich im Jahr der steuerschädlichen Verfügung rechnerisch die Jahre der Leistung der Bausparbeiträge wieder aufgerollt werden (siehe § 31 EStDV i.V. m. § 30 Satz 2 EStDV) und die Nachsteuer entsprechend erhoben wird. Dieses Verfahren dient der Verwaltungsvereinfachung (Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 10 EStG Anm. 459). Für diesen Zweck des Nachversteuerungsverfahrens ist aber dann kein Raum, wenn bereits im Zeitpunkt der Veranlagung die auflösende Bedingung eingetreten ist und somit die Bausparbeiträge wegen der rückwirkenden Tatbestandswandlung keine Sonderausgaben (mehr) darstellen. Dem Sinn und Zweck der §§ 30, 31 EStDV würde es nachgerade zuwiderlaufen, wenn die Bausparbeiträge in diesem Fall als Sonderausgaben - und zwar zu Unrecht - zum Abzug zugelassen würden, um dies dann anschließend durch eine Nachversteuerung richtig zu stellen. Eine solche Verfahrensweise des FA würde gegen das aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitete Verbot des widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) verstoßen.

Der Senat berücksichtigt dabei auch, daß im Anwendungsbereich des § 175 Abs. 1 Satz 1, Nr. 2 AO 1977 in gleicher Weise verfahren wird. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein rückwirkendes Ereignis nach Ergehen des ursprünglichen Steuerbescheids eintritt. Ist jedoch das Ereignis schon vorher eingetreten, ist diesem Umstand bereits in dem zeitlich hierauf folgenden Bescheid Rechnung zu tragen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 175 AO 1977 Anm. 7).

Im Streitfall hat somit das FA den Abzug der im Streitjahr geleisteten Bausparbeiträge zu Recht nicht zugelassen.