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BFH-Urteil vom 22.10.1986 (I R 261/82) BStBl. 1987 II S. 171

1. Hat die Bundesrepublik in einem DBA (hier: DBA-Frankreich) vorbehaltlos auf ihr Besteuerungsrecht verzichtet, kann sich der inländische Vergütungsschuldner (Haftungsschuldner) unmittelbar auf die Steuerbefreiung berufen. In einem solchen Fall kann das Unterlassen des Steuerabzugs nach § 50 a Abs. 4 EStG nicht von der vorherigen Durchführung des Freistellungsverfahrens nach § 73 h EStDV abhängig gemacht werden.

2. Ist jedoch der Steuerverzicht der Bundesrepublik in einem DBA (hier: DBA-Großbritannien) als antragsabhängige Befreiung ausgestaltet, so kann sich der Haftungsschuldner auf die Steuerbefreiung nur berufen, wenn und soweit der Vergütungsgläubiger (Steuerschuldner) einen entsprechenden Antrag gestellt hat.

DBA-Frankreich Art. 12, 15; DBA-Großbritannien Art. XI, XVIII A Abs. 4; EStG § 50a Abs. 4 und 5; EStDV § 73g, § 73h.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) befaßt sich mit der Herstellung von Werbefilmen.

Im Jahre 1970 ließ die Klägerin von dem in Frankreich lebenden Autor ... (T), der im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, für einen von der ... in Auftrag gegebenen Werbefilm, der in englischer Sprache zur ausschließlichen Vorführung im Ausland produziert wurde, ein Drehbuch schreiben. Das Honorar für das Drehbuch ... zahlte die Klägerin in voller Höhe an T aus.

Für Dreharbeiten auf Hawai im Rahmen eines im Inland produzierten Werbefilms engagierte die Klägerin das in Großbritannien lebende Modell ... (M), das ebenfalls im Inland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Die vereinbarte Gage ... wurde ohne Einbehalt von Einkommensteuer ausbezahlt.

Eine Freistellungsbescheinigung nach § 73 h der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) lag in beiden Fällen nicht vor.

Nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung, die auch die Prüfung des Steuerabzugs von den Vergütungen i. S. des § 50 a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) umfaßte, erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) am 16. Dezember 1975 einen Haftungsbescheid über nachzuentrichtende Lohn-, Lohnkirchen- sowie Einkommensteuer gemäß § 50 a Abs. 4 EStG nebst Ergänzungsabgabe.

Der Einspruch hatte teilweise Erfolg. Hinsichtlich der an T und M gezahlten Vergütungen hielt das FA jedoch die Haftungsschuld ..., jeweils zuzüglich Ergänzungsabgabe, aufrecht.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin eine weitere Herabsetzung der Haftungsschuld und wendete sich hierbei u. a. gegen ihre Inanspruchnahme für die auf die Vergütungen von T und M entfallende Abzugsteuer nach § 50 a Abs. 4 EStG. Sie berief sich auf den in den einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) vereinbarten Verzicht der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) auf ihr Besteuerungsrecht. Im übrigen fehle es bei T bereits an einer Verwertung seiner Tätigkeit im Inland, da der Film zur ausschließlichen Vorführung im Ausland produziert worden sei.

Während des Klageverfahrens teilte das FA auf Aufforderung durch das Finanzgericht (FG) mit, daß die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung bei T nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Rechts- und Amtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959 i. d. F. des Revisionsprotokolls vom 9. Juni 1969 - DBA-Frankreich - (BGBl II 1970, 717) und bei M nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 26. November 1964 i. d. F. des Revisionsprotokolls vom 23. März 1970 - DBA-Großbritannien - (BGBl II 1971, 45) vorlägen. Dies sei jedoch unerheblich, da der Vergütungsschuldner nur unter der Voraussetzung des § 73 h EStDV den Steuerabzug unterlassen dürfe.

Das FG gab der Klage statt, soweit das FA die Klägerin für den unterlassenen Steuerabzug der an T und M gezahlten Vergütungen im Haftungswege in Anspruch genommen hatte. Die Begründung stimmt mit den Ausführungen des in einem Parallelverfahren in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 132 veröffentlichten Urteils vom 7. Juli 1982 I 89/72 E überein.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

...

Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Er vertritt die Auffassung, daß das in § 73 h EStDV geregelte Abzugsverfahren durch die Ermächtigung in § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c und d EStG gedeckt sei. Auch der Grundsatz der Akzessorietät befreie den inländischen Vergütungsschuldner nicht von seiner Haftung, solange das Verfahren nach § 73 h EStDV nicht durchgeführt worden sei. Ob Rechte aus einem DBA geltend gemacht werden sollten, liege jedoch in der Hand des Vergütungsgläubigers (Steuerschuldners).

Im Streitfall sei unstreitig, daß die einschlägigen DBA ein inländisches Besteuerungsrecht ausschlössen. Hierdurch werde jedoch die nationale Verfahrenshoheit nicht berührt. Aus der materiellen Steuerrechtszuweisung der DBA könne lediglich abgeleitet werden, daß der Steuerpflichtige die Möglichkeit haben müsse, nach dem nationalen Recht in einem zumutbaren Verfahren die abkommensgemäße Entlastung geltend zu machen. Ein solches Verfahren sei durch § 73 h EStDV eingeführt worden. Das im nationalen Recht durch die Zuständigkeit des Bundesamtes für Finanzen (BfF) für die Ausstellung der Freistellungsbescheinigungen begründete zweistufige Verfahren lasse es nicht zu, die Abkommensanwendung in das Haftungsverfahren zu verlagern.

Die deutschen Regelungen über das Erstattungsverfahren entsprächen nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragspartner dem Inhalt der DBA. Es handele sich hierbei nicht um Abweichungen vom Vertragsinhalt, sondern um Regelungen, die im Wege der Vertragsauslegung zu gewinnen seien, ohne daß es hierzu einer besonderen Vertragsnorm bedürfe. Die Auslegung der DBA habe sich jedoch an der Absicht der Vertragsparteien bei Vertragsabschluß und der internationalen Auslegungspraxis von Verträgen zu orientieren.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist teilweise begründet.

Die Klägerin haftet bezüglich der an M gezahlten Vergütung nach § 50 a Abs. 5 Satz 5 EStG für die Einbehaltung und Abführung der Einkommensteuer; die ihr obliegende Verpflichtung zur Durchführung des Steuerabzugs wird durch die Regelungen des DBA-Großbritannien nicht berührt. Gegen ihre Inanspruchnahme für die auf die Vergütung des T entfallende Abzugsteuer kann sich die Klägerin - entgegen der auch in der mündlichen Verhandlung vom BMF vorgebrachten Auffassung - mit Erfolg auf die im DBA-Frankreich vereinbarte Steuerfreiheit berufen. Das FG hat die Haftungsschuld insoweit zu Recht herabgesetzt.

I. Rechtslage nach dem DBA-Frankreich

1. Soweit überhaupt eine inländische Steuerpflicht der an T gezahlten Vergütung gegeben ist und T die Vergütung für die Verwertung seiner Tätigkeit im Inland bezogen hat (vgl. § 1 Abs. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG), hat die Bundesrepublik auf ihr Besteuerungsrecht nach allen im Streitfall in Betracht kommenden Vorschriften des DBA-Frankreich verzichtet. Nach Art. 12 Abs. 1 DBA-Frankreich können Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem die persönliche Tätigkeit, aus der die Einkünfte herrühren, ausgeübt wird.

Nach Art. 15 Abs. 1 DBA-Frankreich sind Vergütungen für die Benutzung oder das Recht auf Benutzung von Urheberrechten an literarischen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Werken nur in dem Vertragsstaat zu besteuern, in dem der Bezugsberechtigte ansässig ist. Schließlich weist Art. 18 DBA-Frankreich die Besteuerung von Einkünften, die von den vorstehenden Verteilungsnormen nicht erfaßt werden, ebenfalls dem Wohnsitzstaat zu.

2. Die Regelungen eines ordnungsgemäß transformierten DBA haben Vorrang vor dem bestehenden innerstaatlichen Recht (so schon Urteile des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 3. Oktober 1935 III A 267/34, RStBl 1935, 1399, und vom 10. März 1937 VI A 71/37, RStBl 1937, 486; vgl. auch § 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -) und sind von den Steuerbehörden von Amts wegen zu beachten.

Soweit der Bezieher von beschränkt steuerpflichtigen Einkünften nach § 49 Abs. 1 EStG, für die die Einkommensteuer gemäß § 50 a Abs. 4 EStG im Abzugswege mit abgeltender Wirkung (§ 50 Abs. 5 EStG) erhoben wird, eine in Frankreich ansässige Person ist (vgl. hierzu Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 a DBA-Frankreich), hat die Bundesrepublik - unabhängig von der Art der Steuererhebung - vorbehaltlos und endgültig auf ihr Besteuerungsrecht verzichtet. Da keine Steuer entstehen kann, geht die dem inländischen Vergütungsschuldner nach § 50 a Abs. 5 Satz 2 EStG obliegende Verpflichtung, den Steuerabzug für Rechnung des beschränkt steuerpflichtigen Gläubigers (Steuerschuldners) vorzunehmen, ins Leere.

3. Dieses Ergebnis steht nicht in Widerspruch zu den für den Bereich der Kapitalertragsteuer entwickelten Rechtsprechungsgrundsätzen, wonach infolge der ungeschmälerten Weitergeltung der nationalen Verfahrenshoheit die nach einem DBA vorgesehene Entlastung von der inländischen Abzugsteuer in einem zweistufigen Verfahren vorzunehmen ist (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. September 1968 I R 56/67, BFHE 93, 438, BStBl II 1968, 797; vom 29. Oktober 1981 I R 142/78, BFHE 134, 242, BStBl II 1982, 104, und I R 89/80, BFHE 134, 245, BStBl II 1982, 150, 155). Denn für die Dividendenbesteuerung sehen die Abkommen regelmäßig keinen vollen Verzicht des Quellenstaates auf sein Besteuerungsrecht vor und lassen vielfach die Besteuerung im Abzugswege ausdrücklich zu. So behält auch nach Art. 9 Abs. 2 DBA-Frankreich jeder Vertragsstaat das Recht, die Steuer von Dividenden nach seinen Rechtsvorschriften im Abzugsweg zu erheben. (Näheres unter II.)

Für die im Abkommen folgenden Befreiungsvorschriften fehlt eine entsprechende Regelung. Die volle Einbehaltung der Quellensteuer mit nachfolgender Erstattung bzw. Zustimmung zur Freistellung kann auch nicht deshalb als abkommensrechtlich zulässig angesehen werden, weil dieses Verfahren in der Praxis der Vertragsstaaten nicht beanstandet worden ist (so jedoch Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar, Vorb. 31 vor Art. 10 bis 12; ähnlich auch Korn/Debatin, Doppelbesteuerung, Bd. I, Systematik III Rdnr. 54, IV Rdnr. 243). Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen kann eine entsprechende Praxis nicht dazu führen, daß das gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) ergangene Zustimmungsgesetz zum DBA-Frankreich wegen dieser übereinstimmenden Verwaltungsübungen der beteiligten Steuerverwaltungen zu Lasten des Steuerpflichtigen anders auszulegen ist, als bei Nichtbestehen einer derartigen Verwaltungsübung.

Im übrigen sieht auch der Kommentar zum OECD-Musterabkommen lediglich für Art. 10 (Dividenden; Anm. 18 f.) und Art. 11 (Zinsen; Anm. 9) die Berechtigung des Quellenstaates zur Durchführung des Steuerabzugs vor.

4. Die Steuerbefreiungen nach Art. 12 bzw. Art. 15 DBA-Frankreich sind nicht als antragsabhängige Vergünstigung ausgestaltet.

Das Besteuerungsverfahren ist durch das Amtsermittlungsprinzip gekennzeichnet, dem das Antragsprinzip grundsätzlich fremd ist. Ein Antragstatbestand liegt nur dann vor, wenn die Anwendbarkeit einer gesetzlichen Vorschrift davon abhängig gemacht ist, daß der Steuerpflichtige durch eine Willenserklärung einen entsprechenden Wunsch zum Ausdruck bringt, der Antrag somit rechtliche Voraussetzung des Anspruchs ist (vgl. hierzu Schick, Antragstatbestände, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Amtsermittlungsgrundsatz im Besteuerungsverfahren, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1969, 361 ff.; Klemp, Die steuerrechtliche Willenserklärung, StuW 1972, 217). Die Vorschrift des § 73 h EStDV, wonach der Schuldner der Vergütungen den Steuerabzug nur unterlassen darf, wenn das BfF bescheinigt hat, daß die Voraussetzungen für die Nichterhebung der Abzugsteuer im Falle einer Steuerbefreiung nach einem DBA vorliegen, beruht auf § 51 Abs. 1 Nr. 1 d EStG. Danach darf die Bundesregierung zur Wahrung der Gleichmäßigkeit bei der Besteuerung, zur Beseitigung von Unbilligkeiten in Härtefällen und zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens Rechtsverordnungen über die Besteuerung der beschränkt Steuerpflichtigen einschließlich eines Steuerabzugs erlassen. Die Ermächtigung, ein nach dem Wortlaut des DBA-Frankreich nicht vorgesehenes Antragsverfahren für die Gewährung der Steuerbefreiung zu schaffen, ergibt sich aus dieser Vorschrift nicht. Diese räumt dem Verordnungsgeber keine Befugnis zur Änderung materiellen Rechts oder gar zur Erweiterung des Umfangs der Steuerpflicht ein. Inwieweit der Gesetzgeber die vorbehaltlose Steuerbefreiung nach dem DBA-Frankreich einschränken könnte, kann somit offenbleiben (vgl. zu dieser Frage Urteil des Supreme Court of Canada vom 28. September 1982, Her Majesty The Queen (Appelant) v. Melford Developments Inc. (Respondent), Dominion Tax Cases 1982, 6281).

Entgegen der Auffassung des FA kommt es mangels eines Antragstatbestandes nicht darauf an, ob ein Steuerpflichtiger die Abkommensvergünstigung in Anspruch nehmen will oder nicht.

5. Die Berufung auf die sich aus dem DBA-Frankreich ergebende Steuerfreiheit der Einkünfte kann der Klägerin auch nicht mit dem Hinweis auf die gesetzlich geregelte Kompetenzverteilung zwischen dem FA, das für die Überwachung des Steuerabzugsverfahrens verantwortlich ist, und dem BfF, das für die Entscheidung über die Abkommensberechtigung zuständig ist (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 des Finanzverwaltungsgesetzes - FVG -), abgeschnitten werden (so jedoch Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, § 50 a Anm. 78).

Dies ergibt sich bereits daraus, daß es einer Entscheidung des BfF, betreffend die Entlastung von deutschen Abzugsteuern aufgrund des DBA-Frankreich bei den in § 50 a Abs. 4 EStG aufgeführten Einkünften grundsätzlich nicht bedarf. Ob das FA in einem Haftungsverfahren nach § 50 a Abs. 5 EStG an eine negative Entscheidung des BfF im Rahmen eines dort anhängigen Freistellungsverfahrens gebunden wäre, braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden.

6. Schließlich kann dahinstehen, in welcher Weise die persönlichen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach einem DBA darzulegen sind und ob insbesondere für den Nachweis der Abkommensberechtigung des Vergütungsgläubigers eine Wohnsitzbestätigung der ausländischen Steuerbehörde erforderlich ist, weil es sich bei der Ansässigkeit um ein steuerrechtliches Merkmal handelt, über dessen Vorliegen allein der Wohnsitzstaat verläßlich Auskunft geben kann (so Blümich/Falk, a. a. O., Anm. 75; Ebermann, Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters - RIW/AWD - 1984, 284).

Der Haftungsbescheid ist bereits deshalb hinsichtlich der auf T entfallenden Abzugsteuer auch ohne verbindliche Feststellung der Abkommensberechtigung des T nach dem DBA-Frankreich aufzuheben, weil das FA bei der Inanspruchnahme der Klägerin von dem ihm nach § 191 Abs. 1 AO 1977 eingeräumten Ermessen nicht fehlerfrei Gebrauch gemacht hat. Denn das FA durfte die Haftung nicht ausschließlich auf das Fehlen einer Freistellungsbescheinigung nach § 73 h EStDV stützen.

II. Rechtslage nach dem DBA-Großbritannien

Soweit das FG auch für die an die englische Schauspielerin M gezahlte Vergütung eine Einbehaltungs- und Abführungsverpflichtung der Klägerin nach § 50 a Abs. 4 EStG verneint hat, ist die Vorentscheidung aufzuheben.

1. Die Vergütung unterlag gemäß § 1 Abs. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 3 oder 4 EStG im Inland der beschränkten Steuerpflicht. Unabhängig vom Ort ihres Auftritts fand die Verwertung der Tätigkeit der M am Sitz der Klägerin statt (vgl. BFH-Urteil vom 15. September 1971 I R 202/67, BFHE 103, 557, BStBl II 1972, 281). Denn nach § 89 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) überträgt der Schauspieler dem Hersteller vertraglich das ausschließliche Recht, das Filmwerk auf alle bekannten Nutzungsarten zu nutzen. Diese Leistung wird regelmäßig dort erbracht, wo der Film hergestellt wird.

2. Die Klägerin durfte trotz der in Art. XI Abs. 1 DBA-Großbritannien ausgesprochenen Steuerfreiheit in der Bundesrepublik für die an M gezahlte Vergütung ohne Vorliegen einer Freistellungsbescheinigung nach § 73 h EStDV den ihr nach § 50 a Abs. 5 Satz 2 EStG obliegenden Steuerabzug nicht unterlassen. Der auf § 50 a Abs. 5 Satz 5 EStG, § 73 g EStDV gestützte Haftungsbescheid erging insoweit zu Recht.

Anders als im DBA-Frankreich wird die Steuerbefreiung durch den Quellenstaat im DBA-Großbritannien nicht vorbehaltlos gewährt. Nach Art. XVIII A Abs. 4 DBA-Großbritannien schließt es das Abkommen nicht aus, daß die Steuer eines der Gebiete im Abzugswege an der Quelle nach den Sätzen erhoben wird, die maßgebend wären, wenn dieses Abkommen nicht in Kraft wäre. Sind die betreffenden Einkünfte nach diesem Abkommen von der Steuer befreit, so ist die so einbehaltene Steuer auf Antrag des Empfängers der Einkünfte zu erstatten.

Infolge dieses Vorbehalts hat die Bundesrepublik auf ihre innerstaatliche Besteuerungskompetenz nicht vollständig verzichtet. Die Durchführung der für beschränkt steuerpflichtige Einkünfte nach § 50 a Abs. 4 EStG vorgesehenen Abzugsbesteuerung steht im Einklang mit dem Abkommen. In welcher Weise die Entlastung von der inländischen Abzugsteuer vorzunehmen ist, ist in Art. XVIII A Abs. 4 DBA-Großbritannien nur unvollständig geregelt, so daß das innerstaatliche Verfahrensrecht insoweit ungeschmälert weiter gilt (Urteil in BFHE 93, 438, BStBl II 1968, 797).

3. Durch den Vorbehalt in Art. XVIII A Abs. 4 DBA-Großbritannien gewinnt die Regelung in Art. XI DBA-Großbritannien die Bedeutung einer antragsabhängigen Befreiungsvorschrift.

Auf eine antragsgebundene Steuerbefreiung kann sich der Haftungsschuldner nur berufen, wenn und soweit der Steuerschuldner einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Denn es ist grundsätzlich in das Ermessen des Steuerschuldners gestellt, ob er die für die Auslösung des Tatbestands entscheidende Willenserklärung abgeben will oder nicht (Schick, StuW 1969, 365). An diese Entscheidung ist im übrigen auch die Finanzbehörde gebunden (BFH-Urteil vom 29. August 1969 VI R 235/67, BFHE 97, 72, BStBl II 1970, 33).

4. Der vom FG als tragender Gesichtspunkt seiner Entscheidung herausgestellte Grundsatz der Haftungsakzessorietät steht einer Inanspruchnahme der Klägerin nicht entgegen.

Für den Bereich des Lohnsteuerrechts ist umstritten, ob Tatbestandsvoraussetzung der Steuerhaftung des Arbeitgebers die vorläufige Abzugsteuerschuld oder die endgültige Einkommensteuerschuld ist (vgl. hierzu Lang, Das neue Lohnsteuerrecht, StuW 1975, 113 ff., 131). Ordnet der Gesetzgeber die Durchführung des Steuerabzugs unbeschadet einer möglichen Steuerbefreiung ausdrücklich an (vgl. etwa für den Bereich der Kapitalertragsteuer die Fälle des § 43 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 EStG, in denen lediglich eine Erstattung der einbehaltenen Steuer nach § 44 b EStG in Betracht kommt), so kann es für die Abzugsverpflichtung des Haftungsschuldners auf die endgültige, sich erst durch einen Antrag des Steuerschuldners ergebende Steuerschuld nicht ankommen. Die sich aus einer derartigen Anordnung ergebende Zweistufigkeit des Entlastungsverfahrens darf von dem abzugsverpflichteten Vergütungsschuldner nicht dadurch unterlaufen werden, daß er das Ergebnis des Freistellungs- oder Erstattungsverfahrens vorwegnimmt.

5. Die für das Lohnsteuerabzugsverfahren vom Bundesverfassungsgericht festgestellte verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der Einbeziehung des Arbeitgebers in das Besteuerungsverfahren (so schon Beschluß vom 18. Dezember 1963 1 BvR 514/63, Der Betrieb 1964, 204) muß erst recht für das Steuerabzugsverfahren nach § 50 a Abs. 4 EStG gelten, das hinsichtlich der Qualifizierung von Zahlungen als steuerpflichtige Vergütungen i. S. des § 50 a Abs. 4 EStG und der Berechnung der Höhe der abzuführenden Steuer im Vergleich zur Ermittlung der Lohnsteuerschuld ein einfach durchführbares Verfahren ist, bei dem dem Vergütungsschuldner kaum die Gefahr eines Rechtsirrtums droht.

6. Bedenken gegen die Inanspruchnahme der Klägerin ergeben sich schließlich auch nicht daraus, daß weder der Haftungsbescheid noch die Einspruchsentscheidung Ausführungen zum Auswahlermessen des FA dafür enthalten, daß es die Klägerin und nicht M in Anspruch genommen hat (vgl. zum Auswahlermessen BFH-Urteil vom 18. September 1981 VI R 44/77, BFHE 134, 149, BStBl II 1981, 801). Denn bei ausländischen Steuerpflichtigen reicht der Hinweis auf die beschränkte Steuerpflicht und den Aufenthalt im Ausland als Begründung für die Inanspruchnahme des inländischen Haftungsschuldners aus (vgl. Urteil des FG München in EFG 1983, 129).

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