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BFH-Urteil vom 21.10.1986 (VIII R 243/83) BStBl. 1987 II S. 284

Tatsachen, die anläßlich einer Außenprüfung für einen Zeitraum bekanntwerden, für den ein Verwertungsverbot besteht (hier 1971/72), können dennoch in Änderungsbescheiden gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 für 1971/72 berücksichtigt werden, wenn ohne sie die Steuerpflicht für einen zeitraumübergreifenden Gesamtkomplex (hier gewerblicher Grundstückshandel 1967 bis 1978) nicht begründet werden könnte.

AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte in den Streitjahren 1971/72 Einkünfte aus Landwirtschaft, aus selbständiger Arbeit (Architekt) und aus Vermietung und Verpachtung. Er wurde erklärungsgemäß zur Einkommensteuer veranlagt. Anläßlich einer für die Jahre 1973 bis 1976 angeordneten Außenprüfung, die später auf die Streitjahre erweitert wurde, stellte der Betriebsprüfer fest, daß der Kläger in den Streitjahren Bauparzellen veräußert hatte. Er und ihm folgend der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahmen einen gewerblichen Grundstückshandel an, der sich über die Streitjahre hinaus erstreckt habe. Das FA erließ gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Bescheide für 1971/72, in denen auch die von dem Betriebsprüfer ermittelten Gewinne aus gewerblichem Grundstückshandel erfaßt wurden. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es hob die Änderungsbescheide auf und führte aus: Es bestünden bereits Zweifel, ob die vom Betriebsprüfer festgestellten Grundstücksverkäufe neue Tatsachen i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 seien. Jedenfalls bestehe ein Verbot, die vom Betriebsprüfer für die Jahre 1971 und 1972 festgestellten Tatsachen zu verwerten. Die Betriebsprüfung und die dazu ergangene Prüfungsanordnung seien rechtswidrig (FG-Urteil vom 23. Juni 1983 65/81). Nach ständiger Rechtsprechung dürften bei einer Änderungsveranlagung keine neuen Tatsachen verwertet werden, die bei einer Betriebsprüfung festgestellt worden seien, deren Prüfungsanordnung für rechtswidrig erklärt worden sei.

Das FA rügt mit der Revision die Verletzung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 und macht geltend: Das FG habe zu Unrecht ein Verwertungsverbot angenommen. Das FG-Urteil vom 23. Juni 1983 65/81, das die Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung festgestellt habe, sei im Zeitpunkt der Entscheidung des FG nicht rechtskräftig gewesen. Das Verwertungsverbot setze jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) voraus, daß die Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung rechtskräftig festgestellt worden sei. Vor Rechtskraft könne allenfalls ein Verstoß gegen verfassungsrechtliche Normen oder eine Verletzung des grundrechtlich geschützten Bereichs des Steuerpflichtigen ein Verwertungsverbot rechtfertigen. Hieran fehle es. Das FG habe ferner nicht beachtet, daß der Veranlagungsdienststelle erstmals durch die Außenprüfung bekanntgeworden sei, daß der Kläger die Baureifmachung der Grundstücke vorangetrieben habe. Das FG hätte schließlich nicht auf ein anderes Urteil verweisen dürfen, ohne dieses zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat sich nicht zur Sache geäußert.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Verfahrensrüge des FA, das FG hätte nicht auf sein Urteil in der Prüfungsanordnungssache verweisen dürfen, ist unzulässig. Sollte hiermit gerügt werden, daß die Entscheidung nicht mit Gründen versehen sei (§ 119 Nr. 6 FGO), fehlt es an einer Darlegung der Voraussetzungen dieser Vorschrift. Es läßt sich indessen nicht ausschließen, daß das FG zu Unrecht ein Verwertungsverbot angenommen hat.

Das FA hat die Annahme eines gewerblichen Grundstückshandels nach der Darstellung des Betriebsprüfers, auf die in der Vorentscheidung Bezug genommen worden ist, auf folgende Umstände gestützt: Der Kläger sei als Architekt 1963 von der Gemeinde A mit der Erstellung eines Bebauungsplans "Y" beauftragt worden. Bereits damals habe er in jenem Gebiet vier Parzellen besessen. Er habe 1963/64 acht Parzellen hinzuerworben und den gesamten Grundbesitz in eine Umlegung eingebracht, aus der ihm acht Bauplätze zugewiesen worden seien. Die acht Bauplätze seien 1967 (2), 1970 (1), 1971 (2), 1972 (1) und 1978 (2) verkauft worden. Außerdem seien 1970 ein 1961 bebautes Mietwohngrundstück und 1974/76 zwei 1965 gekaufte Eigentumswohnungen veräußert worden.

Die bisherigen Feststellungen des FG erlauben keine abschließende Beurteilung der Frage, ob einer Verwertung dieser noch zu überprüfenden Tatsachen in den Streitjahren ein Verwertungsverbot entgegensteht. Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß bei einer Änderungsveranlagung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 (Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung - AO -) keine neuen Tatsachen verwertet werden dürfen, die bei einer Außenprüfung festgestellt worden sind, deren Anordnung rechtskräftig für rechtswidrig erklärt worden ist (Urteile vom 7. Juni 1973 V R 64/72, BFHE 109, 500, BStBl II 1973, 716; vom 9. Mai 1978 VII R 96/75, BFHE 125, 144, BStBl II 1978, 501; vom 27. Juli 1983 I R 210/79, BFHE 139, 221, BStBl II 1984, 285; vom 23. Februar 1984 IV R 154/82, BFHE 140, 505, BStBl II 1984, 512). Dem FA kann nicht darin zugestimmt werden, daß diese Grundsätze schon deswegen nicht anwendbar seien, weil das Urteil des FG in der Prüfungsanordnungssache noch nicht rechtskräftig war, als das FG in der Einkommensteuersache entschied. Das FG brauchte nicht die Rechtskraft seines Urteils in der Prüfungsanordnungssache abzuwarten. Stellt sich allerdings im Revisionsverfahren heraus, daß die Prüfungsanordnung zu Unrecht als rechtswidrig angesehen worden ist, ist auch die Annahme hinfällig, daß in der Besteuerungssache ein Verwertungsverbot besteht. Im Streitfall hat der Senat mit Beschluß vom 21. Oktober 1986 VIII R 244/83 die Revision des FA gegen das Urteil des FG in der Prüfungsanordnungssache als unzulässig verworfen. Damit steht rechtskräftig fest, daß die erweiternde Prüfungsanordnung für die Streitjahre rechtswidrig war.

Die Rechtsprechung zum Verwertungsverbot könnte jedoch aus einem anderen Grunde keine Anwendung finden. Die Frage, ob ein gewerblicher Grundstückshandel vorliegt, läßt sich vielfach erst nach einer geraumen Zeit zuverlässig beurteilen. Insbesondere die Qualifizierung des An- und Verkaufs unbebauter Grundstücke als Gewerbebetrieb, die hier hinsichtlich des Komplexes "Y" denkbar ist, erfordert eine Berücksichtigung aller Aktivitäten des veräußernden Eigentümers und eine Würdigung im Zusammenhang (BFH-Urteile vom 29. August 1973 I R 214/71, BFHE 110, 348, BStBl II 1974, 6; vom 23. Oktober 1975 VIII R 60/70, BFHE 117, 360, BStBl II 1976, 152, betreffend Architekten; s. auch BFH-Urteil vom 8. Juli 1982 IV R 20/78, BFHE 136, 252, BStBl II 1982, 700). Die Verhältnisse können noch schwieriger zu beurteilen sein, wenn, wie hier vom FA erstrebt, die Veräußerung eines Mietwohngrundstücks und von Eigentumswohnungen einschließlich der hierauf bezogenen Herstellungs- und Erwerbstätigkeiten in den gewerblichen Grundstückshandel einzubeziehen sein sollte.

Wird die Darlegung des Betriebsprüfungsberichts als zutreffend unterstellt, hat der vom FA angenommene gewerbliche Grundstückshandel bereits vor dem Streitzeitraum eingesetzt und ist nach der Beendigung des Streitzeitraums fortgesetzt worden. Das in der Rechtsprechung beschriebene Verwertungsverbot würde nur dann eingreifen, wenn ein gewerblicher Grundstückshandel für die Streitjahre verneint werden müßte, falls die durch die Betriebsprüfung für den Zeitraum 1. Januar 1971 bis 31. Dezember 1972 ermittelten Umstände hinweggedacht würden. Reichen die vor dem 1. Januar 1971 und nach dem 31. Dezember 1972 festgestellten Umstände aus, einen Grundstückshandel anzunehmen, besteht folglich ein Verwertungsverbot für die Streitjahre. Kein Verwertungsverbot besteht, wenn nur unter Einschluß der für 1971/72 festgestellten maßgeblichen Umstände (drei Veräußerungsfälle) ein Grundstückshandel für die Zeit nach dem 31. Dezember 1972 bejaht werden kann. Es ist dem FA nicht verwehrt, im Rahmen seiner Ermittlungsbefugnisse für verwertungsverbotfreie Zeiträume auch Umstände aus Zeiten zu berücksichtigen, für die ein Verwertungsverbot besteht, sofern seine Ermittlungen ansonsten unvollständig bleiben müßten. Die hierbei bekanntwerdenden Umstände sind nicht durch eine unzulässige Betriebsprüfung bekanntgeworden, mögen sie auch Zeiten betreffen, für die ein Verwertungsverbot gilt.

Sollte das Verwertungsverbot nicht eingreifen, wird das FG die offengelassene Frage zu entscheiden haben, ob die Tatsachen nachträglich bekanntgeworden sind (§ 173 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Das FG darf hierbei nicht nur auf die Grundstücksverkäufe abstellen, sondern muß die gesamten Umstände einbeziehen, die den gewerblichen Grundstückshandel begründen sollen. Dazu gehören auch, worauf das FA zu Recht hinweist, die Maßnahmen, die der Kläger traf, um die Grundstücke baureif zu machen. Sollte § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 hinsichtlich des Grundstückshandels eingreifen, wird noch zu prüfen sein, ob auch die anderen Erhöhungen der Besteuerungsgrundlagen in den Änderungsbescheiden (Ermäßigung der Verluste aus Land- und Forstwirtschaft für 1971/72, Erhöhung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit für 1972) Bestand haben können. Insoweit könnte das Verwertungsverbot eingreifen.