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BFH-Urteil vom 5.8.1986 (IX R 13/81) BStBl. 1987 II S. 297

1. Werden nachträglich sowohl steuererhöhende als auch steuermindernde Tatsachen oder Beweismittel bekannt und führen die steuererhöhenden Tatsachen oder Beweismittel zur Berichtigung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, so sind unabhängig von einem groben Verschulden des Steuerpflichtigen im Rahmen der Änderung die steuermindernden Tatsachen gemäß § 177 AO 1977 zu berücksichtigen.

2. Bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten gilt dies auch, wenn bei dem einen Ehegatten steuererhöhende und bei dem anderen Ehegatten steuermindernde Tatsachen oder Beweismittel bekanntwerden.

AO 1977 §§ 162, 173 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, §§ 177, 351 Abs. 1; EStG §§ 9, 9a, 10c, 26b, 32a; FGO § 42.

Vorinstanz: FG München (EFG 1982, 332)

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Im Jahr 1978 erzielten beide Ehegatten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Im Einkommensteuerbescheid für 1978 vom 10. Juli 1980 hat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) wegen Nichtabgabe der Steuererklärung die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) geschätzt. Dabei wurde der Bruttoarbeitslohn des Klägers mit 45.000 DM, derjenige der Klägerin mit 19.000 DM angesetzt. Werbungskosten berücksichtigte das FA jeweils nur in Höhe des Pauschbetrags gemäß § 9 a Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes 1977 (EStG), Sonderausgaben jeweils nur in Höhe des Sonderausgabenpauschbetrages i. S. von § 10 c Abs. 1 EStG bzw. in Höhe der Vorsorgepauschale gemäß § 10 c Abs. 3 und 4 EStG. Hieraus ergab sich eine Einkommensteuerschuld für 1978 von 12.800 DM.

Nachdem dieser Bescheid bestandskräftig geworden war, haben die Kläger am 8. Oktober 1980 die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beim FA eingereicht, in der sie u. a. folgende unstreitigen Angaben gemacht haben:

 

Kläger

Klägerin

   

Bruttoarbeitslohn

52.137,00 DM

17.907,00 DM

Werbungskosten

2.275,00 DM

826,00 DM

Kirchenlohnsteuer

686,24 DM

364,98 DM

Im Änderungsbescheid vom 11. November 1980 hat das FA zwar die erklärten Bruttoarbeitslöhne der Kläger angesetzt, Werbungskosten und Sonderausgaben aber nur in der im ursprünglichen Bescheid berücksichtigten Höhe anerkannt.

Der hiergegen erhobene Einspruch hatte teilweise Erfolg. In der Einspruchsentscheidung ließ das FA nunmehr noch Aufwendungen in Höhe von insgesamt 309 DM als Werbungskosten zum Abzug zu.

Die Klage, mit der die Kläger gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO 1977 die Berücksichtigung der oben angeführten Werbungskosten und Sonderausgaben begehrten, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ist der Auffassung, im Streitfall könne offenbleiben, ob § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO 1977 zur Anwendung komme. Jedenfalls sei in dem - auf dem nachträglichen Bekanntwerden des höheren Arbeitslohns des Klägers beruhenden - Änderungsbescheid der Mehrbetrag der Arbeitslöhne von insgesamt 6.044 DM im Wege der Saldierung nach § 177 Abs. 1 AO 1977 um die Erhöhung der unstreitig vorliegenden Werbungskosten und Sonderausgaben zu mindern. Die Nichtberücksichtigung dieser Aufwendungen im ursprünglichen Bescheid stelle einen Rechtsfehler i. S. des § 177 Abs. 1 AO 1977 dar.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 177 AO 1977. Zur Begründung trägt es u.a. vor, die Auffassung des FG habe zur Folge, daß die Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO 1977 überflüssig würde.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, daß im Rahmen der angefochtenen Änderungsveranlagung die in der Einkommensteuererklärung angegebenen Bruttoarbeitslöhne, Werbungskosten und Sonderausgaben der Kläger vom FA zu berücksichtigen sind.

1. Der ursprüngliche Bescheid ist wegen der nachträglich bekanntgewordenen höheren Einnahmen und Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit und der Sonderausgaben (Kirchenlohnsteuer) des Klägers gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern.

Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer höheren Steuer führen (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977), oder soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, daß die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekanntwerden (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO 1977). Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 stehen.

a) Tatsache i.S. des § 173 AO 1977 ist, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen im Sinne dieser Vorschrift sind Schlußfolgerungen aller Art, insbesondere juristische Subsumtionen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. Juli 1984 VIII R 304/81, BFHE 141, 485, BStBl II 1984, 785). Zu den Schlußfolgerungen gehört auch eine Schätzung aufgrund von tatsächlichen Schätzungsgrundlagen.

b) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen hat der IV. Senat des BFH in seinem Urteil vom 28. März 1986 IV R 159/82 (BFHE 144, 521, BStBl II 1986, 120) die Auffassung vertreten, daß nach einer vorangegangenen Gewinnschätzung erst das gemeinsame Ergebnis von Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben, also der Gewinn, eine Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 AO 1977 darstelle. Ob § 173 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 AO 1977 zur Anwendung komme, richte sich somit danach, ob der nachträglich bekanntgewordene Gewinn höher oder niedriger sei als der ursprünglich geschätzte.

c) Im Streitfall kann dahingestellt bleiben, ob im Anschluß an diese Rechtsgrundsätze der nachträglich bekanntgewordene höhere Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers eine (steuererhöhende) Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 darstellt. Denn es führt im Ergebnis zu keiner anderen Entscheidung, wenn man den höheren Jahresarbeitslohn des Klägers als steuererhöhende Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 und die höheren Werbungskosten als steuermindernde Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 ansieht. Dabei kann offenbleiben, ob den Kläger an dem nachträglichen Bekanntwerden der steuermindernden Tatsache ein grobes Verschulden trifft. Ein solches ist im Streitfall deshalb unschädlich, weil die dem Kläger günstige Tatsache (höhere Werbungskosten) zumindest in einem mittelbaren Zusammenhang mit der steuererhöhenden Tatsache (höherer Jahresarbeitslohn) steht (vgl. § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO 1977, und Urteil in BFHE 144, 521, BStBl II 1986, 120). Denn die streitigen höheren Aufwendungen sind durch die Erzielung der insgesamt höheren steuerpflichtigen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers veranlaßt worden (§ 9 Abs. 1 EStG; BFH-Urteil vom 28. November 1980 VI R 193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368). Der höhere Jahresarbeitslohn führt ferner zwangsläufig auch zu einer als Sonderausgaben abziehbaren höheren Kirchenlohnsteuer.

2. Die von der Klägerin geltend gemachten Werbungskosten und Sonderausgaben sowie der tatsächliche Jahresarbeitslohn der Klägerin sind steuermindernd zu berücksichtigen gemäß § 177 Abs. 1 AO 1977.

Liegen die Voraussetzungen für die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zuungunsten des Steuerpflichtigen vor, so sind, soweit die Änderung reicht, zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen solche Rechtsfehler zu berichtigen, die nicht Anlaß der Aufhebung oder Änderung sind (§ 177 Abs. 1 AO 1977).

Im Streitfall stellt die (teilweise) Nichtberücksichtigung der oben angeführten steuermindernden Tatsachen im ursprünglichen Bescheid einen Rechtsfehler i.S. des § 177 Abs. 1 AO 1977 dar, der nicht Anlaß der Änderung ist. Hieran anschließend kann der Senat in Übereinstimmung mit der Vorentscheidung offenlassen, ob die Kläger ein grobes Verschulden i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 an dem nachträglichen Bekanntwerden der steuermindernden Tatsachen trifft bzw. ob ein Verschulden gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO 1977 deshalb unbeachtlich ist, weil die steuermindernden Tatsachen in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit der steuererhöhenden Tatsache - dem höheren Jahresarbeitslohn des Klägers bzw. dem höheren Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten - stehen. Denn auch beim Vorliegen von steuermindernden Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 ist der ursprüngliche Bescheid mit einem Rechtsfehler i.S. des § 177 Abs. 1 AO 1977 behaftet, der bei der Änderungsveranlagung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zugunsten der Kläger zu berücksichtigen ist. Jede objektive - materielle - Unrichtigkeit eines Steuerbescheids beinhaltet einen Rechtsfehler i.S. des § 177 Abs. 1 AO 1977. Rechtsfehlerhaft in diesem Sinne ist ein Bescheid nicht nur, wenn geltendes Recht unrichtig angewendet wurde, sondern auch dann, wenn der Steuerfestsetzung ein Sachverhalt zugrunde gelegt worden ist, der sich als unrichtig erweist (gleicher Auffassung: Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 177 AO 1977 Anm. 3; v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 177 AO 1977 Anm. 5; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., 1983, § 177 AO 1977 Anm. 2; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 3. Aufl., 1986, § 177 Anm. 2; Frotscher, § 177 Anm. II 1 in Schwarz, Kommentar zur AO; Woerner/Grube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten (AO 1977), 7. Aufl., 1983, S.144, m.w.N.; Kulla, Deutsche Steuer- Zeitung - DStZ - 1980, 51; Macher, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1985, 33, 41, Ziff. III 6 c; anderer Auffassung: Kirsten/Schmider/Schürmann, Berichtigung von Steuerverwaltungsakten und die Verjährung nach der AO 1977, 2. Aufl., 1977, S.64; Förster in Koch, AO 1977, Kommentar, 2. Aufl., 1979, § 177 Rz. 10; Guth, Die steuerliche Betriebsprüfung, 1982, 298; Struller, DStZ/A 1979, 112).

a) Diese Auslegung des Begriffs "Rechtsfehler" läßt sich schon aus § 177 AO 1977 herleiten. Denn wenn § 177 Abs. 1 und Abs. 2 AO 1977 die Berichtigungen solcher Rechtsfehler vorsehen, die nicht Anlaß der Aufhebung oder Änderung sind, so wird dabei unterstellt, daß der aufzuhebende oder zu ändernde Steuerbescheid zwar noch in anderer Hinsicht, aber auch wegen neuer Tatsachen rechtsfehlerhaft sein kann (vgl. Woerner/Grube, a.a.O., S.145).

b) Die Entstehungsgeschichte und der Zweck des § 177 AO 1977 führen zu keiner abweichenden Beurteilung.

Seit Inkrafttreten der AO 1977 ist eine Wiederaufrollung des gesamten Steuerfalles bei Änderung eines Steuerbescheids wegen neuer Tatsachen nicht mehr möglich (vgl. BFH-Urteil vom 12. August 1981 I R 78/78, BFHE 134, 3, BStBl II 1982, 100). § 177 AO 1977 verpflichtet aber die Finanzbehörde zu einer eingeschränkten Wiederaufrollung des Steuerfalles (v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 177 AO 1977 Anm. 2; Tipke/Kruse, a. a. O., § 173 AO 1977 Tz. 14; Goutier, Die Änderung von Steuerverwaltungsakten nach der Abgabenordnung 1977, Europäische Hochschulschriften, 1983, § 10, I 2, S. 180). Demzufolge soll der Steuerpflichtige - soweit die Änderung reicht - alle Einwendungen erheben können, die er schon gegen den ursprünglichen Bescheid hätte erheben können. Dies entspricht dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 177 AO 1977, durch die eine größere Einzelfallgerechtigkeit erreicht werden soll. Das formale Element der Bestandskraft ist zurückgedrängt worden, um den objektiv zutreffenden materiellen Besteuerungsgrundlagen möglichst nahekommen zu können.

c) Dasselbe ergibt sich aus der Systematik. Dabei ist nach der ständigen Rechtsprechung des BFH davon auszugehen, daß ein in verschiedenen Vorschriften desselben Gesetzes verwendeter gleicher Begriff grundsätzlich nicht unterschiedlich auszulegen ist, es sei denn, das Gesetz enthielte entgegenstehende Vorschriften (vgl. BFH-Urteile vom 28. Januar 1976 IV R 209/74, BFHE 118, 26, BStBl II 1976, 288, und vom 23. September 1980 VI R 53/79, BFHE 131, 486, BStBl II 1981, 92); im Streitfall trifft dies nicht zu. Soweit andere Vorschriften als § 177 AO 1977 an den Begriff des Fehlers anknüpfen (vgl. §§ 125 bis 128 AO 1977), werden die Begriffe "fehlerhaft" und "rechtswidrig" inhaltsgleich verwendet (Tipke/Kruse, a. a. O., § 118 AO 1977 Tz. 23). Auch im Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, wenn geltendes Recht unrichtig angewendet oder wenn von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen wurde (s. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 30. August 1961 BVerwG IV C 86.58, BVerwGE 13, 28, und vom 30. Januar 1969 BVerwG III C 153.67, BVerwGE 31, 222).

d) Durch diese Auslegung wird entgegen der Auffassung der Revision die Vorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO 1977 nicht bedeutungslos. Denn hiernach ist eine weitergehende Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen möglich. Stehen die steuermindernden Tatsachen mit den steuererhöhenden Tatsachen in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang, so sind die steuermindernden Tatsachen nicht nur bis zur steuerlichen Auswirkung der steuererhöhenden, sondern uneingeschränkt zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 2. August 1983 VIII R 190/80, BFHE 139, 123, BStBl II 1984, 4). Demgegenüber sind Rechtsfehler i. S. des § 177 Abs. 1 AO 1977 zugunsten des Steuerpflichtigen nur zu berücksichtigen, "soweit" die Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen reicht.

e) Im übrigen ist § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 auch weiterhin entscheidend für den Umfang der Fehlerberichtigung i. S. von § 177 AO 1977. Trifft z. B. eine Änderungsvorschrift zugunsten des Steuerpflichtigen (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977) mit einer Änderungsvorschrift zusammen, die sich zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirkt, so bestimmt sich der Änderungsrahmen des § 177 AO 1977 auf der einen Seite nach dem Steuerbetrag, der sich bei ausschließlichem Eingreifen der zugunsten des Steuerpflichtigen wirkenden Änderungsvorschrift ergeben würde, und auf der anderen Seite nach dem Betrag, der sich bei ausschließlicher Anwendung der zuungunsten des Steuerpflichtigen wirkenden Änderungsvorschrift festsetzen ließe (Goutier, a. a. O., S. 179 f.). Die Vorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 hat demnach auch bei der hier vorgenommenen Auslegung des Begriffs "Rechtsfehler" in § 177 AO 1977 eine eigenständige Bedeutung.

3. Im Streitfall bestehen gegen die Anwendung des § 177 Abs. 1 AO 1977 auch insoweit keine Bedenken, als der höhere Jahresarbeitslohn des Klägers bzw. dessen höherer Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten im Wege der Rechtsfehlersaldierung u. a. um den Minderbetrag des Jahresarbeitslohns und um den Mehrbetrag der Werbungskosten und Sonderausgaben der Klägerin zu mindern ist.

Bei der Zusammenveranlagung sind die Einkünfte jedes Ehegatten getrennt zu ermitteln und anschließend zusammenzurechnen; außerhalb der Einkünfteermittlung werden die Ehegatten grundsätzlich gemeinsam als ein Steuerpflichtiger behandelt (ständige Rechtsprechung: vgl. BFH-Urteil vom 26. Juli 1983 VIII R 160/80, BFHE 139, 69, BStBl II 1983, 674, m. w. N.). Beide Ehegatten beziehen infolge der Zusammenrechnung ein einheitliches Einkommen (BFH-Urteil vom 14. Oktober 1966 IV 279/62, BFHE 87, 380, BStBl III 1967, 172). Nach der Höhe des Einkommens der Ehegatten richtet sich sodann gemäß § 32 a EStG zwangsläufig der Steuersatz und die Steuerschuld. Jede Veränderung der Besteuerungsgrundlagen wirkt sich somit unmittelbar auf die Höhe des Steuersatzes und der Steuerschuld jedes Ehegatten aus, ungeachtet des Umstandes, daß es sich bei dem zusammengefaßten Bescheid für Ehegatten um zwei Steuerbescheide handelt (vgl. hierzu: BFH-Urteil vom 26. März 1985 VIII R 225/83, BFHE 143, 491, BStBl II 1985, 603).

Im Streitfall führt der nachträglich bekanntgewordene höhere Jahresarbeitslohn bzw. der höhere Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers auch zu einer Änderung des Steuersatzes und der Steuerschuld zuungunsten der Klägerin. Es handelt sich in jedem Fall um eine Tatsache, die der Klägerin gegenüber i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 "zu einer höheren Steuer führt", gegen die sie auch in ihrer Person begründete Einwendungen vorbringen kann (vgl. § 177 Abs. 1 AO 1977). Liegen hiernach die Voraussetzungen für eine Änderung des Steuerbescheids zuungunsten der Klägerin vor, so sind, soweit die Änderung reicht, zugunsten der Klägerin solche Rechtsfehler zu berichtigen, die nicht Anlaß der Änderung sind.