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BFH-Urteil vom 11.7.1986 (VI R 163/82) BStBl. 1987 II S. 300

Überließ zur Zeit der Geltung des § 8 KapErhStG (vor dem 1. Januar 1984) eine Tochtergesellschaft ihren Arbeitnehmern verbilligt Aktien ihrer Obergesellschaft, so handelte es sich insoweit nicht um die Überlassung "eigener Aktien" der Tochtergesellschaft, weshalb die Steuerbegünstigung des § 8 KapErhStG nicht zum Zuge kommen konnte.

KapErhStG § 8; AktG § 71; EStG 1984 § 19a.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Aktiengesellschaft (AG). Sie ist im Mehrheitsbesitz der X-AG (Obergesellschaft). Die Klägerin und der Beklagte sowie Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) streiten im Rahmen der Anfechtung eines Lohnsteuer-Nachforderungsbescheids (Pauschalierungs-Steuerbescheid) um die Auslegung des Begriffs "eigene Aktien" i.S. des § 8 des Gesetzes über steuerrechtliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln und bei Überlassung von eigenen Aktien an Arbeitnehmer (KapErhStG).

Die Klägerin wendete ihren Arbeitnehmern im Mai 1980 Aktien der Obergesellschaft zum Vorzugskurs zu, allerdings mit einer Veräußerungssperrfrist von fünf Jahren, nachdem die Obergesellschaft diese eigenen Aktien an der Börse gekauft und an die Klägerin en bloc übergeben hatte. Die Klägerin belastete ihre Arbeitnehmer bei der nächsten Lohn- oder Gehaltszahlung in gewissem Umfang und überwies die Beträge an die Obergesellschaft.

Für die geldwerten Vorteile aus der Ausgabe der genannten Aktien führte die Klägerin keine Lohnsteuer ab.

Das FA forderte in seinem Pauschalierungs-Steuerbescheid vom 18. Juni 1980, berichtigt durch Verfügung vom 1. Juli 1980, Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer nach, weil es die Steuerfreiheit der Zuwendungen aus der Ausgabe der Aktien an die Arbeitnehmer der Klägerin verneinte. Die hiergegen erhobene Sprungklage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob den angefochtenen Bescheid auf. Es begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt:

Der Begriff "eigene Aktien" ergebe sich aus § 71 des Aktiengesetzes (AktG). Im Ergebnis seien "eigene Aktien" von einer AG ausgegebene Aktien. "Eigene Aktien" i.S. des § 8 KapErhStG seien solche, die die AG ausgegeben habe und die daher Beteiligungsrechte an dieser Gesellschaft verkörperten. Eine weitere einengende Auslegung in dem Sinn, daß die Aktien der Gesellschaft gehören müßten, erscheine nicht zulässig. Zwar müsse die Gesellschaft die gesetzliche Möglichkeit haben, den Arbeitnehmern das Eigentum an den Aktien zu verschaffen. Ein Weg zu diesem Ziel wäre der vorherige Eigentumserwerb durch die (Unter-)Gesellschaft. Das sei aber begrifflich nicht notwendig. Das Schrifttum nehme zum Teil an, daß eine Tochtergesellschaft ihren Arbeitnehmern dann keine "eigenen" Aktien überlasse, wenn es sich um Aktien der Obergesellschaft handele. Dem könne nicht gefolgt werden. Aus § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG ergebe sich, daß Arbeitnehmer eines verbundenen Unternehmens eigene Aktien der Obergesellschaft grundsätzlich als solche erwerben könnten. Deshalb sei der Erwerb der Untergesellschaft zum Zwecke des Angebots an ihre Arbeitnehmer als Erwerb eigener Aktien zu behandeln.

Mit der Revision macht das FA geltend: Hinter der Möglichkeit, den Arbeitnehmern Aktien der Gesellschaft anzubieten, stehe die sozialpolitische Zielrichtung der finanziellen Beteiligung der Arbeitnehmer am Arbeitgeberunternehmen mit zusätzlicher Interessenbindung der Arbeitnehmer zu "ihrem Unternehmen". Das zugrunde liegende Arbeitsverhältnis bilde folglich den Grund für die Maßnahme, wenn nur Arbeitnehmer der Gesellschaft und keine anderen Personen für den Erwerb der Aktien zu dem angegebenen Vorzugskurs in Betracht kommen. Es seien also aus dem Arbeitsverhältnis herrührende Überlegungen, die die Gesellschaft zur Überlassung der Aktien zu Vorzugsbedingungen an ihre Arbeitnehmer veranlassen müßten. Würden Aktien nicht den Arbeitnehmern der Gesellschaft, sondern Arbeitnehmern einer von ihr abhängigen oder in ihrem Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen angeboten, so sei mit Rücksicht auf den Wortlaut des Gesetzes eine Steuerbegünstigung unzulässig. Eine andere Beurteilung sei systematisch auch nicht für die Fälle gerechtfertigt, in denen innerhalb eines Konzerns für alle Arbeitnehmer gleiche Bedingungen geschaffen werden sollten; denn auch in diesem Fall seien die nachgeordneten Gesellschaften rechtlich selbständige Konzernuntergesellschaften.

Entscheidungsgründe

Auf die Revision des FA wird die Vorentscheidung aufgehoben. Die Sache wird an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

1. Nach § 8 Abs. 1 KapErhStG gehört der Vorteil, der darin besteht, daß Aktien Arbeitnehmern zu einem Vorzugskurs überlassen worden sind, nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, wenn eine AG ihren Arbeitnehmern eigene Aktien zu einem Vorzugskurs überläßt und gleichzeitig eine Veräußerungssperrfrist von fünf Jahren vereinbart wird. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind im Streitfall nicht erfüllt.

a) Entgegen der Auffassung des FG hat die Klägerin ihren Arbeitnehmern nicht "eigene Aktien" überlassen.

"Eigene Aktien" könnten nach dem allgemeinen Sprachgebrauch solche sein, die eine Gesellschaft innehat oder besitzt; sie könnten demnach auch ein Mitgliedschaftsrecht an einer anderen AG verbriefen. So ist der Begriff "eigene Aktien" im AktG aber nicht zu verstehen. Es handelt sich dabei vielmehr - wie das FG zunächst zutreffend ausgeführt hat - um von der AG selbst "ausgegebene" Aktien (ebenso Baumbach/Hueck, Aktiengesetz, 13. Aufl., § 71 Anm. 4).

Damit sind nicht lediglich Aktienrechte zu verstehen, die eine Gesellschaft innehat und weitergibt (ausgibt), vielmehr solche, die Mitgliedschaftsrechte an der eigenen AG enthalten. Nur für "eigene Aktien" in diesem Sinn ist der aktienrechtliche Grundsatz zu verstehen, daß eine AG nicht zugleich als Aktionär ihr eigenes Mitglied sein soll (vgl. Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Aktiengesetz, 1. Band, 1984, § 71 Anm. 11 ff.). Demnach sind "eigene Aktien" solche, die Mitgliedschaftsrechte an der eigenen AG beinhalten. Folglich sind Aktien, die ein Unternehmen innehat und die Aktienrechte an einem anderen rechtlich selbständigen Unternehmen verkörpern, keine "eigenen Aktien". Es muß sich vielmehr um Beteiligungsrechte der überlassenden Gesellschaft selbst handeln.

Im Streitfall hat die Klägerin indessen ihren Arbeitnehmern Aktien einer anderen AG - nämlich der Obergesellschaft - überlassen. Dies sind keine eigenen Aktien der Klägerin.

b) Der BFH hat im Urteil vom 6. Dezember 1968 VI R 220/67 (BFHE 94, 460, BStBl II 1969, 207) allerdings eine mittelbare Arbeitgeberstellung anerkannt, wenn eine Obergesellschaft den Arbeitnehmern der Untergesellschaft etwas zuwendete. Daraus wird gefolgert, daß die Aktien der Obergesellschaft auch eigene Aktien der Untergesellschaft sein könnten (so Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 6. November 1979 II 183/77, II 276/79, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1980, 133). Der Senat kann dem jedoch nicht zustimmen. Er hat neuerdings mit Urteil vom 21. Februar 1986 VI R 9/80 (BFHE 146, 253), mit welchem das vorbezeichnete FG-Urteil vom 6. November 1979 aufgehoben wurde, entschieden, daß durch ein Organverhältnis die rechtliche Selbständigkeit der verschiedenen Organgesellschaften nicht berührt wird. Er hat weiter zum Ausdruck gebracht, daß kein Bedürfnis dafür bestehe, für Zwecke der Haftung ein mittelbares Arbeitgeber-Arbeitnehmer - Verhältnis zwischen der Obergesellschaft und den Arbeitnehmern der Untergesellschaft zu konstruieren. Aus denselben Überlegungen, die den Senat zu jener Auffassung veranlaßten, gibt es auch keine zwingenden Gründe dafür, eigene Aktien einer Obergesellschaft auch als eigene Aktien der Untergesellschaft zu beurteilen.

c) Allerdings ist der aktienrechtliche Grundsatz des Verbots des Erwerbs eigener Aktien durch in § 71 Abs. 1 AktG im einzelnen aufgezählte Ausnahmen durchbrochen. Nach § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG, der insoweit auf einer Gesetzesnovelle von 1978 beruht, ist der Erwerb eigener Aktien seitens einer AG auch dann zulässig, wenn die Aktien den Arbeitnehmern eines mit der AG verbundenen Unternehmens zum Erwerb angeboten werden sollen. Deshalb durfte die Obergesellschaft des Streitfalles aktienrechtlich ihre eigenen Aktien auch zu dem Zweck erwerben, sie den Arbeitnehmern der mit ihr verbundenen Klägerin zu verschaffen. Dies besagt aber nichts über die Steuerbegünstigung des Erwerbs seitens der Arbeitnehmer der Klägerin.

Mit der Neufassung des § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG auf Grund des Durchführungsgesetzes zur zweiten gesellschaftsrechtlichen EWG-Richtlinie vom 13. Dezember 1978 (BGBl I 1978, 1959) hat der Gesetzgeber zwar die aktienrechtlichen Vorschriften über den Erwerb eigener Aktien geändert. Er hat gleichzeitig aber nicht, wie es im Schrifttum erwartet worden war (vgl. Müller, Die Wirtschaftsprüfung - WP - 1978, 569; Zilias/Lanfermann, WP 1980, 63), auch die steuerlichen Vorschriften des KapErhStG überarbeitet. Daraus folgt, daß aktienrechtlich zwar die Möglichkeit einer Beteiligung von Arbeitnehmern an der Obergesellschaft erleichtert werden sollte, daß jedoch keine Anhaltspunkte bestehen, wonach der Gesetzgeber hierfür steuerrechtliche Vergünstigungen habe einführen wollen. Hätte der Gesetzgeber zugleich mit der Änderung des § 71 AktG im Jahre 1978 auch die steuerlichen Vorschriften beim Erwerb eigener Aktien ändern wollen, so hätte er dies ausdrücklich tun müssen und können, zumal ihm die Problematik des Erwerbs "eigener Aktien" im Konzern bekannt gewesen sein mußte (vgl. hierzu Görbing, Deutsche Steuerzeitung 1962, 134; Giloy, Der Betriebs-Berater, 1976, 264).

d) Es wäre allerdings wünschenswert gewesen, innerhalb eines Konzerns alle Arbeitnehmer steuerrechtlich gleichzubehandeln. Der Gesetzgeber hat es früher aber offensichtlich in Kauf genommen, daß Arbeitnehmer von Aktiengesellschaften besser behandelt werden als solche von Unternehmen in anderer Rechtsform; denn die Beteiligung von Arbeitnehmern an Nicht-Aktiengesellschaften war früher steuerlich nicht ebenso begünstigt wie die Beteiligung von Arbeitnehmern an Aktiengesellschaften. Wenn der Gesetzgeber dies aber geregelt hat, hat er offensichtlich auch in Kauf genommen, daß Arbeitnehmer von Aktiengesellschaften, die ihren Arbeitnehmern nicht "eigene Aktien" anbieten, steuerlich schlechter behandelt werden als Arbeitnehmer von Aktiengesellschaften, die ihren Arbeitnehmern "eigene Aktien" überlassen. Diese rechtspolitisch vielleicht nicht wünschenswerten steuerlichen Unterschiede hat der Gesetzgeber bis zur Einführung des § 19a EStG zu Beginn des Jahres 1984 hingenommen. Da die Voraussetzungen für eine Lückenausfüllung im Wege der Rechtsfortbildung nicht vorliegen, steht es der Rechtsprechung nicht zu, solche Ergebnisse - zumal für die Vergangenheit - zu korrigieren.

e) Die Finanzverwaltung hat allerdings die Auffassung vertreten, daß § 8 KapErhStG dann anzuwenden sei, wenn eine hundertprozentige Tochtergesellschaft in der Rechtsform der Aktiengesellschaft ihren Arbeitnehmern Aktien der Muttergesellschaft überläßt (vgl. hierzu Knepper, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, 1985, 419, 441; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 8 KapErhStG Anm. 16). Der erkennende Senat braucht nicht darauf einzugehen, ob er dieser Auffassung folgen könnte. Denn diese Gestaltung ist vorliegend nicht gegeben, weil die Klägerin keine 100%ige Tochtergesellschaft ihrer Obergesellschaft ist.

Abgesehen davon bestand bei dieser Fallgruppe am geringsten ein Bedürfnis dafür, die steuerliche Begünstigung über den eigentlichen Wortlaut des § 8 KapErhStG hinaus auszudehnen (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O.), weil hier auch bei Ausgabe eigener Aktien der Tochtergesellschaft an ihre Arbeitnehmer die Steuerbegünstigung des § 8 KapErhStG in Betracht gekommen wäre.

2. Da die Vorinstanz von anderen rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist, mußte das FG-Urteil aufgehoben werden. Die Sache muß an das FG zurückverwiesen werden, damit dieses nunmehr unter Berücksichtigung der vorstehenden Auffassung den für die Zuwendung der Aktien maßgebenden Pauschalsteuersatz ermittelt. Soweit im ersten Rechtsgang der Zeitpunkt des Zuflusses des geldwerten Vorteils an die einzelnen Arbeitnehmer streitig war, verweist der Senat auf sein Urteil vom 16. November 1984 VI R 39/80 (BFHE 142, 475, BStBl II 1985, 136).