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BFH-Urteil vom 16.12.1986 (IX R 149/85) BStBl. 1987 II S. 338

Ein Antrag auf Verlängerung der Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung kann ausnahmsweise dann als Antrag auf Veranlagung i. S. von § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b EStG gewertet werden, wenn das FA bereits im vorangegangenen Veranlagungszeitraum eine Antragsveranlagung durchgeführt hatte und aufgrund dessen annehmen kann, daß auch im Streitjahr die materiellen Voraussetzungen hierfür vorliegen (Fortentwicklung des BFH-Urteils vom 3. Juni 1986 IX R 121/83, BFHE 148, 232).

EStG § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b, Satz 2.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezog in den Streitjahren 1974 bis 1977 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und aus Vermietung und Verpachtung aus der Eigennutzung des Anwesens ... sowie bis 1976 aus der Grundstücksgemeinschaft ... Seine Ehefrau war Hausfrau ohne eigene Einkünfte. Die Ehe ist 1977 geschieden worden.

In den Einkommensteuererklärungen für 1974 bis 1977, die beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) am 9. Juni 1980 (für 1974 und 1975) bzw. am 22. August 1980 (für 1976 und 1977) eingingen, sind die Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit sowie die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung wie folgt ausgewiesen:

 

1974

1975

1976

1977

 

-------

-------

-------

-------

 

DM

DM

DM

DM

Einnahmen

       

aus nicht-

       

selbständiger

       

Arbeit

43.627

43.902

44.372

48.177

         

Einkünfte aus

       

Vermietung

       

und Verpach-

       

tung (ein-

       

schließlich

       

Grundstücks-

       

gemeinschaft)

./. 29.250

./. 23.260

./. 27.174

./. 24.231

Für die Streitjahre sind keine den Pauschbetrag nach § 9 a Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) übersteigende Werbungskosten geltend gemacht und auch keine weiteren Einkünfte erklärt worden.

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) sind der Kläger und seine Ehefrau für 1970 bis 1973 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden, nachdem sie mit ihrer Einkommensteuererklärung 1970 erstmals einen Werbungskostenüberschuß bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend gemacht hatten.

Mit Schreiben vom 17. November 1980 hatte das FA eine Veranlagung auf Antrag gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG für die Veranlagungszeiträume 1974 bis 1977 abgelehnt, weil die Antragsfrist gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht gewahrt worden sei. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Der Kläger macht mit seiner Revision geltend, als Antrag gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG genüge jede Willensäußerung, aus der hervorgehe, daß ein Steuerpflichtiger veranlagt werden wolle. Ob sich ein Steuerpflichtiger hierüber im klaren sei, sei unerheblich. Eine ausdrückliche Bezeichnung als Antrag i. S. von § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG sei nicht erforderlich. Bereits der Einkommensteuererklärung 1970 seien negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu entnehmen gewesen. Das FA sei demnach in der Lage gewesen, seine Willensäußerungen als Antrag nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG zu erkennen.

Der Kläger beantragt, die Entscheidung des FG aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Einkommensteuerveranlagungen für 1974 bis 1977 durchzuführen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Der Senat teilt allerdings die Auffassung des FG, daß die Durchführung einer gesonderten und einheitlichen Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung - AO 1977 - (§ 215 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung - AO -) die Folgen einer Versäumung der Ausschlußfrist nach § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG 1974/1975/1977 für den Antrag auf Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG nicht mehr zu beseitigen vermag. Der Senat bezieht sich zur Begründung auf sein Urteil vom 8. April 1986 IX R 212/84 (BFHE 147, 122, BStBl II 1986, 790), das einen dem Streitfall vergleichbaren Sachverhalt betrifft. Hieraus folgt zugleich, daß die Verzögerung des Feststellungsverfahrens keinen Vertrauenstatbestand für den Kläger bezüglich der Frist des § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG geschaffen hat.

Der Senat stimmt mit dem FG auch darin überein, daß der Antrag auf Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b EStG nicht nur durch Abgabe der Einkommensteuererklärung gestellt werden kann (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. Juni 1986 IX R 121/83, BFHE 148, 232, und vom 22. Juli 1986 VIII R 12/85, BFHE 147, 343, BStBl II 1986, 900). Voraussetzung für die Annahme eines Antrags auf Veranlagung ist hiernach lediglich, daß das Begehren auf Durchführung der Veranlagung zur Berücksichtigung von Verlusten nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b EStG mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommt. Dies ist allerdings bei einem allgemein gehaltenen Antrag auf Verlängerung der Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung grundsätzlich nicht der Fall. Denn für das FA ist hieraus nur erkennbar, daß noch eine Steuererklärung eingereicht wird (BFH-Urteil in BFHE 148, 232).

Der Senat ist jedoch der Auffassung, daß ein Antrag auf Verlängerung der Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung dann als Antrag i. S. von § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b EStG angesehen werden kann, wenn das FA bereits im vorangegangenen Veranlagungszeitraum eine Antragsveranlagung durchgeführt hatte und aufgrund dessen annehmen kann, daß auch für den nachfolgenden streitigen Veranlagungszeitraum die materiellen Voraussetzungen für eine Antragsveranlagung gegeben sind. In einem solchen Fall muß es von dem Wunsch des Steuerpflichtigen auf Durchführung einer Veranlagung ausgehen. Dies trifft z. B. dann zu, wenn im Vorjahr wegen der Beanspruchung der Begünstigung nach § 7 b EStG eine Antragsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b EStG durchgeführt worden ist und die Voraussetzungen hierfür mutmaßlich auch für den streitigen Veranlagungszeitraum vorliegen.

Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht spruchreif, weil es das FG unterlassen hat, nähere Feststellungen dazu zu treffen, ob der Kläger Fristverlängerungsanträge zur Abgabe der Einkommensteuererklärungen noch innerhalb der nach § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG vorgesehenen Frist gestellt hat, ob das FA nach Aktenlage auf das Interesse des Klägers auf Veranlagung schließen konnte und schließlich, ob dieser Schluß für alle Streitjahre gerechtfertigt ist.