| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Urteil vom 12.11.1986 (I R 320/83) BStBl. 1987 II S. 381

1. Unter "Verwerten" i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist der Vorgang zu verstehen, durch den der Arbeitnehmer das Ergebnis seiner nichtselbständigen Arbeit seinem Arbeitgeber zuführt.

2. Unter Verwerten i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG kann nur ein Nutzbarmachen gemeint sein, das an einem Ort geschieht, der von dem der Ausübung verschieden sein kann.

EStG § 49 Abs. 1 Nr. 4.

Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 1984, 124)

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) unterhielt auf den Bahamas (Flughafen Nassau) als rechtlich unselbständige Niederlassung einen Stationsbetrieb, der 1978 mit fünf Arbeitnehmern besetzt war.

Zu den Aufgaben des Stationsbetriebs gehörte die Abfertigung der Flugzeuge und Passagiere. Hierzu zählte das Be- und Entladen der Flugzeuge, die Annahme, die Weiterleitung des Passagiergepäcks und der beförderten Post, die Betreuung der ein- und aussteigenden Passagiere, die Versorgung der Flugzeuge mit Betriebsstoff und die Bereitstellung von Speisen, Getränken und Zeitungen. Dem Stationsbetrieb oblag auch die Flug- und Streckenberatung sowie die Wartung der Flugzeuge im Rahmen bestimmter Wartungsstufen.

Aufgrund einer für die Jahre 1976 bis 1978 bei der Klägerin durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) gegen die Klägerin einen Haftungsbescheid nach § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG) über .... DM Lohnsteuer für die Zeit vom 1. Januar 1976 bis 31. Dezember 1978. Der Haftungsbetrag wurde anhand der in 1978 im Stationsbetrieb der Klägerin auf den Bahamas an die dort tätigen Arbeitnehmer gezahlten Arbeitslöhne berechnet.

Hiergegen erhob die Klägerin Sprungklage, der das FA zustimmte. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 124 veröffentlichten Urteil statt.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG.

Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat zu Recht eine Haftung der Klägerin für die angeforderte Lohnsteuer verneint. Es liegen der angeforderten Lohnsteuer keine inländischen Einkünfte zugrunde, weil die nichtselbständige Arbeit, die von den fünf auf den Bahamas stationierten Arbeitnehmern verrichtet wurde, nicht im Inland verwertet wurde (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG).

Unter "verwerten" i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist der Vorgang zu verstehen, durch den der Arbeitnehmer das Ergebnis seiner nichtselbständigen Arbeit seinem Arbeitgeber zuführt. Dies ergibt sich aus der grammatischen Auslegung und dem Gesamtzusammenhang, in dem das Wort "verwerten" steht.

1. Das Wort "verwerten" kann sich auf einen Gegenstand in dem Sinne beziehen, daß der Wert, der in ihm steckt, herausgeholt wird und zunutze gemacht wird (vgl. Deutsches Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm, 12. Bd., I. Abteilung 1956, S. 2233). Als Beispiel für die Verwendung des Wortes "verwerten" in der Gesetzessprache sei auf § 15 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) hingewiesen, wonach der Urheber das ausschließliche Recht hat, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten (d.h., zu vervielfältigen, zu verbreiten und auszustellen). Der Nutzen der geleisteten Arbeit kann dort gezogen werden, wo die Arbeit ausgeübt wird. Es ist jedoch auch denkbar, den Nutzen an einem anderen Ort zu ziehen, vor allem bei Tätigkeiten, durch die ein geistiges Produkt hervorgebracht wird.

2. Unter Verwerten i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG kann nur ein Nutzbarmachen gemeint sein, das an einem Ort geschieht, der von dem der Ausübung verschieden sein kann. Wenn der Gesetzgeber in § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG für das Vorliegen inländischer Einkünfte sowohl an die Ausübung als auch an die Verwertung der nichtselbständigen Arbeit anknüpft, kann sich der Begriff der Verwertung nur auf diejenigen Fälle beziehen, in denen die nichtselbständige Arbeit an einem Ort verwertet wird, der nicht mit dem der Ausübung übereinstimmt. Für die Fälle, in denen die nichtselbständige Arbeit nur am Ort der Ausübung verwertet werden kann, hätte es des Anknüpfungsmerkmals der Verwertung neben dem der Ausübung nicht bedurft.

3. Zwar läßt der Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG durch den Gebrauch des Passivs ("verwertet wird oder worden ist") offen, wen die Vorschrift als Verwerter voraussetzt. Der Gesamtzusammenhang, in dem die Vorschrift steht, ergibt jedoch, daß nur der Arbeitnehmer als Verwerter in Betracht kommt.

Nach § 2 Abs. 1 EStG unterliegen der Einkommensteuer die dort bezeichneten Einkünfte, die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht oder als inländische Einkünfte während seiner beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt. Dies spricht dafür, daß im Zweifel die Tatbestandsmerkmale, an die das Gesetz die Steuerpflicht knüpft (§ 3 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG - = § 38 der Abgabenordnung - AO 1977 -), von demjenigen zu verwirklichen sind, der als Steuerpflichtiger in Betracht kommt.

In § 49 Abs. 1 EStG werden, wie die Bezugnahme auf § 1 Abs. 3 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung zeigt, diejenigen Einkünfte einer natürlichen Person aufgezählt, die bei ihr zur beschränkten Einkommensteuerpflicht führen, wenn sie im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Der Katalog des § 49 Abs. 1 EStG enthält zum überwiegenden Teil keine Fälle, in denen die Steuerpflicht von einem Dritten in dem Sinne abhängig gemacht wird, daß dessen Verhalten zu einem Merkmal des Tatbestandes im engeren Sinne rechnet. Wenn § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG auf Verhältnisse eines Dritten (Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland) abstellt, handelt es sich um allgemeine Anknüpfungsmerkmale, die nicht zu dem Tatbestand im engeren Sinne zählen, von dem die Steuerpflicht abhängt.

Soweit § 49 Abs. 1 EStG, nämlich in § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG, auf das Tatbestandsmerkmal "verwerten" neben dem der "Ausübung" abstellt, wird es in dem Sinne verstanden, daß es auf die Verwertung durch denjenigen ankommt, der als Steuerpflichtiger in Betracht kommt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Dezember 1970 I R 137/68, BFHE 101, 73, BStBl II 1971, 200; vom 13. Oktober 1976 I R 261/70, BFHE 120, 225, BStBl II 1977, 76). Das BFH-Urteil vom 23. Mai 1973 I R 163/71 (BFHE 111, 29, BStBl II 1974, 287) betrifft den Begriff der Verwertung in § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG, einer Vorschrift, nach der nicht auch die Ausübung maßgebend ist.

In § 40 Abs. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) 1971 war ausgeführt, daß die nichtselbständige Arbeit im Inland verwertet wird, wenn ihr wirtschaftlicher Erfolg der inländischen Volkswirtschaft unmittelbar zu dienen bestimmt ist. Der Senat muß darauf nicht eingehen; denn die Vorschrift wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1975 aufgehoben (vgl. § 1 Nr. 10 der Änderungsverordnung - ÄndVO - vom 12. Dezember 1974, BGBl I 1974, 3462). Zwar wurde in der Begründung zum EStG 1935 der Begriff der Verwertung in derselben Weise interpretiert wie in § 40 Abs. 2 LStDV 1971 (vgl. Begründung zum EStG 1934, RStBl 1935, 33, 59). Dies steht jedoch einer davon abweichenden Auslegung einer Gesetzesvorschrift nicht entgegen. Maßgebend ist der in ihr zum Ausdruck kommende objektive Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den dieser hineingestellt ist.

Der Senat vertritt damit eine andere Auffassung als die, die in den Lohnsteuer-Richtlinien - LStR - (Abschn. 92 Abs. 2 Satz 2) zum Ausdruck kommt. Insbesondere kann das Tatbestandsmerkmal "verwerten im Inland" nicht davon abhängen, ob der Arbeitslohn zu Lasten eines inländischen Arbeitgebers gezahlt wird. Das Gesetz stellt in § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG für bestimmte Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit darauf ab, ob sie aus inländischen öffentlichen Kassen gewährt werden. Daraus ist zu entnehmen, daß es bei anderen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit nicht auf den Zahlungsvorgang ankommen kann.

Der Senat gibt seine dem Urteil vom 6. April 1977 I R 252/74 (BFHE 122, 94, BStBl II 1977, 575) zugrunde liegende Auffassung auf. Das Urteil hatte einen Streitfall zum Gegenstand, auf den die inzwischen aufgehobene Vorschrift des § 40 Abs. 2 LStDV 1971 zur Anwendung kam. Das Urteil vom 15. September 1971 I R 202/67 (BFHE 103, 557, BStBl II 1972, 281) betraf die Mitwirkung eines Filmschauspielers an einem Film, der teils im Inland, teils im Ausland gedreht wurde. Das Urteil läßt für den Ort der Verwertung nicht entscheidend sein, wo der Film aufgeführt wurde, sondern stellt darauf ab, wo der Film unter Mitwirkung des Schauspielers entstand. Dies entspricht den oben dargestellten Grundsätzen. Der Schauspieler überträgt dem Hersteller vertraglich das ausschließliche Recht, das Filmwerk auf alle bekannten Nutzungsarten zu nutzen (§ 89 UrhG). Diese Leistung wird in der Regel dort erbracht, wo der Film hergestellt wird. Auf den Ort der Aufführung des Filmes kam es nicht an, weil es sich dabei um die Verwertung eines dem Filmhersteller zustehenden Rechts (§ 94 UrhG) handelt, das dieser durch die Verwertung der Werke der Mitwirkenden (§ 89 UrhG) geschaffen hat.

Nach dieser Auslegung des Wortes "verwerten" in § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG wurde die nichtselbständige Arbeit der fünf auf den Bahamas stationierten Arbeitnehmer der Klägerin nicht im Inland verwertet. Die Arbeitnehmer konnten der Klägerin das Ergebnis ihrer nichtselbständigen Arbeit nur auf den Bahamas zuführen. Dies ergibt sich aus der Art der zu erbringenden Tätigkeiten (Be- und Entladen der Flugzeuge, Annahme und Weiterleitung des Passagiergepäcks und der beförderten Post, Betreuung der aus- und einsteigenden Passagiere, Versorgung der Flugzeuge mit Treibstoff, Bereitstellung von Speisen, Getränken und Zeitungen).