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BFH-Beschluß vom 29.10.1986 (I B 28/86) BStBl. 1987 II S. 440

1. Die Steuerfahndung kann im Zusammenhang mit Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten sowohl im Steuerstrafverfahren als auch im Besteuerungsverfahren tätig werden. Maßgebend ist, in welcher Funktion und in welchem Verfahren die Finanzbehörden nach außen objektiv und eindeutig erkennbar tätig geworden sind oder tätig werden wollen.

2. Für Angriffe gegen ein Auskunftsersuchen, das der BMF im Besteuerungsverfahren ins europäische Ausland weiterleiten will, ist der Finanzrechtsweg gegeben.

FGO § 33; AO 1977 §§ 117, 85, 88, 208, 393; DBA-Großbritannien Art. XIX; EG-Amtshilfe-Gesetz § 1 Abs. 3.

Sachverhalt

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine KG, exportiert hauptsächlich ...ersatzteile nach ..... Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist ihr persönlich haftender Gesellschafter und führt mehrere Unternehmen, u. a. die Antragstellerin. ...

Das zuständige Finanzamt (FA) begann am ... 1981 bei der Antragstellerin mit einer Außenprüfung, die u. a. die gesonderten Feststellungen der Einkünfte 1972 bis 1979 betraf. Am ... legten die beiden Prüfer schriftlich nieder, daß u. a. wegen der Provisionen an ... der Verdacht der Steuerhinterziehung bestehe. ... Am ... 1981 übernahm die Staatsanwaltschaft ... das Verfahren.

... Die Prüfer hielten nach einer Rücksprache mit der Oberfinanzdirektion (OFD) ... ein Auskunftsersuchen an die zuständigen Finanzbehörden in Großbritannien für notwendig. Das Auskunftsersuchen des FA ... stützt sich auf Art. XIX des Abkommens vom 26. November 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung in der Fassung des Revisionsprotokolls vom 23. März 1970 (DBA-Großbritannien). Die Finanzbehörde ... hat das Auskunftsersuchen ... 1982 dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (dem Bundesminister der Finanzen - BMF -) mit der Bitte um Weiterleitung an die zuständige britische Finanzbehörde vorgelegt. Es ist bisher noch nicht weitergeleitet worden.

... Ein Hauptsacheverfahren ist nicht abhängig.

Die Antragsteller beantragten im März 1985 bei dem Finanzgericht (FG) Hamburg eine einstweilige Anordnung gegen den BMF, mit der diesem die Weiterleitung des Auskunftsersuchens untersagt werden sollte. ...

Das FG hat den Antrag abgelehnt. Es hielt den Finanzrechtsweg nicht für gegeben und eine Verweisung des Rechtsstreits nicht für zulässig. Eine entsprechende Entscheidung des FG in einer gleichliegenden Sache ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 508 veröffentlicht.

...

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde der Antragsteller ist zulässig, aber unbegründet. Die Entscheidung des FG war aus anderen als den vom FG angeführten Gründen aufrechtzuerhalten.

1. Für den Rechtsstreit zwischen den Beteiligten ist der Finanzrechtsweg gegeben (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). § 33 Abs. 2 Satz 2 FGO ist nicht anwendbar.

a) Der Senat stimmt den Ausgangserwägungen des FG zu, daß sich der Rechtsweg für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung danach richtet, welches Gericht im Verfahren der Hauptsache zuständig ist bzw. zuständig wäre. Der im Streitfall in Betracht kommende gerichtliche Rechtsbehelf in der Hauptsache wäre eine sonstige Leistungsklage im engeren Sinne (Unterlassungsklage; siehe dazu Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 40 FGO Tz. 5). Dabei braucht der Senat auf die in der Literatur umstrittene Frage, ob die Erteilung einer Auskunft im Rahmen des Amtshilfeverkehrs ein Verwaltungsakt ist, nicht näher einzugehen (bejahend: Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 117 AO 1977 Anm. 213; Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 26 Rdnr. 112; verneinend: Tipke/Kruse, a. a. O., § 117 AO 1977 Tz. 26; Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 117 Anm. 23; Förster in Koch, Abgabenordnung, § 117 Anm. 29). Eine Entscheidung über die Weiterleitung des Auskunftsersuchens durch den BMF ist im Streitfall noch nicht getroffen.

Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist der Finanzrechtsweg in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten eröffnet. Der Begriff der Abgabenangelegenheit wird in § 33 Abs. 2 Satz 1 FGO definiert. Dagegen finden nach § 33 Abs. 2 Satz 2 FGO die Vorschriften des Abs. 1 auf Straf- und Bußgeldverfahren keine Anwendung. Das bedeutet, daß für Straf- und Bußgeldverfahren der Finanzrechtsweg auch dann nicht gegeben ist, wenn diese Verfahren öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Abgabenangelegenheiten betreffen. Entsprechend dieser gesetzlichen Regelung ist maßgebend für die Eröffnung des Finanzrechtsweges, ob sich das Begehren der Antragsteller gegen steuerliche oder aber gegen steuerstrafrechtliche Maßnahmen der Finanzbehörden richtet. Entscheidend ist damit, in welcher Funktion und in welchem Verfahren die Finanzbehörden - nach außen objektiv und eindeutig erkennbar - tätig geworden sind und tätig werden wollen.

b) Der Senat ist mit den Beteiligten der Auffassung, daß das Auskunftsersuchen im Besteuerungsverfahren erstellt worden ist und in diesem Verfahren weitergeleitet werden soll, nicht aber in einem Steuerstrafverfahren. Die davon abweichenden Erwägungen des FG vermag der Senat aufgrund des gegebenen Sachverhalts nicht zu teilen. Das Auskunftsersuchen im Streitfall ist Abgabenangelegenheit im Sinne des § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 FGO.

Rechtsgrundlage des Auskunftsersuchens sind Art. XIX DBA- Großbritannien, die §§ 117, 85 und 88 AO 1977 sowie das am 20. Dezember 1985 in Kraft getretene und damit wegen der noch nicht erteilten Auskunft im Streitfall anwendbare Gesetz zur Durchführung der EG-Richtlinie über die gegenseitige Amtshilfe im Bereich der direkten Steuern und der Mehrwertsteuer - EG- Amtshilfe-Gesetz - (Art. 2 und 25 des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19. Dezember 1985, BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735). Im Verhältnis zu einem EG-Mitgliedstaat (hier: Großbritannien) kann das Auskunftsersuchen sowohl auf das DBA- Großbritannien als auch auf das EG-Amtshilfe-Gesetz gestützt werden (§ 1 Abs. 3 EG-Amtshilfe-Gesetz). Diese Vorschriften betreffen grundsätzlich Ermittlungen und Auskünfte im Besteuerungsverfahren, nicht aber solche im Steuerstrafverfahren.

Im Streitfall spricht auch der von den Finanzbehörden gewählte Weg des Auskunftsersuchens für eine Maßnahme im Besteuerungsverfahren. Das FA ... hat das Auskunftsersuchen über die OFD ... an die Finanzbehörde ... geleitet und diese das Ersuchen "mit der Bitte um Weiterleitung an die zuständige britische Finanzbehörde" an den BMF gesandt. Es ist dementsprechend dem BMF weder durch die Staatsanwaltschaft, noch über die Staatsanwaltschaft, noch auf deren Weisung zugegangen. Aus dem Übersendungsschreiben der Finanzbehörde ... geht hervor, daß die Finanzbehörden in ... mit dem Auskunftsersuchen die Ermittlung des Sachverhalts im Besteuerungsverfahren fördern wollen und in dem Ersuchen das einzig erfolgversprechende Mittel sehen, dies zu erreichen. Auch nach dem Vorbringen des BMF in diesem Beschwerdeverfahren hat die Finanzbehörde ... "ein Auskunftsersuchen im Besteuerungsverfahren" stellen wollen und gestellt.

Demgegenüber ist es - entgegen der Ansicht des FG - unbeachtlich, daß das Ersuchen von dem "Finanzamt ... - Steuerfahndungsstelle -" ausgeht, gegen den Antragsteller der Verdacht der Steuerhinterziehung besteht und gegen ihn ein Strafverfahren eingeleitet worden ist. Nach § 208 Abs. 1 AO 1977 ist der Steuerfahndung eine Doppelfunktion zugewiesen: eine steuerliche (Nrn. 2 und 3) und eine steuerstrafrechtliche (Nr. 1). Das wird bestätigt durch die Ergebnisse der Beratungen des Finanzausschusses (BTDrucks VII/4292 Seite 36). Aus der gesetzlichen Regelung folgt, daß der Steuerfahndung neben der Erforschung von Steuerstraftaten und Ordnungswidrigkeiten auch die Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen - und zwar im Zusammenhang mit Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten - übertragen worden ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß § 393 AO 1977 das Verhältnis des Steuerstrafverfahrens zum Besteuerungsverfahren ausdrücklich regelt. Nach dem Zusammenhang dieser Vorschrift mit § 208 Abs. 1 AO 1977 (vgl. Abs. 1 Satz 3 letzter Halbsatz) kann die Steuerfahndung sowohl im Steuerstrafverfahren als auch im Besteuerungsverfahren tätig werden (vgl. im einzelnen Tipke/Kruse, a. a. O., § 208 AO 1977 Tz. 2 mit weiteren Nachweisen). Sie arbeitet damit nicht stets und ausschließlich als Strafverfolgungsbehörde mit den Aufgaben im Sinne des § 208 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 (h. M.; a. A. soweit ersichtlich nur Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 208 AO 1977 Anm. 41 ff., 98 ff.). Dementsprechend können in einer Abgabenangelegenheit Verhältnisse gegeben sein, aufgrund derer - wie im Streitfall bezüglich des Auskunftsersuchens - die Steuerfahndung ausschließlich im Besteuerungsverfahren tätig wird.

Schließlich spricht das von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht ... in dem Strafverfahren beantragte und ihr bewilligte Rechtshilfeersuchen an ... gegen die Annahme, das hier streitige Auskunftsersuchen sei eine Maßnahme der Steuerfahndung im strafrechtlichen Bereich.

c) Die Auffassung des FG wird auch nicht durch das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20. April 1983 VII R 2/82 (BFHE 138, 164, BStBl II 1983, 482) gestützt. Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt weicht entscheidend von dem des Streitfalles ab. In jenem Falle war durch eine Steuerfahndungsstelle ein Steuerstrafverfahren gegen einen Steuerpflichtigen eingeleitet worden und in diesem Verfahren von dem zuständigen Amtsgericht im Zuge der Verfolgung der Steuerstraftat antragsgemäß Durchsuchungsbeschlüsse erlassen worden. Die Steuerfahndungsstelle handelte damit - anders als im Streitfall - ausschließlich als Strafverfolgungsbehörde in einem Strafverfahren, nicht aber in einem Besteuerungsverfahren. Im übrigen weist der VII. Senat in seiner Entscheidung (unter 1. zweitletzter Absatz) auf die Möglichkeit hin, "daß § 208 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 der Steuerfahndung Aufgaben bei der Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen zuweist", läßt aber die Entscheidung der damit zusammenhängenden Frage der Rechtswegzuweisung - weil nicht entscheidungserheblich - ausdrücklich offen.

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