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BFH-Beschluß vom 9.4.1987 (V B 111/86) BStBl. 1987 II S. 441

1. Wird einem Verfahrensbeteiligten eine Entscheidung eines FG an zwei aufeinanderfolgenden Tagen wiederholt zugestellt, so beginnt die Rechtsmittelfrist mit der ersten Zustellung zu laufen, wenn der Verfahrensbeteiligte mit dem ersten Empfangsbekenntnis zum Ausdruck gebracht hat, daß er von dem Zugang Kenntnis genommen hat und daß er bereit ist, die Zustellung entgegenzunehmen.

2. Versäumt das FA die Frist für die Einlegung der Beschwerde, so kann ihm Wiedereinsetzung nicht gewährt werden, wenn durch organisatorische Maßnahmen nicht eindeutig sichergestellt worden war, wer für die Kontrolle über die Einhaltung der Frist verantwortlich war (Anschluß an BFH-Beschluß vom 7. Dezember 1982 VIII R 77/79, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229).

VwZG § 5 Abs. 2; FGO § 56.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin), eine GmbH, begehrte beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 1979 und 1980. Das FG gab dem Antrag mit Beschluß vom 30. September 1986 statt; im Beschluß ließ es die Beschwerde zu.

Der Beschluß vom 30. September 1986 wurde dem Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt - FA -) gemäß § 5 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) zugestellt. Das FA bestätigte auf einem mit Datum und Unterschrift versehenen Empfangsbekenntnis, daß es den Beschluß am "7.10.86" empfangen habe. In den FG-Akten befindet sich ein ansonsten gleichlautendes Empfangsbekenntnis, wonach das FA den Beschluß vom 30. September 1986 (auch) am "8.10.86" empfangen habe. Nachdem das FG erkannte, daß es den Beschluß nicht auch dem Prozeßbevollmächtigten der Antragstellerin zugestellt hatte, stellte es dem Prozeßbevollmächtigten den Beschluß später ebenfalls zu.

Mit einem Schriftsatz vom 20. Oktober 1986, der beim FG am 22. Oktober 1986, einem Mittwoch, eingegangen ist, legte das FA Beschwerde ein, der das FG nicht abgeholfen hat. In einem weiteren Schriftsatz, der am 7. November 1986 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen ist, beantragte das FA Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Es führte aus, der FG-Beschluß sei ihm "am 7.10. bzw. 8.10.1986" zugegangen. Bei einer wirksamen Bekanntgabe am 7. Oktober 1986 sei die Beschwerdefrist am 21. Oktober 1986 abgelaufen. Die Beschwerdeschrift sei am 17. Oktober 1986 gefertigt worden. Die Poststelle habe die Beschwerdeschrift mit Stempel vom 20. Oktober 1986 ausgefertigt und durch Einkuvertieren zum postalischen Versand für diesen Tag vorbereitet. Das Kuvert sei dann jedoch mit der nächstmöglichen Kurierpost vom 21. Oktober 1986 zur Oberfinanzdirektion (OFD) und von dort am 22. Oktober 1986 zum FG befördert worden. Der Versand mit der Kurierpost müsse auf einem Büroversehen beruhen, da er in Widerspruch zur Ausfertigung vom 20. Oktober 1986 stehe. Ein derartiges Versehen sei in einem arbeitsteiligen Büro erklärbar durch Arbeitsunterbrechungen, nach denen der oder ein anderer Bearbeiter den Inhalt des Kuverts nicht kennt oder nicht mehr im Gedächtnis hat und daher den im Verkehr mit der OFD und dem FG üblichen Kurierversand statt des im konkreten Fall vorgesehenen Postversandes verwirkliche. Die Folgen eines derartigen kaum auszuschließenden Versehens könnten ihm, dem FA, nicht zur Last gelegt werden.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurückzuweisen.

Die Antragstellerin hält die Beschwerde für unzulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht zulässig.

1. Der Beschluß des FG wurde dem FA ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 7. Oktober 1986 zugestellt. Zwar ist er dem FA am folgenden Tag nochmals zugestellt worden. Bereits die Zustellung vom 7. Oktober 1986 hat aber die Beschwerdefrist in Lauf gesetzt. Denn das FA hat mit dem Empfangsbekenntnis vom 7. Oktober 1986 zum Ausdruck gebracht, daß es von dem Zugang Kenntnis genommen hat; es hat auch seine Bereitschaft bekundet, die Zustellung am 7. Oktober 1986 entgegenzunehmen (vgl. hierzu Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 53, § 5 VwZG Anm. 3; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 5 VwZG Tz. 4).

Deshalb ist die zweiwöchige Beschwerdefrist (§ 129 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) am Dienstag, dem 21. Oktober 1986, abgelaufen. Da die Beschwerde beim FG erst am 22. Oktober 1986 eingegangen ist, ist sie verspätet eingelegt.

2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt im Streitfall nicht in Betracht.

Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm Wiedereinsetzung zu gewähren. Der Antrag hierfür ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 1 und 2 FGO). Es beruht auf einem Verschulden des FA, daß die Beschwerde nicht rechtzeitig eingegangen ist.

a) Dem FA wäre allerdings Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn es aufgrund der erneuten Zustellung am 8. Oktober 1986 hätte annehmen können, erst an diesem Tag beginne die zweiwöchige Beschwerdefrist zu laufen. Das FA befand sich insoweit aber nicht in einem Irrtum; denn es beruft sich selbst nicht darauf, daß die Beschwerdefrist erst zwei Wochen nach der zweiten Zustellung abgelaufen sei. Abgesehen davon, hat der BFH - wenn auch in anderem Zusammenhang - wiederholt entschieden, ein Schriftstück sei dem FA gemäß § 5 Abs. 2 VwZG an dem Tag zugestellt, an dem es "erstmals" in die Hände eines zeichnungsberechtigten Beamten gelangt sei (vgl. BFH-Beschluß vom 30. März 1978 IV R 141/73, BFHE 125, 18, BStBl II 1978, 441 mit weiteren Nachweisen).

b) Soweit sich das FA auf ein kaum auszuschließendes Versehen bei der Postversendung beruft, kommt eine Wiedereinsetzung ebenfalls nicht in Betracht.

Es ist im Streitfall nicht erkennbar, wann das FA Kenntnis von dem verspäteten Beschwerdeeingang erhalten hat. Es läßt sich deshalb nicht feststellen, wann das "Hindernis" im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO weggefallen und ob die Antragsfrist dieser Vorschrift eingehalten ist. Dies braucht aber ebensowenig vertieft zu werden wie die Frage, ob das FA seine Behauptungen ausreichend glaubhaft gemacht hat (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Denn die vom FA für die Verspätung des Beschwerdeeingangs vorgetragenen Gründe schließen ein Verschulden des FA nicht aus.

Wie ein Prozeßbevollmächtigter ist auch der Vorsteher eines FA verpflichtet, ein Fristenkontrollbuch zu führen, in dem u. a. die Frist für Rechtsmittel zu vermerken ist. Eine Fristnotierung darf frühestens dann gelöscht werden, wenn die Rechtsmittelschrift unterzeichnet und postfertig gemacht worden ist. Die Erledigung des fristwahrenden Schriftsatzes muß bis zu seiner Absendung (Ausgangskontrolle) überwacht werden (vgl. BFH-Beschluß vom 7. Dezember 1982 VIII R 77/79, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229 mit weiteren Nachweisen). Aus der vorbezeichneten Entscheidung ergibt sich weiter, daß Schriftsätze nicht nur rechtzeitig abgesandt werden müssen; vielmehr muß die Absendung auch in einem besonderen Vorgang kontrolliert werden. Die mit der Versendung der Post beauftragte Poststelle kann diese Kontrolle regelmäßig nicht selbst - z. B. durch Vermerk in einem Postausgangsbuch - vornehmen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ein zur Versendung bestimmtes Schriftstück sie gar nicht erreicht. Die Kontrolle muß daher durch jemanden erfolgen, der den gesamten Vorgang überwacht, z. B. durch denjenigen, der den Fristenkalender führt, oder zumindest durch jemanden, der den Vorgang zuletzt bearbeitet hat oder an der Bearbeitung beteiligt war (vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom 19. Dezember 1984 I R 7/82, BFHE 143, 200, BStBl II 1985, 485, letzter Absatz).

Nach der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags war durch organisatorische Maßnahmen beim FA nicht sichergestellt, daß die Überwachung der Einhaltung der Beschwerdefrist unter normalen Umständen gewährleistet war. Es ist nicht erkennbar, ob und unter welchen Voraussetzungen die Einhaltung der Fristen in einem Fristenkalender vermerkt oder die Frist gelöscht worden ist. Das FA trägt insoweit vielmehr lediglich vor, daß die Poststelle die Beschwerde ausgefertigt und durch Einkuvertieren für den postalischen Versand am 20. Oktober 1986 vorbereitet habe. Das ist aber nicht ausreichend. Aus der Darstellung des FA ergibt sich, daß mit dem Aktenvermerk nicht die Aufgabe zur Post, sondern die Abfertigung in der Poststelle vermerkt wurde. Im übrigen muß, wenn eine Ausgangskontrolle der Fristsache - wie bei Rechtsanwälten üblich (d. h. durch Ausgangsvermerk im Fristenkontrollbuch) - nicht vorgesehen ist, zumindest die mit der Absendung beauftragte Poststelle auf die Frist und die Wichtigkeit des Schriftstückes hingewiesen werden (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229). Es wäre also erforderlich gewesen, die Poststelle dahingehend zu instruieren, daß ein Schriftstück, das ihr erst am letzten Tag vor Fristablauf vorliegt, das aber fristwahrend am folgenden Tag beim FG eingehen muß, besonders sorgfältig und umgehend direkt versandt wird. Auch für diese organisatorischen Notwendigkeiten hat das FA nichts vorgetragen.