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BFH-Urteil vom 18.12.1986 (I R 293/82) BStBl. 1987 II S. 446

1. Ist unklar, ob ein Geschäftsvorfall als laufender einzuordnen ist, so kann die lange Laufzeit einer Kreditaufnahme Anzeichen dafür sein, daß der Kredit das Betriebskapital nicht nur vorübergehend verstärken soll und damit Dauerschuld ist.

2. Besteht das sachliche Substrat der eigentlichen Geschäftstätigkeit einer Kapitalgesellschaft in dem Erwerb und dem Halten stiller Beteiligungen auf die Dauer von zehn Jahren, so hat der Erwerb von seiner Zweckbestimmung her keine Umlauf-, sondern Anlagefunktion.

GewStG § 8 Nr. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, wurde im Jahre 1972 gegründet. Gegenstand und Zweck ihres Unternehmens waren die Beteiligung an kleineren und mittleren Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft zur Erhaltung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und Verbreiterung der Eigenkapitalbasis dieser Betriebe.

Die Klägerin erhielt von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KW) nach Maßgabe der vom Bundesminister für Wirtschaft (BMWi) aufgestellten Grundsätze für die Förderung der Beteiligungsfinanzierung bei kleinen und mittleren Unternehmen vom 4. September 1970 sog. ERP-Darlehen zu folgenden Konditionen: Zinssatz 5 v.H.; Auszahlung 100 v.H.; Laufzeit bis zu zehn Jahren. Diese Darlehen benutzte sie zur Refinanzierung von stillen Beteiligungen an kleineren und mittleren Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft (Beteiligungsnehmer), wobei sich entsprechend den o. g. Grundsätzen der Kredithöchstbetrag je Beteiligung auf 75 v.H. der Beteiligungssumme belief. Die Beteiligungsnehmer zahlten als Gewinnanteil einen Betrag, der einer Verzinsung der stillen Einlage von 9. v.H. entsprach. Außerdem hatten sie eine einmalige Bearbeitungsgebühr in Höhe von 0,5 v.H. des Beteiligungsbetrages an die Klägerin zu entrichten.

Am 31. Dezember 1973 besaß die Klägerin 16 Beteiligungen und am 31. Dezember 1974 41 Beteiligungen. Als Verbindlichkeiten "mit einer vereinbarten Laufzeit oder Kündigungsfrist von vier Jahren oder länger" waren in der Bilanz der Klägerin zum 31. Dezember 1973 rd. 2 Mio. DM und in der zum 31. Dezember 1974 rd. 5 Mio. DM ausgewiesen.

Die Klägerin erklärte in ihrer Gewerbesteuererklärung 1974 Dauerschulden in Höhe von rd. 4 Mio. DM und Dauerschuldzinsen in Höhe von rd. 300.000 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte in dem Gewerbesteuermeßbescheid 1974 Dauerschulden und Dauerschuldzinsen entsprechend der Steuererklärung an.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 293 veröffentlichten Urteil ab.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 8 Nr. 1 und 12 Abs. 2 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes in der Fassung vom 15. August 1974 - GewStG 1974 - (BGBl I 1974, 1971, BStBl I 1974, 659).

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung den angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheid 1974 zu ändern und den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag mit der Maßgabe neu festzusetzen, daß Dauerschuldzinsen und Dauerschulden nicht in die Bemessungsgrundlage miteinbezogen werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 8 Nr. 1 GewStG 1974 werden Zinsen für Schulden, die wirtschaftlich mit der Gründung oder dem Erwerb des Betriebs (Teilbetriebs) oder eines Anteils am Betrieb oder mit einer Erweiterung oder Verbesserung des Betriebs zusammenhängen oder der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen, dem Gewinn aus Gewerbebetrieb hinzugerechnet, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt wurden. In gleicher Weise sind nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG 1974 Verbindlichkeiten, die den Schuldzinsen im Sinne des § 8 Nr. 1 GewStG 1974 entsprechen, dem Einheitswert des gewerblichen Betriebes hinzuzurechnen, soweit sie bei dessen Feststellung abgezogen worden sind. Bei den als Dauerschulden zu qualifizierenden Verbindlichkeiten unterscheidet die Rechtsprechung entsprechend dem Wortlaut des § 8 Nr. 1 GewStG 1974 zwischen den Schulden, die wirtschaftlich mit der Gründung oder dem Erwerb des Betriebes (Teilbetriebes) oder eines Anteils am Betrieb oder mit der Erweiterung oder Verbesserung des Betriebs zusammenhängen (erste Tatbestandsgruppe), und den Schulden, die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen (zweite Tatbestandsgruppe). Die Verbindlichkeiten der ersten Tatbestandsgruppe sind ohne Rücksicht auf ihre Laufzeit Dauerschulden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. November 1983 VIII R 179/83, BFHE 140, 96, BStBl II 1984, 213). Verbindlichkeiten der zweiten Tatbestandsgruppe sind dagegen nur dann Dauerschulden, wenn sie der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen. Ob eine Verbindlichkeit im letzteren Sinne Dauerschuld oder laufende Verbindlichkeit ist, richtet sich in erster Linie nach dem Charakter der Schuld. Dient die Schuld (der Kredit) der Beschaffung des eigentlichen Dauerbetriebskapitals, das der Betrieb nach seiner Eigenart und seiner speziellen Anlage und Gestaltung ständig benötigt, so spricht dies für eine Dauerschuld. Steht der Kredit dagegen mit einzelnen laufenden, nach Art des Betriebes immer wiederkehrenden bestimmbaren Geschäftsvorfällen im Zusammenhang - z.B. mit dem Erwerb von Umlaufvermögen -, so hat er in der Regel den Charakter einer laufenden, nicht unter § 8 Nr. 1 bzw. unter § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG 1974 fallenden Verbindlichkeit (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 1978 I R 81/75, BFHE 125, 564, BStBl II 1978, 651). Bei den typischen laufenden Geschäftsvorfällen kommt im allgemeinen der Laufzeit der Verbindlichkeit keine entscheidende Bedeutung zu. Ist jedoch unklar, ob ein Geschäftsvorfall als laufender einzuordnen ist, so kann eine lange Laufzeit Anzeichen dafür sein, daß die Kreditaufnahme das Betriebskapital nicht nur vorübergehend verstärken soll.

2. a) Nach den von der Klägerin mit Revisionsrügen nicht angefochtenen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) waren im Streitjahr 1974 Gegenstand und Zweck der Klägerin die Beteiligung u.a. als stiller Gesellschafter an kleinen und mittleren Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft zur Erhaltung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und Verbreiterung der Eigenkapitalbasis dieser Betriebe. Das Eingehen derartiger Beteiligungen war von der Klägerin auf zehn Jahre angelegt. Schon die auf zehn Jahre vereinbarte Dauer der Zugehörigkeit der Beteiligung zum Betriebsvermögen begründet die Vermutung für die Annahme von Anlagevermögen (vgl. BFH, Urteil vom 8. Oktober 1970 IV R 125/69, BFHE 100, 249, BStBl II 1971, 51). Die Vermutung wird durch das in § 151 Abs. 1 des Aktiengesetzes (AktG) wiedergegebene aktienrechtliche Bilanzschema verstärkt. Danach (vgl. Aktivseite II B.1) gehören Beteiligungen dem Anlagevermögen an. Unter den Begriff der Beteiligungen im Sinne des § 151 Abs. 1 AktG fallen sowohl gesellschaftsrechtliche Kapitalanteile an Kapital- und Personenhandelsgesellschaften als auch ihnen wirtschaftlich gleichstehende gesellschaftsähnliche Kapitalanlagen wie z.B. stille Beteiligungen. Die Vermutung wird nicht durch den Vergleich mit der Bilanzierung von Beteiligungen durch Kreditinstitute widerlegt. Bei einem Kreditinstitut können nur solche Beteiligungen Umlaufvermögen sein, die zum Wiederverkauf bestimmt sind. Die Klägerin erwarb jedoch die hier interessierenden stillen Beteiligungen nicht, um sie zu verkaufen, sondern um sie in der Regel zehn Jahre lang zu halten.

b) Die Klägerin kann den für die Annahme von Anlagevermögen sprechenden Anzeichen nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Refinanzierungsmittel stünden in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit nur einem einzelnen Geschäftsvorfall (Erwerb jeweils einer stillen Beteiligung). Der Zusammenhang mit einem einzelnen Geschäftsvorfall ist für die Beurteilung einer Verbindlichkeit als Dauerschuld nur dann von Bedeutung, wenn der Geschäftsvorfall ein laufender ist. Wird jedoch der Erwerb eines Wirtschaftsgutes des Anlagevermögens fremdfinanziert, so steht der Zusammenhang zwischen der Kreditaufnahme und dem Erwerb des Wirtschaftsgutes der Annahme einer Dauerschuld nicht entgegen.

c) Die von der Klägerin aufgenommenen Kreditmittel dienten auch der nicht nur vorübergehenden Verstärkung ihres Betriebskapitals. Das sachliche Substrat der eigentlichen Geschäftstätigkeit der Klägerin bestand in dem Erwerb und dem Halten stiller Beteiligungen auf die Dauer von in der Regel zehn Jahren. Der Erwerb der stillen Beteiligungen hatte damit schon von seiner Zweckbestimmung her keine Umlauf-, sondern Anlagefunktion. Die Mittel, die zum Erwerb der stillen Beteiligung aufgewendet wurden, dienten der dauernden Grundlage der Geschäftstätigkeit der Klägerin, weil diese zu einem wesentlichen Teil in dem Erwerb und dem Halten der Beteiligungen bestand. Eine Finanzierung laufender Geschäfte könnte nur dann angenommen werden, wenn die stillen Beteiligungen - ähnlich wie zum Verkauf bestimmte Waren - ihrer Zweckbestimmung nach hätten kurzfristig umgesetzt werden sollen. Eine solche Zweckbestimmung kann jedoch nicht angenommen werden, wenn die Zugehörigkeit der Beteiligungen zum Betriebsvermögen der Klägerin für zehn Jahre vereinbart wird. Dies gilt unbeschadet der Frage, ob eine 10jährige Laufzeit der stillen Beteiligungen angesichts des Förderungszweckes als kurz oder lang angesehen werden kann bzw. muß.

d) Aus dem Hinweis der Klägerin auf die langfristige Finanzierung von Exportgeschäften folgt nichts anderes. Bei Exportgeschäften ist der Export (Verkauf) von Waren der Geschäftsvorfall, der für die hier interessierende Frage von ausschlaggebender Bedeutung ist. Da die zu exportierenden Waren zum Verkauf bestimmt sind, stellt sich der Export als ein typischer laufender Geschäftsvorfall und die Vorfinanzierung der Kaufpreisforderung als eine nur vorübergehende Verstärkung des Betriebskapitals dar. Im Streitfall sind jedoch der Erwerb und das Halten der stillen Beteiligungen die maßgeblichen Geschäftsvorfälle. Der aus der entsprechenden Zweckwidmung sich ergebende zeitliche Unterschied rechtfertigt die abweichende Behandlung.

3. Der als Verbindlichkeit ausgewiesene Kredit kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines "durchlaufenden Kredits" aus dem Begriff der Dauerschulden ausgeklammert werden. Durchlaufende Kredite sind im Namen und für Rechnung eines anderen vereinnahmte und gegebenenfalls verausgabte Kredite. Mithin handelt es sich um Geschäftsvorfälle, die ausschließlich in fremdem Interesse getätigt werden. Ein entsprechendes Tätigwerden im fremden Namen und für fremde Rechnung könnte im Streitfall nur dann angenommen werden, wenn die Kreditaufnahme bzw. -vergabe nicht zugleich im eigenen Interesse der Klägerin gelegen hätte. Nach den von der Klägerin mit Revisionsrügen nicht angefochtenen tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) waren Gegenstand und Zweck ihres Unternehmens im Streitjahr 1974 die Beteiligung an kleinen und mittleren Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft zur Erhaltung und Verbesserung der Eigenkapitalbasis dieser Betriebe. Damit bestand die Erfüllung des satzungsmäßigen Zweckes der Klägerin u.a. in dem Eingehen und dem Halten der hier interessierenden stillen Beteiligungen. Soweit die Klägerin die stillen Beteiligungen fremdfinanzierte, verfolgte sie mit der Weitergabe der Kreditmittel zwangsläufig eigenbetriebliche Interessen. Dies steht der Annahme "durchlaufender Kredite" entgegen. Zwar lag die Einlage stiller Beteiligungen auch im Interesse der geförderten Unternehmen bzw. im allgemeinen öffentlichen Interesse. Jedoch schließt dies nicht aus, daß sie zugleich Eigeninteressen verfolgt. Nach ihrer Satzung war der Klägerin die Aufgabe übertragen, die gewerbliche Wirtschaft im öffentlichen Interesse zu fördern. Damit lag die Förderung bestimmter Fremdinteressen zugleich im eigenbetrieblichen Interesse der Klägerin. Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob die Klägerin aus den stillen Beteiligungen einen Gewinn erzielte oder nicht.

4. § 19 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV) ist auf den Streitfall unanwendbar. Die Klägerin ist kein Unternehmen, für das die Vorschriften des Gesetzes über das Kreditwesen vom 10. Juli 1961 (BGBl I 1961, 881), geändert durch Art. 194 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 (BGBl I 1974, 469) gelten. Sie ist darüber hinaus weder eine Bausparkasse im Sinne des Gesetzes über Bausparkassen vom 16. November 1972 (BGBl I 1972, 2.097) noch ein Pfandleiher im Sinne der Verordnung über den Geschäftsbetrieb der gewerblichen Pfandleiher vom 1. Februar 1961 (BGBl I 1961, 58), geändert durch die Verordnung zur Änderung der Verordnung über den Geschäftsbetrieb der gewerblichen Pfandleiher vom 27. Februar 1969 (BGBl I 1969, 181). Damit erfüllte sie die Voraussetzungen des § 19 GewStDV nicht. Der Senat sieht angesichts der insoweit klaren Formulierung der Vorschrift keine Rechtsgrundlage für eine vom Wortlaut abweichende Auslegung.