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BFH-Urteil vom 17.2.1987 (IX R 172/84) BStBl. 1987 II S. 501

Solange das FG über das Gesuch, einen Sachverständigen wegen Befangenheit abzulehnen, nicht entschieden hat, darf es bei der Urteilsfindung das Gutachten des Sachverständigen nicht verwerten.

FGO § 82; ZPO § 406.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines Mietwohngrundstücks. Das auf diesem Grundstück im Jahre 1930 errichtete Gebäude hat vier Wohnungen, von denen drei vermietet sind und eine vom Kläger selbst genutzt wird. Bis 1976 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den Mietwert der selbstgenutzten Wohnung des Klägers entsprechend dessen Steuererklärungen an. Auch für das Streitjahr 1977 ging das FA zunächst von diesem erklärten Mietwert aus. Mit dem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für 1977 machte der Kläger u. a. den Wert seiner eigenen Hausverwaltungstätigkeit in Höhe von 1.800 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. In der Einspruchsentscheidung gab das FA dem Einspruch in einem anderen Punkt statt, erhöhte aber zugleich den Mietwert der selbstgenutzten Wohnung. Hinsichtlich der Verwaltungstätigkeit versagte es mangels Anfalls von Aufwendungen die Anerkennung als Werbungskosten.

Im Klageverfahren erhob das Finanzgericht (FG) Beweis über den Nutzungswert der Wohnung des Klägers durch das Gutachten eines Sachverständigen, der Immobilienkaufmann und öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Bewertung von Grundstücken und Gebäuden ist. In dem schriftlichen Gutachten gelangte der Sachverständige unter Heranziehung der Vergleichsmieten von zwei Wohnungen in anderen Häusern zu dem Ergebnis, daß der Mietwert der Wohnung noch höher als vom FA angesetzt zu schätzen sei. Gegen dieses Gutachten wandte der Kläger mit Schriftsatz vom 28. Februar 1983 u. a. ein, der Sachverständige habe bei den von ihm herangezogenen beiden Vergleichswohnungen verschwiegen, daß er deren Eigentümer bzw. Miteigentümer neben seiner Ehefrau sei. Dieser Umstand stelle einen derart gravierenden Mangel dar, daß er schon allein genüge, um das Gutachten zu entwerten. Die vom Gutachter verlangten Mieten seien überhöht, so daß dessen Befangenheit zu besorgen sei.

Das FG schloß sich in seinem Urteil der Schätzung des Mietwerts der selbstgenutzten Wohnung durch das FA an. Es ging hinsichtlich der Beschaffenheit der Wohnungen im Hause des Klägers und der Höhe des Mietwerts für die selbstgenutzte Wohnung von dem Gutachten aus. Ob wegen der Lage eines Zimmers im Souterrain des Hauses ein Abschlag von dem durch den Sachverständigen angesetzten Mietwert zu machen sei, ließ das FG offen, da das FA nur die Hälfte des vom Sachverständigen geschätzten Mietwerts zugrunde gelegt habe, was keinesfalls zu hoch sei. Ferner habe der Sachverständige zur Überzeugung des FG festgestellt, daß in ... auch heute noch insbesondere in Altbauten eine ganze Reihe ähnlicher Wohnungen zu Wohnzwecken genutzt werde. Zur vom Kläger geltend gemachten Befangenheit des Sachverständigen hat das FG weder in einem Beschluß noch in dem angefochtenen Urteil Stellung genommen. Auch hinsichtlich der geltend gemachten Werbungskosten wies das FG die Klage ab.

Der Kläger beantragt mit der vom Senat zugelassenen Revision, unter Aufhebung des FG-Urteils und der Einspruchsentscheidung den Einkommensteuerbescheid für 1977 dahingehend zu ändern, daß der Mietwert der selbstgenutzten Wohnung auf den erklärten Betrag ermäßigt wird und weitere Werbungskosten in Höhe von 1.800 DM zum Abzug zugelassen werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Hinsichtlich des vom Kläger gerügten Verfahrensmangels bringt es vor: Das Sachverständigengutachten habe der freien Beweiswürdigung des FG unterlegen. Ein Verfahrensverstoß sei nur gegeben, wenn das FG gegen Erfahrungssätze oder gegen die Denkgesetze verstoßen habe, was jedoch nicht der Fall sei. Die gerügte Befangenheit des Sachverständigen hätte auch durch einen formellen Antrag geltend gemacht werden können. Außerdem sei nicht ohne weiteres erkennbar, ob das FG ohne den vorgetragenen Verfahrensverstoß zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gelangt wäre.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG zu erneuter Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Die Revision ist begründet, da die Vorinstanz das Gutachten des Sachverständigen in dem Urteil verwertet hat, ohne zuvor über die vom Kläger gerügte Befangenheit des Sachverständigen zu entscheiden.

Nach § 82 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 406 Abs. 1 und § 42 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) können die Beteiligten einen Sachverständigen wegen Befangenheit ablehnen. Über das Ablehnungsgesuch ist gemäß § 406 Abs. 4 und 5 ZPO durch Beschluß zu entscheiden, gegen den das Rechtsmittel der Beschwerde (§ 128 FGO) statthaft ist, wenn das Gesuch für unbegründet erklärt wird (vgl. Beschluß des BFH vom 7. April 1976 VII B 7/76, BFHE 118, 301, BStBl II 1976, 387). Die Ablehnung wegen Befangenheit setzt mithin ein eigenes Verfahren in Gang, vor dessen Entscheidung das Gutachten vom Gericht nicht verwertet werden darf. Unterläßt das Gericht, welches das Gutachten des abgelehnten Sachverständigen verwertet hat, eine solche gesonderte, der Sachentscheidung vorausgehende Beschlußfassung, so ist dies rechtsfehlerhaft. Der Rechtsfehler führt grundsätzlich zur Aufhebung und Zurückverweisung (vgl. Urteile des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 31. Mai 1960 5 AZR 326/58, Juristenzeitung - JZ - 1960, 606 = Arbeitsrechtliche Praxis - AP - Nr. 1 zu § 406 ZPO, und des Oberlandesgerichts - OLG - Köln vom 13. März 1974 2 U 55/73, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1974, 761, sowie Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 8. Juli 1982 3 Z 4/82, Der Deutsche Rechtspfleger - Rpfl - 1982, 433). Der erkennende Senat schließt sich dieser Ansicht an. Er setzt sich hiermit nicht in Widerspruch zum Beschluß des VII. Senats in BFHE 118, 301, BStBl II 1976, 387, wonach nur im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens, nicht jedoch im Revisionsverfahren zu überprüfen ist, ob das FG die Ablehnung des Sachverständigen zu Recht zurückgewiesen hat. Denn im vorliegenden Fall hat das FG keinen Beschluß erlassen, den der Kläger mit der Beschwerde hätte angreifen können; der Kläger wäre rechtlos gestellt, wenn er in einem solchen Fall eine Verletzung des Verwertungsverbots durch das FG nicht mit der Revision rügen könnte. Der erkennende Senat entscheidet ferner nicht im Revisionsverfahren über die geltend gemachte Befangenheit des Sachverständigen, sondern ermöglicht mit einer Aufhebung der Vorentscheidung dem FG lediglich, die durch § 406 Abs. 4 ZPO vorgeschriebene gesonderte Entscheidung über das Befangenheitsgesuch nachzuholen.

Im vorliegenden Fall hat das FG gegen das Verwertungsverbot verstoßen, da es nicht über die hinreichend gerügte Befangenheit des Sachverständigen durch Beschluß entschieden hat. Der Kläger hat ein solches Ablehnungsgesuch bei dem FG angebracht, wobei sich der Ablehnungsgrund erst aus dem schriftlichen Gutachten ergab (§ 406 Abs. 2 Satz 1 bis 2 ZPO). Eines ausdrücklichen Antrags wegen der Befangenheit bedurfte es nicht (vgl. Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl., § 406 Anm. B I a). Der Ablehnungsgrund ist unstreitig glaubhaft (§ 406 Abs. 3 ZPO). Das FG hat das Gutachten unzulässigerweise verwertet. Denn es ist bei seinen tatsächlichen Feststellungen zur Lage und Ausstattung der Wohnungen im Hause des Klägers und bei seiner Entscheidung über die Höhe des Mietwerts von dem Sachverständigengutachten ausgegangen. Außerdem hat es seine Überzeugung in einem Streitpunkt ausdrücklich auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützt. Daher läßt sich nicht ausschließen, daß das FG zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es dieses Gutachten nicht verwertet hätte.