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BFH-Urteil vom 25.6.1987 (V R 92/78) BStBl. 1987 II S. 655

Steuerbarer Eigenverbrauch liegt auch vor, wenn ein Unternehmer ein bebautes Grundstück, das die wesentliche Grundlage seiner unternehmerischen Tätigkeit darstellt, unentgeltlich auf seine Ehefrau überträgt (Geschäftsveräußerung). Die Grundsätze des BFH-Urteils vom 9. Februar 1956 V 267/55 U (BFHE 62, 270, BStBl III 1956, 99), das zu § 85 UStDB 1951 ergangen ist, können für die Auslegung des UStG 1967/1973 nicht herangezogen werden.

UStG 1973 § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 4 Nr. 9 Buchst. a, § 9, § 10 Abs. 4, § 15 Abs. 2 Nr. 2, § 15a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Sätze 1 und 2, Abs. 4, 5.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ließ auf einem ihm gehörenden unbebauten Grundstück eine Lagerhalle mit Büro und Aufenthaltsräumen errichten. Der Bauantrag war vor dem 9. Mai 1973 gestellt worden. Ab 1. Februar 1974 vermietete er das Grundstück an einen Unternehmer. Durch notariell beurkundeten Schenkungsvertrag vom 23. Dezember 1974 übertrug er das Grundstück mit aufstehenden Gebäuden auf seine Ehefrau. Nach § 3 des Vertrages übernahm diese im Außenverhältnis die auf dem Grundstück eingetragenen Belastungen nebst Verzinsung. Persönlich oder dinglich hatte sie dafür jedoch nicht einzustehen. Sollte aus den Schuldposten gegen sie vorgegangen werden, war der Kläger verpflichtet, die Belastungen zur Löschung zu bringen. Die Übergabe des Grundstücks erfolgte am 31. Dezember 1974. Seitdem vermietet die Ehefrau des Klägers das Grundstück unter Verzicht auf die Steuerbefreiung für die Mietumsätze weiterhin an den bisherigen Mieter.

Der Kläger gab für das Kalenderjahr 1974 (erstmals) eine Umsatzsteuererklärung ab. Darin verzichtete er auf die Steuerbefreiung für die Mietumsätze aus dem bebauten Grundstück und beantragte, nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes (UStG) besteuert zu werden; die auf die Gebäudeherstellung entfallende Umsatzsteuer in Höhe von ... DM machte er als Vorsteuer geltend. Dem folgte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) zunächst und setzte den Umsatzsteuerüberschuß vorläufig auf ... DM fest.

Nach einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung vertrat das FA die Auffassung, daß mit der Übereignung des Grundstücks eine Änderung der Verhältnisse eingetreten sei, die zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß § 15a Abs. 4 und 1 UStG 1973 führe. Bei der endgültigen Veranlagung für das Kalenderjahr 1974 machte das FA den Vorsteuerabzug in einer Höhe von 41.413,64 DM rückgängig. Dabei berücksichtigte es, daß das Grundstück in der Zeit vom 1. Februar 1974 bis 30. Dezember 1974 vom Kläger steuerpflichtig vermietet worden war, so daß von den 120 Monaten des Berichtigungszeitraums (§ 15a Abs. 1 Satz 2 UStG 1973) 11 Monate auf eine zum Vorsteuerabzug berechtigende unternehmerische Nutzung durch den Kläger fielen.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) lag eine gemäß § 3 des Übertragungsvertrages unentgeltliche Grundstücksübertragung vor, die steuerfrei und demgemäß für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sei als die erstmalige Verwendung des Grundstücks. Die Grundstücksübertragung stelle eine unentgeltliche Geschäftsveräußerung im ganzen dar. Ob es sich dabei, wie die Beteiligten unter Berufung auf das zu § 85 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB 1951) ergangene Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9. Februar 1956 V 267/55 U (BFHE 62, 270, BStBl III 1956, 99) annahmen, um eine nichtsteuerbare Lieferung handle, oder ob Entnahmeeigenverbrauch vorliege, ließ das FG offen. Sehe man die Übertragung des Grundstücks als Eigenverbrauch an, so liege ein nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1973 steuerfreier Umsatz vor, der für den Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 2 UStG 1973) anders zu beurteilen sei als die bisherige steuerpflichtige Vermietung und zur Anwendung des § 15a Abs. 4 UStG 1973 führe. Das gleiche gelte bei Annahme einer nichtsteuerbaren Lieferung. Zwar schließe § 15 Abs. 2 UStG 1973 ausdrücklich nur den Vorsteuerabzug für Leistungen aus, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwende bzw. in Anspruch nehme und könne nach seinem Wortlaut - weil steuerfreie Umsätze steuerbare Umsätze voraussetzen - nicht für die Ausführung nichtsteuerbarer Lieferungen gelten. Nach dem Sinn und Zweck der Ausschlußregelung in § 15 Abs. 2 UStG 1973 könne die Berechtigung zum Vorsteuerabzug aber jedenfalls für die Vorsteuerbeträge nicht gelten, die mit unentgeltlichen Umsätzen in Zusammenhang stünden, die im Fall der Entgeltlichkeit nach § 4 Nrn. 6 ff. UStG 1973 steuerfrei und dann vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen wären. Es könne auch kein Zweifel bestehen, daß § 15a Abs. 4 UStG 1973 nicht nur bei entgeltlicher, sondern ebenso bei unentgeltlicher Veräußerung anwendbar sei. Dies ergebe sich schon aus dem Fehlen eines entsprechenden einschränkenden Zusatzes sowie insbesondere auch daraus, daß in § 15a Abs. 7 Nr. 2 UStG 1973 die unentgeltliche Veräußerung ausdrücklich erwähnt sei, was andernfalls überflüssig gewesen wäre.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 15a Abs. 4 UStG 1973, weil das Grundstück weder veräußert noch zum Eigenverbrauch entnommen worden sei. Nach dem Urteil in BFHE 62, 270, BStBl III 1956, 99 sei bei einer unentgeltlichen Geschäftsveräußerung im ganzen, wie sie dem Streitfall zugrunde liege, kein Eigenverbrauch gegeben. Ebenso scheide es aus, eine Veräußerung im Sinne des § 15a Abs. 4 UStG 1973 anzunehmen, weil hierfür begrifflich "Entgelt" erforderlich sei, das im Streitfall gerade nicht gegeben sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung vom 31. Dezember 1976 die Umsatzsteuer 1974 auf % ... DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß die dem Kläger für die Herstellung der Lagerhalle in Rechnung gestellten Vorsteuerbeträge insoweit nicht abgesetzt werden können (§ 16 Abs. 2 UStG 1973), als sie nicht auf die Zeit der Vermietung der Lagerhalle durch den Kläger vom 1. Februar 1974 bis 30. Dezember 1974 entfallen (§ 15a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Sätze 1 und 2, Abs. 5 UStG i. d. F. der Bekanntmachung vom 16. November 1973 - UStG 1973, BGBl I 1973, 1682, BStBl I 1973, 694 -). Die Übertragung des mit der Lagerhalle bebauten Grundstücks auf die Ehefrau des Klägers stellt eine Änderung der Verhältnisse im Sinn des § 15a Abs. 4 UStG 1973 dar; sie führt als - steuerfreier - Eigenverbrauch des Klägers (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1973) gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1973 zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug. Auf die Erwägungen des FG zur Geltung des § 15 Abs. 2 UStG 1973 auch im Fall der Verwendung von Leistungsbezügen zur Ausführung von Leistungen, die mangels Entgeltlichkeit keine steuerbaren Umsätze sind, kommt es daher nicht an (siehe hierzu BFH-Urteil vom 18. Dezember 1986 V R 176/75, BFHE 149, 78, BStBl II 1987, 350 zu B. I. 2. b).

1. Die Übertragung des für Zwecke seines Unternehmens vom Kläger erworbenen und bebauten Grundstücks auf seine Ehefrau ist Eigenverbrauch des Klägers durch Entnahme gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1973. Eigenverbrauch im Sinn dieser Vorschrift liegt vor, wenn ein Unternehmer im Inland Gegenstände aus seinem Unternehmen für Zwecke entnimmt, die außerhalb des Unternehmens liegen. Gekennzeichnet ist dieser Vorgang durch das Fehlen der Entgeltlichkeit sowie durch die Bestimmung der Entnahme für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen (BFH-Urteile vom 5. April 1984 V R 51/82, BFHE 140, 393, BStBl II 1984, 499, und vom 3. November 1983 V R 4/73, BFHE 140, 115, BStBl II 1984, 169).

Die Übertragung des Grundstücks auf die Ehefrau ist für Zwecke erfolgt, die außerhalb des Unternehmens des Klägers lagen (vgl. BFH-Urteil vom 2. Oktober 1986 V R 91/78, BFHE 147, 548, BStBl II 1987, 44); die beabsichtigte Steuerersparnis ändert hieran nichts, weil sie erst die Folge der Beurteilung ist, ob mit der Übertragung des Grundstücks ein unternehmensfremder Zweck verfolgt worden ist oder nicht. Die Übertragung des Grundstücks ist auch unentgeltlich erfolgt; der Sachverhalt ist insoweit dem vergleichbar, der dem Senatsurteil in BFHE 147, 548, BStBl II 1987, 44 zugrunde gelegen hat. Anders als dort hat der Kläger im Streitfall gegen die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts durch das FG keine Revisionsrügen erhoben. Dies beruht offenbar auf der Rechtsauffassung des Klägers, eine unentgeltliche Übertragung des Grundstücks erfülle als - unentgeltliche - Geschäftsveräußerung im ganzen keinen Besteuerungstatbestand des UStG 1973 und könne dementsprechend nicht zu einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG 1973 führen. Dem folgt der erkennende Senat nicht.

2. Der Annahme eines Eigenverbrauchs nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1973 steht nicht entgegen, daß das Grundstück die wesentlichen Grundlagen der unternehmerischen Tätigkeit des Klägers darstellte, so daß seine Übertragung auf die Ehefrau das Unternehmen des Klägers im ganzen erfaßt hat und als Geschäftsveräußerung zu beurteilen ist (vgl. § 10 Abs. 4 UStG 1973; BFH-Urteil vom 11. Juli 1968 V 127/65, BFHE 93, 191, BStBl II 1968, 758 zu § 85 UStDB 1951, der noch von einer Geschäftsveräußerung im ganzen sprach).

a) Entnahmeeigenverbrauch (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1973) ist gegeben, wenn ein Unternehmer Gegenstände aus seinem Unternehmen (für unternehmensfremde Zwecke) entnimmt. Hierunter fällt auch die Entnahme aller dem Unternehmen dienenden Gegenstände bei der Beendigung des Unternehmens; der gesetzliche Tatbestand setzt nicht den Fortbestand des Unternehmens voraus. Die Auffassung, die unentgeltliche Übertragung eines Unternehmens im ganzen sei keine "Entnahme von Gegenständen aus dem Unternehmen" (Husmann in Rau/Dürrwächter/Flick/Koch, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, § 1 Anm. 537), läßt unbeachtet, daß die Umsatzsteuer bei einer Geschäftsveräußerung die Übertragung einzelner Gegenstände, nicht die Übertragung des Unternehmens als Ganzes erfaßt (vgl. BFH-Urteil vom 15. Januar 1987 V R 3/77, BFHE 149, 272, BStBl II 1987, 512; Klenk, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1982, 114; Weiß, Anmerkung in UR 1987, 17, Abschn. 2).

Die Entnahme erfolgt auch dann aus dem Unternehmen, wenn sie anläßlich der Beendigung der unternehmerischen Tätigkeit erfolgt; seit dem Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 24. April 1931 VA 410/31 (RFHE 29, 22) ist es allgemeine Rechtsauffassung, daß die Geschäftsveräußerung (im ganzen) den letzten Akt der unternehmerischen Tätigkeit darstellt (vgl. zuletzt Urteil in BFHE 149, 272, BStBl II 1987, 512), mithin die Veräußerung von Gegenständen "aus dem Unternehmen" betrifft.

b) Die Steuerbarkeit des Eigenverbrauchs entfällt im Streitfall auch nicht deshalb, weil wie bei der Geschäftsveräußerung (im ganzen) die wesentlichen Grundlagen des Unternehmens übertragen worden sind. Das UStG 1973 bietet hierfür keine Grundlage.

Entgegen der Auffassung des Klägers können die Erwägungen, die dem Urteil in BFHE 62, 270, BStBl III 1956, 99 zugrunde gelegen haben, nicht auf das UStG 1973 übertragen werden; denn dort ist die Nichterfassung der unentgeltlichen Veräußerung als Eigenverbrauch damit begründet worden, daß § 85 UStDB 1951 für alle Geschäftsveräußerungen im ganzen eine Sonderregelung treffe, durch welche die Anwendbarkeit des § 1 Ziff. 2 UStG 1951 (Entnahmeeigenverbrauch) entfalle (Klenk, UR 1982, 114; Weiß, Anmerkung in UR 1987, 17, Abschn. 2). Unabhängig davon, ob in der genannten Entscheidung die Bedeutung des § 85 UStDB 1951 als Steuertatbestand verkannt worden ist und die Anwendung des § 1 Abs. 1 Ziff. 2 UStG 1951 geboten gewesen wäre (Padberg, UR 1976, 193, Abschn. V; Schettler, UR 1956, 118), kann die Begründung dieses Urteils für den Streitfall deshalb nicht herangezogen werden, weil das UStG 1973 keine Regelung enthält, die - entsprechend der damaligen Auslegung des § 85 UStDB 1951 - als zusätzlicher, die Geschäftsveräußerung erfassender Steuertatbestand verstanden werden könnte. Insbesondere trifft dies nicht auf § 10 Abs. 4 UStG 1973 zu. Nach der Stellung im Gesetz in Abschnitt "Bemessungsgrundlage" und nach dem Wortlaut regelt diese Vorschrift nur die Frage, nach welcher Bemessungsgrundlage die Steuer bei einer Geschäftsveräußerung zu erheben ist, während der Steuertatbestand sich entsprechend der Systematik des UStG 1973 aus § 1 des Gesetzes ergibt (jeweils zu den insoweit gleichlautenden Vorschriften des UStG 1980: Bunjes, UR 1986, 172; Klenk, UR 1982, 114; Weiß, Anmerkung in UR 1987, 17, Abschn. 2; Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, 3. Aufl., 24. Ergänzungslieferung, § 1 Bem. 205; zum UStG 1967 vgl. BFH-Urteil vom 13. Januar 1977 V R 94/75, BFHE 122, 364, BStBl II 1977, 654; Padberg, UR 1976, 193, Abschn. V).

Der erkennende Senat teilt somit nicht die Auffassung des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen im Schreiben vom 19. Januar 1972 F/IV A 2 - S 7.102-1/72 (UR 1972, 59), daß das Urteil in BFHE 62, 270, BStBl II 1956, 99 im Ergebnis auch auf unentgeltliche Geschäftsveräußerungen nach Inkrafttreten des UStG 1967 anzuwenden sei.

3. Demnach war, wie FG und FA angenommen haben, der vom Kläger bei der erstmaligen Verwendung des Grundstücks für Zwecke seines Unternehmens geltend gemachte Vorsteuerabzug nur in Höhe des anteilig auf den Zeitraum bis zur Übergabe des Grundstücks auf die Ehefrau entfallenden Betrages anzuerkennen und im übrigen der Vorsteuerabzug rückgängig zu machen. Die Entnahme des Grundstücks zum Eigenverbrauch führte zu einer Änderung der Verhältnisse, die bei der erstmaligen Verwendung des Grundstücks für Zwecke des Unternehmens des Klägers für den Vorsteuerabzug maßgebend gewesen waren (§ 15a Abs. 4 und 5 i.V. m. Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1973), denn sie hat, anders als die Verwendung des vom Kläger bebauten Grundstücks zur steuerpflichtigen Vermietung, gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1973 den Ausschluß vom Vorsteuerabzug zur Folge. Die Entnahme eines Grundstücks zum Eigenverbrauch ist nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1973 steuerfrei. Ein Verzicht auf die Steuerbefreiung gemäß § 9 UStG 1973 kommt nicht in Betracht (Urteil in BFHE 147, 548, BStBl II 1987, 44).